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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11643. Wien, Donnerstag, den 21. Januar 1897

[1]

Zum Schubert-Jubiläum. I.

Die Ausstellung.


0003Ed. H. Ein Hauch freudiger Aufregung bewegt, täg-
0004lich anschwellend, die musikalischen Gemüther Wiens. Es
0005gilt die hundertjährige Wiederkehr von Franz Schubert’s
0006Geburtstag. Ist das wirklich schon so lange her? Wir
0007älteren Leute, die wir in früheren Jahren noch mit Schubert’s
0008intimen Freunden, mit Schwind, Bauernfeld, Lachner,
0009Sonnleithner, verkehren durften, stutzen fast ungläubig vor
0010dem Datum, das nur allzu genau stimmt. Kennen wir doch
0011sein Leben bis ins Einzelne, als hätten wir’s mitgelebt. Die
0012Erinnerung daran hat sich uns jetzt wunderbar aufgefrischt
0013und bereichert durch einen Gang ins Künstlerhaus zur
0014Schubert-Ausstellung“. Vier Bildersäle sind da in eine
0015illustrirte Schubert-Biographie verwandelt; von den Wänden
0016grüßen uns seine Freunde und Kunstgenossen und all die
0017Landschaften, Häuser und Plätze, zwischen welchen sein kurzes
0018Leben sich abgespielt hat.


0019Da sehen wir zuerst das einstöckige bescheidene Haus
0020in der Nußdorferstraße, wo Franz Schubert am 31. Januar
00211797 das Licht der Welt erblickt hat. Hier wuchs er mit
0022seinen Eltern und Geschwistern in gar beschränkten Ver-
0023hältnissen auf. Sein Vater hatte eine kleine Schullehrerstelle
0024und — neunzehn Kinder. Sein Porträt zeigt ihn als einen
0025ernsten, kräftigen Mann von bäuerlichem Schlag. In früherer
0026Zeit war der Schullehrer der vielseitigste, eifrigste Musik-
0027pfleger im Lande und jedes Schulhaus eine kleine Weg-
0028capelle musikalischer Andacht. Da wurde auch der junge
0029Franz so recht von Haus aus musikalisch, ein früher Geiger,
0030Clavierspieler und Sänger. Seine klare Sopranstimme er-
0031tönte bald in der kaiserlichen Hofcapelle und verschaffte ihm
0032einen Zöglingsplatz im Convict. Die Abbildung dieses Ge-
0033bäudes zeigt uns die düstere Außenwand unverändert, wie sie
0034noch heute an die alte Universität lehnt. Das Stadtconvict,
0035obgleich den allgemeinen Humanitäts-Studien gewidmet, war 
0036damals für die Zöglinge beinahe ein Conservatorium im
0037kleinen Styl; gleichsam ein letzter weltlicher Nachklang jener
0038segensreichen Sängerschulen, in denen früher Klöster und
0039Domcapitel für die Heranbildung junger Sänger sorgten.
0040Der enthusiastische Dilettantismus der Lehrer und Schüler
0041brachte es hier zu überraschenden Resultaten. Der Convict-
0042Director Lang (dessen Porträt einen Ehrenplatz einnimmt)
0043hatte die musikalischen Uebungen ins Leben gerufen und
0044wohnte täglich den Productionen der Zöglinge bei. Es
0045wurde immer eine Ouvertüre (meistens Mozart, Cherubini,
0046Weigl), dann eine Symphonie von Haydn oder Mozart 
0047gespielt, zum Schluß wieder eine Ouvertüre. Schubert 
0048dirigirte an der ersten Violine. Hier entstanden schon seine
0049ersten Compositionen. Unermüdlich componirend, hatte er
0050jederzeit mehr Ideen als Notenpapier. Sein besser dotirter
0051Mitschüler Joseph v. Spaun versah ihn damit und blieb
0052ihm überhaupt ein warmer, thatkräftiger Freund. Sein
0053Brustbild ziert die Ausstellung, daneben auch das
0054des Hofcapellmeisters Salieri, welcher, auf das
0055Talent des jungen Schubert aufmerksam gemacht, ihm eine
0056zeitlang Unterricht ertheilte. Wahrscheinlich dürfte Schubert 
0057von dem damals hochbetagten und deutscher Musik ab-
0058günstigen Hofcapellmeister nicht allzuviel gelernt haben, ganz
0059wie vor ihm Beethoven. Fünf Jahre, von seinem 11. bis
0060zum 16., blieb Schubert im Convict, dann kehrte er ins
0061elterliche Haus zurück — als Schulgehilfe seines Vaters in
0062der sogenannten ABC-Classe. An diese Zeit erinnert uns
0063die Abbildung der Pfarrkirche in Lichtenthal, wo Schubert 
0064seine erste Messe (in F) aufgeführt hat, unter Mitwirkung
0065des nachmals berühmten J. Mayseder. Drei Jahre hielt es
0066Schubert aus, kleinen Kindern das Alphabet beizubringen,
0067Pegasus im Joche. Sein Kopf schwärmte von berückenden
0068süßen Melodien, welche gegen die Schulstube revoltirten. Es
0069litt ihn da nicht länger. Mit dem Entschluß, sich ganz der
0070Kunst zu widmen, beginnt der zweite Abschnitt von Schubert’s
0071kurzem Leben. Der Inhalt desselben: ein ununterbrochener
0072Strom musikalischen Schaffens.


0073Es war die Zeit der bescheidenen Liebhaberconcerte und
0074regelmäßigen Hausmusiken. Als eine der vorzüglichsten 
0075Stätten des Musikcultus in Wien galt die Wohnung des
0076Advocaten Dr. Ignaz v. Sonnleithner. Sohn eines
0077geachteten Rechtsgelehrten und Tonsetzers (Dr. Christoph
0078Sonnleithner) und Vater eines solchen (des Dr. Leopold
0079v. Sonnleithner) vereinigte auch Ignaz diese beiden Quali-
0080täten. Eine bedeutende Zahl von Dilettanten und Künstlern
0081fand sich (1815 bis 1824) bei Sonnleithner zu regelmäßigen
0082Musikproductionen ein. Hier wurden Schubert’s Lieder
0083und Vocalquartette zuerst einem größeren Kreise bekannt.
0084Unter den mitwirkenden Gästen Sonnleithner’s finden wir
0085die Namen Caroline Ungher, Jansa, Bocklet, Schuppanzigh,
0086Worzischek, Haizinger, Georg Hellmesberger u. A. Sie
0087Alle, wie die Familie Sonnleithner, sind in der Schubert-
0088Ausstellung durch gute Porträts repräsentirt. Um diese
0089Zeit versammelten auch Vater Schubert und seine
0090Söhne wöchentlich zweimal einige wenige Freunde zu
0091musikalischer Unterhaltung, zumeist im Quartettspiel. Die
0092bescheidene Schullehrerwohnung in Lichtenthal wurde bald
0093zu klein dafür. In das gastfreundliche Haus des Kaufmanns
0094Frischling, dann des Orchestergeigers Hatwig über-
0095tragen, erweiterte sich dieser Dilettantenkreis allmälig zu
0096einem kleinen Orchester, das im Jahre 1818 schon hin-
0097reichend eingespielt war, um leichtere Symphonien, sogar
0098die zwei ersten von Beethoven, vorzutragen. Eine Abbildung
0099des „Gundelhofs“, wo dieser Privat-Musikverein sich
0100versammelte, erinnert daran, daß Schubert für denselben
0101eine kleine Symphonie in B-dur, eine größere in C und
0102die schnell beliebt gewordene „Ouvertüre in italienischem
0103Styl“ componirt hat. Schubert, der nie verheiratet war,
0104genoß dafür den Segen eines geist- und gemüthvollen
0105Freundeskreises. Eine Anzahl begabter, lebensfrischer, junger
0106Dichter, Maler, Musiker schaarte sich in aufrichtiger Liebe
0107und Anhänglichkeit um Schubert. Die Poeten Mayrhofer,
0108Franz v. Schober, Bauernfeld regten ihn poetisch an,
0109sie lieferten ihm Stoffe und Verse für seinen unerschöpflichen
0110und unersättlichen Melodienstrom. Von Malern nehmen
0111insbesondere Moriz v. Schwind, Leopold Kupelwieser 
0112und J. Danhauser eine bevorzugte Stelle in Schubert’s
0113Leben ein. Jedem dieser drei Maler ist in der Schubert-[2]
0114Ausstellung ein eigener Saal gewidmet, wo wir ihre vor-
0115züglichsten Bilder vereinigt finden. Damit ist die Grenze
0116einer „Schubert-Ausstellung“ allerdings etwas weit ge-
0117zogen, denn die wenigsten dieser Gemälde haben einen Zu-
0118sammenhang mit Schubert’s Musik oder eine Beziehung auf
0119sein Leben. Diese Erweiterung ist trotzdem nicht zu be-
0120klagen, im Gegentheil danken wir ihr einen unerwartet
0121hohen Genuß. Insbesondere von den Schwind-Bildern
0122kann man sich nicht leicht trennen. Die künstlerische
0123Würdigung der Bilder selbst sei einer berufeneren Stimme
0124vorbehalten; diese Zeilen berühren nur, was in der
0125Ausstellung unmittelbar Schubert angeht, sein Leben
0126und seine Musik. Da fällt uns das Bild des Sängers
0127Michael Vogl in die Augen; der feingebildete, seelen-
0128volle Künstler, der zuerst den „Erlkönig“ (1821), später
0129auch andere Schubert’sche Lieder in den Concertsaal einge-
0130führt und damit Schubert über die ersten schwierigen An-
0131fänge erfolgreich hinübergeholfen hat. Der Liedercom-
0132ponist
 Schubert bietet der illustrirenden Kunst natürlich
0133das weiteste und dankbarste Feld. Wir erfreuen uns an den
0134ausgestellten reizenden Illustrationen Schubert’scher Lieder:
0135Die schöne Müllerin“, „Die junge Nonne“, „Erlkönig“
0136u. s. w. Dankbar begrüßen wir auch die Bildnisse der Poeten,
0137deren Gedichte Schubert in Musik gesetzt hat. Vor Allem
0138Goethe, von dem Schubert sechzig Gedichte in Musik
0139setzte. Schubert war nie so glücklich, den von ihm ver-
0140götterten Dichter persönlich kennen zu lernen, der übrigens,
0141an die älteren, für unsern Geschmack längst abgestorbenen
0142Singweisen eines Zelter, Reichard, Chr. Keyser gewöhnt,
0143für Schubert kein Verständniß zeigte. Neben Goethe er-
0144blicken wir die Schubert-Dichter: Klopstock, Schiller,
0145Hölty, Rückert, Pyrker, Claudius, Bauernfeld, Grill-
0146parzer, Th. Körner, Mayrhofer, W. Müller, Uhland,
0147Heine, Rellstab. — Auch einige Componisten, welche als
0148„Vorläufer Schubert’s“ im Liede bezeichnet sind, werden
0149uns durch gute Bildnisse in Erinnerung gebracht: Bern-
0150hard Klein, Ludwig Berger, Zumsteg, J. Fr.
0151Reichardt, Zelter, Naumann, Löwe, Conradin
0152Kreutzer. In größerer Anzahl von Porträts und Büsten
0153erscheinen Schubert und Beethoven. Schubert, 
0154der Beethoven abgöttisch verehrte, ist niemals in per-
0155sönliche Berührung mit ihm gekommen, obgleich er
0156nur wenige Straßen weiter zeitlebens dieselbe Stadt be-
0157wohnt hat.


0158Seiner Armuth lachend, besaß Schubert drei Schätze,
0159die ihn reich und glücklich machten: seine Kunst, seine
0160Freunde und die Liebe zur Natur. Wenn er in der Ferien-
0161zeit die herrlichen Thäler Oberösterreichs und Salzburgs
0162durchwanderte — weiter ist er nicht gekommen — so fühlte
0163er sich „frei wie ein Gott und aller Noth entladen“. An
0164diese Ausflüge und längeren Sommeraufenthalte bei Freun-
0165den und in Klöstern erinnern uns die hübschen Landschafts-
0166bilder: Atzenbruck, Ochsenburg und Stadt Steyr. Ferner
0167ein dickes altes Fremdenbuch aus Gastein, in welchem unter
0168einander eingeschrieben stehen: Franz Schubert, Hof-
0169opernsänger Vogl und der Dichter Ladislaus Pyrker.
0170Natürlich fehlt unter den Landschaftsbildern nicht Schloß
0171Zelecz in Ungarn, wo Schubert als Clavierlehrer der
0172Comtesse Esterhazy längere Zeit verweilte, ein bischen in
0173seine jüngere Schülerin verliebt war und das reizende
0174Ungarische Divertissement“ componirte.


0175Wir haben unsere Umschau bei dem Geburtshaus
0176Schubert’s begonnen; das Haus in der Kettenbrückengasse
0177Nr. 6 mit der Gedenktafel: „In diesem Hause starb Franz
0178Schubert am 19. November 1828“ schließt den Ring. Der
0179streng biographische Theil der Ausstellung ist damit zu Ende,
0180aber nicht diese selbst. Nach Schubert’s Tod sollten ja seine
0181Werke erst recht zum Leben erwachen. Wir sehen diese Werke,
0182die Schubert’s unerschöpfliche Phantasie in so kurzer Zeit
0183geschaffen, theils in zahlreichen Manuscripten, theils in den
0184stattlichen Bänden der monumentalen Breitkopf’schen Ge-
0185sammt-Ausgabe vor uns ausgebreitet. Die Manuscripte
0186(größtentheils Eigenthum N. Dumba’s) zeigen eine kleine,
0187saubere Notenschrift, fast ohne jegliche Correctur, an die
0188Handschrift Mozart’s, auch Mendelssohn’s erinnernd —
0189das gerade Gegenbild zu Beethoven’s wilden, gewaltsamen
0190Schriftzügen. Schubert’s volle Bedeutung ist erst nach seinem
0191Tode erkannt worden. Wie wenig das alte Wien bemüht
0192war, Schubert’s Werke aufzuführen und zu verlegen, das
0193ist ein trauriges Capitel, ja eine Reihe von traurigen 
0194Capiteln, die wir in der festlichen und versöhnlichen Stim-
0195mung der heutigen Feier nicht neuerdings aufblättern wollen.
0196Die Unterlassungssünden von Schubert’s Zeitgenossen können
0197weder geleugnet noch beschönigt werden; immerhin dürfen
0198wir an zwei mildernde Umstände erinnern. Fürs Erste war
0199die Zeit von Schubert’s öffentlichem Wirken außerordentlich
0200kurz; sie betrug von dem Erscheinen seines ersten Werkes (1821)
0201bis zu seinem Tode (1828) nicht mehr als sieben Jahre. Der
0202junge Componist war eben auf dem Wege, in Wien das große
0203Publicum für sich zu gewinnen, nachdem er so viele Fami-
0204lienkreise für sich gewonnen und erfreut hatte — da raffte
0205ihn in der ersten Blüthe des Mannesalters der Tod hin-
0206weg. Ferner hat Schubert gerade mit einer Kunstgattung
0207begonnen und in ihr sein Schönstes geleistet, welche damals
0208noch nicht in das öffentliche Concertleben aufgenommen
0209war: dem Liede. Im Concertsaal herrschte noch unbe-
0210stritten die Arie, und zwar die italienische. Das Lied und
0211das Vocalquartett (ebenso das Streichquartett) durchbrachen
0212nur sehr langsam die Schranken häuslicher Musikpflege.
0213Schubert’s Lieder und Vocalquartette gehören jedenfalls
0214zu den ersten, welche überhaupt öffentlich 
0215(und zwar wiederholt mit großem Beifall) in Wien ge-
0216sungen wurden. Das Verdienst, seine Instrumental-Com-
0217positionen und größeren Chorwerke ans Licht gezogen und
0218zu bleibender Wirkung befestigt zu haben, gebührt einer
0219Reihe von Männern, in deren Bildnissen wir größtentheils
0220schon Bekannte begrüßen. Allen voraus Robert Schu-
0221mann
, der während seines Wiener ersten Aufenthaltes
0222gleich Schubert’s Bruder Ferdinand aufsuchte. Er schreibt dar-
0223über am 6. Januar 1839 an Breitkopf & Härtel in Leipzig:
0224„Ich war vor einigen Tagen bei dem Bruder von Franz
0225Schubert und sah mit Verwunderung die Schätze, die in
0226seinem Verwahr sind. Es sind einige Opern, vier große
0227Messen, vier bis fünf Symphonien und vieles Andere. Auf
0228mein Befragen, ob er (der Bruder) noch Niemandem davon
0229zum Verlag angeboten hätte, antwortete er verneinend, „die
0230Wiener Verleger hätten ohnedem noch viel aus seines Bru-
0231ders Nachlaß zu drucken“. Namentlich erlaube ich mir, Sie
0232auf die höchst merkwürdigen Messen und Symphonien auf-
0233merksam zu machen. ... Am Honorar würden Sie be[3]-
0234scheidene Forderungen antreffen. Ganz auf Honorar ver-
0235zichten könne aber Schubert’s Bruder nicht, da er gänzlich
0236unbemittelt, Vater von acht Kindern und der Nachlaß seine
0237ganze Habe ist.“ Durch Schumann’s Vermittlung verkaufte
0238Ferdinand Schubert die große C-dur-Symphonie an Breit-
0239kopf um 180 Gulden. Mehr wollte dieser vornehmste
0240deutsche Verleger durchaus nicht geben! Von Schumann ent-
0241deckt, von Mendelssohn dirigirt, erlebte die C-dur-Sym-
0242phonie ihre erste vollständige Aufführung im Leipziger
0243Gewandhausconcert am 22. März 1839. Die Reihe der
0244Wiener Musiker, welche seit dem Jahre 1850 sich
0245um Schubert hoch verdient gemacht, eröffnet Joseph Hell-
0246mesberger
. Er hat als blutjunger Director der
0247Gesellschaftsconcerte uns die erste vollständige Aufführung
0248von Schubert’s großer C-dur-Symphonie bescheert (1850)
0249und in seinen Quartettsoiréen vor Allem Schubert’sche
0250Compositionen gepflegt. Sein Vortrag des D-moll-Quartetts
0251bleibt uns unvergeßlich. Neben Hellmesberger’s Porträt
0252hängt das Johann Herbeck’s, des unermüdlichen und
0253einflußreichsten Schubert-Apostels, dem wir die Entdeckung
0254der Lazarus-Cantate, des „Häuslichen Kriegs“, des „Fiera-
0255bras“ und zahlreicher Schubert’scher Chöre und Instru-
0256mentalwerke (H-moll-Symphonie!) verdanken. Otto Dessoff 
0257hat im Hofoperntheater die ersten Aufführungen des „Häus-
0258lichen Kriegs“ und der Oper „Alfonso und Estrella“ dirigirt.
0259Wir wenden uns nun von den Dirigenten zu den Schrift-
0260stellern: Heinrich v. Kreißle, dem wir die erste quellen-
0261mäßige Schubert-Biographie, Gustav Nottebohm, dem wir
0262den Thematischen Katalog verdanken, ihnen zur Seite Georges
0263Grove, A. Reißmann, Max Friedländer. Es
0264folgen die Bildnisse der berühmten Schubert-Sänger: Frei-
0265herr v. Schönstein, General Haizinger, Julius Stock-
0266hausen
, Gustav Walter, Alois Ander, Olsch-
0267baur
, Helene Magnus u. A. Ein großes Gesammt-
0268bild vereinigt die Köpfe der Männer, von welchen die
0269kürzlich vollendete große Gesammt-Ausgabe Schubert’s an-
0270geregt oder ausgeführt worden ist. In den letzten Jahren
0271war es besonders Eusebius Mandyczewski, welcher
0272um die Redaction und Drucklegung der Schubert-Manuscripte
0273sich das größte Verdienst erworben hat.


0274Fünfundzwanzig Jahre vor der Vollendung dieses musi-
0275kalischen Monuments, der Gesammt-Ausgabe, haben die
0276Wiener ihrem Schubert ein plastisches Denkmal im Stadt-
0277park gesetzt. Während das Project eines Denkmals für
0278Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven sich seit Decennien
0279herumzog, faßte der Wiener Männergesang-Ver-
0280ein
den rühmlichen Entschluß, ein Schubert-Monument
0281ohne Säumen und auf eigene Faust auszuführen. Bekannt-
0282lich sind die Kosten dieses von Kundmann so herrlich
0283gestalteten Denkmals — einige freiwillige Privatbeiträge
0284abgerechnet — aus den Concert-Erträgnissen des Vereines
0285bestritten worden. „Schubert’s Lieder haben Stein auf
0286Stein gefügt zu diesem Monumente,“ sagte Nikolaus
0287Dumba in seiner Festrede am 15. Mai 1872. Wir
0288Alle wissen, daß ohne Dumba’s Anregung und sehr
0289ausgiebige materielle Hilfe weder das Denkmal
0290noch die Gesammt-Ausgabe so bald ans Licht ge-
0291treten wären. Schade nur, daß der excellenteste
0292Schubert-Sänger gemeiniglich zu singen aufhört, wenn er
0293Excellenz wird. Es war ein sinniger Gedanke, Dumba’s
0294Porträt neben jenes von Kundmann zu hängen — zwei
0295sympathische Künstlerköpfe, die sich in dem schöpferischen Ge-
0296danken eines Schubert-Denkmals begegnen und vereinigen.
0297Ein einziges Porträt, das noch in diesen Saal gehören
0298würde, hat Herr Director Karl Glossy auszuhängen unter-
0299lassen: sein eigenes. Nur seine außerordentliche Kenntniß
0300des gesammten österreichischen Kunst- und Literaturlebens,
0301verbunden mit einer ebenso außerordentlichen Arbeitskraft
0302und Hingebung, vermochten die schwierige und mühsame Auf-
0303gabe einer umfassenden Schubert-Ausstellung so glänzend zu
0304lösen. Welche Mühsal, diese unzähligen, meist vergessenen
0305oder versteckten Gegenstände zu erforschen und aus allen
0306Winkeln Deutschlands und Oesterreichs nach Wien zu bringen!
0307Der an 3000 Nummern zählende Katalog mit seinen lehr-
0308reichen historischen Notizen und vorzüglichen Abbildungen
0309hat einen weit über die Gelegenheit hinausreichenden, bleiben-
0310den Werth. Man wird nicht müde werden, die Schubert-
0311Ausstellung zu besuchen, genießend und lernend. Wir schauen
0312da durch ein einziges reiches Kunstleben leibhaftig in ein
0313großes Stück österreichischer Culturgeschichte.