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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 334. Wien, Freitag den 4. August 1865

Musik.

(Das Festconcert der Universität. Volksconcerte und Gartenmusiken. Novitäten-Abende.)

Ed. H. Der Universität verdanken wir das seltene Erlebniß, mitten in der „todten Saison“ einem der glänzendsten Abendconcerte im großen Redoutensaale beigewohnt zu haben. Wir meinen das Festconcert, das am zweiten Tage unserer Universitäts-Jubelfeier den zahlreichen fremden Gästen gegeben wurde. Es fand bei splendider Beleuchtung des Saales vor einem Parterre von Gelehrten statt, zu deren Häupten sich auf der Galerie eine schmale, aber liebliche Guirlande von geschmückten Damen hinzog. Es war ein glücklicher und vollberechtigter Gedanke, welcher gerade die Universität Wiens, der Musikstadt katexochen, bestimmte, ihre Jubelfeier auch musikalisch zu begehen. Die Wien er Universität, welche schon im fünfzehnten Jahrhunderte Lehrkanzeln der Musik besaß, ist auch der Tonkunst stets eine alma mater gewesen. Wäre das Festconcert in der Aula gewesen (die sich dem Redoutensaal allerdings nicht vergleichen darf), der genius loci selbst hätte von glänzenden musikalischen Erinnerungen geflüstert, welche sich an die Räume dieser Hochschule knüpfen. Im großen Universitätssaal war es, wo zu Anfang dieses Jahrhunderts Wien seine besten Concerte abhielt, wo das große Liebhaber-Concert unter dem Schutz des Fürsten Trauttmansdorff“ seine Akademien gab, wo Haydn bei jener denkwürdigen Aufführung seiner „Schöpfung “ am 27. März 1808 zum letztenmale öffentlich erschien und von den jauchzenden Huldigungen der Menge bis zum lauten Weinen erschüttert wurde.

In der Zusammenstellung des Programms vom 2. August hatte das Comité die Würde des festlichen Anlasses sich streng vor Augen gehalten. Es ist nur zu loben, daß man im Concerte selbst keine directen Anspielungen auf das Universitätsfest versuchte, sondern die Interessen der Wissenschaft und der Tonkunst getrennt auseinanderhielt, jene den beredten Worten Hyrtlʼs und Hasnerʼs, diese den Tönen Mozart ʼs und Beethoven ʼs unvermischt überlassend. Eine festrednerische Musik, wie sie im Jahre 1809 in Leipzig zum Jubiläum der dortigen Universität stattfand, müßte wol heutzutage eine unbezwingliche Heiterkeit erregen. Die Leipzig er hatten nämlich damals der „Schöpfung “ von Haydn einen auf die Universitätsfeier bezüglichen Text angepaßt und ließen z. B. zum „Sonnenaufgang“ die Worte singen: Im vollen Glanze ging der sonnenstrahlende Leibnitz  auf! Der aufgehende Mond wurde mit Gellert verglichen u. s. f.*)

Nur insofern athmete in unserm Concertprogramm eine gewisse Tendenz, als man den Meistern der großen Wien er Musikepoche mit Recht den weitaus größten Raum gewährte und nur Weber und Mendelssohn mit je einer Composition ihnen beigesellte. Haydn war mit einer, Mozart und Beethoven jeder mit zwei, Schubert mit fünf Nummern vertreten. Und Gluck? Wir haben den Namen des Meisters schwer vermißt, auf welchen Wien zum mindesten das gleiche Anrecht wie auf Beethoven besitzt. Unser ist zwar seine Wiege nicht, aber seine Bildung, seine Thätigkeit, sein Leben, sein Grab. Hätte man Herrn Gunz, den das Auditorium offenbar noch einmal zu hören wünschte, mit der schönen Arie des „Pylades “ betraut, so war die Lücke leicht und glücklich ausgefüllt. Wir hätten sehr gerne den Chor „O Isis und Osiris“ aus der „Zauberflöte “ dafür geopfert, der in der Oper trefflich an seiner Stelle, im Concert aber sehr überflüssig ist. Auch Haydn hätte man leicht durch ein bedeutenderes und reizvolleres Stück vertreten können, als durch die Tenor-Arie „Mit Würdʼ und Hoheit angethan “, so schön Herr Gunz sie auch vortrug. Das Duett zwischen Lucas und Hannchen aus den „Jahreszeiten “ (um bei kleinen Formen zu bleiben) hätte, von Herrn Gunz und Frau Dustmann gesungen, ungleich belebender gewirkt. — Die übrigen Nummern waren trefflich gewählt. Die Ouverture zum „Freischütz “ (von Herbeck im Allegro etwas langsamer genommen, als wir gewöhnt sind) eröffnete die musikalische Bilderreihe mit ihrem zauberhaften Farbenschmelz. Herr Jos. Hellmesberger und sein talentvoller Schüler Herr Krancevic folgten mit der virtuosen Durchführung des ersten Satzes aus Mozartʼs Doppelconcert (Violine und Viola). Seinen Gipfelpunkt erreichte der Abend mit Beethovenʼs C-moll-Symphonie , die wir nie zuvor so vortrefflich gehört haben. In zweifacher Hinsicht war schon diese Wahl eine besonders verständnißvolle. Einmal stimmt die C-moll-Symphonie mit dem überwältigenden Triumph ihres Schlußsatzes in eminenter Weise zu der Idee einer großen, geistigen Festfeier, sodann gewährt sie, wie keine zweite, ein ungemeines Steigern ihrer Wirkung durch die Verstärkung der Besetzung. Das Orchester im Redoutensaal zählte 26 erste, 20 zweite Violinen, 14 Bratschen, 12 Violoncells, 11 Contrabässe, 4 Hörner, 4 Flöten, 4 Oboen, u. s. w. — im Ganzen 112 Spieler. Die Wirkung dieses großen und vortrefflichen Orchesters unter Herbeckʼs feuriger Anführung war im Finale der Beethoven ʼschen Symphonie wahrhaft hinreißend. Als das Stück mit dem blendenden Glanz seiner C-dur-Dreiklänge stürmisch zum Schlusse flog, erhob sich im Saal ein analoger Sturm von Beifall, der kein Ende finden wollte, nachdem Herbeck schon wiederholt dankend vorgetreten war.

Inzwischen hatte die Hitze im Saale eine geradezu unerträgliche Höhe erreicht, und die Empfänglichkeit der Hörer, denen man das Gute zu massenhaft geboten hatte, begann rasch zu sinken. Noch hielt die Aussicht auf drei von Frau Dustmann vorzutragende Schubertʼsche Lieder Jedermann auf seinen Sitz gebannt. Frau Dustmann feierte mit dem warmen innigen Vortrag dieser reizenden Tondichtungen einen wahren Triumph, das Auditorium ruhte nicht, bis sie wenigstens die letzte Strophe des „Haidenrösleins “ wiederholt hatte. Nun aber begann der Saal sich immer mehr zu lichten. Alle Bewunderung für Mendelssohnʼs Notturno (aus dem Sommernachtstraum “), für Schubertʼs Männerchöre („Widerspruch “ , „Die Entfernte “), endlich für Beethovenʼs Egmont -Ouverture vermochte nicht länger die gänzlich erschöpfte Physis der Versammlung aufrechtzuerhalten, und so fand die Schlußnummer — um halb elf Uhr — nur wenige Getreue mehr auf ihren Plätzen. Wir erwähnen diese Thatsache, welche weder den Hörern noch den Spielern irgendwie zum Nachtheil gedeutet werden kann, nur um für künftige Fälle vor überreichen Programmen gewarnt zu haben.

Das Concert selbst hat der Stadt, dem Festcomité und den mitwirkenden Künstlern zur höchsten Ehre gereicht. Es war im besten Sinne ein „Musikfest“, das den fremden Gästen die allervortheilhaftesten Begriffe von unseren Leistungen, ja — unserer bescheidenen Ansicht nach — die Ueberzeugung mit auf den Weg gab, daß keine zweite Stadt eine gleich große und disciplinirte Instrumentalmacht ins Treffen zu stellen vermag.

Was sonst an Musik-Productionen im Laufe der letzten Woche vorgekommen ist, gehört durchaus in die Kategorie der Gartenconcerte“. Die Verbindung von Musik-Aufführungen mit Naturgenuß, Conversation, geselliger, ja selbst culinarischer Unterhaltung gibt ersteren stehts einen accessorischen Charakter. Die Musik erscheint da nicht sowol als Hauptsache und Selbstzweck, denn als angenehme Beigabe. Indeß kann Wien auch in dieser Gattung von Concerten sich rühmen. Im Instrumentalfach steht das Straußʼsche Orchester, im Gesang die „Sommer-Liedertafeln“ des Männergesang-Vereins obenan. In jüngster Zeit wurden zwei Versuche gemacht, dem heitern, aus Laub und Blumen gewundenen Rahmen der Gartenconcerte einen classischen Inhalt einzufügen.

Herr Herbeck hat in diesem Sinne ein großes „Volksconcert“ (Orchester und Chöre) im Prater gegeben, dem ein zweites folgen soll. Diese Unternehmung, für deren vortreffliche Durchführung der Name des Dirigenten und die Tüchtigkeit der von ihm geleiteten Kräfte bürgt, ist nur durch die weite Entfernung des Prater s und durch den Uebelstand beeinträchtigt, daß classische Orchestermusik auf freiem Wiesenplatz niemals die gewünschte künstlerische Wirkung macht. Mozartʼsche Symphonien, Beethovenʼsche Adagios verhallen, verflattern in der freien Luft und der nicht zu hindernden Unruhe einer großen Menschenmenge. In diesen zwei Punkten steht ein allerneuestes Unternehmen im Vortheil, das sich in künstlerischer Beziehung mit den Herbeckʼschen Concerten allerdings nicht messen kann: Die Symphonie-Concerte des Herrn Carlberg. Diese Orchester-Productionen (deren unnöthigen und affectirten Fremdnamen „Concerts populaires classiques“ wir baldigst beseitigt wünschen) werden nicht unmittelbar im Freien, sondern in dem gedeckten Salon der „Gartenbau-Gesellschaft“, also nahe dem Mittelpunkt der Stadt, allabendlich gegeben. Herr Carlberg, ein strebsamer junger Mann, der in Berlin ähnliche Concerte bereits mit Erfolg geleitet hat, fand am ersten Abend die freundlichste Aufmunterung. Wir kommen auf diese Unternehmung gelegentlich noch zurück und wünschen vorderhand, daß sie sich consolidire.

Es wird uns Niemand zumuthen, die Chronik aller Liedertafeln und Gesangsfeste zu führen, welche von dem allzuzahlreichen Gesangvereinen Wien s im Laufe des Sommers veranstaltet wurden. Nur einer solchen Production wollen wir ihres Programmes wegen erwähnen. Die Wien er Liedgenossen, ein von den Herren Princeps und Kumenecker eifrig geleiteter Verein, gab im Volksgarten ein Concert, worin sämmtliche beim Linzer Sängerfest preisgekrönten Männerchöre zur Aufführung kamen. Die Absicht, diese Compositionen aus ihrem engeren vaterländischen Kreise herauszuheben und zur Kenntniß des Wien er Publicums zu bringen, verdient aufrichtiges Lob. Die Qualität der Ausführung deckte allerdings die gute Absicht nicht vollständig. Weder sind die „Liedgenossen“ zahlreich genug, um in großem freien Raum durchzudringen, noch haben sie jetzt schon die für ein öffentliches Auftreten wünschenswerthe Kunstbildung erreicht. Die Linz er Preischöre sind aber in der That keine leichten Aufgaben. Ob lohnende? Auch das möchten wir nur von sehr wenigen glauben. Die Literatur des Männergesangs dürfte wenig bleibenden Gewinn von dieser Preisvertheilung haben. Die besten mögen WeinwurmʼsGermania “ und BrucknerʼsGermanenzug “ sein. Weinwurmʼs Chor, durch wiederholte Aufführungen hier bekannt, ist ein gutes Effectstück für jeden mit frischen Stimmen gesegneten Verein. Die musikalische Wirkung kann uns aber nicht täuschen über die — nach unserer Ansicht — sehr bedenkliche Textauffassung. Kühneʼs Gedicht spricht ein patriotisches Gefühl in launigscherzender Form, mit einer gewissen gutmüthigen Ironie aus, Weinwurmʼs Musik dazu ist aber durch und durch pathetisch, mit tragischem Ernst beginnend und jede Strophe im höchsten theatralischen Pathos schließend. — Richtiger in der Auffassung, aber schwieriger und weniger dankbar ist BrucknerʼsGermanenzug “. Diese Composition hat Kraft und Energie und thut sich überdies durch geschickte, mitunter kühne Behandlung der Modulation hervor. Unglücklicherweise ist der Componist an ein Gedicht gerathen, das trotz seiner formellen Vorzüge einen tieferen, allgemeineren Eindruck fast unmöglich macht. Der Männergesang richtet sich vorzugsweise an ein größeres Publicum, dem der nordische Götter- und Heldenmythus fremd oder doch höchst gleichgiltig ist, und das es übel vermerkt, wenn ihm in jeder Zeile eines langen Chors Braga “, „Solgofnir “, „Odin “, „Balmung“ und „Freya “ an den Kopf geworfen werden. Wen begeistern noch diese Dinge?

Wir wünschen Herrn Bruckner, den wir als sehr gründlichen Musiker und als einen der ausgezeichnetsten Orgelspieler schätzen, bald auf einem lohnenderen Felde wieder zu begegnen.

An musikalischen Novitäten dürfte in nächster Zeit kein Mangel sein, weit eher fürchten wir eine gefährliche Ueberschwemmung. Es liegt uns nämlich die in 21 Paragraphe getheilte Anzeige einer neuen Unternehmung vor, welche im nächsten November unter dem Titel: „Wien er musiklische Novitäten-Abende“ hier ins Leben treten soll. Herr Ziehrer, Dirigent von Tanzmusiken und Autor einiger Walzer, ladet als „Gründer und artistischer Director“ dieser Novitäten-Abende zu neunzehn Productionen ein, in welchen blos Novitäten von Wiener oder in Wien domicilirenden Componisten zur Aufführung kommen werden. Herr Ziehrer und Herr „Professor“ Emerich Hasel wechseln im Dirigiren ab. Diese neunzehn Novitäten-Abende werden, wie die Annonce wörtlich verkündigt, „in der wie bei den Künstlergesellschaften Hesperus, Hilaria, Immergrün und dergleichen üblichen geselligen Weise stattfinden“, d. h. es wird während des Musicirens geschwätzt, promenirt, das Essen herumgetragen, mit Messern und Gabeln gewüthet und an die Biergläser geklopft werden. Auf diese Art soll den Wien er Componisten „das Glück und die Freude“ zu Theil werden, ihre Symphonien, Quartette, „Phantasiemärsche“, (!) sogar größere Bruchstücke aus Opern dem Wien er Publicum zum erstenmal vorzuführen. Wir sind äußerst begierig auf die Eile, mit welcher unsere namhafteren Componisten, wie Brahms, Nottebohm, Dessauer, R. Volkmann, Herbeck etc. ihre Werke zu dem Herrn „artistischen Director“ Ziehrer und dem Herrn „Professor“ Hasel tragen werden. Sollten diese Männer das etwa nicht nöthig finden, so kann man sich ungefähr vorstellen, mit welcher Sorte Compositionen diese neunzehn Abende werden angefüllt werden. „In der wie bei den Künstlergesellschaften Hilaria, Hesperus, Immergrün u. dgl. üblichen geselligen Weise“ werden diese Concerte in Novitäten-Herrenabende und Novitäten-Damenabende äußerst sinnig abgetheilt. Das Abonnement beträgt zehn Gulden (also mehr als für einen Cyclus der Gesellschafts-Concerte, Quartett-Soiréen und Philharmonischen Concerte). Trotzdem erklären die Unternehmer eine zu geringe Theilnahme des Publicums für einen „noch weniger glaublichen Fall“. Nachdem jeder Theilnehmer „für den geringen Betrag von zehn Gulden weit über ein halbes Hundert neuer Compositionen von Wiener Componisten (!) kennen lernt“, erachten die Unternehmer „jede weitere Aufforderung zu lebhafter Betheiligung für überflüssig“. Der letzte Paragraph (21) lautet sehr charakteristisch: „Es wird ersucht, dieses Programm sorgfältig aufzubewahren.“ Ob dasselbe wie die Theaterzettel herumziehender Comödianten nach der Vorstellung auch wieder abgeholt wird, ist leider nicht gesagt.

Fußnoten
  • *)Der österreichische Componist Gänsbacher, damals gerade in Leipzig anwesend, erzählt den Vorfall in seiner selbstbiographischen Skizze.