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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9821. Wien, Dienstag, den 29. December 1891

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Hofoperntheater.

(Schluß des Mozart-Cyklus: „Bastien und Bastienne.“ „Die Gärtnerin.“)


0003Ed. H. Ende gut, Alles gut? Nein; das Ende, aber
0004nicht Alles, war gut in unserm Mozart-Cyklus. Man sah
0005diesen „Festvorstellungen“ mit gesteigerten Ansprüchen ent-
0006gegen und fand doch in jeder von ihnen nur ein oder zwei
0007ihrer Aufgabe vollkommen gewachsene Sänger; die übrigen
0008kamen über eine gute Mittelmäßigkeit entweder im techni-
0009schen oder im poetischen oder auch in jedem Sinne nicht
0010hinaus. Ueber die schonungslos von A bis Z cassierten Colo-
0011ratur-Passagen im „Idomeneo“ und „Titus“ würden wir
0012uns noch getröstet haben, denn in diesem Punkt muß man
0013heute mit der unzureichenden Technik der Sänger rechnen.
0014Wäre nur alles Uebrige rein, mit edler Natürlichkeit und
0015musikalischer Empfindung gesungen worden; dramatisch nicht
0016entweder maßlos oder theilnahmslos. Herr Winkelmann 
0017bringt für die königlichen Gestalten des Titus und des Ido-
0018meneo seine durch charakteristische Masken gehobene Helden-
0019gestalt und ausdrucksvolle Declamation mit — also die
0020werthvolle Mitgift seiner Wagner-Rollen; die Kunst, piano
0021zu singen und eine Reihe von acht bis zehn Noten
0022schön zu verbinden, hat er entweder nie besessen oder längst
0023den Nibelungen geopfert. Herr Rokitansky war ehedem
0024ein vortrefflicher Osmin; daß er dieser Aufgabe heute noch
0025gewachsen sei, wird Niemand behaupten. Den Don Juan 
0026würden wir gern von Herrn Ritter hören. In den Opern
0027Idomeneo“, „Don Juan“ „Titus“ ist die durch einen
0028schweren Trauerfall zurückgehaltene Frau Materna 
0029schmerzlich vermißt worden; mit dem rohen Naturalismus
0030ihrer Stellvertreterin kann sich jeder andere Componist eher
0031abfinden, als Mozart. Am meisten befriedigte noch die Auf-
0032führung der „Zauberflöte“. Fräulein Lehmann ist unsere
0033einzige Coloratur-Sängerin von guter alter Schule, also eine
0034vollkommene „Königin der Nacht“, nur neuestens mit einiger
0035Neigung zum Distoniren. Neben ihr wirkten als gute 
0036Mozart-Sänger Frau Forster (Pamina) und Herr Müller 
0037(Tamino). Herr v. Reichenberg, ein imposanter Sarastro,
0038bemüht sich mit Erfolg, allmälig in die Geheimnisse des
0039bel canto einzudringen, und die Sängerinnen Artner,
0040Ehrenstein, Kaulich — einzeln nicht immer stark genug,
0041eine Oper zu tragen — vereinigten sich als Damen der
0042Königin der Nacht zu reingestimmtem, klangvollem Dreiklang.
0043Was der Zauber des Talentes vermag, zeigte Fräulein
0044Renard in der kleinen Rolle des Kammermädchens Des-
0045pina. Am wenigsten konnten die Aufführungen des letzten
0046Mozart-Cyklus jenen Hörern genügen, welche frühere vor-
0047treffliche Besetzungen der Mozart’schen Opern in treuem
0048Gedächtniß bewahren. Seither ist der Stand der deutschen
0049Opernbühne im Allgemeinen so sehr herabgestimmt, daß das
0050Publicum kaum mehr gewohnt ist, Forderungen mitzu-
0051bringen, die das Materielle überschreiten, so daß es uns oft
0052wie eine Ungerechtigkeit erscheint, einen Maßstab, der für das
0053Ganze unbrauchbar geworden, an die Leistungen jedes ein-
0054zelnen Künstlers anzulegen.


0055Zum Glück hatte die Direction für den Schluß des
0056Festcyklus zwei unseren Zeitgenossen völlig unbekannte Jugend-
0057opern Mozart’s vorbereitet: „Bastien und Bastienne“,
0058hierauf „Die Gärtnerin“. Diese Opern bieten, selbst
0059abgesehen von ihrem starken historischen Interesse, wahrhaftig
0060liebenswürdige Musik. „Bastien und Bastienne“ ist eine
0061Merkwürdigkeit schon als die Arbeit eines zwölfjährigen
0062Knaben. Mozart schrieb das einactige Singspiel in Wien (1768),
0063wo es nicht öffentlich, aber in dem kunstsinnigen Hause des Dr.
0064Meßmer von Dilettanten aufgeführt wurde. Die Handlung ist im
0065Grunde dieselbe, wie in J. J. Rousseau’s berühmtem Singspiel
0066Le devin du village“ (der Dorfwahrsager), das für den
0067Ausgangspunkt der französischen Opéra comique gelten kann.
0068Dieses einfache Dorf-Idyll machte in Frankreich außerordent-
0069liches Glück und rief bald verschiedene Nachbildungen, so-
0070genannte „Parodien“ hervor. Wenn zu bekannten Melodien
0071ein anderer Text oder eine ähnliche Handlung unterlegt wurde,
0072so nannte man das eine Parodie. Daß mit diesem Wort
0073nicht wie heutzutage eine Verspottung des Originals beab-
0074sichtigt war, beweist unter Anderem die Aeußerung des alten 
0075Adam Hiller, es habe ihn Pergolese’s Stabat mater „in der
0076Parodie des Herrn Klopstock“ zu Thränen gerührt. „Parodie“
0077bedeutete hier einfach Klopstock’s Uebersetzung des lateinischen
0078Textes. „Bastien und Bastienne“ war eine solche von der
0079berühmten Madame Favart verfaßte Parodie des „Devin du
0080village“; sie wurde auch in Wien als deutsche Operette
0081bearbeitet und von dem jungen Mozart in Musik gesetzt.
0082Ein Bauernmädchen, Bastienne, betrübt sich über die Gleich-
0083giltigkeit und Untreue ihres Geliebten Bastien. Sie erholt
0084sich Raths bei dem Schäfer Colas, der ihr empfiehlt, den
0085Untreuen gleichfalls kalt und launenhaft zu behandeln. Das
0086Mittel verfängt, und da Bastien’s Liebe zu dem vernach-
0087lässigten Mädchen ohnehin wieder erwacht ist, so preisen die
0088Beiden, glücklich vereint, die vermeintliche Zauberkunst des
0089alten Schäfers. Zu dieser kleinen Dorfgeschichte, in welcher
0090der gesprochene Dialog vorherrscht, hat Mozart 15 Musik-
0091stücke geschrieben. Sie sind, seiner Jugend und dem Zeit-
0092geschmack entsprechend, sehr einfach, meist liedartig gehalten,
0093aber von natürlicher Anmuth und nicht ohne feinere charakte-
0094ristische Wendungen. Die Anfangstacte der Orchester-Ein-
0095leitung werden dem Hörer durch ihre frappante Aehnlichkeit
0096mit dem Hauptmotiv der „Eroica“ von Beethoven aufge-
0097fallen sein. Von der übergroßen Zahl der Arien hat Herr
0098Hofcapellmeister Fuchs die unbedeutenderen (Nr. 5, 6, 8
0099und 11) zum Vortheile des Ganzen gestrichen. Den Dialog
0100und die Gesangstexte, die im Original ebenso unfein wie
0101holperig sind, hat Herr Max Kalbeck in musterhafter
0102Sprache ganz neu bearbeitet. So vortrefflich aufgeführt wie
0103im Hofoperntheater, macht das Singspiel des zwölfjährigen
0104Mozart einen ungemein freundlichen Eindruck. Frau
0105Forster singt die Bastienne. Wie angenehm hört es sich
0106ihr zu, die jeden Ton rein und sicher anschlägt, die Töne
0107schön verbindet, weder schreit noch tremolirt, stets anmuthig
0108und natürlich bleibt! Herr Ritter ist ein schmucker, frischer
0109Bastien und Herr Mayerhofer in Rollen wie dieser
0110Schäfer Colas noch immer unvergleichlich und unersetzlich.


0111Die dreiactige italienische Opera buffa „La finta
0112giardiniera“ ist für das Münchener Hoftheater geschrieben
0113und daselbst im Januar 1775 zum erstenmale gegeben wor[2]-
0114den. Der damals 19jährige Mozart war mit seinem Vater 
0115zur Einstudirung der Oper nach München gereist, wo nach
0116deren glänzendem Erfolg Hof und Publicum ihn mit
0117Beifall und Ehren überhäuften. Ein seltsamer Zufall
0118machte den Erzbischof von Salzburg, der auf Besuch bei
0119dem Kurfürsten von Bayern verweilte, zum Zeugen dieser
0120Lobeserhebungen. „Er war dabei,“ wie Leopold Mozart 
0121berichtet, „so verlegen, daß er mit nichts als einem Kopf-
0122neigen und Achsel-in-die-Höhe-ziehen antworten konnte.“
0123Der Salzburger Erzbischof Hieronymus v. Colloredo spielt
0124bekanntlich im Leben Mozart’s eine schlechte Rolle;
0125gewiß ist, daß er das Genie seines jungen Concert-
0126meisters nicht erkannt, ihn hinter die Italiener zurück-
0127gesetzt und recht ungnädig behandelt hat. Mit Un-
0128recht wird jedoch immer verschwiegen, was die ärger-
0129liche Stimmung des Erzbischofs einigermaßen entschuldigen
0130konnte. Die Kunstreisen, die Leopold Mozart mit seinem
0131Sohne machte, nahmen zehn volle Jahre abseits vom
0132Hofdienst und auswärts in Anspruch. Das mußte den
0133anfangs nachsichtigen Fürst-Erzbischof für die Interessen
0134seiner Angestellten kühler und schließlich unwillig machen.
0135Leopold Mozart schreibt selbst einmal an seine verheiratete
0136Tochter: „Der Erzbischof schlug die Erlaubniß (zu einer
0137Münchener Reise) nicht mit Heftigkeit und ohneweiters ab,
0138sondern er äußerte sich: daß, da die Hofmusik jetzt
0139seine einzige Unterhaltung
ist, er gerne sähe,
0140daß wir (Vater und Sohn) von einer solchen Bitte abstehen
0141möchten, indem er diese ganze Zeit keine ordentliche Musik
0142hören könne.“ Director Engl constatirt obendrein in seiner
0143jüngst erwähnten Festschrift, daß die in Folge längerer
0144Urlaube erfolgten Gehaltseinstellungen immer im Gnaden-
0145wege vom Erzbischof wieder aufgehoben worden sind.


0146Was den Inhalt der dreiactigen Opera buffa betrifft,
0147so möchte ich den Leser am liebsten auf Otto Jahn ver-
0148weisen, der nach der langen ausführlichen Erzählung des
0149Sujets gleichsam athemschöpfend ausruft: „Es kostet Mühe,
0150diesen ungeschickt aneinandergereihten, selten eigentlich
0151komischen Situationen, aus denen keine zusammenhängende
0152Handlung zu Stande kommt, auch nur zu folgen.“ Und
0153doch war dieses Liberetto dem Geschmack jener Zeit sehr zu-
0154sagend und wurde von mehreren namhaften Componisten,
0155wie Anfossi, bearbeitet. Als dessen „Finta giardiniera“
0156und ähnliche „komische“ Opern in Paris auf dem Reper-
0157toire standen, äußerte Ludwig XVI., er müßte, wenn er in
0158die Oper ginge, dagegen „cabaliren“, denn, setzte er hinzu:
0159„Je ne sais rien de plus insipide, que des bouffons, qui
0160ne savent pas faire rire.“ Zwei liebende Paare — Belfiore 
0161und Sandrina, Ramiro und Arminda — irren halb ver-
0162zweifelt durch die Oper, bis das erstgenannte Paar ganz 
0163verzweifelt und allen Ernstes in Wahnsinn verfällt. Wie
0164so Absurdes und Widerwärtiges einmal Beifall finden
0165konnte, wird uns heute schwer begreiflich. Zum Glück ist
0166das von Mozart componirte Libretto nur zum Theil das-
0167selbe, das wir im Operntheater zu hören bekommen.
0168Max Kalbeck, dem das Hofoperntheater die besten Ueber-
0169setzungen verdankt, die es überhaupt besitzt, hat nicht blos
0170den Text völlig frei und vortrefflich bearbeitet, es gelang ihm
0171auch, alle anstößigen Situationen, vor Allem die Wahnsinns-
0172scenen, so geschickt auszulösen, daß der dramatische Zusammen-
0173hang nirgends leidet und das Ganze entschieden gewinnt.
0174Durch Ausscheidung dieser bedenklichen Scenen und Hinweg-
0175lassung von acht Arien der Original-Partitur ist es möglich
0176geworden, die ursprünglichen drei Acte in zwei zusammenzu-
0177drängen.*)  Aber nicht blos die Menge der Arien, auch die
0183große Länge derselben weist auf eine völlig überwundene Ge-
0184schmacksrichtung hin. Hofcapellmeister Fuchs hat mit ge-
0185schickter und bescheidener Hand die nöthigen Kürzungen daran
0186vorgenommen, ferner die Buffo-Partie des Podestà dem Baß
0187und die Kastraten-Rolle des Ramiro dem Tenor zugetheilt.
0188In der Orchestrirung, die meistens nur das Streichquartett
0189beschäftigt, hat Fuchs mit Rücksicht auf das große Opernhaus
0190einige ausfüllende Harmoniestimmen beigefügt, die jedoch
0191selbst in den stärksten Stellen niemals den Umfang des
0192Mozart’schen Orchesters im „Figaro“ überschreiten. Die Herren
0193Kalbeck und Fuchs haben durch ihre vereinte Bemühung dem 
0194Andenken Mozart’s einen Dienst erwiesen und die „Gärt-
0195nerin“, die in der Originalgestalt heute einfach unmöglich
0196wäre, für die Bühne gerettet.


0197Das schönste Kennzeichen Mozart’scher Musik, Anmuth,
0198Klarheit und vollendetes Ebenmaß, ist auch der „Gärtnerin“
0199aufgeprägt. Die ernsten Nummern — und sie bilden die
0200Mehrzahl — athmen warme, natürliche Empfindung, die sich
0201momentan zu schmerzlichen Accenten steigert, ohne doch in
0202das leidenschaftliche Pathos der tragischen Oper zu verfallen.
0203Man höre nur die Arie, in welcher Sandrina, im öden
0204Wald allein zurückgelassen, ihre Angst und Verzweiflung aus-
0205drückt. Bei aller Süßigkeit der Melodie tritt der dramatische
0206Nerv doch schon so stark hervor, daß man ohneweiters
0207auf den späteren, reifen Mozart rathen könnte. Auch zeigt
0208sich hier schon die veränderte Rolle, welche Mozart dem
0209Orchester anweist, indem er dasselbe aus blos dienendem
0210Accompagnement zu selbstständiger und charakterisirender Be-
0211deutung erhebt. Geringfügiger sind die Sologesänge Ramiro’s
0212und Arminda’s. Als entschieden komische Figur wirkt der Pod-
0213està sowol im Ensemble, wie in seiner Buffo-Arie „Ha
0214dieser Frevel!“ In feinerer Komik bewegen sich die ver-
0215liebten Neckereien des dienenden Pärchens Serpetta und
0216Nardo. Merkwürdig ist die Freiheit und Sicherheit, mit
0217welcher schon der junge Mozart die großen Ensembles ge-
0218staltet. Ein Beispiel liefert gleich die Introduction der Oper,
0219in welcher die fünf Hauptpersonen sich in fröhlichem Chorsatz
0220vereinigen, dann aber jede einzelne ihre eigenste Stimmung
0221charakteristisch ausspricht, während die Musik in ununter-
0222brochenem Fluß weiterströmt. Noch ausgeführter und bedeu-
0223tender sind das erste und noch mehr das zweite Finale: die
0224Scene vor der Grotte, wo die Personen im Dunkeln tappend
0225auf einander stoßen; wahre Meisterstücke und in jedem Betracht
0226Mozart’s würdig. Manche Vorausklänge an „Figaro’s Hoch-
0227zeit“ werden den Hörern eine angenehme Ueberraschung ge-
0228währt haben. Neben vielem Schönen und Eigenartigen fehlt
0229natürlich auch der unvermeidliche Tribut an den Zeitgeschmack
0230nicht: veraltete Wendungen, Wiederholungen und leere For-
0231meln, wie sie zu den Traditionen der alten Opera buffa ge-
0232hörten. Aber auf dem Ganzen liegt der leuchtende Glanz
0233der Jugend und des Genies.

[3]


0234Die Gärtnerin“, spielt sich im Hofoperntheater frisch
0235und lebendig ab. Zuerst muß wieder Frau Forster ge-
0236nannt werden, welche das neugierige Kammermädchen Ser-
0237petta allerliebst singt und agirt. Ihre Scenen mit Herrn
0238Ritter (Nardo) gehören zu den ergötzlichsten dieses
0239Theater-Abends. An Herrn Ritter’s klangschönem Organ
0240und lebensvollem Vortrag hat man immer seine Freude.
0241Nur thäte er als Kammerdiener Nardo gut daran, in Ton
0242und Haltung nicht so oft an den Heldenspieler zu erinnern.
0243Herr Müller singt die lyrische, Herr Schrödter die
0244komische Tenorpartie, Beide sind vollkommen auf ihrem
0245Platze, desgleichen Herr Felix als Podestà. Fräulein
0246v. Artner, deren kräftiger hoher Sopran besonders im
0247Ensemble günstig wirkt, weiß die unsympathische Rolle der
0248Arminda, bis auf starke Uebertreibungen im Spiel, recht
0249lebendig zu gestalten. Die musikalisch wie dramatisch weitaus
0250bedeutendste Rolle ist Sandrina, die als Gärtnerin verklei-
0251dete Gräfin. Fräulein Lola Beeth wirkt gleich beim Auf-
0252ziehen des Vorhanges durch den Zauber ihrer bestrickend
0253schönen Erscheinung. Wer nur auch mit den Augen hören
0254könnte! Den würde das unausgesetzte Tremoliren, der un-
0255saubere, verwischte Tonansatz, die klägliche Einfärbigkeit eines
0256jeder Phrasirung entbehrenden Vortrages nicht sonderlich
0257stören. ... Die beiden uralten neuen Opern, insbesondere
0258Bastien und Bastienne“, haben eine glänzende Aufnahme
0259gefunden und dürften weit über den Rahmen des Mozart-
0260Jubiläums hinaus noch fröhlich fortgedeihen. Es wird man-
0261chem Musikfreund wohlthun, einmal nach vielen Jahren
0262Opern ohne Posaunen und Tuben, ohne Trompeten und
0263Pauken, ohne Becken und große Trommel zu hören und
0264keinen Augenblick diese jetzt unentbehrlich gewordenen Instru-
0265mente zu vermissen.


0266Die jüngsten Mozart-Aufführungen haben uns will-
0267kommenen Anlaß gegeben, Sänger und Sängerinnen, Vir-
0268tuosen und Dirigenten ob ihrer pietätvollen Leistungen zu
0269preisen. Es drängt uns schließlich, im gleichen Sinn zweier
0270Männer zu gedenken, welche als Musikschriftsteller hohe und
0271bleibende Verdienste um Mozart sich erwarben: Otto Jahn 
0272und Ludwig v. Köchel. Wie oft sind ihre Werke gerade
0273in diesen Festtagen gelesen und benützt worden! Otto Jahn’s 
0274Mozart-Biographie gehört zu jenen Meisterwerken der
0275musikalischen Literatur, die keines Lobes mehr bedürfen. Das
0276Buch hat zur Erkenntniß und Würdigung Mozart’s un-
0277endlich viel beigetragen; es hat noch nie einen Fragenden
0278im Stich gelassen und wird seinen Werth, seinen Einfluß
0279behalten, so lange man Mozart studirt. Ein Arbeiter in
0280bescheidenerer Sphäre, aber ein ebenso rüstiger, gewissenhafter,
0281opferwilliger Arbeiter war Ludwig v. Köchel, der Verfasser
0282des großen „Chronologisch-thematischen Katalogs von Mozart’s
0283sämmtlichen Werken“. Er war Erzieher der Söhne des
0284Erzherzogs Karl und hatte nach Vollendung dieser Mission
0285sich vollständig musikhistorischen Studien, insbesondere bezüglich
0286Mozart’s, hingegeben. Vor Köchel’s Katalog besaß man keine
0287halbwegs vollständige Evidenz der riesigen Thätigkeit Mozart’s.
0288Zwanzig Jahre rastloser Arbeit und mühsamer, kostspieliger
0289Reisen verwendete Köchel darauf, alle Manuscripte, Original-
0290Ausgaben und Abschriften Mozart’scher Compositionen aufzustö-
0291bern als Bausteine für sein großes, Otto Jahn gewidmetes Werk.
0292Wie viel Nutzen hat es nicht wieder in den letzten Tagen
0293der Musikwelt gebracht! Zu Mozart’s Zeiten war die Be-
0294zeichnung der Compositionen mit fortlaufenden Opuszahlen
0295noch nicht Sitte. Nun hat Mozart beispielsweise 13 Sym-
0296phonien in derselben Tonart D-dur, 4 Clavierconcerte in
0297C-dur, 4 Streichquartette in G-dur, ebenso viele in B-dur
0298geschrieben. Wie war es möglich, auf einem Concertpro-
0299gramm oder in einer Kritik eines dieser Werke genau zu
0300bezeichnen? Jetzt nennt man einfach die Nummer, unter
0301welcher die betreffende Composition in Köchel’s Katalog 
0302verzeichnet steht. Dem Leser wird in den jüngsten Mozart-
0303Aufführungen der Beisatz „K.-Nr. ...“ auf vielen Concert-
0304programmen aufgefallen sein — ein dankenswerther Finger-
0305zeig für diejenigen, die etwa das Stück vor der Aufführung
0306sich verschaffen und durchspielen wollten. Hoffentlich läßt
0307man diese neue lobenswerthe Einrichtung auf den Concert-
0308programmen nicht wieder einschlafen. Otto Jahn ist in
0309Göttingen 1869, L. v. Köchel in Wien 1877 gestorben.
0310Das Andenken beider Männer soll uns theuer und ehr-
0311würdig bleiben, denn sie haben Mozart ein Monument er-
0312richtet, das jedes marmorne überdauern wird.

Fußnoten
  • *)Wer das unverkürzte und unveränderte Mozart’sche Original
    kennen lernen will, das jetzt durch die Vergleichung mit der Wiener
    Bearbeitung doppelt interessant wird, dem empfehlen wir den soeben
    bei Bartholf Senff in Leipzig erschienenen neuen Clavierauszug mit
    Text: „Die Gärtnerin aus Liebe“.