Zoom inZoom inZoom inZoom in
Zoom outZoom outZoom outZoom out
Go homeGo homeGo homeGo home
Previous pagePrevious pagePrevious pagePrevious page
Next pageNext pageNext pageNext page
Unable to open [object Object]: Error loading image at https://iiif.acdh.oeaw.ac.at/iiif/images/hsl-nfp/1872.07.26-0001.jp2/full/full/0/default.jpg
Wörter einzeln suchen

Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2844. Wien, Freitag, den 26. Juli 1872

Zwei Tonkünstler-Biographien.

I. Ignaz Moscheles.

Ed. H. Es sind wenige Jahre her, daß Deutschland zwei gefeierte Tonkünstler verloren hat: den Balladen- Componisten Dr. Karl Loewe und den Clavier-Virtuosen Ignaz Moscheles. Von beiden in hohem Alter verstorbenen Tondichtern sind kürzlich Selbstbiographien erschienen, welche nicht blos für ihre speciellen Verehrer, sondern für jeden Liebhaber der Musikgeschichte unleugbares Interesse haben. Beiden Künstlern lauschte ehedem ein entzückter Kreis von Hörern, wo immer sie erscheinen mochten; man darf hoffen, daß auch ein ansehnlicher Leserkreis den Erzählungen beider Meister theilnehmend folgen werde. Grundverschieden in der Art ihres Talentes, ihres Bildungsganges, ihrer Lebensweise, erscheinen doch beide Componisten gleichmäßig berufen, Bedeutendes und Anziehendes aus ihrem langen Erdenwallen zu erzählen. Loewe ist durch eine classische Schulbildung hindurchgegangen, er war Theologe und Gymnasiallehrer, bevor er Musikdirector würde; Geist und Bildung befähigten ihn, seine Kunst auch reflectirend zu durchdringen und das Resultat dieses Denkens in gewählter Form mitzutheilen. Moscheles hingegen, der schon in zartem Knabenalter seine Bestimmung zum Virtuosen verrieth und eine rein musikalische Erziehung erhielt, konnte der gelehrten Bildung Loewe’s eine große Welterfahrung und reichste Kenntniß von Ländern und Menschen entgegensetzen. Sein Leben wie seine Kunst war äußerlich glänzender und bewegter; fast immer auf Reisen, war Moscheles auch wieder überall zu Hause, während Loewe, in enge Verhältnisse eingesponnen, nur die Ferienzeit zu kleinen künstlerischen Ausflügen benützen konnte.

Als ich vor 15 Jahren Moscheles in Leipzig besuchte, überraschte mich die Lebhaftigkeit und Frische, mit welcher der alte Herr von seinen englischen und französischen Concertreisen, von seinen alten Wiener Erinnerungen sprach. Der Ausruf: „Sie sollten doch Memoiren schreiben!“ drängte sich mir unwillkürlich auf die Lippen. „Ich selbst nicht mehr,“ erwiderte damals Moscheles, „aber ein Anderer wird nach meinem Tode wol etwas zusammenstellen können aus den Tagebüchern, die ich mit größter Regelmäßigkeit seit dem Anfange meiner Künstlerlaufbahn bis auf den heutigen Tag führe.“ Moscheles’ Gattin fügte mit einer feinen Bemerkung zustimmend hinzu, es liege auch in den Briefen ihres Mannes an sie ein Schatz musikalischer Erinnerungen bewahrt. Diese würdige Frau, durch Herzensgüte, Bildung und feinste Sitte eine Zierde ihres Geschlechtes, war damals schon von Moscheles zur Ausführung seines literarischen Vermächtnisses bestimmt. Es war stets Moscheles’ Wunsch, daß die Kunsterfahrungen seiner beinahe sechzigjährigen Laufbahn nach seinem Tode veröffentlicht würden, und zwar durch seine Frau. Sie übernahm denn auch diese schwierige Arbeit. „Andere,“ sagt sie im Vorwort, „hätten sie wol besser gemacht, Niemand mit so viel Liebe.“ Das Buch ist so zusammengestellt, daß theils Tagebuchnotizen und Briefe von Moscheles, theils die Herausgeberin selbst das Wort führen. Der soeben erschienene erste Band *) reicht von Moscheles’ Kindheit bis zum Jahre 1855. Wir erfahren aus dem ersten Abschnitte, daß Moscheles (geboren 1794 als Sohn eines kleinen jüdischen Kaufmannes in Prag) schon sehr früh Proben eines ungewöhnlichen musikalischen Talentes ablegte, anfangs von Dionys Weber unterrichtet, dann als vierzehnjähriger Knabe zur weiteren Ausbildung nach Wien geschickt wurde. Er studirte einige Monate bei Albrechtsberger, welcher damals unter den musikalischen Theoretikern eine analoge Stellung einnahm, wie Haydn unter den Componisten, d. h. den unbestritten ersten Rang in Europa. Dann wurde er Schüler Salieri’s, auch durch drei Jahre lang dessen Adjunct im Hofoperntheater. Diese bescheidene Anstellung, welche den jungen Mann schnell in einem wichtigen Theile der musikalischen Praxis heimisch machte, hatte für ihn außerdem noch denselben Vortheil, wie die Schulgehilfenstelle für Franz Schubert: sie befreite von der Militär-Conscription. Die glänzende, anregende Zeit dieses ersten Wiener Aufenthaltes brachte dem jungen Moscheles als besonders werthvolles Geschenk auch den persönlichen Verkehr mit Beethoven, für welchen er den Clavierauszug aus der Oper „Fidelio“ bearbeitete. Sein Talent entfaltete sich so rasch und glänzend, daß der junge Virtuos bald zu den Lieblingen des Wiener Publicums gehörte. Nur zwischen Moscheles und Hummel konnte die Palme streitig sein. Während Hummel, unerreichbar im Legato, „Sammt unter den Fingern gehabt, von dem seine laufenden Passagen sich gleich Perlenschnüren abrollten“, wirkte Moscheles hinreißend durch übersprudelnde Bravour und jugendlichen Enthusiasmus. Eines Morgens im Jahre 1815 ließ die Stiftsdame Gräfin Hardegg Moscheles zu sich bitten, um ihn zur Mitwirkung in einem Wohlthätigkeits- Concert zu ersuchen. Er bedauerte, keine neuen Compositionen zu haben. Da wurde ausgemacht, Moscheles sollte Variationen über den Marsch schreiben, welchen (zur Congreßzeit) das dem Kaiser Alexander von Rußland zugewiesene Regiment spielte. Es waren dieselben so berühmt gewordenen „Alexandermarsch-Variationen“, von denen es lange Zeit hieß, nur Moscheles könne sie spielen, und welche in Wien wie auf allen Kunstreisen seinen Erfolgen die Krone aufsetzten. Im Jahre 1816 unternimmt Moscheles seine erste Kunstreise durch Deutschland, 1820 besucht er Holland, Frankreich und England mit außerordentlichem Succeß. Die Tagebuchblätter über diese Concertreisen zeigen nun allerdings, daß gar Vieles, was für den Gefeierten selbst und seine Angehörigen von großem Interesse ist, nicht die gleiche Wichtigkeit für den Leser hat. Letzterer wird leicht ungeduldig, immer und immer wieder unter dem verschiedensten Datum zu lesen: „Meine Alexander-Variationen gespielt. Mein Es-dur-Concert gespielt. Der Saal ganz gefüllt, der Beifall wollte nicht enden. Die Herzogin X. schickte mir eine goldene Dose. Der Kronprinz Y. machte mir dieses oder jenes Compliment u. s. w.“ Auch auf die Aufzählung aller Merkwürdigkeiten, welche Moscheles in Paris und London besichtigt, würden wir gern verzichten, da doch jeder Reisende dieselben Dinge dort angesehen hat. Selbst die Bekanntschaft des Autors mit den ersten musikalischen Notabilitäten seiner Zeit kommt nicht immer dem Leser zu statten, wenn Jener nichts Neues oder Charakteristisches von ihnen mittheilt. Für ein Tagebuch oder einen Familienbrief reicht es hin, zu notiren: „Mit Cherubini, Boïeldieu, Auber, Herold, Paër etc. in der Soirée bei Z. gewesen“ — der Leser jedoch, der nicht mit dort war, profitirt wenig davon, und wenn es sich zwanzigmal wiederholte. Einiges Kürzen und Zusammenziehen des Materiales würde der Wirkung und Aufnahme des Buches nur genützt haben. Ausführlichere, mitunter recht interessante Mittheilungen und Urtheile bringt Moscheles über die Pianisten Kalkbrenner und J. Cramer, dann über Felix Mendelssohn, mit welchem ihn die innigste Freundschaft verband. Die neidlose, begeisterte Anerkennung, mit welcher Moscheles von den Compositionen und dem Spiele seines jüngeren Freundes spricht, muß Jedermann für Moscheles’ liebenswürdigen, lauteren Charakter einnehmen. In London hatte Moscheles so enthusiastische Aufnahme gefunden, daß er sich 1821 dort niederließ. Erklärter Liebling der Engländer, war Moscheles bald der gesuchteste Lehrer der Aristokratie, der gefeiertste Pianist in London geworden, man ernannte ihn zum Professor an der königlichen Musik-Akademie, zum Mitdirector der Philharmonischen Concerte etc. Um die Verbreitung classischer Musik, namentlich Beethoven’s, in London (außerdem auch in Schottland und Irland) hat Moscheles sich vielfach verdient gemacht. Er wagte es zuerst, Beethoven’s Phantasie mit Chor, Op. 80, in London öffentlich zu spielen (1822), unabgeschreckt durch tausend Schwierigkeiten und das vorauszusehende Fiasco beim Publicum. Ein unwissender Kritiker warf ihm sogar vor, Moscheles habe die Chöre selbst hinzugesetzt und dadurch die „ungenießbare“ Länge der Composition verschuldet! Auch Beethoven’s „Missa solennis“ ward in London zum erstenmal (1832) unter Moscheles’ Direction aufgeführt. Wer übrigens die Eigenthümlichkeiten des englischen Musicirens kennt, wird es begreifen, daß Moscheles als die „Lichtseiten“ seiner Londoner Thätigkeit „die gute Bezahlung und das Carrièremachen“ bezeichnet. „Ich muß zu viel seichte Musik machen und hören“, klagt er. Im Jahre 1823 kehrte Moscheles zum erstenmale wieder nach Deutschland zurück. Vor dem sächsischen Hofe spielte er in Pillnitz während der Tafel, worauf ihm eine goldene Dose und Ein Thaler überreicht wurden. Einem verjährten Gebrauch zufolge sollte der Künstler sich dafür Handschuhe kaufen. „Paßt zum Vandalismus des Tafelconcerts!“ bemerkt Moscheles. In Berlin kommt er ins Mendelssohn’sche Haus und wird nicht müde, es in seinem Tagebuch zu preisen. „Das ist eine Familie, wie ich noch keine gekannt habe; der 15jährige Felix, eine Erscheinung, wie es keine mehr gibt! Was sind alle Wunderkinder neben ihm? Sie sind eben Wunderkinder und sonst nichts; dieser Felix Mendelssohn ist schon ein reifer Künstler und dabei erst 15 Jahre alt!“ Die Eltern bitten Moscheles wiederholt um einige Lectionen für Felix, worauf er aber stets in bescheidenster Weise ausweichend antwortet. Ins Tagebuch schreibt er: „Der hat keine Lectionen nöthig! Will er mir etwas abmerken, was ihm neu ist, so kann er’s leicht.“ Immer enger schließt sich Moscheles an die Mendelssohn’sche Familie; das Freundschaftsbündniß mit Felix wurde späterhin von nachhaltiger künstlerischer Bedeutung, indem Mendelssohn es war, welcher nach Gründung des Leipziger Conservatoriums Moscheles bewog, nach Leipzig zu übersiedeln und die erste Professur des Clavierspiels an dieser Anstalt zu übernehmen. Für das Gedeihen des Leipziger Conservatoriums war dieser Gewinn um so größer, als schon im folgenden Jahre (1847) der Tod Mendelssohn wegraffte. Da war es vornehmlich Moscheles’ berühmter Name, welcher nach wie vor eine große Anzahl Schüler, namentlich aus England und Amerika, an das Leipziger Conservatorium zog.

Bei Gelegenheit eines Concertes, das er 1825 in Hamburg gab, lernte Moscheles ein junges, geistvolles Mädchen, Charlotte Embden, kennen, die Tochter eines dortigen Bankiers. Wenige Tage nach ihrer ersten Bekanntschaft verlobte er sich mit ihr, vier Wochen später feierten sie ihre Hochzeit. Moscheles verdankte ihr das reinste häusliche Glück während einer durch volle 45 Jahre ungetrübt bestandenen Muster-Ehe. Ihren ersten Knaben, Felix, hob Mendelssohn aus der Taufe. Eine schöne, aber leider kurze Freude brachte der Besuch Carl Maria Weber’s in Moscheles’ Haus. Weber war bekanntlich im Vorfrühling 1826 nach London gekommen, um seinen Oberon“ dort zur ersten Aufführung zu bringen. Am 13. März ist Weber Tischgast bei Moscheles. „Welche Freude!“ schreibt Letzterer. „Aber auch da ward unser Mitleid aufs innigste angeregt! Denn sprachlos trat er in unser Wohnzimmer: die eine kleine Treppe, die dahin führte, hatte ihm den Athem gänzlich benommen; er sank in einen der Thür nahestehenden Stuhl, erholte sich aber bald und war dann der liebenswürdigste, geistreichste Gesellschafter.“ Die Anstrengungen und Aufregungen dieser Londoner Musiksaison gaben Weber’s sehr angegriffener Gesundheit den letzten Stoß. Am 4. Juni schrieb Moscheles in sein Tagebuch: „Als ich Weber heute, Sonntag, besuchte, sprach er zwar zuversichtlich von seiner Abreise nach Deutschland, aber der entsetzliche Krampfhusten, der in kurzen Intervallen wiederkehrte und eine gänzliche Entkräftung zurückließ, spannte unsere Angst aufs höchste, und als er mühsam hervorbrachte, er reise in zwei Tagen, ich möge ihm nur Briefe mitgeben, er hoffe mich morgen wiederzusehen, wurde mir weh ums Herz, obwol ich nicht vermuthete, daß ich ihn zum letztenmale unter den Lebendigen erblickte.“ Am folgenden Morgen fand man Weber todt in seinem Bette. Moscheles, aufs schmerzlichste ergriffen von diesem Verlust, zeigte sich rastlos thätig Weber’s Angelegenheiten in Ordnung zu bringen; gemeinschaftlich mit George Smart und dem Flötisten Fürstmann versiegelte er Weber’s Papiere, machte ein Verzeichniß aller hinterlassenen Effecten und bildete ein Comité zur Besorgung der Leichenfeier.

Moscheles hat sich auch gegen Beethoven in dessen letzter Krankheit als werkthätiger, liebevoller Freund bewährt. Es ist und bleibt ein peinliches Blatt in Beethoven’s Lebens-’s Lebens- und Leidensgeschichte, daß er sich (durch Moscheles) an die Engländer um eine Geldunterstützung wendete. In Moscheles’ Biographie finden wir nebst der ganzen Correspondenz eine ausführliche Erzählung dieser Angelegenheit, welche der Hauptsache nach bekannt, aber von den meisten Biographen in einem schiefen, gehässigen Lichte dargestellt ist. Gehässig entweder gegen Beethoven oder gegen die Wiener. So unerfreulich es auch sei, daß Beethoven mit gänzlicher Uebergehung Deutschlands und speciell Wiens sich um eine Unterstützung direct an das Ausland wendete, so wenig darf man sich im Urtheile darüber reinen menschlichen Erwägungen verschließen und über den deutschen Künstler den vereinsamten, ängstlichen, schwer kranken Menschen vergessen. „Schon vor einigen Jahren,“ schreibt Beethoven am 22. Februar 1827 an Moscheles, „hat mir die Philharmonische Gesellschaft in London die schöne Offerte gemacht, zu meinem Besten eine Akademie zu veranstalten. Damals war ich gottlob nicht in der Lage, von diesem edlen Antrage Gebrauch machen zu müssen. Ganz anders ist es aber jetzt, wo ich schon bald drei Monate an einer äußerst langwierigen Krankheit daniederliege. Ans Schreiben ist jetzt lange nicht zu denken, und so könnte ich leider in die Lage versetzt werden, Mangel leiden zu müssen. Sie haben nicht nur ausgebreitete Bekanntschaften in London, sondern auch bedeutenden Einfluß bei der Philharmonischen Gesellschaft. Ich bitte Sie daher, diesen, so viel es Ihnen möglich, anzuwenden, daß die Philharmonische Gesellschaft jetzt von neuem diesen edlen Entschluß fassen und bald in Ausführung bringen möge.“ Jene ihm bereits früher freiwillig gemachte „schöne Offerte“ der Philharmonic Society in London war somit der natürlichste Anlaß und in Verbindung mit Moscheles’ erprobter Freundschaft die bequemste Handhabe für Beethoven, sich schnell und ohne viel Aufsehen eine Aushilfe zu verschaffen, für welche er sich in gesünderen Tagen durch die Ueberlassung einer neuen Symphonie dankbar zu erweisen versprach. Moscheles trat sogleich mit den Directoren der Philharmonischen Gesellschaft in Berathung, und da die Vorbereitungen zu einer großen Akademie Monate gebraucht haben würden, schickte man (gleichsam a conto dieser zu gebenden Akademie) sofort hundert Pfund Sterling an Beethoven. Ohne das Verdienst dieser That im mindesten schmälern zu wollen, darf man doch behaupten, daß sie in Wien ebenso rasch und ebenso ausgiebig gethan worden wäre, hätte man hier Beethoven’s Wunsch gekannt. Es ist geradezu lächerlich, zu glauben, daß eine Stadt, in welcher einige Männer der Aristokratie für Beethoven eine lebenslängliche Pension von jährlich 4000 fl. ausgesetzt hatten, ohne die mindeste Gegenverpflichtung, blos um den Meister in Oesterreich zu behalten — daß eine solche Stadt nicht 1000 fl. mit Freuden dargebracht hätte, wäre Beethoven’s Brief, statt an Moscheles, an eine Wiener Notabilität gerichtet gewesen. Das unsäglich Traurige dieser Begebenheit liegt darin, daß Beethoven’s kummervolle Lage, seine Krankheit und Besorgniß bevorstehenden Mangels in Wien so wenig bekannt waren. Moscheles selbst, der doch durch Schindler’s Briefe sehr zu Ungunsten der Wiener eingenommen sein mußte, schrieb auf den Rand eines dieser Briefe: „Ich habe jedoch viele Beweise, welche Theilnahme Beethoven’s gefahrvoller Zustand damals in Wien erregt hat, und daß viele seiner Verehrer ihm mit Trost und Hilfe entgegengeeilt wären, wenn seine Zurückgezogenheit den Zutritt zu ihm oder seiner nächsten Umgebung nicht zu sehr erschwert hätte.“ Beethoven selbst hatte durch sein mißtrauisches, heftiges Wesen fast alle seine Freunde verscheucht. „Sein Eigensinn,“ schreibt Schindler an Moscheles, „ist noch immer entsetzlich und wirkt vorzüglich auf mich sehr hart, indem er durchaus Niemanden um sich leiden will, als mich.“ Schindler’s Mittheilungen an Moscheles machen weder den Eindruck der Uneigennützigkeit, noch der Wahrheit. Wenn er schreibt: „Die 1000 fl. werden (für die Krankheits- und Begräbnißkosten) gerade ausreichen, ohne daß viel übrig bleibt“, so erwies sich das Gegentheil als wahr, denn im Nachlasse Beethoven’s fanden sich, nach Abschlag aller Kosten, über 8000 fl. und außerdem die 1000 fl. von der Philharmonischen Gesellschaft ganz unberührt. Schindler’s Ausspruch: „Die Philharmonische Gesellschaft hat die Ehre, diesen großen Mann von ihrem Gelde beerdigt zu haben“, ist gleichfalls eine Lüge. Wenn Schindler, anstatt in Briefen nach London über das Wiener „Canaillenvolk“ zu schimpfen, auch nur Einen Schritt gethan hätte, Beethoven’s Freunde in Wien von der Sachlage zu informiren, wie das seine Pflicht war, so hätte der ganze traurige Zwischenfall mit London erspart bleiben können. Die 1000 fl. der Philharmonischen Gesellschaft erbte sammt dem übrigen Nachlasse Beethoven’s Neffe Karl, derselbe Unwürdige, um dessentwillen der Meister unablässig gespart, gesorgt und sich abgehärmt hatte.

Die weiteren Jahresläufe von Moscheles’ Biographie bringen noch viel Anziehendes und Bemerkenswerthes. Darunter zählen wir besonders seinen Verkehr mit Walter Scott, Henriette Sonntag und Paganini. Sehr hübsch ist ein Abend bei Moscheles beschrieben, wo Henriette Sonntag mit Walter Scott und Clementi zusammentraf und die beiden alten Herren der reizenden Sängerin ganz entzückt den Hof machten. Walter Scott beschrieb ihr jede Falte des schottischen Costüms, wie sie es in der „Donna del Lago“ tragen müsse, und Clementi erhob sich plötzlich mit den Worten: „Heute Abends möchte ich auch spielen!“ Das gab allgemeinen Jubel. „Er phantasierte mit Jugendfrische,“ schreibt Moscheles, „und schon der Umstand, daß er sich sonst nie hören ließ, gab seinem Spiele großen Reiz. Nun hätte ihr sehen sollen, wie die beiden Greise, Scott und Clementi, sich über einander freuten, sich die Hände gaben, trotz beiderseitiger Sonntag-Bewunderung gar nicht eifersüchtig auf einander waren, sondern der große Mann dem großen Manne Anerkennung zollte.“ Auch Heinrich Heine kam in London gern und häufig in Moscheles’ Haus, meist ungebeten, zu Tische. Frau Moscheles verschaffte ihm zu allen Privat-Galerien, Parks, öffentlichen Gebäuden die Einlaßkarten, bat sich aber dafür aus, daß Heine in seinem Buche über England Moscheles nicht nenne. Auf sein Erstaunen erklärte sie weiter: „Moscheles’ Specialität ist die Musik, die interessirt Sie vielleicht, aber Sie haben doch kein besonderes Verständniß dafür, können also nicht eingehend darüber schreiben. Hingegen könnten Sie leicht irgend einen Anhalt für Ihre genialisch-satyrische Ader an ihm finden und den bearbeiten, das möchte ich nicht.“ Heine gab ihr lachend seine Hand darauf. Ein hübscher, echt weiblicher Zug. Moscheles’ Biographie wird je weiter desto reichhaltiger und lebendiger. Wir haben allen Grund, dem zweiten Bande mit Vergnügen entgegenzusehen, und werden nicht unterlassen, seinerzeit unseren Lesern davon zu erzählen.

Fußnoten
  • *)Aus Moscheles’ Leben.“ Nach Briefen und Tagebüchern herausgegeben von seiner Frau. Erste Band. 1872. Leipzig, bei Duncker und Humbolt.