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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 13085. Wien, Sonntag, den 27. Januar 1901

Concerte.

(Gesellschaftsconcert. — Musikaufführung von Richard Strauß.)

Ed. H. Herr Director Löwe credenzte im zweiten Gesellschaftsconcert durchwegs moderne Musik: Bruckner , Hugo Wolf , Brahms , Berlioz . Großmüthig, wie der Löwe  von Natur geartet und mitunter auch gelaunt ist, ließ er die riesigen Symphonien Bruckner ’s unangetastet und begnügte sich mit einem kleineren Werke seines erklärten Lieblings, dem „150. Psalm “ für Chor und Orchester. Keine von Bruckner ’s bedeutendsten Compositionen, aber durch ihren mäßigen Umfang eine der angenehmsten. Bruckner ’s Muse, die Ekstase, fühlt sich in diesem für festliche Gelegenheit bestimmten Hallelujah-Chor so recht zu Hause. Das Stück nimmt einen glänzenden Anlauf mit dem majestätischen Unisono in C-dur. Auch die nächste Ausweichung nach As mit ihren mysteriösen Accordfolgen im Palestrina styl klingt schön und würdig. Lange jedoch vermag Bruckner nicht im Gleichgewichte zu bleiben. Er geräth in ein vages, nervöses Moduliren und theilt das Schicksal mancher Schriftsteller, die immer in Superlativen sprechen. Die Stelle „Lobet ihn mit Posaunen“ über dem Orgelpunkt auf G ergeht sich, entgegen dem freudigen Jubel des Textes, in so leidenschaftlich tragischer Aufregung, daß man ohneweiters die Worte „Dies irae“ unterlegen könnte. Widerhaarige chromatische Gänge und unbarmherziges Hinauftreiben der Singstimmen in die höchste Lage setzen den Chor obendrein auf die gefährlichste Probe. Unser „Singverein“ hat sie glänzend bestanden. Auf Bruckner folgte Hugo Wolf mit zwei bereits bekannten Chören „Elfenlied “ und „Der Feuerreiter “. Beide Stücke gehören jener schildernden Gattung an, welche dem Talent dieses Componisten am willigsten entgegenkommt. Die gut declamirte und meistens stimmgemäß gesetzte Chorpartie bewegt sich über einem blendenden, raffinirt effectvollen Orchester. Im Elfenlied “ sind die subtilsten Künste, im „Feuerreiter “ die grellsten der modernen Instrumentirungskunst mit Erfolg aufgeboten. Der lebhafte Beifall der Hörerschaft findet leider kein Echo mehr in der Krankenstube des seit Jahren von der Außenwelt hoffnungslos abgesperrten Componisten. ... Herr Concertmeister Prill spielte das Violinconcert  von Brahms mit kräftigem Ton und virtuoser Technik, leider nur etwas behäbig; zu gelassen im Ausdruck und zu gelassen im Zeitmaß. Das Stück verlangt ein lebhafteres Temperament und zugleich zarter anschmiegendes Empfinden. Von Meister Joachim  abgesehen, hat eigentlich kein Virtuose uns dieses Concert so sehr zu Dank vorgetragen wie Frau Soldat-Röger. Sie hat auch jüngst mit ihren wackeren Genossinnen Mozart ’s D-moll-Quartett so entzückend gespielt, daß man es am liebsten gleich noch einmal gehört hätte. ... Zum Schlusse überraschte uns das Gesellschaftsconcert mit einer bejahrten Novität aus dem Jahre 1838: dem zweiten Finale von Berlioz’ Oper „Benvenuto Cellini “. Von diesem Stück hatten sich die Zuhörer offenbar das Meiste versprochen; thatsächlich wirkte es am schwächsten. Für jeden mit Berlioz ’ Oper Vertrauten war das vorauszusehen. Die Scene schildert das ausgelassene Faschingstreiben in Rom ; ein Hin- und Herrennen, Flüchten, Schwatzen der Masken. Ohne die Bühne, ohne das bunte Costüm und die lebendigste Action verblaßt das Bild bis zur Unkenntlichkeit. Herausgerissen aus dem dramatischen Zusammenhang, von schwarzbefrackten steifen Herren aus dem Notenblatt abgelesen, bleibt dieses Opernfinale wirkungslos, bis zur Abgeschmacktheit unverständlich. Was an selbstständig lebensfähigem musikalischen Kern in diesem Faschingstreiben steckt, das hat Berlioz mit eigener kundiger Hand herausgeschält und zu seiner allbekannten köstlichen Concert-Ouvertüre „Le carnaval romain“ umgestaltet.

Drei Tage später gab Herr Hofcapellmeister Richard Strauß eine große Musikaufführung, für welche er eigens das starke München er „Kaim-Orchester“ mitgebracht hatte. Der große Musikvereinssaal war gut besetzt von einer äußerst aufmerksamen, mit Beifall und Lorbeerkränzen nicht sparsamen Hörerschaft. Unser Publicum kennt ja bereits fast sämmtliche symphonischen Dichtungen von Strauß : „Tod und Verklärung “, „Eulenspiegel “, „Don Juan “, „Zarathustra “, „Aus Italien “. Es hat allen Werken dieses so glänzenden und selbstständigen Talentes mit großem Interesse und mehr oder weniger Vergnügen gelauscht. ... Nun durfte man des Meisters selbst ansichtig werden. Ein sehr hübscher, schlanker junger Mann von bescheidenem Auftreten und ruhigen, liebenswürdigen Formen — also so ziemlich das Widerspiel seiner Compositionen. „Eulenspiegel “, das Eröffnungsstück des Concertes, ist bekanntlich äußerste Programm-Musik; wer nicht unausgesetzt im „Führer“ nachliest, hat keine Ahnung, was das Alles vorstellen soll. Zum Glück ist „Eulenspiegel “ von mäßiger Ausdehnung und nicht ohne gefällige melodiöse Augenblicke. Anders die hier noch nicht gehörte Tondichtung „Ein Heldenleben “. Auf diese Novität waren wir besonders gespannt, und im günstigsten Sinne. Hieß es doch in zahlreichen Kritiken, Strauß habe darin eine neue Bahn eingeschlagen oder doch eine neue Wendung vollzogen, indem er diesmal keine Programm-Musik geschrieben, sondern auf den Titel „Heldenleben “ sich beschränkt habe. Einigermaßen erschüttert wurde dieser Glaube durch gewisse Broschüren, die hier vor dem Concert emsig verkauft und vertheilt wurden zur „Erläuterung“ der neuen Heldensymphonie . Da erscheint zuerst Herr Gustav Brecher, wie wir hören, ein Schüler von R. Strauß und selber Autor einer „socialen Symphonie“, mit einem Lob- und Preisbüchlein . Dasselbe ist in einem wahren Begeisterungstaumel geschrieben und verkündet, daß „Strauß ’ musikalisch-architektonische Kunst bereits in der zweiten seiner sechs Schaffensperioden den überhaupt denkbaren Gipfel der Vollkommenheit erreicht hat“. Von der „Zarathustra “-Symphonie heißt es, „daß sie an und für sich zu einer Klimax symphonischer Kunst geworden ist, deren ganze Tragweite und historische Bedeutung von uns Nahestehenden noch gar nicht ermessen werden kann“. Kein Wunder, daß nach solchen Bewunderungskrämpfen Herrn Brecher der Athem ausgeht vor der sechsten Schaffensperiode und er sich nur mühsam noch zu der Offenbarung aufrafft: „Eine weitere Möglichkeit des Ausbaues der symphonischen Dichtung über das „Heldenleben “ hinaus erscheint kaum denkbar.“ Herr Brecher ist überzeugt, daß R. Strauß „die Tonkunst in dieser Entwicklungslinie auf ihre allerletzte, höchste Stufe geführt hat“. Dürfen wir diesen Schwulst in unser geliebtes Deutsch übersetzen, so sagen wir zustimmend: Gewiß, so kann es nicht mehr weitergehen. ... Das zweite Büchlein, eine „Erläuterungsschrift zum Heldenleben “ von Friedrich Rösch , vertritt ganz offen die Stelle eines Concertprogramms mit Notenbeispielen. Es liefert zu jeder der sechs Abtheilungen der Symphonie in Versen und in Prosa Erläuterungen, welche über die „Bedeutung“ sämmtlicher Motive und den „Inhalt“ jedes Satzes uns ganz ungeahnte Dinge offenbaren. Beide genaue Gebrauchsanweisungen sind zwar nicht vom Componisten verfaßt, doch ohne Frage unter seinem Einflusse; wäre doch kein Musiker im Stande, von selbst, ohne jeden autoritativen Wink, alle die Geheimnisse zu errathen, welche diese Musik allein uns ja nimmermehr zu enthüllen vermag. Nach Herrn Rösch ’ Versicherung ist die Ueberschrift „Ein Heldenleben “ für sich allein schon ein deutlich sprechendes Programm. Also wozu die 39 Seiten „Erläuterungsschrift “? Damit wir erfahren, daß der Schluß des mit dem Septimen-Accord jäh abbrechenden ersten Satzes („Der Held“) „die an eine ganze Welt gerichtete Riesenfrage bedeute: Wessen hat sich jeder kühne Held und Vorkämpfer seitens seiner Mitwelt zunächst zu versehen?“ Darauf antwortet „mit ungeheuer realistischer, schonungsloser Schärfe“ der nächste Satz (des Helden Widersacher): „Giftiger Neid, kleinliche Bosheit und stumpfer Unverstand.“ Das sind schlimme Artikel, für welche sich der Held durch eine noch zehnmal schlimmere, wahrhaft scheußliche Musik rächt. Tröstend naht hierauf „des Helden Gefährtin“ in Gestalt eines unerträglich langen, formlos schweifenden Violin-Solos. Wir hören dann einen aus der Ferne hereinschmetternden Trompetenruf, das Signal zur Schlacht und zu einem barbarischen Klanggetümmel, wie ähnlich Grausames noch nie erlebt worden ist. Die Interpretations-Schleppträger bewundern den „unerhörten Ingrimm dieses in der Geschichte des musikalischen Naturalismus einzig dastehenden Tongemäldes“. Nach dem Gemetzel dieser „Wahlstatt“ hat unser Held allen Grund, sich auszuruhen und sich seiner „Friedenswerke“ zu rühmen. In diesem Satz interessiren uns zumeist die musikalischen Citate aus Strauß ’ früheren Werken („Don Juan “, „Tod und Verklärung “, „Zarathustra “ u. s. w.), zierliche Monumente, welche der Autor sich selbst auf eigenem Grund und Boden setzt. Als Motto empfiehlt sich Goethe ’s Spruch: „Nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der That.“ Das letzte Capitel schildert endlich „Des Helden Weltflucht und Vollendung“. Wir gratuliren dem Helden zu seiner Vollendung und auch uns, verwundert, daß wir noch am Leben sind.

Die kurzen Aufschriften („Des Helden Widersacher“, „Des Helden Gefährtin“ u. s. w.), die wenigstens als kümmerliche Rettungsplanken uns in diesem musikalischen Seesturm dienen, verdanken wir den Auslegern. In Strauß ’ Partitur findet sich kein einziges dieser Schlagworte. Der Componist des „Eulenspiegel “ und „Don Juan “ setzt offenbar einen Stolz darein, diesmal ohne jeden poetischen Fingerzeig seine Musik ganz allein für sich wirken zu lassen. Ob er daran wohlgethan? Ob eine Composition dieser Gattung, welche weder durch klare, übersichtliche Form noch durch selbstständige musikalische Schönheit fesselt, des schrittweise erklärenden Programms entbehren kann? Wo dieses fehlt, da fühlt der Zuhörer sich rathlos hin und her geschleudert und von einem Unbehagen erfaßt, das schließlich in peinliche Langweile übergeht. Diese Wirkung übte denn auch das „Heldenlied “ trotz seiner glanzvollen Orchestrirung und mancher genialen, kühnen oder zarten Gedanken, welche nur allzu schnell von des Tondichters grausamer Hand erdrosselt werden. Ueber Richard Strauß ’ frühere Werke ist in diesem Blatt so oft und ausführlich geschrieben, daß wir lästiges Wiederholen heute am besten vermeiden. Eine entscheidende neue Wendung in Strauß ’ Stylprincip und Methode hat uns sein Heldenleben “ nicht geoffenbart. Es ist complicirteste Programm-Musik mit verschwiegenem Programm, und darum nur unverständlicher als die früheren. Strauß ’ Anhänger vindiciren ihm, wie wir gesehen, die musikalische Weltherrschaft. Es ist sehr mißlich, in Kunstfragen zu prophezeien. Das lehrreiche Beispiel der Veristen, Naturalisten, Impressionisten, Symbolisten sollte uns Vorsicht lehren. Möglich, daß Richard Strauß während der nächsten fünf Jahre Europa beherrscht — aber auch, daß nach fünfzehn Jahren kein Mensch mehr nach seinem Heldenleben fragt.

Wie ein freundlicher warmer Sonnenstrahl erglänzte über diesem Schlachtfeld der Gesang von Frau Strauß de Ahna, der anmuthigen Gattin Richard ’s. Wir hörten von ihr sieben Strauß ’sche Lieder, wovon drei mit Orchester. Dieselben fesseln nicht blos durch geistreiche Auffassung, überraschend feine Züge (Qualitäten, die sich bei Strauß  von selbst verstehen), sondern größtentheils auch durch unmittelbaren musikalischen Reiz und eine bei aller Freiheit übersichtliche Form. Neben einigen dieser Melodien, die sich nur sinnend über den Boden der Declamation hinziehen, auch echte vollblütige Lieder, wie das „Wiegenlied “, „Traum durch die Dämmerung “, „Obdach “. Wie labte uns Frau de Ahna’s meisterhaft geschulte, weiche, süße Sopranstimme! Von Richard Strauß unvergleichlich schön begleitet, fanden die Vorträge seiner Frau enthusiastischen Beifall. Wir dürfen sie wol seine schönere Hälfte nennen.