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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9731. Wien, Dienstag, den 29. September 1891

[1]

Leopold v. Hasner als Redacteur.


0002Ed. H. Nach dem tiefbetrauerten Heimgange Leopold
0003v. Hasner’s haben die Zeitungen nicht unterlassen, seine un-
0004vergeßlichen und unzerstörbaren Verdienste um unser Unter-
0005richtswesen zu würdigen, sein überzeugungstreues Walten als
0006Minister, seine Redegewalt im Herrenhause. Wenig bekannt
0007hingegen ist Hasner’s Thätigkeit als Redacteur! Weder von
0008langer Dauer noch von eingreifender Wirkung, war diese
0009Thätigkeit dem künftigen Staatsmanne doch eine politische
0010Vorschule von eminenter Wichtigkeit für seine Urtheilskraft
0011wie für seinen Charakter. Was ich aus dieser früheren Periode
0012Hasner’s hier mittheilen möchte, ist nur eine kleine, oben-
0013drein stark persönlich gefärbte Episode. Allein sie scheint mir
0014im besten Sinne charakteristisch für Hasner. Dem Leser dürfte
0015aus den nachfolgenden Briefen, die Hasner als Redacteur
0016der Prager Zeitung mir in den schwersten Tagen des Jahres
00171848 schrieb, Zweierlei mit leuchtender Deutlichkeit vor
0018Augen treten: die seltene Herzensgüte des Menschen, sodann
0019der klare und unbeirrt feste Blick des Politikers.


0020Hasner hatte im Sommer 1848 seinen ständigen Wiener
0021Correspondenten eingebüßt, einen jüngeren Beamten der Hof-
0022kammer-Procuratur, welcher in die Provinz versetzt wurde.
0023Durch diesen ließ Hasner mir den verwaisten Posten als
0024Correspondent der Prager Zeitung antragen. Das war keine
0025glückliche Wahl, denn ich bin niemals Politiker von Fach
0026gewesen und kam als junger, mit den Rigorosen vollauf be-
0027schäftigter Jurist kaum in die Lage, wichtige politische Neuig-
0028keiten zu erfahren. Ein lebhaftes — nur zu lebhaftes —
0029Interesse an den politischen Ereignissen, die ich, wie damals
0030alle jungen Leute, mehr mit dem Herzen als mit dem Ver-
0031stand beurtheilte, schien mir doch nicht ausreichend für eine
0032solche Aufgabe. Meine rückhaltlos geäußerten Bedenken wur-
0033den mir mit schmeichelhaftem Drängen ausgeredet, und
0034schließlich that der Wunsch, Hasner aus einer Verlegenheit
0035zu befreien, das Uebrige. Ich wagte also den Versuch und
0036nahm die Sache sehr gewissenhaft. Im Juridisch-politischen
0037Leseverein standen mir zum Glücke alle Zeitungen nebst einer
0038ansehnlichen Bibliothek zu Gebote und, was noch wichtiger,
0039der Verkehr mit ausgezeichneten, mir wohlgesinnten Männern,
0040wie Hye und Tomaschek (damals meine Professoren), 
0041Heißler, Stubenrauch, J. N. Berger und Anderen,
0042von deren täglichen politischen Debatten ich profitiren durfte.
0043Im Anfang ging Alles gut. Hasner war mit meinen Briefen,
0044die sich mehr schildernd als raisonnirend verhielten, zufrieden
0045und lobte namentlich einige humoristisch gefärbte Mitthei-
0046lungen über das jugendliche Treiben der Akademischen Legion,
0047über Figuren wie Pater Füster u. dgl. „Machen Sie sich
0048doch wieder über etwas lustig!“ ermunterte er mich, als
0049meine Briefe seltener wurden. Aber, ach, die Zeiten waren
0050so gar nicht mehr lustig! Der Enthusiasmus der Märztage
0051wandelte sich bald in zunehmende Enttäuschung und Ernüch-
0052terung. O, des unvergeßlich herrlichen Morgens vom
005313. März im Hofe des landständischen Hauses, wo die
0054muthigen jungen Redner, einer nach dem andern, auf den
0055Brunnen stiegen und zu den Fenstern des Berathungssaales
0056hinauf nach Constitution und Preßfreiheit riefen! „Es geht,
0057es geht!“ rief, mich umarmend, damals mein Herzensfreund
0058Robert Zimmermann. Wenige Monate später mußten wir,
0059das „Landhaus“ passirend, uns mit Bitterkeit sagen: Ja,
0060es ist gegangen, ist Alles wieder gegangen! Der Ton
0061trüber Resignation klang nunmehr durch meine Berichte, die
0062immer kürzer und seltener wurden. Das zuchtlose Dema-
0063gogenthum im September und October war mir ein
0064Gräuel, das in politischem Wahnsinn phantasirende Wien 
0065entsetzte mich. Darin war ich gewiß mit Hasner Eines
0066Sinnes. Aber fast ebensosehr wie von den Gräueln des
0067October-Aufstandes fühlte ich mich empört von der blutigen
0068Reaction, die nach der Einnahme Wiens über uns herfiel.
0069Dieses Aufspüren und Verfolgen jedes freien Wortes,
0070dieses Einkerkern junger Studenten, bei denen
0071man ein schwarz-roth-goldenes Band oder radicales
0072Blättchen fand, dann die täglichen Hinrichtungen
0073in der Brigittenau und vor dem Neuthor ...
0074Ein schwarzer Schleier drückte auf Wien, eine böse giftige
0075Luft, in der jeder freisinnige Geist zu ersticken glaubte.
0076Trostlos über das Scheitern aller unserer Hoffnungen, aller
0077unserer Errungenschaften, gewahrte ich nicht den kleinsten
0078Stern in dieser schauerlichen Nacht, während Hasner, „vor
0079der Zukunft nicht bange“, als echter Philosoph „sich behag-
0080lich in den Zielen der Menschheit wiegte, während Andere
0081in ihrer Strömung“. Zu dieser objectiven Ruhe hatten wir
0082junge Leute vom März 1848 es allerdings noch nicht ge-
0083bracht. Selbst wo ich rein Thatsächliches berichtete, gab es in 
0084meinen Briefen „Seitenblicke, Doppelblicke“, welche Hasner 
0085mißfielen. Wenn ich in meinen Berichten mich auch zu
0086äußerster Mäßigung zwang, für Hasner’s Zeitung, für
0087Hasner’s Anschauungen waren sie nicht mehr möglich. Und
0088nun geschah das überraschend Rührende. Anstatt den unbot-
0089mäßigen jungen Correspondenten einfach abzudanken, wie es
0090jeder andere Redacteur gethan haben würde, setzte sich Hasner 
0091hin und suchte in ausführlichen Briefen meine Irrthümer zu
0092widerlegen, mich zu belehren, zu bekehren. Mit diesem
0093menschlich schönen Zusprechen und Abmahnen verband er
0094stets die präciseste Darlegung seines eigenen Standpunktes
0095und eine Beurtheilung der Zeitereignisse, wie sie mit solcher
0096Unbefangenheit nur ein freundschaftlich brieflicher Verkehr
0097gestattet. Dies stempelt, für mein Gefühl, die nachfolgenden
0098Briefe Hasner’s zu hochwichtigen Beiträgen für die Charak-
0099teristik des Mannes, welchem damals noch keine Ahnung
0100davon dämmerte, daß er eines Tages als österreichischer
0101Minister-Präsident regieren werde. Die folgenden Briefe sind
0102die drei letzten, die Hasner als Redacteur der Prager
0103Zeitung mir geschrieben hat.


0104I.


0105Prag, den 31. October 1848.


0106Verehrter Freund!


0107Ich habe durch die furchtbaren Ereignisse der letzten
0108Zeit eine Unterbrechung Ihrer Correspondenz erfahren
0109müssen; Ihr letzter Brief war der, wo Sie mir den Text
0110lasen. Sie sagen, ich sollte in Wien sein und würde dann
0111anders reden. Bester Herr! Ob ich das oder das Factum
0112weniger oder mehr erführe, hätte nichts zu bedeuten, ich
0113glaube genug zu wissen, wenn ich die Geschichte der neuesten
0114Zeit seit den Märztagen in Wien selbst bis zum Mai mit-
0115gemacht und seither aus den verschiedensten Quellen ent-
0116nommen und beurtheilt habe. Was man über mich urtheile,
0117hat mich nie um ein Haarbreit verrückt — denn ich
0118urtheile gewissenhaft, erwäge parteilos, und heiliger ist mir
0119nichts als die Wahrheit, das Recht. Nach Accidentien frage
0120ich bei der Wiener Bewegung nicht — aber sie ist eine
0121unberechtigte Revolution. Lesen Sie mein Blatt seit
0122dem 6., und ich halte Sie für zu ehrlich und denkend, als
0123daß Sie mir einen Vorwurf machen könnten; ich habe als
0124Rechtsmann argumentirt — können Sie mich widerlegen, dann
0125spreche ich von heute an anders. Vielleicht aber wird, wer nicht so [2]
0126albern ist, mich einen Rectionär zu nennen und mir einen
0127slavischen Standpunkt anzudichten, mich doch einen kalten
0128Verstandesmenschen nennen. Möglich — indeß geschieht dies
0129Vielen, die nicht gleiche Objecte des Gefühls haben. Ich
0130liebe die nackte, unbarmherzige Wahrheit wie mein Schoß-
0131kind, ich wiege mich behaglich in den Zielen der Menschheit,
0132während Andere in ihrer Strömung. Irren kann mich darin
0133nichts, kränken nur, daß Andere anders denken können. Was
0134mein Blatt anbelangt, so hat es schon als Provinzblatt mit
0135geringen Mitteln geringe Wirkung. Aber die es hat — und
0136es hat seinen Kreis — will ich ungeschwächt erhalten —
0137jedes Mittel, das mir das Schicksal für mein Streben in
0138die Hand spielt, will ich nicht halb benützen. Dies Ihnen,
0139werther Freund, zur Verständigung. Einem Correspondenten
0140räume ich indeß Manches ein — nur darf er meinen Lesern
0141keine principielle Ohrfeige geben. Insbesondere halte ich in
0142der Form stets ein leidenschaftsloses Maß hoch. Sind Sie
0143nach diesem Confiteor im Stande, mir ferner behilflich zu
0144sein, so soll es mich wahrhaft freuen. Stehen wir wirklich
0145auf zwei verschiedenen Sternen, so bleibt doch mit unwandel-
0146barer Achtung vor der Wahrhaftigkeit Ihres Strebens Ihr
0147ergebener Hasner.


0148II.


0149Prag, den 11. November 1848.


0150Verehrter Freund!


0151Ich belästige Sie seit einiger Zeit. Allein Sie werden
0152es entschuldbar finden. Wien, wie lange auch der Reichstag
0153verlegt bleibe, ist ein wichtiger Punkt, ich muß einen tüch-
0154tigen, raisonnirenden und beschreibenden Correspondenten dort
0155haben. Tüchtig sind Sie durchhaus, aber erlauben Sie mir
0156eine andere Bemerkung — ich glaube, Sie gehen mit Unlust
0157ans Werk. Ich sehe wohl, Sie sind in Ihrer politischen Rich-
0158tung viel mehr deutsch als österreichisch, ich entschieden um-
0159gekehrt. Weder bin ich ein slavischer Politiker, noch sind Sie
0160ein Slavenfeind. Dennoch scheinen Sie in der letzten Bewe-
0161gung nur einen Schlag des Deutschthums (bei gerechten
0162Forderungen?) zu sehen, ich nur eine Rettung des Rechtes
0163im Staate und im internationalen Verhältniß. Ich sehe die
0164materiellen Verhältnisse, den Belagerungszustand etc. für
0165gering an im Vergleiche mit der Weltlage, die mir
0166in der That in eine erwünschte Rechtsordnung ein-
0167geführt zu sein scheint; Sie sind verstimmt durch
0168allerhand, das mich doch nur vorübergehend choquiren 
0169kann. Sie vertrauen meinem Rechtsinn, aber die Entwick-
0170lung desselben scheint vorläufig nicht ganz mit meiner An-
0171schauung der Gegenwart zusammenzukommen. So hat Ihr
0172letzter Brief eine Menge kleiner Zweifel, Seitenblicke, Doppel-
0173blicke, und doch möchte ich auch durch meine Correspondenten
0174mein Publicum auf das Gros der Weltlage gelenkt, er-
0175muthigt, hoffnungsvoll gemacht sehen. Das obschon unent-
0176schiedene, aber oft radicale constitutionelle Blatt hier bringt
0177die conservativsten Berichte des gewiß tüchtigen Neustadt,
0178und ich bringe solche, die ein Hauch durchweht, der meinen
0179Glaubenssätzen nicht entspricht. Verzeihen Sie diese auf-
0180richtigen Bemerkungen und die Bitte, offen zu sagen, ob
0181Sie mir leitende Berichte in meinem Sinne mit gutem
0182Gewissen schreiben wollen. Im Einzelnen urtheilen Sie
0183wie Sie wollen, radical — das verpönt mein Blatt nicht
0184— aber im Ganzen muß ich nach innigster Ueberzeugung
0185jedem Wege der Politik entgegentreten, der Oesterreich Ge-
0186fahr droht, und den Sturz jeder Partei wünschen, die diesen
0187Weg wandelt, und keine Freiheit aus ihrer Hand nehmen,
0188die wir uns selbst geben können. Auch bedarf ich täglicher
0189Berichte. Mit freundschaftlicher Achtung Ihr Hasner.


0190III.


0191Prag, den 14. November 1848.


0192Geehrter Freund!


0193Daß ich Ihren Brief vom 12. nicht abgedruckt habe,
0194müssen Sie mir verzeihen. Haben Sie es nicht voraus-
0195gesehen? Ich will Ihnen meine Gründe sagen — als Nach-
0196trag zu meinem letzten Schreiben. Zunächst wissen Sie doch,
0197daß mein Blatt halbofficielles Organ ist. Ich bin zwar
0198deßhalb in keiner Weise thatsächlich beschränkt und würde
0199mich nie bestimmen lassen, ein Wort zu schreiben, das gegen
0200meine Ueberzeugung wäre. Gleichwol kann ich daselbst nicht
0201von Intriguen, Unterdrückungs-Machinationen etc. des Cabi-
0202nets sprechen. Dies, was die Form betrifft. Die Sache be-
0203treffend, würde ich zu weit kommen, wollte ich nachzuweisen
0204suchen, daß beim besten Willen kein Cabinet der Welt ein
0205verständiges Ziel gegenüber der unverständigen und theilweise
0206selbst boshaften Kritik der Wiener Politiker ganz offen
0207verfolgen könnte, denn diese Kritik halte Gott im
0208Himmel aus, wenn er kann, und sorge dabei
0209noch, daß ihm der eigene Himmel nicht über dem
0210Kopfe zusammenstürzt. Der Hof hat viel gefehlt; aber
0211fehle einer nicht in diesen Tagen. Uebrigens verehre 
0212ich ihn nicht, halte uns aber gesicherter gegen Falschheit von
0213seiner Seite, als gegen Thorheit auf anderer. Er kann den
0214Staat in seiner wesentlichen Freiheitsgrundlage nicht an-
0215greifen, die Wiener Politik aber hat es — sei es auch nur
0216aus Kurzsichtigkeit — bereits gethan, sie hat den Staat selbst
0217geleugnet. Ist das Naivetät, so ist sie doch eine, die wir
0218wahrlich nicht brauchen können, besonders wo sie so präten-
0219tiös auftritt. — Was aber die Motive des letzten Kampfes
0220anbelangt, so habe sowol ich in meinem Blatte die Bestechung
0221stets als Nebensache betrachtet, als ich glaube, daß nur die
0222beschränktesten Köpfe darin ein wesentliches Moment sehen
0223könnten. Ich habe gleich vom Anfang gesagt, daß zu ihr
0224mehrere Momente gewirkt, die Bestechung nur der nächste
0225Impuls sein konnte, die Bewegung selbst aber sogleich
0226nationale und pseudo-demokratische Elemente in sich auf-
0227nahm. Nur Eines ist, was Alles in sich befaßt, die poli-
0228tische Unmündigkeit Wiens, das jeder Partei zur Beute
0229würde, und nach dem Gesammtstaate, nach den Provinzen zu
0230fragen unterließ, wo es doch den Bestand des Ganzen an der
0231Wurzel packte. Das mußte als eine große Anmaßung die
0232Erbitterung eben der rechtlich, der freiheitlich Gesinnten er-
0233regen, das verdient nicht den Namen der Demokratie, das
0234ist die Despotie des Unsinns, den, sei er auch noch so un-
0235schuldig, kein Mensch von Charakter als Träger der Zukunft
0236eines Staates und so der Menschheitszwecke dulden kann.
0237Traurig genug, wenn die Steigerung seit dem März so ge-
0238waltig ward, daß endlich Jeder längst einsah, hier sei auf
0239ein freiwilliges Einschlagen einer vernünftigen Bahn nicht
0240zu denken. Jetzt herrscht freilich Gewalt, und hart genug.
0241Doch kann sie nur vorübergehend herrschen — und vor der
0242Zukunft ist mir nicht bange. Vexationen, so fühlbar sie seien,
0243verändern doch den Standpunkt über die October-Revolte
0244nicht. Was die schwarz-gelbe Fahne insbesondere anbelangt, so
0245scheinen Sie mir befangen und somit zu Trugschlüssen ge-
0246führt worden zu sein. Niemand würde je dem Wiener
0247sein schwarz-roth-goldenes Band verübelt haben, wenn er
0248nicht das schwarz-gelbe geschmäht hätte. Damit drang
0249er indirect, er, der im Centrum der Monarchie
0250sitzt, Anderen entweder sein Band auf oder desavouirte
0251das gemeinsame Bindeglied. Das hat längst gegen ihn
0252erbittert, das war eine Schmähung des Gesammtstaates, und
0253deutlich genug sprach man doch in Wien und noch jetzt in
0254Frankfurt aus, was diese Schmähung weiter bedeute. Wenn
0255aber irgendwo, so hat die schwarz-gelbe Fahne auf der Burg [3]
0256der Monarchie ein alleiniges Recht; das Aufstecken der
0257schwarz-roth-goldenen dort hieße eine Nation über andere der
0258Monarchie stellen. An seiner Brust trage Jeder was er will,
0259ich gar nichts; soll das Spiel das Zeichen aber sein, so ge-
0260hört auf jede die Gesammt-Monarchie repräsentirende Stelle
0261auch das Banner derselben. Darum erbitterte mich, der ich
0262gewiß kein Czeche heißen kann, schon in Wien die Anmaßung,
0263mit der man dem schwachen, die Bedeutung nicht erfassenden
0264Kaiser das deutsche Banner in die Hand schob. ...
0265Bester Freund, Sie sind eben ein Deutscher, Sie mögen das
0266nicht fühlen, aber wahr ist’s doch, und Andere haben das
0267seit Monaten gefühlt. Von Wien und Ungarn war nicht
0268Gleichberechtigung zu hoffen, und doch war Wien der Punkt,
0269auf dem man mit Gewalt entschied, was das Recht nicht
0270einräumte.


0271Irre ich? Gut, ich kann nicht anders, und da ich
0272nicht spiele mit politischen Ideen, so verzeihen Sie mir ge-
0273wiß, daß ich Ihren Brief nicht gab, den ich für irrig hielt,
0274und weiß, daß er gut geschrieben ist. Seien Sie nicht böse.
0275Männer müssen und können so mit einander reden. Mit
0276aufrichtigster Achtung Ihr Hasner.


0277Noch vor Empfang dieses letzten Briefes ersuchte ich
0278Hasner um meinen definitiven Abschied und habe niemals
0279wieder über politische Dinge geschrieben. Als ich 30 Jahre
0280später mit dem Minister und Ex-Minister gesellschaftlich zu-
0281sammentraf — bei seinem Collegen Glaser und Professor
0282Seegen — da erinnerte er mich selbst, nicht ohne Humor,
0283an meinen kurzen Feldzug unter seiner Fahne. Ich konnte
0284ihm nunmehr mit gereifter Einsicht nochmals danken für
0285seine mir bewiesene Langmuth und Seelsorge. Geleistet habe
0286ich ihm sehr wenig, aber viel von ihm gelernt. Freilich,
0287gewisse politische Sympathien und Antipathien, die tief im
0288Gefühle wurzeln, habe ich niemals abgeschüttelt, aber das
0289Beispiel Hasner’s, die Wirren der Tagesgeschichte leiden-
0290schaftslos aus historischer Perspective zu betrachten und „sich
0291in den Zielen der Menschheit, nicht in ihren Strömungen
0292zu wiegen“, verblieb mir als Leitstern für’s Leben.


0293Hasner hat eine ganz ausgearbeitete autobiographische
0294Skizze hinterlassen, mit einem Anhang von Aphorismen und
0295Reflexionen, die zu seinen bedeutendsten Aeußerungen ge-
0296hören. Möge dieses von Freundeshand behütete werthvolle Ver-
0297mächtniß, das uns den edlen Menschen und tiefen Denker in
0298intimste Nähe zu bringen verspricht, der Oeffentlichkeit nicht
0299lange vorenthalten bleiben.