Zoom inZoom inZoom inZoom in
Zoom outZoom outZoom outZoom out
Go homeGo homeGo homeGo home
Previous pagePrevious pagePrevious pagePrevious page
Next pageNext pageNext pageNext page
Unable to open [object Object]: Error loading image at https://iiif.acdh.oeaw.ac.at/iiif/images/hsl-nfp/1888.07.22-0001.jp2/full/full/0/default.jpg
Wörter einzeln suchen

Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8588. Wien, Sonntag, den 22. Juli 1888

Musikalisches aus Skandinavien.

I. Kopenhagen.

Ed. H. Die Ausstellung in Kopenhagen , der wir lieber nachrühmen, daß sie eine glänzende skandinavisch e Exposition, als ihr nachtragen, daß sie eine gar mangelhafte Weltausstellung ist — sie hat ihre Eröffnung mit einem glücklich ersonnenen Musikfeste gefeiert. In einer Serie von sechs Concerten, von welchen die Hälfte den großen Orchester- und Chorwerken, die andere der Kammer- und Lieder-Composition gehörte, ward dem Publicum ein Bild des musikalischen Schaffens in den drei skandinavisch en Königreichen aufgerollt. Das Beste, was dänisch e, schwedisch e und norwegisch e Componisten der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit hervorgebracht, erklang hier vor festlich geschmückten und festlich gestimmten Zuhörern, in Aufführungen, denen sorgfältige Vorbereitung und glückliches Gelingen allgemein nachgerühmt werden. Mir selbst blieb leider der Besuch dieses Musikfestes versagt; denn einer streng gemessenen Karlsbad er Cur läßt sich nicht die kleinste Woche abdrücken, und von Böhmen nach Dänemark fährt man überdies nicht gerne in Einem Zuge. Immerhin bot mir schon das in stattlicher Broschüre erschienene Programm dankenswerthe Belehrung und einen erfreulichen Beweis von den Fortschritten der Musik in Skandinavien . Ist es doch erst ein Halbjahrhundert her, daß das in National-Liedern hin und wider fluthende angeborene Musiktalent des Volkes sich zu eigentlichen Kunstgebilden krystallisirt und nordische Tonkunst sich auf eigene Füße gestellt hat. Man weiß, daß noch zu Ende des vorigen und Anfangs dieses Jahrhunderts ausländische, meistens deutsch e Tonkünstler es waren, die, nach den skandinavisch en Hauptstädten berufen, dort Musik lehrten und schufen, wie Friedrich Kuhlau, Adolph Scheibe, P. A. Schulz, kurze Zeit auch Gluck, in Kopenhagen ; Abbé Vogler und Naumann in Stockholm ; von dem einflußreichen Aufenthalte italienisch er Sänger und Operncomponisten (Sarti , Siboni etc.) gar nicht zu sprechen.

Die beiden in Dänemark hochgeehrten älteren Meister: Weyse und P. E. Hartmann (der Lehrer Gade ’s), sind dem deutsch en Publicum so gut wie unbekannt geblieben. Der erste nordische Componist, der über sein Vaterland hinaus gedrungen und zu einem Ehrenplatz im europäisch en Concertprogramm gelangt ist, war Niels Gade. Und das gleich mit seinen allerersten Werken, der „Ossian-Ouvertüre “ und der ebenso berühmten ersten Symphonie . „Wir haben hier einen ganz neuen Künstlercharakter vor uns,“ schrieb damals Robert Schumann ; „in Gade ’s Musik zeigt sich zum erstenmale ein entschieden ausgeprägter nordischer Charakter.“ Gade selbst bezeichnet seinen Schwiegervater, den oben erwährten P. E. Hartmann, als den Ersten, der die skandinavisch e Volksweise für größere Kunstformen erobert und verwerthet habe. Hartmann hat in zahlreichen Werken vor Allem sein Vaterland, dessen Sagen und Dichtungen verherrlicht: die Tragödien Oehlenschläger ’s mit Chören, Märschen, Ouvertüren geschmückt, „Erlkönigs Töchter “ als Oper behandelt, den Heimgang Thorwaldsen ’s in einer Trauer-Cantate beklagt, den Empfindungen seines Volkes in Liedern Ausdruck gegeben. Nur zu kurzer herzlicher Begrüßung war mir der dänisch e Altmeister erschienen: ein feingeschnittener Kopf, aus dem ein Paar wohlwollende, sinnige Augen das unverkümmerte Geistes- und Gemüthsleben des dreiundachtzigjährigen Greises verkünden. Gade hat über die fremdartig skandinavisch e Färbung, die in seinem ersten Werke bezauberte, niemals die ewigen Schönheitsgesetze der Kunst vergessen und in späteren Tonstücken, vor Allem in seiner reizenden B-dur-Symphonie , gezeigt, daß seine Gestaltungskraft des Local-Colorits auch entbehren könne. In neuester Zeit scheinen talentvolle Nordländer den scharfen exotischen Reiz dieser Localfarbe fast zur Hauptsache zu machen, so daß Gade nicht ohne Grund befürchtet, es werde in der norwegisch en Musik bald mehr Nordlicht als Musik zu finden sein. Immerhin haben Gade ’s Landsleute die deutsch e Herkunft und Bildung ihrer Musik niemals vergessen noch verleugnet; sie gehen im exclusiven National-Bewußtsein keineswegs so weit, wie das junge Rußland , das mit so trauriger Vorliebe seinen Zauber im ungelöst Häßlichen sucht.

Ist Hartmann der Nestor der dänisch en Tonkunst, so ist Gade heute noch der Mittelpunkt und oberste Wille derselben. Er dirigirt die großen Concerte und leitet, selber lehrend, das Conservatorium in Kopenhagen . Letzteres ist leider unvollständig, indem es neben den theoretischen Fächern nur Gesang, Orgel, Clavier und Streichinstrumente pflegt, die Blasinstrumente hingegen dem Privatunterricht überläßt. In diesem beschränkten Umfange wird es aber nach mustergiltig rationellen Grundsätzen und ohne jede finanzielle Nebenabsicht geleitet. Die Zahl der Schüler ist auf 40 bis höchstens 45 beschränkt, welche somit alle einen gründlichen, individualisirten Unterricht erhalten, im Gegensatze zu dem Massen- und Dampfbetrieb anderer Conservatorien. Der Verkehr mit Niels Gade gehört zu den werthvollsten und anmuthigsten Erlebnissen meiner Reise. Er ist ein Jüngling von 72 Jahren. Wüßte man nicht sein Geburtsjahr aus dem Musik-Lexikon, nie würde man es herauslesen aus dieser rosig frischen Gesichtsfarbe, aus dem blauen Feuer dieser Augen, aus der kraftvollen Beweglichkeit dieses gedrungenen Körpers. Wie leicht eilt er treppauf treppab im Thorwaldsen -Museum, uns die schönsten Statuten eifrig erklärend; wie rasch weiß er beim Herausgehen einem voreiligen Omnibus nachzulaufen, um uns Plätze darin zu sichern! Mit derselben Jugendfrische und Liebenswürdigkeit macht er uns am folgenden Tage den Cicerone in dem weitläufigen, von historischen Kleinoden strotzenden Schloß Fredricksborg und führt uns von da durch den üppigsten Buchenwald nach seiner Sommerwohnung in Fredensborg. Die Fahrt mahnte mich an ein Wort Schumann ’s, der von Gade ’s zweiter Symphonie sagte, „man denke dabei an die lieblichen Buchenwälder Dänemark s“. Ja, wer müßte nicht im vergnügten Zusammensein mit Gade  immer wieder an Schumann denken, an Schumann und Mendelssohn , welche den jungen Dänen so glänzend in die Oeffentlichkeit eingeführt, ihn musikalisch getauft und confirmirt haben! Man glaubt noch immer ihre Hände segnend über diesem grauen Haupte zu gewahren. Und lebhaft können wir uns das Aufsehen vorstellen, welches der bildhübsche junge Gade „mit dem Mozart -Kopf und dem wie in Stein gehauenen Haupthaar“ bei seinem Eintritte in die Leipzig er Kreise erregte, und die herzliche Sympathie, die ihn überall sofort umfing. Sie hat den edlen Künstler, den herzenswarmen, geistvollen Menschen nie wieder verlassen.

Nach Gade hat keiner der jüngeren dänischen Componisten es zu Wirkung und Bürgerrecht im Auslande gebracht; doch sind im Lande selbst die Lieder von P. Heise die Instrumentalwerke von V. E. Benedix, Winding, Emil Hartmann (Sohn) und Axel Hammerik geschätzt. Ein Bruder des Letzteren ist der geist- und kenntnißreiche Musik-Kritiker Angul Hammerik in Kopenhagen , dessen gerühmten Abhandlungen über dänisch e Musikgeschichte nichts fehlt, als — eine deutsch e Uebersetzung. Der aus Dänemark stammende, aber in Stockholm ansässige Componist Sigfried Saloman gehört einer älteren Generation an; in Deutschland hat ihn seine Oper „Das Diamantkreuz “ vortheilhaft bekannt gemacht. Auch die jetzt lebenden schwedischen Componisten sind außerhalb ihrer Heimat wenig bekannt und noch weniger cultivirt, obgleich eine Oper von Ivar Hallström („Der Bergkönig “) nicht ohne Beifall in München und ein Musikdrama von Andreas Hallén („Harald der Wiking “) nicht ohne Grausen in Leipzig gehört worden ist. Die aufrichtigsten Erfolge wurden den verstorbenen Liedercomponisten Lindblad und dermann, deren volksthümliche Melodien durch Jenny Lind und das schwedisch e Damen-Quartett weit über das Meer gedrungen sind. Sowol Dänemark als Schweden wird in bedeutendem schöpferischen Nachwuchs entschieden überragt von Norwegen , dem Vaterlande Edvard Grieg’s und Johann Svendsen’s. Ihnen war mit Liedern und kleineren Clavierstücken H. Kjerulf († 1868) glücklich vorangeschritten. Wien ist in der Kenntniß dieser Tondichter hinter anderen Hauptstädten sehr zurückgeblieben. Von Grieg haben nur unsere Solo-Pianisten Notiz genommen, ausnahmsweise einmal ein Quartettverein; von Svendsen ist meines Wissens nur sein Octett , Op. 3 (durch Rosé ), bekannt geworden. Warum bringen nicht unsere Gesellschafts- und Philharmonie-Concerte einmal das Clavier - oder das Violin-Concert von Grieg ? Warum zieht Hofcapellmeister Richter es vor, uns „skandinavische Symphonien “ von einem Engländer vorzuführen, anstatt einer echten skandinavisch en Symphonie oder einer Rhapsodie von Svendsen? Das sind zwei originelle Talente, die man kritisiren, aber nicht mehr ignoriren darf. Grieg, meistens in Christiania oder in seiner Vaterstadt Bergen zu Hause, sprach ich flüchtig in Stockholm . Ein kleiner, unansehnlicher Mann mit blassem Gesichte und nervös blickenden grauen Augen. Svendsen’s persönliche Bekanntschaft ward mir leider durch seine Abreise nach London  vereitelt, wohin ihn die Philharmonische Gesellschaft zur Aufführung seiner Orchesterwerke berufen hatte. Den Concert-Instituten und Concertbesuchern England s ist nachzurühmen, daß sie von jeher die Bekanntschaft der bedeutendsten fremden Componisten sich angelegen sein ließen. Seit Weber , Spohr und Mendelssohn haben die namhaftesten Tonsetzer Deutschland s solche Einladungen nach London erhalten; in den letzten zwei Jahren überdies Gounod , Saint-Saëns , Dvořak , jetzt Svendsen . Das ist wohlgethan und wäre ein heilsames Beispiel für andere Großstädte. Beiläufig bemerkt, werden die Nadelstiche verletzter Eitelkeit, womit London er Musikzeitungen mir so unermüdlich nachsetzen, mich ebensowenig bewegen, die Langweiligkeit der englisch en Componisten, als die reellen Vorzüge der englisch en Concert- und Oratorien-Vereine zu verleugnen.

Das große Musikfest war mir versagt geblieben, nicht aber all und jede Musik in Kopenhagen . In dem großen Tivoli-Garten, der jetzt die Ausstellung so freundlich einrahmt, drängt sich allabendlich ein vergnügtes Publicum zu den von Herrn Balduin Dahl tüchtig geleiteten Orchester-Productionen. Die erste Nummer des Programms gehörte Friedrich Kuhlau, demselben alten Kuhlau , welchem Beethoven den Canon „Sei kuhl, nicht lau !“ ins Stammbuch geschrieben hat. Obwol ein geborener Lüneburger, wird Kuhlau , der nach langjähriger Thätigkeit in Kopenhagen daselbst (1832) als dänisch er Hofcomponist gestorben ist, doch zu den National-Componisten gerechnet, und seine in Deutschland längst vergessenen Werke sind in Dänemark heute noch populär. Vor Allem seine Ouvertüre zu „Elverhoye “ (Elfenhügel ), dem berühmtesten National-Schauspiel der Dänen: sie schließt effectvoll mit demselben Volkslied „Held Christian stand am hohen Mast “, welches wir dreißig Jahre später in Meyerbeer ’s Struensee-Ouvertüre wiederfinden. Während der täglichen Orchester-Productionen im Tivoli wird nicht gegessen, noch getrunken, noch geschwätzt; das Publicum lauscht mit einer musterhaften Andacht und Theilnahme. In einem benachbarten Pavillon spielt gleichzeitig der jüngere Lumbye die populären Tanzweisen seines Vater s; man nennt sie die „beiden Strauß von Kopenhagen “. Noch ein drittes Orchester musicirt in einem entfernteren Pavillon, und kleine Marionetten-Theater, Schaubuden, Kramläden, Restaurationen blinken dazwischen in dem hellerleuchteten Park. Ueberall wimmelt es von fröhlichen Menschen bis über Mitternacht hinaus, und doch herrscht allenthalben Ruhe und Anstand; kein ausgelassener Ruf, keine rohe Geberde durchbricht die harmonischen Linien dieses Nachlebens. „In ganz Skandinavien gibt es keinen Pöbel,“ hörten wir oft rühmen — ein schwerwiegendes Wort, und so weit ich beobachten konnte, ein wahres.

Eine dänisch e Oper bekam ich nicht zu hören, wol aber im „Volkstheater“ eine russisch e. Meine Begierde, die russisch en Opernsänger und Rubinstein ’s „Dämon “ kennen zu lernen, war beinahe so groß, wie die nachfolgende Enttäuschung. Ein unerfahrener Impresario hatte diese Sängergesellschaft ebenso wahllos als zahlreich überallher aus der Provinz zusammengelesen. Er führte ein zahlreiches Chorpersonal, fünf Tenoristen, vier Primadonnen und, wenn ich nicht irre, drei Capellmeister mit sich: Alles zusammen ein ungenügendes und schlotteriges Ensemble. Mit Ausnahme des sympathischen jungen Baritons Tartakow, welcher den Dämon sang, besaß Niemand eine mehr als dilettantische Gesangsschulung, weder der pompöse Heldentenor mit der phlegmatischen Fettstimme, noch die distonirende, tremolirende Primadonna, noch der tiefe Bassist mit dem Organ und dem Gebahren eines bösgemachten Lämmergeiers. Es hieß zwar, daß die Oper gewöhnlich mit besserer Besetzung gegeben werde; ich kann nur über den selbsterlebten bösen „Dämon “ vom 14. Juni berichten. Von Rubinstein ’s Oper vermochte so ungenügende Ausführung gewiß kein richtiges Bild zu geben. Allein, selbst durch diesen verdunkelnden Schleier hindurch glaubte ich deutlich zu erkennen, daß zwei in Rubinstein ’scher Opernmusik stark vordrängende Elemente auch hier das Wort führen: Rohheit und Monotonie. Die Rohheit ließ sich noch eher ertragen, denn ihr gehören im „Dämon “ die specifisch national-russisch en Musikstücke, welchen doch ein exotischer Reiz anhaftet. Die Monotonie hingegen, die in den langen Dialogen und Monologen herrscht, drückt uns unbarmherzig nieder. Das Beste sind einige national gefärbte lyrische Oasen, die — mit der Handlung wenig zusammenhängend — sich aus dem zähen dramatischen Lehm herausarbeiten. Im letzten Act soll ein sehr wirksames Duett stehen zwischen den beiden uns gleich unverständlichen Hauptpersonen: dem Dämon und seiner Geliebten Tamara . Außer Stande, in der schlechten Luft und dem noch schlechteren Gesang länger als von 7 bis 10 Uhr auszuharren, habe ich dieses Schlußduett leider nicht gehört. Fachmännischen Stimmen zufolge ist „Der Dämon “ die beste Oper Rubinstein ’s, das mag sein; musikalisch interessanter als der „Nero “ ist er gewiß, das will nicht viel sagen. Aber daß Rubinstein die specifisch dramatische Ader abgeht, das muß auch nach dem „Dämon “ Jedermann klar geworden sein. Die Wirkung, die ich von einer neuen, in fremder Sprache gesungenen Oper empfange, war mir jederzeit wichtig; sie gilt mir als eine (wenn auch nicht einzige) Probe auf die dramatische Begabung des Componisten. Eine lebensvolle, treffend charakterisirende, also echt dramatische Musik, meine ich, müßte im Verein mit dem Gesang und Spiel, den Costümen und Decorationen von der Bühne herab doch verständlich genug wirken, um auch einen des Idioms nicht mächtigen Zuhörer errathen zu lassen, um was es sich handelt, was die singenden Personen wollen, welches ihre Beziehungen zu einander und zu der ganzen Handlung sind. Nicht die feineren dramatischen Motive, aber der Zusammenhang der Fabel, die Bedeutung der einzelnen Scenen müßten uns doch ziemlich klar werden. Sinn und Handlung des Rubinstein ’schen „Dämon “ sind mir aber in dieser russisch en Aufführung ein undurchdringliches Räthsel geblieben. Ich glaube, daß wirklich nur die Russen, welche sich in das Lermontow ’sche Gedicht völlig eingelebt und eingeliebt haben, auch für die Rubinstein ’sche Oper das nöthige Verständniß und Entzücken produciren können. Lebhaft mußte ich des armen Mosenthal gedenken, wie er vor zwanzig Jahren aus Freundschaft für Rubinstein  sich abplagte, das Libretto des „Dämon “ für die Wien er Hofoper „möglich“ zu machen, welche Bemühung er nach redlich vergossenem Schweiß schließlich aufgab.

Daß sogar ein Schauspiel in fremder Sprache uns lebhaft zu interessiren und zu fesseln vermag, erfuhr ich im königlichen Theater zu Kopenhagen an der Aufführung eines dort ungemein beliebten Volksstückes: „Der var engang “ (Es war einmal —). Die Handlung, nach einem Märchen von Andersen , ist von dem geistvollen dänisch en Poeten Holger Drachmann so klar exponirt und anschaulich geführt, daß selbst der Fremde ihr in den Hauptzügen zu folgen vermag. Die Aufführung selbst bot einen ungetrübten Genuß. Die einzelnen Darsteller zeigten ein ursprüngliches Talent neben fein ausgebildeter Technik; das Ensemble stimmte wie eine gut studirte Symphonie; Costüme und Decorationen wirkten mit der doppelten Kraft des Glänzenden und zugleich Charakteristischen. Das phantastisch-märchenhafte Stück wird richtig und reichlich von einer anmuthigen, durchaus maßvollen Musik unterstützt, welche von einem der begabtesten jüngeren Componisten Dänemark s, Herrn Lange-Müller, herrührt und seinen Namen populär gemacht hat. Ich begriff, wie Heinrich Laube , der gleich mir kein Wort Dänisch verstand, vor fünfzig Jahren von dem Spiel der Kopenhagen er Hofschauspieler entzückt sein konnte. Die Perle der Vorstellung, ja das Kronjuwel der Hofbühne überhaupt ist Frau Hennings, eine der geistreichsten Schauspielerinnen, die mir vorgekommen. Sollte ich die Art ihres Talents, wie es wenigstens in dieser Rolle erschien, durch ein Beispiel erklären, so würde ich etwa Hedwig Niemann-Raabe oder Stella Hohenfels , nennen. Aber Frau Hennings spielt auch tragische Rollen, spielt überhaupt in jedem Stück, dem man Anziehungskraft und Wirkung sichern will, und, wie es heißt, Alles vortrefflich. Für die hohe Tragödin mag vielleicht ihr durch solche Anstrengungen ermüdetes Organ nicht völlig ausreichen; aber in der Rolle der kindisch eigensinnigen Prinzessin , welche alle Bewerber verhöhnt, mit unberechenbaren Launen die ganze Umgebung malträtirt und schließlich durch einen kühnen, als Zigeuner verkleideten Prinz en à la Petrucchio gezähmt und gebessert wird — ist Frau Hennings einfach unübertrefflich. Obwol der Sprache unkundig, ja vielleicht gerade deßhalb, konnte ich die unvergleichliche Beredsamkeit ihres Mienenspiels, ihres Tonfalls, ihrer Bewegungen nach Gebühr bewundern. Dabei verstand die Künstlerin mit feinstem Stylgefühl das Phantastische, Märchenhafte der Gestalt durchaus festzuhalten, den Alltags-Realismus ebenso wie das Pathos einer tiefen echten Menschenseele fernzuhalten und die Rolle ungefähr so zu sprechen, wie Mendelssohn seinen Sommernachtstraum instrumentirt. Frau Hennings ist die Gattin eines Mannes, der in seiner Sphäre nicht weniger verdienstvoll für das Kunstleben wirkt und zu den notabelsten und liebenswürdigsten Persönlichkeiten Kopenhagen s gehört: des Hof-Musikhändlers und Verlegers Dr. Henrik Hennings . Die in Hanns Bülow’s Reisebriefen gepriesene „Zuvorkommenheit dieses Gentleman, der sich ebensosehr, durch Verständniß als Begeisterung für Musik auszeichnet“, wird jeder an Hennings Empfohlene vollauf erfahren und im Gedächtniß behalten haben als einen Typus der unvergleichlichen Courtoisie, welche die Kopenhagener überhaupt gegen Fremde zu üben gewohnt sind.