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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8398. Wien, Donnerstag, den 12. Januar 1888

Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt. II.

(Schlußartikel.)

Ed. H. War die Existenz Wagner ’s in Zürich wirklich so kümmerlich, so elend, wie er sie durch volle fünfzehn Jahre in seinen Briefen an Liszt schildert? Es hat sich uns neuestens über die Zürich er Periode eine außerordentlich werthvolle Quelle eröffnet, aus der wir Wahrheit schöpfen können: die „Fünfzehn Briefe von R. Wagner “, welche Frau Elise Wille in Rodenberg ’s „Deutscher Rundschau “ (5. und 6. Heft von 1887) veröffentlicht und mit ihrer eigenen Erzählung vervollständigt hat. Wagner war in der Familie Wille wie zu Hause, besuchte sie oft für ganze Tage und hat auch längere Zeit als Gast vollständig in deren Landhaus zu Marienfeld am Züricher See gewohnt. Frau Wille , jetzt eine hochbejahrte Matrone, besaß das volle Vertrauen Wagner ’s und die genaueste Kenntniß seiner Verhältnisse. Sie schreibt: „Ich habe es nicht recht gefunden, wenn ich hie und da gelesen und gehört, Wagner habe in Zürich schwere Leiden des Exils gekannt. Der Verbannte, den Alle hochhielten, den Viele verehrten, lebte in der Sicherheit des eigenen Herdes und hatte Freunde, die für ihn eintraten. Einer war darunter, der wol selten seinesgleichen findet. Jeder fühlte sich geehrt, dem Wagner ein freundliches Wort sagte. Die Lage politisch Exilirter in ihrer langen und herben Qual, mit ihrem hoffnungslosen Suchen nach Theilnahme, ihrem Anklopfen, das vielfach abgewiesen wurde, hat er in Zürich  nicht gekannt ... Wagner wohnte mit seiner Frau in einem angenehmen Landhause außerhalb Zürich s. Es war eine Zeit fast verklärten Daseins für Alle, die in der schönen Villa auf dem grünen Hügel, auf dem auch Wagner ’s Wohnung stand, zusammenkamen. Reichthum, Geschmack und Eleganz verschönerten dort das Leben. Der Hausherr (Wesendonk ) war ungehindert im Geben und Fördern dessen, was ihn interessirte, voll Bewunderung für den außerordentlichen Mann, den das Schicksal ihm nahegebracht. Die Hausfrau, zart und jung, voll idealer Anlagen ... Die Einrichtung des Hauses, der Reichthum des Besitzers machten eine Geselligkeit möglich, an welche Jeder, der sie genossen hat, gerne zurückdenken wird.“ Wenn Richard Wagner  an Liszt schreibt, man möge ihm nur „wie einem mittelmäßigen Handwerker zu leben geben“ — so nehme man das ja nicht für bare Münze. Man überschlage nur ungefähr die (im Briefwechsel gewiß nicht vollständig aufgezählten) Summen, die Liszt ihm schickte, wozu noch eine von Wagner mehrmals erwähnte fixe Subvention von einer „Frau R. in Dresden “ kam; man erinnere sich, daß Wagner , abgesehen von seinen in geschäftlichem Interesse unternommenen Reisen nach Paris und London , häufige Ausflüge in Italien und der Schweiz  machte, einen längeren Aufenthalt in Venedig nahm, sich zur Erholung bald in St. Moriz , in Selisberg , in Mornex am Genfersee u. s. w. niederließ, und dann urtheile man, was sich Wagner unter dem Einkommen eines „mittelmäßigen Handwerkers“ gedacht haben mag. „Ich komme um,“ schreibt er im Juli 1856, „und werde unfähig, ferner noch zu arbeiten, wenn ich nicht eine Wohnung finde, wie sie mir nöthig ist, d. h. ein kleines Haus für mich allein, dazu ein Garten, und beides entfernt von allem Geräusch. Seit vier Jahren suche ich vergebens, diesen Wunsch mir zu erfüllen, und nur der Ankauf eines Terrains und der eigene Bau eines Hauses kann mir das Ersehnte verschaffen.“ Daß Wagner  schon über „Noth“ klagte, wenn nicht alle seine feinen Bedürfnisse befriedigt waren, ergibt sich sogar aus seinen eigenen Andeutungen gegen Liszt : „All dieser müßige Tand, den ich in letzter Zeit (in Verzweiflung) wie zu phantastischer Zerstreuung wieder um mich zu sammeln mich verleitet fühlte!... Aus mir wird doch nichts mehr, als ein phantastischer Lump!“ Weiter betont er auch, seine Bedürfnisse seien „etwas empfindliche und nicht ganz ordinäre Bedürfnisse“. Das wissen wir am besten aus Wagner ’s eigenen Briefe n an die Putzmacherin Fräulein Bertha , welche Spitzer  1877 in der „Neuen Freien Presse “ veröffentlicht hat und welche — nebst ihren kostbaren Beilagen von Sammt- und Atlasmustern zu Schlafröcken, Négligéhosen und Bettdecken — auch dem Schreiber dieser Zeilen vorgelegen sind. Unter der Controle dieser eigenen Briefe Wagner ’s an Fräulein Bertha wollen seine Nothrufe gelesen sein. Wagner schreibt im Mai 1864 an Frau Wille : „Im Anfang März dieses Jahres (1864)“ — man beachte wohl das Datum — „ward mir das Mißlingen jedes Versuches, meiner zerrütteten Lage aufzuhelfen, klar.“ Aber am 22. März 1864 schreibt er aus Penzing an die Putzmacherin einen um Geduld bittenden Brief, welchem wir entnehmen, daß seine Bestellungen und Ankäufe bei ihr schon von längerer Zeit datiren. Wagner beschafft also luxuriöse Putzartikel, die in der Männerwelt sondergleichen dastehen, ohne daran zu denken, wie er diese „Bedürfnisse“ werde bezahlen können. Erst nach der ganz unverhofften Berufung zu dem freigebigen König von Bayern schickt er ihr aus München — um weitere Geduld bittend — eine vorläufige Abschlagszahlung von fünfhundert Gulden! Ebenso wenig schien es ihn zu kümmern, wer die Einrichtung seiner Villa in Penzing , von deren „großer Kostspieligkeit“ er am 14. März 1864 der Frau Wille berichtet, bezahlen werde. Er verläßt eines Tages in heimlicher Eile Penzing  und erscheint plötzlich wieder in Zürich , wo er sich bei Wille ’s vollständig einquartiert. Das sind Thatsachen, die Wagner ’s künstlerisches Genie nicht beeinträchtigen, gar sehr aber die Glaubwürdigkeit seiner unausgesetzt bejammerten und verfluchten „Nothlage“.

Wir verlassen dieses unerfreuliche Capitel und wenden uns zu der musikalischen Ausbeute unseres Briefwechsels. Sie bleibt insofern unter unseren Erwartungen, als — abgesehen von einigen sympathischen Worten Liszt ’s über Berlioz und J. Raff — darin nur von den Compositionen der beiden Freunde die Rede ist. Von den Wagner’schen natürlich ganz überwiegend. Auch qualitativ zeigt sich darin ein bemerkenswerther Unterschied: Liszt’s Bewunderung für Wagner ’s Werke hat stets den vollen, freien Brustton der Ueberzeugung und vertieft sich häufig in Einzelheiten. Er kennt und liebt jeden Tact, jede Note. Wagner begnügt sich hingegen mit einigen ziemlich vagen Begeisterungs-Explosionen für seinen „wunderbaren, hohen Freund“, ohne näher auf dessen einzelne Werke einzugehen. Den Chor an die Künstler und den Kreuzritterchor nennt er mit einer gewissen burschikosen Verlegenheit „famos“ — ein Wort, das er sonst kein einzigesmal gebraucht. Sein Lob bricht meistens kurzathmig mit den Worten ab „Willst du mit Sicherheit einmal etwas Vernünftiges von mir erfahren, so — komm’ zu mir und spiele mir einmal alle deine Sachen vor!“ Oder: „Heute erhielt ich die zweite Sendung deiner symphonischen Dichtungen; sie machen mich plötzlich so reich, daß ich mich noch gar nicht fassen kann. Leider kann ich nur mit großer Schwierigkeit mir zu einem deutlichen Begriffe davon verhelfen: dies müßte mit Blitzesschnelle gehen, wenn du sie mir vorspielen könntest.“ Mitunter behilft er sich auch mit dem Enthusiasmus Anderer: „Freund Uhlig, dem ich ein ausgezeichnetes Urtheil zutraue, läßt mir sagen, daß diese einzige Ouvertüre (Liszt ’s „Prometheus “) ihm mehr werth sei, als der ganze Mendelssohn!“ (Und von solchen Leuten waren die Beiden umgeben!) Von Brendel wiederholt gedrängt, hat Wagner bekanntlich auch einen „Brief “ über die symphonischen Dichtungen im Jahre 1859 drucken lassen, über welchen verschiedene, selbst Liszt nahestehende Leute urtheilten: „ich drückte mich darin doch eigentlich ausweichend aus und bemühte mich, nichts Rechtes, Bestimmtes eigentlich über dich zu sagen.“ Wagner schimpft, heftig protestirend, über die „unglaubliche Stumpfheit, Oberflächlichkeit und Trivialität der Menschen, welchen es möglich gewesen, die Bedeutung dieses Briefes zu verkennen“. Aber etwas Wahres ist doch daran, und man kann es Wagner kaum ernstlich verübeln. Daß er Liszt ’s Compositionen keineswegs hochhielt, das wissen Wagner ’s nähere Freunde recht gut. Wagner war ein ungleich intensiveres, originelleres und ernsthafteres Talent, ein weit größerer Componist als Liszt . Konnte er ihm, seinem Freunde und Wohlthäter, die ganze bittere Wahrheit sagen? Liszt hatte diese freilich verlangt. „Sage mir unumwunden deine Meinung über diese Composition (den Künstlerchor). Findest du sie schlecht, bombastisch, verfehlt, so sage mir’s ohne Glimpflichkeit.“ Die Bescheidenheit, mit welcher er selbst von seinen Compositionen spricht, ist wieder musterhaft. „Ich habe darüber schon so viel hören und lesen müssen,“ schreibt Liszt , „daß ich eigentlich gar keine Meinung beibehalte und nur aus untilgbarer innerer Ueberzeugungskraft weiter fortarbeite, ohne irgend welchen Anspruch zu erheben auf Anerkennung oder Zustimmung. Mehrere meiner näheren Freunde, Joachim zum Beispiel und früher Schumann und Andere, haben sich meinen musikalischen Gestaltungen gegenüber fremd, scheu und ungewogen gestellt. Ich verüble ihnen dies keineswegs und kann es nicht entgelten, da ich stets ein aufrichtiges und eingehendes Interesse an ihren Werken mitempfinde.“ Liszt sendet seine Compositionen an Wagner immer nur auf dessen ausdrückliche Bitte, ganz lakonisch, und meistens mit der bescheidenen Wendung: „sie werden dir vielleicht Spaß machen.“ Dann geht er sofort ausführlich auf die Angelegenheiten Wagner ’s über. Liszt ’s Vorhaben, eine „Divina Commedia “ nach Dante zu componiren, veranlaßt Wagner  zu folgender geistreicher Bemerkung: „Daß die Hölle und das Fegefeuer gelingen wird, bezweifle ich keinen Augenblick; gegen das Paradies aber habe ich Bedenken, und du bestätigst mir sie schon dadurch, daß du dafür in deinem Plane Chöre aufgenommen hast. Für die Neunte Symphonie (als Kunstwerk) ist der letzte Satz mit den Chören entschieden der schwächste Theil; er ist blos kunstgeschichtlich wichtig, weil er uns auf sehr naive Weise die Verlegenheit eines wirklichen Tondichters aufdeckt, der nicht weiß, wie er endlich (nach Hölle und Fegefeuer) das Paradies darstellen soll. Und mit diesem „Paradiese“, liebster Franz , hat es in Wahrheit einen bedenklichen Haken, und wenn uns dies noch Jemand bestätigen soll, so ist dies, auffallend genug, Dante selbst, der Sänger des Paradieses, welches in seiner göttlichen Comödie entschieden ebenfalls der schwächste Theil ist.“

Ueberblicken wir, was der Briefwechsel Neues und Interessantes enthalte über Wagner’s Schöpfungen, so müssen wir hier natürlich mit einer spärlichen Auswahl aus dem reichhaltigen Material uns begnügen. Am 28. August 1850 bringt Liszt den Lohengrin auf die Weimar ’sche Bühne: es war dies überhaupt die erste Aufführung dieser für die damalige Zeit unerhört schwierigen Oper. „Wir schwimmen ganz im Aether deines Lohengrin !“ schreibt Liszt . „Dein Lohengrin ist von Anfang bis Ende ein erhabenes Werk ... ein einziges untheilbares Wunder!“ Wagner möchte der Aufführung in Weimar „incognito“ beiwohnen; er will, „die Großherzogin möge der Polizei des einigen Deutschland ein Schnippchen schlagen“ und ihm ein sicheres Geleit aus der Schweiz nach Weimar verschaffen! Liszt macht ihm die schmerzliche Mittheilung, dies sei eine vollständige Unmöglichkeit. „Alles,“ setzt er bei, „was mir zu thun möglich sein wird, sei es im Interesse deines Rufes und deines Ruhmes, sei es im Interesse deiner Person, ich werde es bei keiner Gelegenheit zu thun versäumen. Allein einem Freund wie du ist nicht immer leicht zu dienen; denn für diejenigen, denen es gegönnt ist, dich zu verstehen, handelt es sich vor Allem darum, dir mit Verstand und Würde zu dienen.“ Wagner erschrickt über die Mittheilung, daß die Oper von 6 bis 11 Uhr Nachts gespielt habe; nach seiner Berechnung hätte sie höchstens bis 3/4 auf 10 Uhr zu dauern. Er vermuthet, daß die Schuld an den Sängern liege, welche die Recitative nach Belieben zerren und dehnen. „Wenn in der Oper das Recitativ anfängt, so heißt das für sie so viel als: Gott sei Dank, nun hört doch das verfluchte Tempo auf, das uns ab und zu noch zu einem gewissen vernünftigen Vortrag nöthigt; nun können wir der Länge und Breite nach schwimmen u. s. w.“ Er schließt mit der Bemerkung, „daß jeder schlechte italienisch e Sänger in der schlechtesten italienisch en Oper gesunder und ausdrucksvoller declamirt, als den besten Deutschen es möglich ist“. Liszt hat für Wagner , wie dieser dankbar anerkennt, „aus dem kleinen Weimar  einen Feuerherd des Ruhmes gemacht“. „Alle Minen läßt er springen.“ Liszt selbst schreibt eine Kritik für das Journal des Débats , die er Wagner zur Uebersetzung und Vervollständigung zuschickt; seine Freunde Raff , Uhlig , Dingelstedt  liefern günstige Berichte in deutsch e Zeitungen. Mit Dingelstedt ’s Kritik in der Augsburger Allgemeinen Zeitung  ist Wagner höchlich unzufrieden und ersucht Liszt , „eine nochmalige und geeignetere Besprechung des Lohengrin in der Augsburger Allgemeinen Zeitung zu veranlassen“. „In Dingelstedt ’s Bericht,“ sagt Wagner , „erkenne ich Zweies: die wohlwollende Disposition für mich, die ihm durch dich beigebracht worden ist, und die absoluteste Unfähigkeit bei aller Schöngeisterei, auch nur eine Ahnung von dem zu erfassen, was hier zu erfassen war.“ Da Wagner zwei Zeilen früher als „den eigentlichen Kern der Sache das Drama“ bezeichnet hat, scheint uns seine Behauptung von Dingelstedt ’s absoluter Unfähigkeit, es (das Drama) zu verstehen, etwas stark. In der so übermäßig langen ersten Aufführung waren einige kleine Striche nothwendig befunden worden. Wagner ist außer sich darüber „Kann mein Lohengrin ,“ schreibt er, „nur dadurch aufrecht erhalten werden, daß der Trägheit der Darsteller wegen gestrichen werden muß — so gebe ich auch die ganze Oper auf ... und ich habe meine letzte Oper geschrieben!“ Liszt beruhigt ihn sofort, daß bei der zweiten Aufführung „nicht die kleinste Sylbe entfernt wurde“.

Im November 1851 theilt Wagner dem Freunde den Plan seiner Nibelungen-Trilogie mit, welche nebst einem Vorspiel: „Der Raub des Rheingoldes “, drei Dramen umfassen soll: 1. Die Walküre . 2. Der junge Siegfried . 3. Siegfried’s Tod . Nicht nur der Plan des großen Werkes, sondern auch die Art und Weise einer künftigen Aufführung — wie sie volle fünfundzwanzig Jahre später in Bayreuth  sich verwirklichte — ist ihm vollständig klar, und der ausführliche Brief, den er darüber an Liszt schreibt, bleibt ein merkwürdiges erstes Actenstück zur Entstehungsgeschichte des Bayreuth er Unternehmens. Im December 1853 arbeitet Wagner an der Composition des Rheingold : „Ich spinne mich ein wie ein Seidenwurm. Fünf Jahre habe ich keine Musik geschrieben. Jetzt bin ich in Nibelheim. Im Juli 1856 sind die Partituren von „Rheingold “ und „Walküre “ fertig; im Juli 1859Tristan und Isolde “. Auf „Parsifal “ scheint schon folgende Briefstelle (12. Juli 1856) vorauszudeuten: „Ich habe wieder zwei wundervolle Stoffe, die ich noch einmal ausführen muß: Tristan und Isolde (das weißt du!), dann aber — der Sieg — das Heiligste, die vollständigste Erlösung: das kann ich dir aber nicht mittheilen.“

Liszt hatte mit der Lohengrin -Aufführung in Weimar  einen mächtigen Anstoß gegeben, der auch auf die Verbreitung von Wagner ’s früheren Opern sehr günstig zurückwirkte. Immer häufiger kann Liszt von Aufführungen des Tannhäuser , Holländer , Rienzi berichten; endlich dringt auch der Lohengrin auf andere deutsch e Bühnen. Auf Wagner  ist die Wirkung dieser Berichte eine sehr zwiespaltige: in Einem Athem verwünscht er die Theater-Aufführungen, die ja unmöglich ganz in seinem Geiste ausgefallen sein konnten — und sucht sie doch auch wieder, des finanziellen Ertrages wegen. So schreibt er im Januar 1854 nach dem Bericht Liszt ’s über die Leipzig er Lohengrin -Vorstellung, er büße den Frevel, den er an seinem innern Wesen begangen, als er vor zwei Jahren in die Aufführungen seiner Opern willigte! Er müsse nun „die Wollust genießen, das edelste Werk seines bisherigen Lebens der vorausgewußten Stümperhaftigkeit unseres Theatergesindels und dem Hohn des Philisters preisgegeben zu sehen“! Aber wenige Zeilen weiter interpellirt er Liszt : „Hast du nicht wieder an Berlin gedacht? Dort muß jetzt etwas zu Stande kommen.“ Liszt  wendet sich auch sofort in ausführlichen Briefen an Hülsen wegen Aufführung des Tannhäuser und Lohengrin in Berlin ; Verhandlungen, die sich lange hinschleppten, da Wagner darauf bestand, Liszt müßte diese Opern einstudiren und dirigiren, was der Intendant den Berlin er Hofcapellmeistern doch nicht glaubte anthun zu dürfen. Endlich muß Wagner  doch nachgeben: „Tannhäuser und Lohengrin müssen zu den Juden gehen!“

Im Herbst 1854 meldet Wagner , es sei ihm „ein Himmelsgeschenk in seine Einsamkeit gekommen: Arthur Schopenhauer, der größte Philosoph seit Kant ! Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernste, aber einzig erlösend. Mir kam er natürlich nicht neu, und Niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. — So werde ich immer reifer: nur zum Zeitvertreib spiele ich noch mit der Kunst.“ Einige Wochen später hält Wagner dem Freunde eine lange Vorlesung oder Predigt über Schopenhauer ’s Lehre, in die er sich völlig vernistet hat. Liszt , dessen Geschmack der Pessimismus und Buddhismus widerstrebte, antwortet mit keiner Sylbe darauf. Bezeichnend ist, wie gegen die Mitte der Fünfziger-Jahre das religiöse Element in Liszt immer entschiedener hervortritt. Auf eine der exaltirtesten Verzweiflungs-Episteln Wagner ’s antwortet Liszt : „Laß zum Glauben dich bekehren, es gibt ein Glück ... und dies ist das Einzige, das Wahre, das Ewige! Magst du dieses Gefühl noch so bitter verhöhnen; ich kann nicht ablassen, darin das einzige Heil zu ersehen und zu ersehnen. Durch Christus , durch das in Gott resignirte Leiden wird uns Rettung und Erlösung!“ Und einige Jahre später aus ähnlichem Anlasse: „Nur Entbehren und Entsagen hält uns aufrecht auf diesem Erdenboden. Lass’ uns unser Kreuz zusammen tragen in Christo — dem Gott, dem man sich ohne Stolz nähert und ohne Verzweiflung beugt!“ Das war nun wiederum gar nicht nach Wagner’s Geschmack.

Im März 1855 folgt Wagner einer Einladung der London er Philharmonischen Gesellschaft, eine Reihe von Concerten zu dirigiren. Er ist dort in „gräßlicher Laune“, stets von „gräßlicher Trivialität umgeben“, und fällt schließlich über London das Verdict: „Hier ist die Lumpenhaftigkeit, Verstocktheit und heilig gepflegte Dummheit mit ehernen Mauern gehütet und gepflegt: nur ein Lump und Jude kann hier reussiren.“ Trotzdem hat er selbst doch reussirt in diesem Lande des „lächerlichen Mendelssohn -Cultus“, wie sein eigener Bericht über die ihm bereiteten Abschieds-Ovationen darthut. Kaum nach Zürich zurückgekehrt, erhält Wagner einen Antrag aus Newyork, dort während des nächsten Winters Concerte zu dirigiren, lehnt aber die Einladung, die ihn „keinerlei ernstlicher Versuchung aussetzt“, einfach ab. Mehr lockt ihn eine Aufforderung des Kaiser s von Brasilien , Wagner möchte zu ihm nach Rio-Janeiro  kommen und „dort Alles in Hülle und Fülle haben“! Wirklich faßt Wagner die abenteuerliche Idee, „Tristan und Isolde “ ins Italienisch e übersetzen zu lassen und dem Theater in Rio „als italienisches Opus zur ersten Repräsentation anzubieten“. Seltsamerweise hält er den Tristan für „ein durchaus praktikables Opus, das ihm bald und schnell gute Revenüen abwerfen werde“. Wagner geht vernünftigerweise weder nach Newyork noch nach Brasilien , verläßt aber, von einer lebhaften Reiselust und Unruhe getrieben, jetzt sehr häufig Zürich . Wir finden ihn im Anfang 1858 plötzlich in Paris , wo der Director des Théâtre Lyrique geneigt scheint, den Rienzi aufzuführen. Aber schon im Frühling ist Wagner wieder in Zürich , im August in Genf , bald darauf in Venedig , das er sich zu längerem Aufenthalt auserwählt, weil es „die geräuschloseste Stadt der Welt ist“. Das Leben in Venedig — er wohnt im Palazzo Giustiniani — sagt ihm fortwährend vortrefflich zu. Aber er „braucht Geld, viel Geld“ und hat trotz seines kurz zuvor über die Theater verhängten Bannfluches den Lohengrin nach Kassel angeboten und ersucht Liszt , in Coburg  (wo man ihn so auffallend vernachlässige) den Verkauf des Lohengrin und des Holländer zu vermitteln. Die folgenden Briefe (bis in den März 1859 sämmtlich aus Venedig ) behandeln überwiegend Geschäftsangelegenheiten und neuerdings die „mit entscheidender Bestimmtheit“ an Liszt gestellte Frage, ob dieser die Initiative ergreifen wolle, von den deutsch en Fürsten für Wagner eine Pension zu erwirken. „Ich kann und werde nie eine Anstellung, oder was dem irgend gleichkäme, annehmen. Was ich dagegen beanspruche, ist die Fixirung einer ehrenvollen und reichlichen Pension.“ Liszt , kurz zuvor durch einen Brief verletzt, worin Wagner  seine (Liszt ’s) officiellen Verpflichtungen als „Trivialitäten“ bezeichnet, scheint ihm nun ausnahmsweise eine unerwünschte Antwort gegeben zu haben; in dem Briefwechsel fehlen diese von Wagner sehr bitter aufgenommenen „unerhörten Zeilen“. Doch schnell ist das alte freundschaftliche Verhältniß wieder hergestellt. Wagner gesteht sogar, es sei ihm jener „erschreckende Neujahrsgruß“ Liszt ’s heilsam gewesen. „Ich weiß, daß ich mich zu viel gehen lasse und auf die Geduld Anderer unerlaubt viel zähle.“ Den Sommer 1859 verlebt Wagner  in Luzern ; im October finden wir ihn bereits wieder in Paris , wo er seine Compositionen in Concerten dirigirt und Verhandlungen mit dem Director der Großen Oper wegen Aufführung des Tannhäuser anknüpft. Von Paris sind auch alle noch folgenden Briefe Wagner ’s datirt; der letzte vom 15. Juni 1861. Wagner spricht darin weniger von seinen Paris er Erlebnissen, als von seinem Wunsche, „Tristan “ in Deutschland  aufzuführen. „Ich habe Wien im Auge, als dasjenige Theater, das noch immer die besten Sänger besitzt und — als einziges Phänomen dieser Art — von einem sachverständigen Musiker dirigirt wird, mit dem man sich verständigen kann.“ Wagner ’s Urtheil war immer unberechenbar; kurz zuvor hatte er Liszt vor dessen Abreise zum Wien er Mozart -Fest zugerufen: „Ich gratulire zum Wiener Schmutz!“ (In einem älteren Briefe an Kittl heißt es in Bezug auf Wien : „Mir graut vor dieser asiatisch en Stadt.“)

Liszt hatte seinerseits keinen Augenblick aufgehört, für Wagner zu sorgen. Seit mehreren Jahren, klagt er 1861, seien alle seine Schritte und Bemühungen vergeblich gewesen, Tristan und die Nibelungen in Weimar zur ersten Aufführung zu bringen. „Ich verschone dich mit dem Detail dieser Angelegenheit, deren Fehlschlagen mich hauptsächlich dazu bewog, meine hiesige Thätigkeit beim Theater gänzlich aufzugeben.“ „Von mir“ — so schließt sein letzter Brief vom 7. Juli 1861 — „weiß ich nichts anderes Bestimmtes, als mein Fortgehen von Weimar. Bis Anfangs August werde ich über meinen nächsten Aufenthaltsort entscheiden. Kurz gesagt, bezeichnet dieses Dilemma meine ganze Lage: Entweder meine Vermälung findet statt, und zwar bald oder nicht. Im ersten Falle ist für mich späterhin Deutschland und speciell Weimar noch möglich; anders, nein.“ Liszt ’s gehoffte Vermälung mit der Fürstin Wittgenstein fand nicht statt, und er ging für einige Jahre nach Rom . Sein Scheiden von Weimar fällt ungefähr zusammen mit der Rückkehr Wagner ’s nach Deutschland . So bildet das Jahr 1861 einen natürlichen Abschluß des vorliegenden Briefwechsel s. Daß ihm eine Fortsetzung folge: die Briefe von 1861 bis 1883, ist lebhaft zu wünschen, aber kaum zu hoffen. Zu viel Persönliches dürfte darin ausgetauscht sein, was die Hinterbliebenen Wagner ’s kaum vor die Oeffentlichkeit zu bringen wünschen. Bekanntlich ist eine längere Entfremdung zwischen den beiden Freunden eingetreten, als deren hauptsächlichster Grund angenommen wird, daß Liszt ’s Gefühle als Vater und als katholischer Geistlicher sich entschieden gegen eine Heirat seiner an Bülow vermälten Tochter Cosima mit R. Wagner gesträubt haben. Liszt ist weder bei der ersten Aufführung von „Tristan und Isolde “ in München (1865), noch bei der Grundsteinlegung des Wagner -Theaters in Bayreuth (1872) erschienen. Erst später erfolgte eine Aussöhnung mit Wagner , die bis zu dessen Tode Stand hielt.