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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 78. Wien, Donnerstag den 17. November 1864

Concerte.

Ed. H. In dem ersten „Philharmonischen Concert“ lernten wir ein neues Werk von Schumann kennen: die Ouvertüre zu Schiller’s „Braut von Messina“. Capellmeister Dessoff, der uns im vorigen Jahre mit Schumann’s „Julius-Cäsar-Ouvertüre“ bekannt gemacht, verdient für dies Seitenstück den gleichen Dank. Die Kritik soll diesen Dank um so nachdrücklicher aussprechen, als eine enthusiastische Aufnahme weder des einen noch des andern Werkes irgendwo zu erwarten steht. Gegen das Interesse, allmälig eine vollständige Kenntniß aller Orchester-Compositionen Schumann’s zu erlangen, neue Seiten seines Wesens, neue Marksteine seiner Entwicklung kennen zu lernen, kommt der größere oder geringere Beifall, den solche Novitäten bei der ersten Aufführung finden, in gar keinen Betracht. Schumann ist eine Individualität, welche es verdient, vollständig gekannt zu sein. Wir sind weit entfernt, Schumann’s dritte Periode mit der Beethoven’s zu vergleichen; wissen wir doch zu wohl, daß des Letzteren Spätwerke düsterer, herber, schwerfaßlicher, aber nicht schwächer geworden, daß Beethoven darin ein Anderer, aber kein Geringerer ist, als er zuvor gewesen. Dies läßt von Schumann sich kaum behaupten.

Nur erinnern möge man sich beiläufig, welche muthige Ausdauer anfangs dazu gehörte, das Publicum mit dem vollständigen Beethoven bekannt zu machen, und daß man zur Liebe und Bewunderung seiner letzten Periode mitunter rein auf dem Wege der Neugier gelangt ist. Die Ouvertüre zur „Braut von Messina“ trägt die verhängnißvolle Opuszahl 100 und stammt bereits aus der Düsseldorfer Zeit des Componisten. Ihr düsteres Wogen und Drängen mahnt auffallend an die — allerdings bedeutendere — „Manfred- Ouvertüre“. Wie diese, so ist auch die Musik zur „Braut“ ein Nachtstück, das nur einmal flüchtig erhellt wird durch den schmerzlich innigen Gesang der Clarinette in As-dur. Diese Farbe, dies unbeschreiblich süße, wunde Hellroth ist nur Schumann eigen. Mit „Julius Cäsar“ verglichen, gewinnt die Ouvertüre zur „Braut“ durch größere Wärme und bedeutendere Motive. Der Punkt, wo die Ouvertüre mit dem Inhalt ihres Dramas zusammenhängt, ist hier noch weit schwerer aufzufinden, als dort. Nur ganz allgemein dürfte die unerbittliche Erfüllung eines von Anfang tragisch angelegten Geschickes als die herübergenommene Grundidee erkannt werden. Gegen die bewegte, in äußeren Handlungen und Ereignissen so realistisch sich entwickelnde Tragik der „Braut von Messina“ hebt sich die Ouvertüre etwas Hamletisch, psychologisirend, oder kürzer gesagt, Schumannisch ab. Sie wurde sehr tüchtig ausgeführt und schien die aufmerksame Hörerschaft lebhaft und anhaltend zu interessiren.

Eine zweite Tondichtung aus Schumann’s späterer Zeit und von unleugbar enger Verwandtschaft mit der Ouvertüre führte uns Ferdinand Laub in seiner ersten Quartett-Soirée vor: die D-moll- Sonate für Violine und Clavier, op. 121. Obgleich Laub den äußerst schwierigen Violinpart mit hinreißender Energie vortrug und ihm einen leidenschaftlicheren Charakter aufprägte, als vor einigen Jahren Hellmesberger — die Composition hat uns einen befriedigenden, ungemischten Eindruck so wenig hinterlassen, als damals. Der einheitliche Charakter, das stürmische Pathos im ersten und letzten Satze überträgt die festgehaltene Grundstimmung allerdings mit großer Sicherheit auf den Hörer, dieser fühlt sich aber wie durch lauter Novembernebel gejagt, die Beute einer quälenden, gegenstandslosen Verzweiflung. Die beiden innern Sätze, welche diese drückende Saharaluft durch melodiöse Themen und glänzende Klangeffecte mildern, lassen uns wieder die Innigkeit vermissen, mit der sich Schumann sonst in seine Töne hineinlebt, — die selige Tiefe, aus der seine frühere Musik hervorquillt. Eine äußere, fieberhafte Leidenschaftlichkeit soll sie ersetzen. In dem in breitesten Verhältnissen angelegten ersten Satze wird das Hauptmotiv mit peinlicher Zähigkeit festgehalten; die Durchführung macht mehr den Eindruck äußerlichen Fortsetzens, als spontan aus dem Hauptgedanken quellenden Lebens. Ueberdies kommt man aus dem düstern D-moll gar nicht ans Tageslicht heraus. Ebensowenig vermag sich das Scherzo mit seinem kleinen Thema und einförmigen Rhythmus aus dem H-moll zu befreien. Anmuthig und effectvoll ausgestattet ist das ständchenartige Andante; die alte Herzlichkeit Schumann’s fehlt dennoch. Das Finale treibt die leidenschaftliche Bewegtheit beinahe bis zum Theatersturm *) und hält die auf- und niederwogende Sechzehntelfigur zur Ermüdung fest. Das technische Interesse, der virtuose Glanz und einzelne Silberblicke der Melodie können uns nur stellenweise und vorübergehend aus dem Gefühl der Unbefriedigung erretten.

Herr Brahms, vom Publicum auf das herzlichste begrüßt, spielte den Clavierpart der Sonate in der ihm eigenen edlen, aber etwas bequemen Weise; offenbar hinderte ihn auch der auffallend matte Ton des Pianos an kräftigerem Heraustreten.

Herrn Laub’s vorjährige Partner, der tüchtige Secundarius Käßmayer und der feinfühlende, wenn auch nicht kräftige Cellist Schlesinger, sind auch diesmal an ihren Pulten geblieben, während die Bratsche in die Hände eines jungen, vielversprechenden Musikers, Herrn Hilpert, gelangt ist.

Laub’s erste Soirée erfreute sich zahlreichen Besuches und lebhaftesten Beifalls. Ein Gleiches gilt selbstverständlich von der ersten Quartett-Production Hellmesberger’s mit den Herren Durst, Dobyhal und Röver. Genießt doch Hellmesberger ein älteres Anrecht an die Sympathien der Wiener Gesellschaft, und daß diese sich hierin nicht geändert, bewies der gedrängt volle Saal der ersten Production, obgleich derselben nur um wenige Stunden der anstrengende „Judas Maccabäus“ vorangegangen war. So gedeihen denn beide Quartett-Unternehmungen im schönsten Frieden nebeneinander. Wir haben in früheren Berichten manchen für das eine und das andere Unternehmen charakteristischen Zug hervorgehoben, ihren absoluten Werth gegen einander zu wägen, ist ohne unvermeidliche, absichtslose Unbilligkeit sehr schwer. Unsere individuelle Vorliebe neigt sich im Quartettspiel auf die Seite Hellmesberger’s. Laub ist der brillantere Virtuos, einer der kühnsten, die wir überhaupt kennen; in dieser Eigenschaft, wie er sie jüngst wieder in der Leopoldstags- Akademie bewährte, befriedigt er uns am vollständigsten. Auch ist er, so glauben wir, ein ebenso gebildeter Musiker wie Hellmesberger. Aber den letzteren halten wir für die musikalischere Natur. Sein Spiel hat mehr Empfindung, die Empfindung mehr Feinheit und ein wechselvolleres inneres Leben. Namentlich Mendelssohn’sche und Mozart’sche Stücke (wie z. B. das G-moll-Quintett) klingen uns unter Hellmesberger’s Bogen sinniger, zarter, geistreicher. Wo Kraft und kühne Bravour den Ausschlag geben, wird ihn Laub übertreffen, also mitunter auch in der Kammermusik. Der Boden, auf welchem jedoch diese Eigenschaften am üppigsten gedeihen, wo Laub’s Kunst am hellsten glänzt, ist nicht das Quartett, sondern das eigentliche Concertspiel.

Die Gesellschafts-Concerte begannen Sonntags mit Händel’s Oratorium „Judas Maccabäus.“ Es ist dasselbe Werk, womit vor 6 Jahren der neugegründete „Singverein“ unter Herbeck’s Leitung zum erstenmal selbstständig in die Oeffentlichkeit trat. Die damalige Production brachte es zu keinem durchgreifenden Erfolg, und die jetzige hatte in diesem Punkt kein viel besseres Schicksal. Manche Verhältnisse haben sich seither allerdings sehr gebessert. Die Chorsänger, damals noch wenig eingesungen und so großen Aufgaben nicht völlig gewachsen, haben außerordentliche Fortschritte gemacht und erzielten in den Glanzpunkten des Oratoriums mächtige Wirkung. Was sich jedoch gleichgeblieben war, ist die mangelhafte Besetzung der Solostimmen und manches Bedenken, das in dem Werke selbst wurzelt. Bekannt ist, daß die Arien und Duette Händel’s schwächere Seite bilden, durch ihren starren Typus und theilweise veralteten Formalismus sich beim Publicum schwerer durchsetzen, als die Chöre. Ebendeshalb bedürfen sie von Seite des Vortrags eine ergiebigere Nachhilfe, sie verlangen trefflich geschulte Sänger. Von den drei Damen war Frau Wilt ihrer Aufgabe am besten gewachsen. Der starke, klangvolle Sopran und die musikalische Festigkeit dieser Künstlerin waren hier wie überall von wohlthuender Wirkung; der eigenthümlich leblose, wenig nuancirte Vortrag jedoch ließ kalt. Man kann nicht sagen, daß Frau Wilt ausdruckslos singt, aber ihr Ausdruck ist wie verschleiert und gebunden. Sie erinnert in diesem Punkt oft an einen, in seiner Art sehr schätzbaren Sänger, an Erl. Der zweite Sopran und die Altpartie, weniger umfangreiche, aber höchst wichtige und delicate Aufgaben, waren mit zwei Anfängerinnen besetzt. Die Sopranistin (ihren Namen nennen wir lieber bei einer künftigen Gelegenheit, wann es ihr mehr Freude machen wird) erwies sich schon durch ihr junges, unentwickeltes Stimmchen für Händel’sche Oratorienmusik ganz ungeeignet. Unreif, von kindlich scharfer Höhe, wird dies Organ ohne Zweifel noch wachsen, auch an Empfindung scheint es der Sängerin nicht zu fehlen, so daß wir von ihrer Zukunft weit mehr Günstiges als Verfehltes erwarten. In dem gegenwärtigen Stadium ihrer Stimme und Ausbildung hätte aber das junge Mädchen von einer solchen Aufgabe sollen ferngehalten werden. Es war derselben auch so unsicher, daß es in dem ersten Duett mit Frau Wilt vollständig herauskam und anhaltende Confusion verursachte. Noch weniger war die zweite Anfängerin ihrem Part gewachsen. Ihre kräftige, entwicklungsfähige Altstimme klingt in Folge fehlerhafter Tonbildung verschwollen und gedrückt, die Aussprache ist unverständlich, die technische Ausbildung nicht viel über Null. Auf welcher Tonstufe die Triller gemeint waren, womit die beiden Mädchen uns erfreuten, vermochte nach dem Gehör wol Niemand zu bestimmen. — Herr Panzer sang seinen Part mit gewohnter Correctheit, soweit die hohe Lage ihn nicht genirte. Die reichcolorirte Tenorpartie wurde von Herrn Walter lobenswerth bewältigt; doch besaß weder seine Stimme an dem Tage die gewohnte Frische, noch schien er von dem Inhalt seiner Aufgabe sehr erwärmt. Letzteres ist gerade nicht unbegreiflich, das Auditorium schien in Bezug auf das ganze Werk in ähnlicher Weise disponirt, und solche Stimmung theilt sich hinüber und herüber ebenso schnell mit, als im entgegengesetzten Fall Befriedigung und Wärme.

Die Vorzüge des „Judas Maccabäus“ zu preisen und seine zahlreichen Musterbilder bewunderungswürdiger Größe und Erhabenheit, dessen bedarf es wol nicht mehr. Prachtstücke wie „Fall war sein Los“, wie die Alt-Arie mit Chor und Vieles im dritten Theil werden ihre mächtige Wirkung nie und nirgends verfehlen. Als Ganzes wirkt dies Oratorium trotzdem nicht so erregend und fesselnd, wie die dramatischer gestalteten: „Samson“, „Belsazar“ etc. In „Judas Maccabäus“ tritt der Held hinter das allgemeine Pathos der Freiheit (politischer wie religiöser), das sich der Massen bemächtigt hat, allzusehr zurück. Die einzelnen Ereignisse und Personen gehen in dieser Allgemeinheit völlig verloren. Dadurch bekommt der ganze Text etwas eigenthümlich Abstractes, Unpersönliches — ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, daß Mathatias und Judas, der todte und der lebende Held des Oratoriums, in unserm Bewußtsein nicht so individuell feststehen, uns nicht so vertraut sind, wie Samson, Moses oder Belsazar, der Gestalten des neuen Bundes gar nicht zu gedenken. Thatsache ist das geringere Interesse, das die Handlung dieses Oratoriums einflößt, und die unausbleibliche Monotonie mancher Partien, welche den Hörer im Verlauf ermüdet. Wir können es daher vom Standpunkt einer wahrhaften, praktischen Pietät (im Gegensatz zur eigensinnig idealistischen) nur billigen, daß Herr Herbeck, welcher das Oratorium mit gewohnter Energie dirigirte, uns nicht die vollständige Partitur gab, sondern ein gutes Dutzend Nummern wegließ. **) — Die Akademie für den „Privat-Pensionsfond des Hofoperntheaters“ oder für die „Theatral-Armen“, wie man ehemals sagte, fand wie alljährlich am 15. November Abends, diesmal unter freundlicher Mitwirkung von Fräulein Artôt, statt. Dieser Mitwirkung ist wol auch der ungewöhnliche Zudrang zum Operntheater und die Verwandlung des Orchesterraumes in Sperrsitzreihen zu verdanken. Fräulein Artôt sang mit Fräulein Bettelheim das große Duett aus Rossini’s „Semiramide“ und allein zwei Mazurkas von Chopin. Frau Viardot-Garcia hat eine Auswahl der für das Clavier geschriebenen Mazurkas von Chopin für eine Singstimme mit unterlegtem französischen Text arrangirt und Fräulein Artôt dedicirt. Die berühmte Meisterin selbst wird die Mazurkas kaum geistvoller, feiner und brillanter vorgetragen haben, als ihre gefeierte Schülerin am 15. d. M. Die unübertreffliche Reinheit, Sicherheit und Zartheit in den schwierigsten Passagen trat hier beinahe noch in den Schatten gegen die ruhige, vornehme Anmuth, mit welcher Fräulein Artôt die einfache Melodie vortrug. Es waren zwei kleine Cabinetsstücke vollkommener Gesangskunst. Daß Fräulein Artôt enthusiastischen Beifall erntete, braucht kaum ausdrücklich erwähnt zu werden. Ihr zunächst gefiel Herr Laub mit dem überaus glänzenden Vortrag zweier mittelmäßiger Virtuosenstücke von Ernst und Bazzini. Gesangsvorträge von Fräulein Bettelheim, Fräulein Destinn und Herrn Bignio, ein Harfen-Duo, vorgetragen von Herrn Zamarra und Fräulein Skerlé, endlich drei unter Dessoff’s Leitung schwungvoll ausgeführte Ouvertüren bildeten die übrigen, durchwegs sehr beifällig aufgenommenen Nummern dieser Wohlthätigkeits-Vorstellung.

Fußnoten
  • *)Die frappante Aehnlichkeit des Themas mit dem Seesturm- Motiv in Weber’s „Oberon“ (II. 13) wird Niemand entgangen sein.
  • **)Wie Händel selbst über diesen Punkt dachte, beweist ein Brief von ihm, der obendrein einen seiner besten, dramatischesten Oratorientexte, den Belsazar, betrifft. Händel schreibt nämlich am 2. October 1744 an Ch. Jennies, den Verfasser jenes Textes: „Ich halte es für ein sehr schönes, erhabenes Oratorium, nur ist es wirklich zu lang; ich habe schon einen großen Theil der Musik weggeschnitten, um den Text so viel als möglich zu erhalten, aber es muß noch mehr verkürzt werden.“ Da jedoch der Dichter keine Zeile opfern wollte, blieb Händel nichts Anderes übrig, als das Ganze unverkürzt zu componiren und zu veröffentlichen. Er ließ aber auf das vollständige Textbuch die Bemerkung drucken: „Da das Oratorium zu lang ist, so sind verschiedene Stücke mit einer schwarzen Linie am Rande als solche bezeichnet, welche bei der Aufführung weggelassen werden können.“ Nach Schilcher’s Bericht („Life of Handel“ P. 290) waren mehr als zweihundert Zeilen des Textbuchs mit jenem schwarzen Strich bezeichnet!