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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9532. Wien, Dienstag, den 10. März 1891

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Concerte.


0002Ed. H. „Liederabende“ und kein Ende! Während es
0003noch zu Beethoven’s und Schubert’s Lebzeiten für unschicklich
0004galt, in einem Concert auch nur ein einziges Lied mit Clavier-
0005begleitung vorzutragen, bilden heute die Liederabende, an
0006zwanzig Nummern stark, die Majorität unserer Concerte.
0007Hingegen ist die Arie, welche ehedem allein für concertfähig
0008galt, völlig von dem Programm verschwunden. Wol mit Un-
0009recht, denn gerade jetzt, zur Zeit der Alleinherrschaft des
0010Liedes, würde eine Arie die Monotonie des Programms
0011glücklich unterbrechen. Wir besitzen aus halbvergessenen Opern
0012der classischen wie der romantischen Epoche deutsche, fran-
0013zösische, italienische Arien genug, welche, von der Scene nicht
0014schlechthin abhängig, heute ein neues Interesse erregen wür-
0015den. Freilich, wie wenige Sänger verstehen heute eine leidlich
0016verzierte Arie zu singen! Die Liederabende beginnen bereits,
0017wie alles Einseitige und Allzuhäufige, dem Publicum un-
0018bequem zu werden. Natürlich dann nicht, wenn Gesangs-
0019künstler wie Alice Barbi, Scheidemantel und
0020Gura die Vortragenden sind. Diese drei Namen ver-
0021liehen der letzten Woche ihre musikalische Signatur.
0022Alice Barbi gab uns in ihrem zweiten Concert
0023Schumann’s Liederkreis „Dichterliebe“, hatte jedoch den
0024guten Geschmack, ihn nicht vollständig, sondern mit Hinweg-
0025lassung von acht Nummern vorzutragen. Das unverkürzte
0026Durchsingen eines sogenannten „Liedercyklus“, hat auch dann
0027sein Bedenkliches, wenn es sich um einen wirklichen Cyklus,
0028ein vom Dichter selbst als zusammenhängend gedachtes Ganze
0029handelt, wie die „Schöne Müllerin“ oder die „Winterreise“.
0030Wo dies nicht der Fall, da steigert sich die Bedenklichkeit
0031und entfällt jede innere Nöthigung. Schumann hat aus
0032Heine’s „Buch der Lieder“ sechzehn von Liebe handelnde
0033Gedichte ausgewählt und unter dem Titel „Dichterliebe“ zu
0034einem Strauß gebunden, dem einen untrennbaren Zusammen-
0035hang zu vindiciren dem Dichter nicht beigefallen wäre. Das-
0036selbe gilt von Schumann’s Liedersammlung „Myrthen“,
0037seinem „Eichendorff’schen Liederkreis“ u. A. Sie zeigen 
0038ebensowenig eine epische oder dramatische Entwicklung, sind
0039ebensowenig „Cyklen“ im Sinne nothwendigen Zusammen-
0040hangs, wie die „Magellonen-Lieder“ von Brahms, deren
0041vollständiges Durchsingen auch bereits in Deutschland Mode
0042wird, eine falsche, mißverständliche Mode. Unmittelbar nach
0043der Barbi hat Herr Gura und gleich nach diesem Herr
0044Thiele die „Dichterliebe“ vollständig gesungen. Warum
0045nicht lieber jene Lieder ausscheiden, die musikalisch unbedeuten-
0046der sind und durch die Gleichartigkeit der Stimmung sich
0047fast wie Doubletten ausnehmen? Diese leidige Vollständigkeit
0048macht den Sänger und den Zuhörer zu Thränenweiden.
0049Sechzehn liebeskranke Gedichte nach einander, und gerade
0050diese Gedichte! Für meine Empfindung sind sie peinlich
0051durch ihr unersättliches Heraushängen des zerrissenen Herzens,
0052des übergroßen Wehs, der bitteren Thränen, kurz des ganzen
0053Schmerzen-Apparates, an den man bei Heine, der so gerne
0054mit sich selbst Tragödie spielte, nie recht glauben kann. Der
0055Herausgeber der Hebbel-Correspondenz, Felix Bamberg,
0056erwähnt darin, Heine habe ihm wiederholt versichert, „daß
0057das innere Leben des Dichters mit seiner Poesie durch-
0058aus nichts zu schaffen hat
“. Die lyrischen Gedichte
0059Goethe’s, Schiller’s, Uhland’s stehen als lebendiger Protest
0060gegen diese Theorie — auf Heine selbst paßt sie vortrefflich.
0061Der witzige, ironische, satirische Heine ist ebenso wahr, über-
0062zeugend und unwiderstehlich, wie der „schmerzzerrissene mit
0063dem großen Herzen“ kokett und verlogen. Alice Barbi ver-
0064rieth ein feines Verständniß in dem, was sie aus der „Dichter-
0065liebe“ ausließ. Darunter war freilich eines der allerbesten
0066Lieder: „Ich grolle nicht“; aber die Sängerin fühlte ganz
0067richtig, daß ihre Individualität dagegen reagirt. Aus demselben
0068Grunde hätte sie füglich auch das letzte Lied — von dem Heidel-
0069berger Faß, das Heine für seine großen Schmerzen benöthigt —
0070weglassen können; für den burschikosen Humor desselben
0071paßt nur eine Männerstimme, und eine recht „aufbe-
0072gehrende“ obendrein. Braucht noch gesagt zu werden, daß
0073die Barbi die Schumann’schen Lieder mit Zartheit und
0074Wärme vortrug? Welch echter Schmerz klang aus den
0075Schlußversen: „Doch wenn du sprichst: ich liebe dich! so
0076muß ich weinen bitterlich.“ Wenn man sich erinnert, daß
0077Heine zuerst „freudiglich“ geschrieben hatte, bevor ihm 
0078das bitterlich besser gefiel, so darf man wol sagen, die
0079Barbi habe in diesen Liedern mehr wahre Empfindung ge-
0080zeigt, als Heine selbst. Zu ihren schönsten Vorträgen ge-
0081hörten auch vier Schubert’sche Lieder. Zwei fast unmerk-
0082liche feine Züge fielen mir auf. Im „Neugierigen“ der
0083Vers: „das andre heißet Nein“, dann in der Ungeduld:
0084„und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben“ — da
0085zog eine leichte Wolke ängstlich über ihren Ton, über ihr
0086Gesicht, um schnell wieder zu verschwinden. Im ersten Con-
0087cert der Barbi hat die Kammervirtuosin Frau Frankl-
0088Joël
mit mehreren Chopin’schen Stücken lebhaften Bei-
0089fall erzielt. Die Namen der beiden fleißigen jungen Mädchen,
0090welche im zweiten Concert die Zwischennummern besorgten,
0091mögen lieber unerwähnt bleiben. Dergleichen unreife Pro-
0092ductionen gehören nicht vor die Oeffentlichkeit, wenigstens
0093nicht in Wien, wo wir an guten Pianistinnen und Geige-
0094rinnen wahrlich keine Noth haben.


0095Herr Scheidemantel errang als Liedersänger einen
0096großen und verdienten Erfolg. Wir kennen diesen Künstler,
0097bei dem ein wohlgeschultes jugendliches Organ sich mit Ver-
0098stand und Empfindung zu schönem Einklang verbinden,
0099bereits vom Hofoperntheater her. Dort schien er mir noch
0100unmittelbarer zu wirken, vielleicht weil die berückende
0101Romantik eines Heiling oder Zampa den Sänger mit einem
0102starken Hauch von Poesie umgibt, der im Concertsaal ver-
0103schwindet. Scheidemantel’s Liedervorträge stehen auf der Höhe
0104seiner vortrefflichen Gesangstechnik, bei stets richtiger Auf-
0105fassung und warmem Ausdruck. Hinreißend möchte ich sie
0106kaum nennen. Das mag an dem etwas trockenen Klang
0107seiner tieferen und mittleren Töne liegen, welche ja im
0108deutschen Liede vor den hochliegenden Glanzstellen vorwiegen.
0109Auch schien mir die feinste Blüthe der Poesie, ein letzter
0110belebender Hauch von Temperament zu fehlen. Scheide-
0111mantel’s Vortrag hat, entsprechend seiner Persönlichkeit, etwas
0112solid Verständiges, ruhig Gefaßtes. Das sehr selten gehörte
0113Beethoven’sche Lied „Der Kuß“, das ein scherzhaftes
0114Gedichtlein zu einer altmodischen Arie ausdehnt, interpretirte
0115Herr Scheidemantel mit guter Laune. Das köstliche, so oft pathetisch
0116mißverstandene Lied „Geheimes“ von Schubert sang er, wie
0117es sein soll, mit leichtbewegter schallhafter Anmuth. „Sei [2]
0118mir gegrüßt“ verliert in tieferer Stimmlage den ursprüng-
0119lichen unersetzlichen Schmelz. Dennoch konnte Scheidemantel 
0120damit Jedermann vollauf befriedigen, dem nicht, wie mir,
0121der Vortrag Walter’s tief in Ohr und Herz eingeprägt
0122ist. An Walter’s „Sei mir gegrüßt“, reicht für meine
0123Empfindung kein zweiter Sänger heran. Zwischen den Ge-
0124sangsnummern hörten wir ein von Frau Schuster-
0125Seydel
geläufig und elegant gespieltes Violinstück „Sarabande
0126et Tambourin“ von Leclair. Man glaubt es aus dieser
0127zierlichen altfränkischen Tanzmusik fast herauszulesen, daß der
0128Componist, Jean Marie Leclair, ursprünglich Tänzer und
0129Balletmeister war. Der brave Mann starb durch Mörder-
0130hand in Paris, im selben Jahre wie Rameau (1764). Nicht
0131so glücklich wie Frau Seydel als Violinspielerin, pro-
0132ducirte sich Herr Fritz v. Bose als Pianist. Unter seinen
0133höflichen Leipziger Händen ereignete sich das Unglaubliche,
0134daß Chopin’s geniale F-moll-Phantasie langweilig ward
0135von einem Ende bis zum andern.


0136Dem ersten Bariton der Dresdener Oper folgte schnell
0137als Concertgeber sein College vom Münchener Hoftheater,
0138Herr Eugen Gura. Seltsam, daß dieser seit einem
0139Vierteljahrhundert in ganz Deutschland bekannte und hoch-
0140geschätzte Künstler — ein Deutschböhme von Geburt — nie-
0141mals in Wien gesungen hat. Als Jüngling lebte er eine
0142zeitlang hier, um sich an der Akademie zum Maler auszu-
0143bilden. Dann zog er nach München an die Malerschule, wo
0144er bereits Aufmerksamkeit zu erregen begann, als seine schöne
0145Stimme plötzlich bei Künstlerfesten entdeckt wurde. Es ist
0146nicht undenkbar, daß sein malerisches Talent ihm für den
0147musikalischen Farbenreichthum zu statten kam, den er im
0148Vortrag der Löwe’schen Balladen entfaltet. Auf diesem Ge-
0149biet ist Gura Meister, ja der größte, den wir kennen. Das
0150hat er gleich in seiner ersten Vortragsnummer „Edward“
0151bewiesen, einer der schönsten Balladen Löwe’s, zugleich einer
0152der schwierigsten Aufgaben für den Sänger. Abgesehen von
0153dem ungewöhnlichen Stimmumfang und der Ausdauer, die
0154sie verlangt, erfordert das scharfe Auseinanderhalten der
0155beiden Rollen (Mutter und Sohn), dann die reißend an-
0156schwellende dramatische Steigerung einen Sänger ersten Ranges. 
0157Mit gleicher Kunst der Auffassung, der Darstellung, der
0158Aussprache ließ Gura „Der Wirthin Töchterlein“, den „Erl-
0159könig“ und das Goethe’sche „Hochzeitslied“ von Karl Löwe 
0160folgen. Der epische Gesang, der Balladenvortrag, bildet ohne
0161Frage in dem weiten Ring der Liederkunst dasjenige Gebiet,
0162welches vorzugsweise der Baß- und Baritonstimme zufällt.
0163Auch im Vortrag der Schumann’schen „Dichterliebe“ —
0164Herr Gura sang in einem Zug alle sechzehn Lieder — er-
0165wies er sich als denkender und warmfühlender Künstler; die
0166Wirkung war aber lange nicht so unmittelbar und hinreißend,
0167wie die der Balladen. Die Zeit raubt den Baß- und Bariton-
0168stimmen viel früher den Timbre als die Kraft — und Gura 
0169ist kein Jüngling mehr. Seine Stimme klingt stark und voll,
0170läßt aber im Piano, in anhaltend sentimentalem Gesang,
0171Weichheit und Schmelz vermissen. Darum singt auch Gura 
0172meistens stark, nicht zum Vortheil der eigenthümlich dämmern-
0173den, halbverschleierten Empfindung der Schumann-
0174schen Heine-Lieder. Dazu tritt noch der früher be-
0175rührte Uebelstand, daß die meisten für Tenor oder
0176Sopran geschriebenen Liebeslieder durch Transponirung für
0177tiefe Männerstimmen an Reiz verlieren. Von unbeschreib-
0178licher Wirkung war Gura’s Vortrag des „Archibald Douglas“
0179und „Prinz Eugen“, diesen Perlen aus Löwe’s Balladen-
0180schatz. Die Leute riefen und applaudirten wie toll, bis Gura 
0181den „Prinz Eugen“ wiederholte, und er hätte bald dasselbe
0182mit dem „Douglas“ thun müssen. Er wurde zum Schlusse
0183wol gegen zwanzigmal herausgerufen. Allgemein wurde der
0184Wunsch laut, Gura möchte diese beiden Balladen in seinem
0185zweiten Concerte wiederholen und womöglich diesem zweiten
0186ein drittes folgen lassen. Herrn Gura’s Vorträge wurden
0187von Herrn Professor Giehrl sehr sorgfältig begleitet. Herr
0188Giehrl gilt in München für einen der vorzüglichsten Clavier-
0189lehrer. Hoffentlich beginnt er seinen Unterricht mit dem Rath,
0190die Schüler mögen ja nicht so viel Pedal nehmen, wie er
0191selbst. Rheinberger’sToccata“ und Rubinstein’s 
0192C-dur-Etüde (op. 23) spielte er mit ausreichender Kraft und
0193Geläufigkeit, wenngleich mit etwas hartem Anschlag — aber
0194was da Alles mit- und durcheinander klang bei stets ge-
0195hobener Dämpfung! An Beifall hat es Herrn Giehrl nicht 
0196gefehlt, ebensowenig wie jüngst Herrn v. Bose — wir sind
0197nur leider etwas verwöhnt.


0198Nach den Liederabenden bleibt noch das vierte „Ge-
0199sellschafts-Concert
“ vom vorigen Sonntag zu be-
0200sprechen. Es war, ganz im Vertrauen gesagt, eigentlich lang-
0201weilig. Ist es möglich? Werke von Haydn, Schubert, Wag-
0202ner nebst einer Novität von Herrn Arnold Krug? Ja, es
0203gibt eben Langweile von verschiedenartiger Farbe, Stärke
0204und Ausdehnung. Man kann sich pietätvoll oder rücksichts-
0205los langweilen, bußfertig oder wüthend, vorübergehend oder
0206unvergeßlich. Die B-dur-Symphonie des 19jährigen Schu-
0207bert
, das war die gemüthliche Langweile; man konnte da-
0208bei nicht bös werden. Sie spielt sich ohne jegliche Ueber-
0209raschung und Aufregung, so bürgerlich bequem und
0210selbstverständlich ab, daß wir den Schöpfer der späteren
0211großen C-dur-Symphonie kaum erkennen. Freilich liegen
0212zwölf Jahre zwischen beiden — für Schubert’s wunderbar
0213schnelles Wachsthum ein halbes Jahrhundert. Nur das
0214Scherzo in G-moll verräth unsern Franz Schubert, in
0215dem es an spätere, bessere Scherzos von ihm an-
0216klingt; vorübergehend auch das Andante, wo es nach
0217dem Abschluß des Hauptsatzes in Es-dur unver-
0218mittelt den E-dur-Accord packt und einige schüchterne
0219romantische Klänge anschlägt. Alles Uebrige, zumal der ganze
0220erste und letzte Satz, schmeckt wie ein schwacher Abguß von
0221Haydn und Mozart. Man weiß immer je vier Tacte voraus,
0222ohne den vier vorhergegangenen gerade nachzuweinen. Das
0223Geheimniß der musikalischen Wirkung besteht aber im Grunde
0224darin, daß in der Composition Alles so kommt, wie es kom-
0225men muß, und doch ganz anders, als wir erwarteten ...
0226Der Sturm“ von Haydn, ein bekanntes Chorstück, das
0227ehedem im Wiener Concertleben eine große Rolle gespielt
0228hat, ist für London im Jahre 1792 componirt. Seit diesen
022999 Jahren haben wir ganz andere „Stürme“ erlebt, in
0230der Musik, in der Poesie, in der Weltgeschichte, im
0231eigenen Seelenleben. Wenn Haydn nach dem kurzen Ge-
0232witter die Bitte „Komm’ doch wieder, sanfte Ruh’“ unzäh-
0233ligemale lang ausdehnend wiederholt, dann beginnt ganz
0234sanft die „sanfte Ruh’“ in sanfte Langweile zu gerinnen. [3]
0235... Der „Symphonische Prolog zu Shakespeare’s Othello“
0236von Arnold Krug ist durchaus modern und demgemäß
0237auch unsere Langweile eine moderne, gereizte, nervöse.
0238Weder die finster brütende Einleitung, noch das ausgebrütete
0239C-moll-Allegro, mit Othello’s Eifersucht und dem contrastiren-
0240den Desdemona-Motiv — einem auf Harfen-Arpeggien
0241schwimmenden Oboë-Solo — gewinnen überzeugende Macht
0242über den Hörer. Daß der Componist schließlich zum Er-
0243drosseln der armen Desdemona dreimal so viel Zeit und
0244Anstrengung verbraucht, als Othello selbst, das mag ihm
0245das gequälte Opfer verzeihen — wir können’s nicht. Vor
0246drei Jahren brachten die Gesellschafts-Concerte eine kleine
0247Cantate von Krug: „Die Maien-Königin“, der man zwar
0248keine originellen Ideen, aber doch gute Klangwirkung und
0249eine gewisse gefällige Lyrik nachrühmen konnte. Der „Sym-
0250phonische Prolog zu Othello“ (sonst nannte man das
0251einfach eine Ouvertüre) scheitert an der gewaltigen tragi-
0252schen Aufgabe, welche die Kraft des Componisten übersteigt
0253und mit aufgeregten Phrasen und billigen Orchester-Effecten
0254nicht zu erledigen ist. Es lag keine Nöthigung vor, zu diesem
0255erfindungsarmen Werke zu greifen, während in Wien so viele
0256interessante Orchester-Compositionen von Saint-Saëns,
0257Svendsen, Tschaikowsky, Richard Strauß u. A. unbekannt
0258sind. ... Zum Schlusse: die „Gralsfeier“ aus Wagner’s 
0259Parsifal“. Im Bayreuther Theater hat sie gewiß noch
0260Niemanden gelangweilt, im Concertsaale nimmt sie sich diese
0261Freiheit. Dort bewundern wir an dem Stücke die unerschöpf-
0262liche malerische Phantasie, die theatralische Inspiration
0263Wagner’s, welche in jedem Bühnenwerke immer neue
0264fesselnde Bilder zu schaffen weiß. Der ganz eigenartige, im-
0265posante Eindruck dieser Gralsfeier haftet aber unablösbar
0266an dem scenischen Vorgange. Indem man diese Scene in
0267den Concertsaal überträgt, wo sie farblos, sinnlos, unver-
0268ständlich und ermüdend ist, leistet man weder dem Werke
0269noch dessen Urheber einen Dienst, sondern höchstens der Neu-
0270gierde des Publicums. Diese hat bereits durch ein Gral-
0271Concert unter H. Richter (1887) ihr Opfer erhalten; jede
0272Wiederholung kann den Irrthum dieser Verpflanzung und
0273Verkrüpplung des Originals nur noch auffälliger machen.