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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2195. Wien, Freitag, den 7. October 1870

Musik.

(„Lohengrin “ im neuen Opernhause — „Gluck und Wagner “, von Nohl. — Frau Schumann’s Berichtigung.)

Ed. H. Angesichts der Wagner -Schwärmerei, in welcher die Majorität unseres Opernpublicums schwelgt, war die Neuscenirung des „Lohengrin “ unstreitig eine der lockendsten Aufgaben für die Direction. Was es an Mühe und Kosten für die Ausstattung dieser Oper aufzuwenden galt, es konnte dankbarer, ja überströmender Anerkennung gewiß sein. In der That ist die erste Aufführung des „Lohengrin “ im neuen Opernhause unter dessen glänzendste Vorstellungen zu registriren. Musikalisch strömte dieser Glanz zunächst von der virtuosen Thätigkeit des Orchesters und der Chöre aus; der Name des Hof-Capellmeisters Herbeck, welcher den „Lohengrin “ zum erstenmal dirigirte, verdient daher vor allen anderen genannt zu werden. Man kennt den Feuereifer, mit welchem Herbeck  jede neue Aufgabe anpackt und ausführt, man kennt auch seine besondere Zuneigung für Wagner . Kein Wunder, daß die Vorstellung wundervoll gerieth in Allem und Jedem, so vom Dirigenten abhängt. Von einer und der anderen Hauptfigur mochte man sich ein anderes Bild geschaffen haben, derlei Opern-Ideale finden im wirklichen Bühnenleben selten eine vollständige Verwirklichung. Aber das musikalische Ensemble, die Gesammtwirkung, den Effect der Instrumental-Partie und der Chöre konnte Niemand vollkommener wünschen. Nimmt man den Eindruck der herrlichen Costüme, der lebensvollen Scenirung, der ganzen Pracht des Opernhauses hinzu, so wird man zugestehen, daß mit dergleichen Elite-Vorstellungen des Hofoperntheaters keine zweite Bühne rivalisiren kann. Berlin , auch München besitzt einzelne Künstler, welche in bestimmten Rollenfächern ihre Wien er Collegen übertreffen; wenn wir aber Licht und Schatten gegen einander abmessen, dürfen wir doch Wien in der Aufführung deutsch er und französisch er großer Opern den ersten Rang in Deutschland zuerkennen. Im August d. J. hörte ich in Dresden  Wagner ’s „Meistersinger “, eine Vorstellung, welche von den anerkanntesten Kritikern der Stadt ganz besonders gepriesen ist. Sie erschien mir wie ein schwacher, in der Orchesterpartie halbverwischter Abdruck der Wien er Aufführung. Zu einem viel zu schwachen, mattklingenden Streichquartett gesellten sich Hörner und Trompen von unsicherer Intonation und — was das Bedenklichste ist — das reiche polyphone und imitatorische Gewebe des Orchesters, in welchem hauptsächlich die Bedeutung dieser Composition ruht, war ebenso mangelhaft herausgearbeitet, wie das Ganze bequem und schläftig dirigirt. Von den Sängern konnte, mit Ausnahme Beckmesser’s und David’s, kein einziger sich entfernt mit den Wien er Darstellern messen, am wenigsten, wie gesagt, das Orchester und die Chöre. Auch die Wien er Aufführung des „Lohengrin “ wird als musikalisches und scenisches Ensemble kaum irgendwo übertroffen werden.

Was die Titelrolle betrifft, so hörten wir auch diesmal wieder in dem Geflüster des Publicums allerwärts die Erinnerung an Ander lebendig werden. Solch ein idealer Repräsentant des Lohengrin kommt nicht wieder. Herr Walter, welcher der Rolle die redlichste Sorgfalt widmete und jedenfalls von unseren Tenoristen der befähigteste dafür ist, brachte nur vereinzelte lyrische Phrasen, nicht den ganzen Charakter zur Geltung. Wie seine ganze Natur sich nicht behaglich fühlt in derlei mysteriösen Heldenjünglingen, so reicht auch sein dramatisches und declamatorisches Talent nicht aus für Wagner ’sche Rollen, in welchen der Gesang eigentlich Nebensache ist. Obendrein scheint Herr Walter seit einiger Zeit mit größerer Anstrengung zu singen; seine schöne Tenorstimme, die niemals zu den leicht anschlagenden gehörte, bedarf jetzt noch mehr Zeit zur Tonbildung und läßt häufiger als sonst ein gewisses Heraufpumpen des Tones im langsamen Tempo und Kauen desselben bei schnelleren Wortfolgen wahrnehmen. Die Elsa der Frau Dustmann ist noch immer mustergiltig; eine echt dramatische Gestalt, voll Adel und schwärmerischer Empfindung. Der ausdrucksvolle, aus dem Innersten quellende Vortrag und das beredte Spiel dieser Künstlerin lassen uns die Anstrengung übersehen, mit welcher sie gegen die Brandung des Wagner ’schen Orchesters ankämpft. Frau Materna, die treffliche „Furie des Hasses “ in Gluck ’s Armida “, scheint sich in das Geschlecht der Dämonenweiber mit steigendem Erfolg hineinzuwachsen; sie singt und spielt die Ortrud ganz effectvoll. Dieses unangenehme Frauenzimmer besitzt in Telramund einen Gatten, der sich ebenso schwer singt und noch weniger zum Applaudirtwerden eignet, als sie selbst. Danken wir Herrn v. Bignio, daß er diesen schwachmüthigen Bösewicht durch edle Repräsentation und maßvolle Kraft eine Stufe höher zu heben versucht. Der deutsch e Kaiser , den Herr Schmid vorstellt, mahnte uns nicht so sehr an Heinrich den Finkler , wie an den alten Barbarossa im Kyffhäuser ; er schien den Abend hindurch in tiefen Schlaf versunken, bis der demonstrative Applaus einer deutsch -patriotischen Phrase ihn fröhlich erweckte. Der kleinen Rolle des Heerrufer s kommt das markige Organ des Herrn Krauß vorzüglich zu statten. Den neuen Decorationen von Kautzky läßt sich eine besonders glückliche Erfindung nicht nachrühmen, hingegen machten die prachtvollen, von F. Gaul gezeichneten Costüme großes und verdientes Aufsehen; sie gehören zu den schönsten, die wir auf einer Bühne gesehen.

Ueber die Oper selbst, die längst bekannte und zum Ueberdruß besprochene, wird wol Niemand nachträgliche kritische Ausführungen wünschen. Indessen will ich den wahrheitsgetreuen, individuellen Eindruck nicht verschweigen, daß „Lohengrin “ trotz aller geistreichen Intentionen und Effecte diesmal eine überwiegend langweilende und ermüdende Wirkung auf mich übte. Trotz seiner größeren Styl-Einheit vermag ich Lohengrin “ doch nimmermehr dem „Tannhäuser “ gleichzustellen, in dessen Musik so ungleich frischeres Blut und natürlichere Empfindung pulsirt. Selbst der „Fliegende Holländer “ ist musikalischer und stimmungsvoller. Wie die flimmernde, unnahbare Gestalt des Gralsritter s, mit seinem „Geheimniß“ als einzigem Pathos, so ist auch die ganze Musik gleißend und gemüthlos. Sie beschäftigt den Verstand und im Vereine mit glücklichen scenischen Anordnungen die Einbildungskraft; das Gemüth eines Hörers von tieferem musikalischen Bedürfniß bleibt unbefriedigt. Mit lebhaftem Antheile, stellenweise mit Bewunderung folgen wir dem ersten Acte, dessen Musik sich anfangs merkwürdig mäßig hält, beim Erscheinen Lohengrin ’s eine ungewöhnliche dramatische Höhe erreicht und als Ganzes das Werk eines eminenten Bühnenverstandes ist. Von da an werden wir merklich abgekühlt. Immer ermüdender werden die zwischen raffinirtestem Geflimmer und wohlfeilstem Getöse wechselnden Orchester-Effecte, immer unbefriedigender wirkt dieser ruhelose, aus lauter kleinen Melodienstückchen zusammengesetzte Gesang, immer langweiliger das weiße Magnesiumlicht des heiligen Gral und die mit dem Maurerpinsel gemalte Bosheit von Ortrud und Telramund.

In dieser geistreichen, aber raffinirten Verstandesarbeit wird uns nirgends recht warm und wohl zu Muthe, selbst nicht in dem vielgepriesenen Brautnacht-Dialog, der weder an melodischem Ideengehalt, noch an Wahrheit und Wärme der Empfindung das Liebesduett aus den „Hugenotten “ oder Faust“ erreicht.

Der nervenüberreizende, erschlaffende Eindruck des „Lohengrin “ erinnert mich unwillkürlich an das derbe Geständniß von Gervinus : es sei „eine Roßarbeit“, einen Roman von Jean Paul durchzulesen, trotz aller genialen Einfälle dieses Dichters. Möge Herr Ludwig Nohl verzeihen, wenn ich mir dieses Citat hier erlaube und sofort (mit Hinweglassung der genialen Einfälle) auch auf die Lectüre seines Buches: Gluck und Wagner“ ausdehne. Dieses neueste Product des rührigen Wagner -Apostels ist den Manen des armen Beethoven geweiht.

Auf und aus Beethoven folgt nämlich nach Nohl ’s Versicherung als unmittelbare Emanation ganz allein Richard Wagner . Die inzwischenliegenden Tondichter (C. M. Weber, Spohr , Schubert , Mendelssohn , Schumann , Meyerbeer etc.) werden als unnütze Mittelglieder der musikalischen Entwicklung kurzweg beiseite geschoben. Die apologetische Tendenz, Wagner  als den einzig rechtmäßigen Sohn Beethoven ’s zu proclamiren, verführt den Autor zu handgreiflichen Unwahrheiten. So will er Wagner ’s Musik als unabhängig von C. M. Weber darstellen, während doch jeder Laie beim Anhören von „Lohengrin “, „Holländer “ oder „Tannhäuser “ sofort bemerkt, wie Richard Wagner überall, wo er melodiös wird, direct an Weber erinnert, gar nicht zu reden von ganzen Figuren, welche, wie Ortrud und Telramund , Weber nachgebildet sind. Weber ,“ sagt Nohl , „stand wie sein angebeteter Mozart  ebenfalls auf absolut musikalischem Standpunkte. Daß er die Oper als Drama betrachtet hätte, fiel ihm nicht entfernt ein,“ wie er denn auch in seinen Stoffen „oft in einer romantisch bigotten und dumpf mittelalterlich beschränkten Anschauung haften blieb“. Weber stehe gar nicht so weit ab von Rossini, „mit dem er das von aller dramatischen Wahrheit abgewendete und ihrer geradezu spottende absolute Melodienwesen vielfach genug theilt“. Noch „schlimmer und erschlaffender für unsere gesammte deutsch e Art auf musikalischem Gebiete als Rossini hat Mendelssohn-Bartholdy gewirkt“! Nun wird auf Mendelssohn , den Herr Nohl schlechtweg „eine saft- und kraftlose Treibhauspflanze“ nennt, aller erdenkliche Unglimpf gehäuft. Meyerbeer’s Opern sind Herrn Nohl natürlich nur „tiefer Hohn und frivoler Spott auf alles Wahre und Schöne“. Nachdem der rüstige Verfasser dergestalt reinen Tisch gemacht und die Geschichte der Musik von all den unwürdigen Vorfahren Wagner ’s gesäubert hat, kommt er zu jener großen neuen Entdeckung, welche den Zielpunkt seiner langen Abhandlung bildet: das Wagner ’sche Musikdrama sei „das wahre deutsche National-Drama“. Das soll heißen: Wagner ’s Opern bilden nicht blos das Höchste in der gesammten Musik-Literatur, wie Wagner ’s Leibjournalisten („Blutzeugen“ nennt sie Herr Nohl !) bisher allzu bescheiden behauptet, sondern sie sind überhaupt die höchste Stufe auf dem Gesammtgebiete der dramatischen Dichtung! Erst Wagner repräsentirt „die volle Entfaltung der nationalen Kunst, die endliche Erreichung des wahren deutschen National-Dramas“! Also nicht blos Gluck , Mozart , Weber , auch Shakspeare , Goethe und Schiller haben lediglich geahnt und tastend vorbereitet, was R. Wagner mit Bewußtsein geschaffen. „Mozart und Beethoven , Goethe und Schiller  haben uns eine echt und voll deutsch e Kunst nicht gegeben.“ Wie muß sich selbst „Shakspeare mit der bloßen Wortsprache abmühen, um uns auch nur entfernt die wirkliche sinnliche Gegenwart des von ihm klar Erschauten zu bereiten“! In Schiller und Goethe findet Herr Nohl viel zu viel fremde, undeutsch e Elemente, sie haben uns keineswegs „unsere Sprache nach ihrer ganzen Fülle und reinen Naturart gebracht“. Er spottet über das „Holpern und Stolpern“, der Jamben in Goethe ’s und Schiller ’s Dramen, die von der herrlichen Diction des „Rheingold “ oder der „Meistersinger “ freilich noch keine Ahnung hatten. Nur ein durchcomponirtes und — gesungenes Drama ist für Herrn Nohl ein „echtes und deutsch es“; Goethe ’s „Faust“ ist ihm „das letzte deutsch e Drama“. „Und was hat (fährt Herr Nohl immer couragirter fort), was hat bei aller Schönheit und Tiefe der Gedanken die Nation auf die Dauer Reales von diesem Faust , von diesem Mephisto ?“ Einzeln betrachtet würde man jeden dieser Sätze für einen schlechten Spaß, für eine Persiflage halten, aber Herr Nohl geht consequent weiter, nennt allen Ernstes die „Meistersinger von Nürnberg“ „das erste vollgiltige nationale Lustspiel, die erste wirkliche deutsch e Comödie“ und Wagner ’s „Ring der Nibelungen“ die „wahre deutsch e National-Tragödie und den Culminationspunkt der gesammten modernen Kunst“! Neben Wagner ’s „Musikdramen“ hat kein dramatisches Kunstwerk mehr das Recht, zu bestehen. Gesprochene Dramen, wie Schiller ’s und Goethe ’s, werden als eine Verirrung dargestellt, für welche es seit Wagner ’s Auftreten keine Berechtigung mehr gibt. Die ganz individuelle Specialität Wagner ’s, Dichter und Componist seiner Opern zugleich zu sein, wird von Herrn Nohl zum allgemeinen, unverbrüchlichen Kunstgesetz erhoben. „Ist es möglich, im Jahre 1862 in Berlin so etwas zu schreiben?“ ruft Herr Nohl entrüstet aus, indem er die Ansicht von Marx citirt, es werde die recitirte Tragödie unantastbar durch die Oper und neben derselben fortbestehen. Wenn jetzt der Nation ein dramatischer Dichter wie Schiller  erstünde, Herr Nohl würde ihm die Rede verbieten und nur die Wahl lassen, entweder zu singen oder das Maul zu halten. Nohl ’s Buch bewegt sich durch 368 Seiten ununterbrochen in jenem schwülstigen, sentimental-salbungsvollen Schaukelstyle, der, zunächst der Wagner ’schen Prosa nachgebildet, dem Leser nach zehn Minuten unfehlbar Ueblichkeiten verursacht. Das Aeußerste an geistloser Abgötterei leistet die Schluß-Apostrophe an Wagner, den „kräftig von echter Liebe erfüllten Mann, welcher kommen mußte, um das schöne Weib (die Musik) zu gewinnen, das zuletzt einem männlichsten der Männer in Liebe angehört“. „Wagner ergab sie sich gerne, die lange genug in öder Einsamkeit geschmachtet, das holde, mit echt weiblicher Scham bisher zurückhaltende Weib der Musik, das dem Schwächling und Frechling, der mit ihr blos sein eitles oder frivoles Spiel treiben wollte, fern und spröde blieb; denn er (Wagner ) war der Mann, den sie freien konnte und durfte, er war der Siegfried , der ihr die Brünne löste, und ihm gehört sie von natur- und rechtswegen als sein ihm zuertheiltes schwesterliches Weib!“ Der Leser wird mir gerne glauben, daß ich nur mit größter Selbstüberwindung diese kleine Blumenlese aus Herrn Nohl ’s neuestem Wagner-Brevier zu Stande gebracht. Es schien mir publicistische Pflicht, auch einem größeren Leserkreise eine Vorstellung davon zu geben, welche Höhe des Unsinnes und der Frechheit der Götzendienst Wagner ’s in Deutschland glücklich erreicht hat.*)

Fußnoten
  • *)Mein geehrter College Herr Schelle, als Mitglied des Beethoven -Comités gleich mir von Richard Wagner mit dem großen Bann belegt, hat in seinem letzten Feuilleton die Grundlosigkeit der „Berichtigung“ dargethan, welche Frau Clara Schumann durch meine Feder jüngst an seine Adresse richtete. Wie Herr Schelle selbst einräumt, stehe ich der ganzen nicht übermäßig wichtigen Angelegenheit gänzlich ferne und kann nur bedauern, ein mir so dringend gestelltes und genau präcisirtes Ansuchen, wie das der Frau Schumann , nicht vor dessen Realisirung doch noch genauer geprüft zu haben.