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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1137. Wien, Mittwoch den 30. October 1867

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Oper und Concert.

(„Die Zauberflöte.“ — „Ilka“. — „Des Teufels Antheil.“ — Concert von Rubinstein.)


0003Ed. H. Es war ein zweifacher Genuß, am letzten Sonn-
0004tag MozartʼsZauberflöte“ zu hören und das vergnügt
0005theilnehmende Publicum dabei zu beobachten. Kein Plätzchen
0006im ganzen Hause war unbesetzt, kein Musikstück blieb unapplau-
0007dirt; die andächtige Stille während der ernsten Scenen sprach
0008ebenso deutlich wie die ausbrechende Fröhlichkeit bei den komi-
0009schen von der Unverwüstlichkeit dieser Oper. Diese „Zauber-
0010flöte“ ist ein ganz besonderes Instrument, und ein echter Zau-
0011ber steckt in ihr! Wir meinen damit nicht, daß sie seit Jah-
0012ren im Kärntnerthor-Theater von glänzendem Metalle ist,
0013während Pamina erzählt, ihr Vater habe sie aus einer tau-
0014sendjährigen Eiche geschnitten. Aber daß die Holzschnitzerei des
0015guten Schikaneder in Mozartʼs Händen wahrhaftig zu
0016gediegenem Gold und Silber wurde, das istʼs, was wir jedes-
0017mal von neuem bewundern. Dieser Reiz und Adel der Popu-
0018larität in Mozartʼs Musik hat etwas Wunderbares; die „Zau-
0019berflöte“ dringt damit unversehrt durch alle Zeiten, alle Län-
0020der. Das ganze Jahr hindurch füllte sie das Théâtre Lyrique
0021in Paris, und dies mit einer Besetzung, die weit unter der
0022Wiener steht. Herr Walter ist einer der besten Taminos;
0023die erste Arie ist wie gemacht für seinen klangvollen, aber
0024etwas schwer ansprechenden Ton, der im Andante sich breit
0025und ruhig auslegen und dann so reizend wirken kann.
0026Herr Mayerhofer, dessen Papageno den Sänger wie
0027den Schauspieler gleich trefflich bewährt, war diesmal beson-
0028ders bei Laune. Er idealisirt die Rolle, ohne ihren possenhaften
0029Ursprung zu verwischen, und erzielt mit einigen bescheidenen
0030Improvisationen die heiterste Wirkung. In Herrn Draxler 
0031besitzen wir einen noch immer imposanten Sarastro, in Frau
0032Dustmann eine vorzügliche Pamina. Fräulein Murska 
0033läßt durch ihre virtuose Ausführung der hohen Staccatostellen
0034beinahe vergessen, daß sie den getragenen Gesang und das Re-
0035citativ keineswegs stylmäßig behandelt. Die „drei Damen“
0036waren zum erstenmal durch die Sängerinnen Wilt, Benza 
0037und Gindele repräsentirt, deren frische Stimmen wohlautend
0038zusammenflossen. Fräulein Siegstädt, bisher nur in blassen
0039Darstellungen kleiner Nebenfiguren thätig, avancirte zur Pa-
0040pagena mit günstigem Erfolge. Dieses fleißige und bescheidene
0041Mitglied erwies sich in Spiel und Gesang farbiger, als man
0042vermuthet hätte, nur den Wangen hätte einiges Roth noch
0043wohlgethan. Da die Herren Hrabanek und Campe in ihren
0044Rollen sehr löblich sind, so mußte den Zoll der Sterblichkeit
0045abzutragen der Anführer des Knabentrios übernehmen.
0046„Fromm, klug und weise“, wie es der Dichter verlangt, das
0047bist du sicherlich, o erster Knabe! aber scharf ist deine Stimme
0048und unrecht dein Gesang.


0049Die scenische Einrichtung der „Zauberflöte“ war die ge-
0050wöhnliche. Herr Director Dingelstedt, welcher, dem Verneh-
0051men nach jetzt schon eine ganz neue Scenirung des „Don
0052Juan“ vorbereitet, wird die gleiche Sorgfalt gewiß auch seiner-
0053zeit der „Zauberflöte“ zuwenden. Diese Einrichtung bietet eigen-
0054thümliche Schwierigkeiten, indem die „Zauberflöte“ aus einem
0055ganz andere Boden erwachsen und für ganz andere Verhält-
0056nisse componirt ist, als die unserer heutigen „Großen Oper“.
0057Die „Zauberflöte“ wurzelt in dem alten Wiener Zauberspiele
0058und hat von diesem eine Menge Elemente, die zu dem gegen-
0059wärtigen Begriffe der „Oper“ nicht passen. Mehrere dieser
0060possenhaften der volksthümlichen Elemente, wie den Tanz der
0061wilden Thiere u. dgl., hat man schon beseitigt. Unseres Erach-
0062tens darf man in dieser Purificirung nicht weiter gehen, will
0063man dem Werke seine eigenthümliche Physiognomie nicht rau-
0064ben. Treibt man die „Bildung“ so weit, wie das Théâtre
0065Lyrique, welche die Schlange im ersten Acte, das Schloß vor
0066Papagenoʼs Mund, das alte Weib (Papagenoʼs Vorläuferin)
0067u. s. w. ausmerzt, so bleibt uns eben ein Stück, das nicht
0068Die Zauberflöte“ ist. Dagegen müssen das Publicum und die
0069Kritik in Deutschland protestiren. Aber ein anderer Uebelstand
0070der „Zauberflöte“ kann und soll reformirt werden: die Albern-
0071heit und Trivialit der Diction. Sie ist kaum länger zu ertragen.
0072Ueberzeugt uns doch jede Vorstellung, daß gerade in den ern-
0073sten Scenen der sprichwörtlich gewordene „Zauberflöten“-Un-
0074sinn eine Heiterkeit erregt, welche den Eindruck der Mozartʼ-
0075schen Musik paralysirt und mit der Würde eines ernsthaften 
0076Theaters unvereinbar ist. Wenn der weise Sarastro mit brei-
0077testem Pathos singt: „Wen solche Lehren nicht erfreuʼn, ver-
0078dienet nicht ein Mensch zu sein“ — wenn sein ebenso weiser
0079Unter-Staatssecretär das schöne Geschlecht mit dem Ausspruch
0080charakterisirt: „Ein Weib thut wenig, plaudert viel“ — wenn
0081Pamina und Papageno ein gefühlvolles Duett mit dem endlos
0082wiederholten Refrain: „Mann und Weib, Weib und Mann“
0083schließen u. s. w., so kann man doch unmöglich in der Stim-
0084mung bleiben. Dies sind Dinge, die eine erfahrene Hand mit
0085zwei Federstrichen zu ändern vermag. Wenn diese Hand zuvor
0086das französische Libretto der „Flûte enchantée“ durchblättern
0087wollte, würde sie manchen werthvollen Anhaltspunkt finden.
0088Die französischen Bearbeiter haben der Mozartʼschen Musik
0089durchaus bessere, passendere Verse unterlegt, ohne den Charak-
0090ter derselben zu alteriren. Im Uebrigen sind sie so frei vor-
0091gegangen, daß der deutsche Zuschauer manchmal nur noch am
0092Costüme erkennt, welche Oper man da vorstelle. Durch viele
0093eingestreute Dialoge und kleine nebenherlaufende Intriguen
0094suchten die französischen Bearbeiter die Handlung zu beleben.
0095Die drei „Feen“ erzählen sich zu Anfang des ersten Actes eine lange
0096Geschichte von Pamina und dem Prinzen Tamino, und medisiren
0097nebstbei gar nicht feenhaft, sondern recht bürgerlich über ihre Herrin,
0098die Königin der Nacht. Woher dieser Name, wird in Paris 
0099kaum Jemandem klar, denn Mademoiselle Nielson ist als
0100Königin der Nacht“ in Weiß und Blau gekleidet. Weit ent-
0101fernt, zum Schluß unter Donner und Blitz zu versinken, er-
0102scheint sie quasi re bene gesta bei dem Vermälungs- und
0103Freudenfeste, von Sarastro und allen Anwesenden aufs herz-
0104lichste bewillkommt. Papagena tritt schon im ersten Acte als
0105Papagenoʼs Liebchen auf und erhält wie dieser von den drei
0106Damen eine Strafe dictirt, nämlich den Verlust des Gedächt-
0107nisses „bis auf Weiteres“. Papagena hat plötzlich jede Erin-
0108nerung eingebüßt, hält ihren verzweifelnden Papageno für einen
0109Fremden und läßt sich die derben Huldigungen des ihr früher
0110verhaßten Mohren Monostatos willig gefallen. Da gibt es nun
0111Eifersuchtscenen und Aehnliches. Von diesen französischen
0112Ausschmückungen würden wir eine einzige zur Nachahmung
0113empfehlen: das kurze, sehr hübsche Ballet während Taminoʼs
0114Flötensolo und Papagenoʼs Glöckchenspiel. Hier wächst das [2]
0115Ballet wirklich aus der Situation heraus, und die köstlichen
0116Gruppirungen der Mohren, welche Reichhardt schon im
0117Jahre 1802 in der Pariser „Zauberflöte“ bewunderte, scheinen
0118sich in guter Tradition erhalten zu haben. Indem die gegen-
0119wärtige Vorstellung am Théâtre Lyrique wenigstens die Musik
0120Mozartʼs unangetastet läßt, bezeichnet sie einen außerordent-
0121lichen Fortschritt gegen das dramatische Ungeheuer, welches zu
0122Anfang des Jahrhunderts und bis ins Jahr 1827 den Parisern
0123unter dem Titel: „Les Mystères dʼIsis“ vorgeführt wurde.
0124Aus dem Original war ein sehr abgeschmacktes, durchaus ernst-
0125haftes Schauspiel gemacht, in welchem selbst Papageno in einen
0126„edlen Schäfer Bochoris“ umgestaltet erschien. Ein dunkler
0127Musiker, Namens Lachnith, hatte in Mozartʼs Partitur ge-
0128wüthet, weggestrichen, zugesetzt, ganze Musikstücke aus „Don
0129Juan“ und „Titus“ eingeflickt u. s. w. Er war so stolz auf
0130diese Bearbeitung, daß er nach der Vorstellung, bis zu Thrä-
0131nen gerührt, seinen Freunden sagte: „Nein, ich schreibe von
0132jetzt an keine Oper mehr, denn ich kann nie wieder etwas so
0133Schönes machen, wie dies!“ Das Verdienstvollste an der „Zau-
0134berflöte“ des Théâtre Lyrique ist die malerische, reiche Aus-
0135stattung, das Merkwürdigste für den deutschen Zuschauer die
0136begeisterte Theilnahme des Publicums, das jedesmal mehrere
0137Nummern da capo verlangt. Die Lieblingsnummer der Pari-
0138ser — wir theilen diesen Geschmack nicht — ist das „Mann-
0139und-Weib-Duett zwischen Pamina und Papageno. Wir hörten
0140es sogar in Concerten von der Miolan und Faure aus
0141dem Notenheft singen, zu größter Erbauung der Gesellschaft.
0142Mit unserem deutschen Texte wäre dies nicht zu wagen — ein
0143Beweis mehr für die Wichtigkeit der Worte.


0144Das Hofoperntheater brachte in jüngster Zeit auch eine
0145Reprise von Dopplerʼs Oper: „Ilka“. Den lebhaften Bei-
0146fall, den sie fand, constatiren wir, ohne ihn recht erklären zu
0147können. Das Buch gehört zu den armseligsten; die ganze Ver-
0148wicklung und Entwicklung ist, daß zwei Findlinge plötzlich zu
0149Vätern gelangen. Die Musik, tief unter der „Wanda“ des-
0150selben Componisten stehend, verräth eine praktisch geschickte
0151Hand, aber keine Spur von selbstständiger schöpferischer Kraft.
0152Sie gehört zu den Werken, welche Null sind, ohne schlecht zu
0153sein. Stylistisch ist diese Oper, wie ihre beiden Hauptfiguren,
0154von sehr ungewisser Herkunft, ein kleines, über die Leitha ge-
0155schlepptes Donizetti-Kind. Von Zigeunern gestohlen, bestiehlt
0156es sie wieder. Die beifällige Aufnahme der „Ilka“ erklärt sich
0157wol zunächst durch die glänzende Gesangsleistung der Murska 
0158und durch die einen großen Theil der Hörerschaft elektrisiren-
0159den ungarischen Anklänge. Ein drittes Motiv wollen wir nicht
0160übersehen, es liegt in der großen Anspruchslosigkeit des Buches
0161und der Musik. Von Anfang bis zu Ende hält sich Alles bescheiden
0162und gemüthlich und will nirgends über das natürliche Maß sich
0163strecken. Nach den aufregenden Lärm-Opern, von deren fünf Acten
0164jeder den früheren überbieten muß, empfindet das Publicum ein
0165gewisses ausruhendes Behagen bei solch kleinbürgerlicher Lyrik,
0166die weder Gift noch Wahnsinn kennt und den Gipfel menschlicher
0167Glückseligkeit in einem csardastanzenden Schuster symbolisirt.
0168Zu den bekannten lobenswerthen Darstellern, den Herren
0169Mayerhofer, Bignio und Campe, trat diesmal als Zi-
0170geunermädchen Zita Fräulein Gindele hinzu. Diese neu
0171engagirte Altistin hat keinen beneidenswerthen Stand, was sie
0172immer bringen mag, es steht in dem Schatten, den die Bet-
0173telheim
hinter sich geworfen. In Rollen, welche auf Stimm-
0174kraft und den Glanz der tieferen Töne zählen, empfindet
0175Fräulein Gindele den Vergleich mit ihrer Vorgängerin am
0176schwersten. Die Rolle der Zita bereitet ihr ein günstigeres
0177Los; sie führt keinerlei schweres Geschütz und erlaubt Fräulein
0178Gindele, den Wohllaut ihrer nicht großen, aber angenehmen
0179jugendlichen Stimme graciös zu entfalten. Die nationale Cha-
0180rakteristik ließ sich Fräulein Gindele vollständig entgehen, das war
0181keine Zigeunerin, die wir vor uns sahen. Aber ein freund-
0182liches, munteres Mädchen jedenfalls, dessen anspruchslose Grazie
0183den Zuschauer bald gewonnen hatte. Es nimmt uns schnell für
0184eine Sängerin ein, wenn sie in Spiel und Gesang so gänzlich
0185unaffectirt ist. Die Natur hat Fräulein Gindele mäßige Stimm-
0186mittel verliehen, welche sie nicht forcirt, sondern anmuthig, mit
0187einem feinen Sinn für das Schickliche, Harmonische verwerthet.
0188Wir glauben, daß Fräulein Gindele in dem ihr entsprechenden
0189Rollenkreis viel Erfreuliches leisten wird.


0190Einige Worte gehören noch der jüngsten Opernvorstellung
0191im Theater an der Wien: „Des Teufels Antheil“, von Auber.
0192Herr Director Strampfer hat über diesen Versuch selbst
0193noch strenger geurtheilt, als die Journalistik indem er die
0194(gewiß mit vieler Mühe vorbereitete) Oper gar nicht wieder-
0195holen ließ. Das ist eine Selbstkritik, die Respect einflößt. Die
0196Vorstellung war mangelhaft, sowol von Seiten der beiden
0197Gäste Formes und Miller, als auch der meisten in der
0198Operette sonst so beliebten Mitglieder dieses Theaters. Es ist
0199ein bedeutender Unterschied zwischen den Anforderungen einer
0200Oper und jenen eines komischen Singspiels, in welchem der
0201Gesang quantitativ nur neben- und untergeordnet ist, quali-
0202tativ aber sich meist in dem bequemeren Geleise des Chansons
0203bewegt. Gilt es auch nur eine leichte Partitur, wie Auberʼs
0204Part du Diable“, sie erfordert doch mehr Stimme, mehr
0205Gesangskunst, mehr musikalische Sicherheit. Die kleineren Solo-
0206nummern möchten genügen, aber in den Ensembles herrschte
0207der Dämon der Zwietracht und des Distonirens. Weitaus
0208das Beste brachte ohne Zweifel Fräulein Geistinger (Carlo
0209Broschi), aber dennoch galt der reichliche Applaus, wie uns
0210dünkt, mehr noch der „Großherzogin“ von gestern, als dem
0211„Teufel“ von heute. „Le diable est une bonne
0212machine“, sagt Diderot, und auch „une belle machine“,
0213können wir galant hinzusetzen, aber in der Gesangskunst
0214hat er es offenbar über einen gefälligen Dilettantismus nicht
0215hinausgebracht. Neben Fräulein Geistinger stach die Sänge-
0216rin der Casilda sehr nachtheilig ab; diese schwierige Partie
0217hätte jedenfalls in Fräulein Renom eine feinere und lebhaf-
0218tere Darstellerin gefunden. Die Vorstellung war sehr gut be-
0219sucht, zum Theil auch beifällig aufgenommen; sie konnte uns
0220trotzdem in der Ueberzeugung nur bestärken, daß das Theater
0221an der Wien seine musikalischen Eroberungen am besten inner-
0222halb der Grenzen des Offenbachʼschen Großherzogthums hal-
0223ten wird. Soll schon darüber hinausgegangen sein, so wähle
0224man wenigstens neue Erscheinungen der komischen Oper, da-
0225mit der Reiz der Novität die etwa unvermeidlichen Mängel
0226der Aufführung decke und jede Vergleichung mit dem Hofopern-
0227theater von vornherein abschneide.


0228Die Concertsaison wurde Sonntag Mittags von Anton 
0229Rubinstein eingeweiht, der im Musikvereins-Saale mit außer-
0230ordentlichem Erfolge spielte. Auf die Constatirung dieses Er-
0231folges müssen wir uns diesmal mit dem Vorbehalte beschrän-
0232ken, über den gefeierten Künstler demnächst alles dasjenige
0233nachzutragen, wofür uns heute der Raum fehlt.