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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 155. Wien, Freitag den 3. Februar 1865

[1]

Concini.

Romantische Oper in vier Acten von Thomas Löwe.

(Im Hofoperntheater zum erstenmal aufgeführt am 1. Februar.)


0004Ed. H. Am 26. April 1617 wurde in Paris ein Staats-
0005mann, als er sich zum Conseil in den Louvre begab, von
0006Vitry, Capitän der Leibwache, auf Befehl des Königs Lud-
0007wig XIII. verhaftet, und kaum daß man ihm den Degen ab-
0008gefordert, erschossen. Von mehreren Kugeln durchbohrt, starb
0009er auf der Stelle. Der junge König stand an einem Fenster
0010eines Palastes, gleichsam um seine Billigung des Mordes
0011auszudrücken. Die Höflinge eilten massenweise herbei, den
0012König zu beglückwünschen, und das Volk, welches in dem Er-
0013mordeten einen hochmüthigen fremden Emporkömmling gehaßt
0014hatte, dem man die Schuld an jeder Bedrückung beimaß, ließ
0015jetzt seine Wuth in der rohesten Weise aus. Der Leichnam des
0016Verhaßten wurde zerrissen, die blutigen Stücke davon verkauft
0017und vom Pöbel verschlungen. Seine Witwe, ein Liebling
0018Mariaʼs von Medici, wurde vor das Parlament gestellt, in
0019Ermanglung jedes andern Verbrechens der „Zauberei“ ange-
0020klagt und zum Tode verurtheilt. Sie wurde enthauptet, ihr
0021Leichnam verbrannt. Das Palais des Ermordeten ward zer-
0022stört, sein Habe confiscirt, sein Sohn des Adels verlustig er-
0023klärt. Dieser Staatsmann, der auf so gräßliche Weise das
0024Opfer seiner eigenen Politik wurde, war Concino Concini,
0025der Günstling der Königin Maria von Medici, nachmaliger
0026Marschall von Frankreich. Er ist der Titelheld der neuen Oper,
0027d. h. er gibt ihr, ohne in die Handlung irgendwie einzugreifen,
0028den Namen. Dieser Name und der Flintenschuß, der in der
0029letzten Scene Concini niederstreckt, sind die zwei einzigen histo-
0030rischen Dinge in der ganzen Oper. Der Verfasser des Text-
0031buches Ritter v. (Levitschnigg) hat seinen Stoff nach einem
0032fünfbändigen Roman von August Maquet: „La maison
0033du baigneur,“ bearbeitet, — ein bedenkliches Unternehmen,
0034das auch nur mit zweifelhaftem Erfolg gelang. Sehen wir,
0035wie die Handlung der Oper sich in ihren Hauptzügen vor dem
0036Zuschauer abspielt.


0037Der im Charakter eines Vorspiels gehaltene erste Act
0038führt uns mitten in ein ländliches Fest vor dem Schloß des
0039alten Grafen Harley (Herr Lay), der seinen Sohn Robert 
0040(Herr Wachtel) nach längerer Trennung freudig erwartet.
0041Letzterer erscheint und erzählt ein mysteriöses Abenteuer, das
0042er soeben bestanden. Vermummte Reiter hätten ihn gezwungen,
0043einen Brief augenblicklich der Königin zu überbringen, diese
0044sei über den Inhalt des Schreibens in die größte Aufregung
0045gerathen, und Robertʼs Freiheit und Leben hing an einem
0046Haar, als eine unbekannte junge Dame ihm plötzlich zu rascher
0047Flucht verhalf. Kaum ist die Erzählung zu Ende, als Marga-
0048rethe v. Miroix (Frl. Destinn) — sie ist jene unbekannte
0049Schöne — erscheint, um in heimlichem Auftrag der Königin
0050den alten Harley zur Rückkehr an den Hof zu bewegen. Sie
0051trifft Robert, der ihr seine Liebe gesteht. Da hört man Lärm
0052und Säbelgeklirr, Bewaffnete, von Dorego angeführt, dringen
0053ein und ermorden den alten Harley, welcher als alleiniger
0054Mitwisser des durch Concini verübten Verrathes an Frankreich 
0055Letzterem im Wege steht. Im 2. Act feiert Concini (Herr
0056Beck) seine Ernennung zum Marschall durch einen festlichen
0057Einzug in die Notredame-Kirche. Robert, der inzwischen nach
0058Paris gekommen war, um seinen Vater zu rächen, erkennt bei
0059dem Festzug den Mörder in der Person Doregoʼs (Herr Hra-
0060banek
). Er will sich auf ihn stürzen, wird aber von seinen
0061Freunden zurückgehalten und auf die bessere Gelegenheit, die 
0062sich bei dem bevorstehenden Maskenball bieten soll, vertröstet.
0063Auf diesem Ball soll auch Concini ermordet werden, der An-
0064schlag wird aber entdeckt, die Verschworenen fliehen, nur
0065Robert bleibt zurück — denn er hat seine holde Unbekannte
0066wiedergefunden. Dorego, Margarethens Verlobter, überrascht
0067die Beiden und beschuldigt seine Braut des Einverständnisses
0068mit Robert schon von jenem Tage der Ermordung Harleyʼs
0069her. Um die politische Intrigue der Königin nicht zu verrathen,
0070welche damals Margarethen abgesandt hatte, erklärt diese,
0071Robert nie gesehen zu haben. Sie verleugnet den Geliebten,
0072„denn es gilt Fürstenglück!“ Robert wird in der Bastille ein-
0073gekerkert, Margarethe weiß sich aber von Concini (den sie
0074als den intellectuellen Urheber von Harleyʼs Ermordung zu
0075verrathen droht) die Freilassung Robertʼs zu erwirken. Sie
0076selbst eilt mit der Nachricht der Begnadigung in den Kerker
0077zu Robert, der die vermeintliche Verrätherin nun mit verdop-
0078pelter Inbrunst ans Herz drückt. Beide eilen aus der Bastille
0079auf die von Tumult und Waffengeklirr widerhallenden Straßen.
0080Concini erscheint an der Schwelle seines Palastes, Vitry 
0081(Herr Mayerhofer) erschießt ihn „im Namen des Königs.“
0082Robert und Margarethe aber sinken einander jubelnd in
0083die Arme.


0084So weit läßt sich aus dem Textbuch der Zusammenhang
0085des Ganzen construiren. Als unvorbereiteter Zuschauer versteht
0086man aber so gut wie gar nichts von diesem Zusammenhang.
0087Wir hören fortwährend von bedeutungsvollen Briefen sprechen
0088(dem von Robert der Königin überreichten Schreiben, dann von
0089dem Brief, den Harley seinem Sohn vermacht) und erfahren
0090doch nicht, was darin steht. Wir sehen Harley fallen, Marga-
0091rethe kommen und verschwinden, Concini zu höchster Macht er-
0092hoben und gleich wieder gestürzt, errathen aber weder die Ur-
0093sache, noch den Zusammenhang von alledem. Daß die Moti[2]-
0094virung dieser Vorgänge in irgend einem Winkel des Textbuches
0095versteckt ist, allenfalls in 3—4 Zeilen, welche die undeutliche
0096Aussprache des Sängers oder der Schwall des Orchesters ver-
0097schlingt, das hilft dem Zuschauer nichts, der an ein Büh-
0098nenstück die berechtigte Anforderung stellt, sich selbst zu erklären.
0099Die Angelpunkte der dramatischen Bewegung im „Concini“ sind
0100überdies nicht blos versteckt und verschoben, sondern obendrein
0101ungeeignet für ein musikalisches Drama: es sind politische In-
0102triguen. Welch ungerechtfertigtes Schlaglicht der Titel auf die
0103Person Conciniʼs wirft, empfindet der enttäuschte Zuseher von
0104Act zu Act immer deutlicher. Nicht nur ist Concini nicht der
0105Held, er ist kaum mehr als Vorwand und Staffage der Hand-
0106lung. Man kann ihn einfach herausstreichen, ohne den Zusam-
0107menhang des Dramas zu stören. Nicht Concini, sondern Do-
0108rego ist das handelnde feindliche Princip gegenüber Harley und
0109dem Liebespaar. In Dorego haßt Robert den aufgezwungenen
0110Bräutigam seiner Geliebten, in Dorego verfolgt er den Mör-
0111der seines Vaters. Von Concini wird zwar im Verlauf mehr-
0112mals versichert, er sei ein Tyrann und Verräther, er selbst
0113begeht aber in der Oper nichts Böses und steht Niemandem
0114im Wege. Für seine Verderbtheit spricht nur, daß er in einer
0115großen Arie sich äußerst empfindsam nach den Tagen seiner
0116Kindheit zurücksehnt, was bekanntlich in der Oper stets die
0117Räuber, Intriganten und herzlosen Fürsten thun. Um als
0118dramatischer Charakter zu wirken, hätte Concini mit Dorego 
0119in eine Person verschmolzen werden, er hätte diesen wie ein
0120Schwamm aufsaugen müssen. Allerdings hätten wir dann statt
0121der zwei Terzette nur Duette, zugleich aber statt zweier ver-
0122fehlter Figuren eine brauchbare. Wir verzichten auf eine wei-
0123tere Kritik des Textbuches; daß es für den Zuschauer unver-
0124ständlich und in seinen Hauptmotiven unmusikalisch ist, erscheint
0125uns als entschieden. Man könnte nach dem bekannten linguistischen 
0126Axiom: „was nicht klar ist, ist nicht französisch“, für die Oper
0127den ebenso wahren Satz formen: was nicht verständlich ist, ist
0128nicht musikalisch.


0129Vorzüge technischer Art kann man dem Libretto Levit-
0130schniggʼs
nicht absprechen; es vertheilt die Handlung und die
0131Musikstücke mit geschickter Oekonomie und bietet dem Compo-
0132nisten eine Reihe effectvoller Scenen und dankbarer Formen.


0133Die Musik zum „Concini“ ist das Werk eines jungen
0134Wiener Componisten, Thomas Löwe, und die erste größere
0135Arbeit, die überhaupt von ihm zur Oeffentlichkeit gelangt.
0136Keine musikalische Gattung erfordert eine solche Reife des Ta-
0137lents und Sicherheit der Technik, so vielerlei Kenntniß und
0138Erfahrung, wie die Oper. Es wäre sehr unbillig, diese Rück-
0139sicht einem Anfänger gegenüber außer Auge zu lassen. Das
0140Urtheil über dieselbe Oper wird verschieden lauten müssen,
0141wenn sie die Summe einer künstlerischen Begabung und Aus-
0142bildung, die Spitze einer Reihe von ähnlichen Leistungen dar-
0143stellt, oder aber, wenn sie ein erster Versuch auf diesem schwie-
0144rigsten Gebiet und der Anfang einer musikalischen Carrière ist.
0145Indem „Concini“ als das Werk eines Anfängers vor uns
0146hintritt, ist uns unser Standpunkt auch vorgezeichnet.


0147Was an Herrn Löweʼs Arbeit zunächst sehr vortheilhaft
0148auffällt, ist der Ernst, mit welchem er seine Aufgabe anfaßt.
0149Jede Nummer, ja jeder Tact zeigt das gewissenhafteste Be-
0150streben, dem Inhalt des Gedichtes gerecht zu werden, den dra-
0151matischen Ausdruck in jeder Situation zu erreichen und fest-
0152zuhalten. Ebenso fleißig und genau ist das musikalische De-
0153tail ausgeführt, das nirgends Schleuderhaftigkeit oder Leichtsinn,
0154sondern überall gewissenhafte, mitunter nur zu mühsame Ar-
0155beit aufweist. Was zuerst den dramatischen Charakter betrifft,-
0156so ist er der Musik Löweʼs nirgends abzusprechen, ja die ge-
0157lungensten Partien der Oper stellen seine Begabung gerade für 
0158das specifisch Dramatische und theatralisch Wirksame außer
0159Zweifel. Die absolut musikalische Erfindungskraft des
0160Componisten scheint uns geringer als das Talent für drama-
0161tische Auffassung. Die Musik zum „Concini“ enthält zwar
0162einzelne sehr hübsche melodische Momente, im Ganzen kann
0163man ihr besondere Originalität und schöpferische Kraft nicht
0164zugestehen. Reminiscenzen an Meyerbeer und Halevy 
0165sind nicht selten, auch Anwandlungen von „Tannhäuser“-Me-
0166lodien regen sich ein- oder zweimal. „Concini“ hält sich in
0167seinem Zuschnitt und der ganzen Ausdrucksweise sichtlich an das
0168Vorbild der französischen Großen Oper, wie sie in Meyerbeer,
0169und Halevy gipfelt. Die Eigenheiten dieser Muster vereinigen
0170sich hier mit der Unruhe und Maßlosigkeit, die in jedem an-
0171gehenden Operncomponisten steckt.


0172Von der französischen Oper hat Löwe das Leidenschaft-
0173liche, aber Uebertriebene, Grelle des dramatischen Ausdrucks.
0174Die größte Furcht junger Componisten, mißverstanden zu wer-
0175den, läßt ihn überall zu viel des Guten thun. So kommt
0176zu der aufs Aeußerste gespannten Exaltation der Gesangs-
0177partien ein fortwährend mit allen Mitteln arbeitendes, mit
0178unruhigem Detail überladenes Orchester. Das Bestreben, stets
0179mit charakteristischen und glänzenden Farben zu malen, ver-
0180leitet den Componisten zu übermäßigem Künsteln mit den In-
0181strumenten. Bald ergeht sich die Harfe in schwelgenden Arpeggien,
0182bald mahnen die geheimnißvoll tiefen Töne der Holzbläser,
0183dann flimmern die Geiger tremolirend in höchster Lage, um
0184wieder schnell düstern Posaunenklängen mit Paukenwirbel Platz
0185zu machen u. s. f. Eine bedeutende Effectkenntniß in Behand-
0186lung des Orchesters ist Löwe jedenfalls nachzurühmen,
0187wie denn überhaupt sein Geschick für das Technische un-
0188zweifelhaft, ja für einen jungen Componisten erstaunlich
0189ist. Er bringt überraschende Orchester-Effecte, aber einer [3]
0190reibt den andern auf. Die Klangmischungen wechseln zu
0191oft, die Bläser herrschen zu sehr, man sehnt sich nach dem
0192Streichquartett, das doch Grundlage und Hauptinhalt des Or-
0193chesters bleiben soll. Dieselbe Unruhe wie in Löweʼs Instru-
0194mentirung herrscht in seiner Harmonik: offenbar fließt dies
0195unersättliche Moduliren aus der gleichen Quelle: dem Drang
0196immer und überall charakteristisch zu sein. Dieser Drang
0197schadet mancher gut angelegten und hübsch anfangenden Num-
0198mer. Kaum hat der Componist den Bogen angelegt, so spannt
0199er ihn auch schon bis zum Zerreißen. Für die Singstimmen
0200schreibt Löwe dankbar, wenn auch mitunter anstrengend und
0201mit zu großer Bevorzugung des äußerlich Effectvollen. Mit
0202Vorliebe läßt er die Stimme in Phrasen von einem oder zwei
0203Tacten ihren ganzen Umfang von Oben bis Unten (am lieb-
0204sten in den Intervallen des verminderten Septaccords) durch-
0205messen, eine Manier, die wie manches Melodische bei Löwe zu
0206sehr an das Raffinement der französischen Oper erinnert.


0207Um einige Einzelheiten zu nennen, heben wir aus dem
02081. Act Robertʼs Erzählung „Durch ferne Lande“ hervor, deren
0209lebhafte und anmuthig beginnende Melodie leider von dem er-
0210zählenden Theil zu schnell und anhaltend unterbrochen wird.
0211Auch Margarethens Romanze in A-moll: „Trüb ist die Mit-
0212ternacht“ beginnt recht stimmungsvoll und einfach. In dem
0213folgenden Liebesduett geht manche melodische Knospe („Nimm
0214für das zärtliche Versprechen“), anstatt voll aufzublühen, unter
0215dem Tumult musikalischer und dramatischer Exaltation vor-
0216zeitig zu Grunde. Der 2. Act beginnt mit einer Arie Con-
0217ciniʼs, deren gequälte und doch banale Melodie à la Bertram
0218wir ganz verwerfen müssen. Den beiden Duetten (Concini und
0219Margarethe, Robert und Vitry) ist Feuer und Leidenschaft
0220nicht abzusprechen. Das Quartett in E („Des Sieges Stunde 
0221gut geschlagen“) ist gut geformt, einheitlicher und übersichtli-
0222cher als die meisten übrigen Ensembles — wäre nur die Be-
0223gleitung etwas maßvoller! Der Einzugsmarsch hat ein hüb-
0224sches, populäres Thema, das durch die wirklich effectvolle Ab-
0225wechslung und Combination der beiden Orchester zu bester
0226Wirkung gelangt. In der gleichzeitigen Führung von drei
0227verschiedenen Themen im Finale konnte der Componist zwar
0228eine schätzenswerthe contrapunctische Gewandtheit beweisen, doch
0229klingt das Ganze zu betäubend und hätte in einfacherer Ge-
0230staltung den Act wirksamer geschlossen. Im 3. Act bringt das
0231Duett Doregoʼs mit Margarethe einige gelungene Momente,
0232so auch die Balletmusik beim Maskenball. Der 4. Act beginnt
0233mit einer dankbaren Arie Conciniʼs, die, von Beck trefflich
0234vorgetragen, viel Anklang fand. Auf die lärmend heftige Scene
0235zwischen Concini und Margarethe hebt sich das Thema des
0236folgenden Es-dur-Terzetts, etwas italienisch anklingend, wohl-
0237thuend ab. Das Liebesduett im Kerker, mit seinem gleichför-
0238migen Viertelnoten-Rhythmus und Harfen-Accorden (nicht ohne
0239Einwirkung der „Propheten-Hymne“ erdacht), scheint vornehm-
0240lich auf populäre Wirkung berechnet, die wir dem Stück, so
0241wenig wir davon erbaut sind, nicht absprechen wollen.


0242Alles in Allem ist „Concini“ weder das Werk eines fer-
0243tigen Meisters noch einer genialen Schöpferkraft, aber er ist
0244ein sehr achtbarer Anfang eines für dieses Fach begabten, mit
0245Geschick und Kenntniß ausgerüsteten, redlich strebenden jungen
0246Componisten, von dem Fortschritte mit Zuversicht zu hoffen
0247sind. Durch die Vorbereitung und Aufführung dieser Erstlings-
0248oper wird er mehr gelernt haben, als in fünf Jahren theoreti-
0249schen Studiums. Wir hoffen überdies, daß nicht blos seine prak-
0250tische Gewandtheit und Erfahrung, sondern auch die schöpferische
0251Kraft seines musikalischen Talentes sich in seinen nächsten 
0252Werken noch bedeutender entfalten werde. In der Musik hängt
0253Technisches und Geistiges, Kern und Fülle sehr innig zusam-
0254men. Indem Herr Löwe künftig ohne Zweifel maßvoller in-
0255strumentiren und ruhiger moduliren dürfte, wird seine Auf-
0256merksamkeit auf den rein melodischen Theil seiner Aufgabe von
0257selbst mächtig hingelenkt werden. Er wird sich ferner von
0258Meyerbeer und Halevy emancipiren und den Muth haben, auf
0259eigenen Füßen zu stehen. Eine schönere Aufmunterung konnte
0260dem jungen Künstler kaum werden, als die beifällige Auf-
0261nahme seines „Concini“ in Wien.*) Viele Musikstücke wurden
0265durch anhaltenden Beifall ausgezeichnet und der Componist
0266selbst durch wiederholten Hervorruf nach jedem Acte.


0267Um die Aufführung machte sich in erster Linie Herr
0268Beck verdient, der die Titelrolle mit siegreicher Frische und
0269Energie durchführte. Herr Wachtel hatte keinen glücklichen
0270Abend, er übernahm sich und distonirte häufig. (Ueberhaupt
0271war das Distoniren an diesem Abend epidemisch.) Margarethe 
0272ist die beste Leistung, die wir, namentlich in dramatischer Hin-
0273sicht, von Fräulein Destinn gesehen. Ihr Gesang ließ zwar
0274hier wie überall an künstlerischer Schulung sehr viel zu wün-
0275schen übrig, aber kaum etwas an Feuer und Nachdruck; schade,
0276daß die tiefe Lage der Partie ihrem Organ mitunter sehr un-
0277bequem wird. Frl. Destinn spielte, wie wir mit besonderer
0278Genugthuung hervorheben, bei aller Leidenschaftlichkeit weit
0279maßvoller und edler als gewöhnlich; ihr nicht historisches, aber
0280geschmackvolles Costüm trug sie mit vielem Vortheil. Die Herren
0281Mayerhofer, Hrabanek und Lay wirkten verdienstlich
0282zum guten Erfolge des Ganzen mit. Das Haus war überfüllt.

Fußnoten
  • *)Löweʼs „Concini“ wurde auch bereits in Prag mit vielem
    Beifall gegeben und von der dortigen Kritik mit großer Achtung be-
    handelt.