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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1292. Wien, Samstag den 4. April 1868

[1]

Ein musikalisches Anliegen.


0002Ed. H. „Werden Sie Stifter?“ „Sind Sie Grün-
0003der
?“ Mit dieser geheimnißvollen Parole hört man jetzt häufig
0004Leute einander anrufen, die im Geruche besonderer Musikliebe
0005stehen. Kommt vollends Herr Nikolaus Dumba mit seinem
0006musikalischen Minister-Portefeuille unter dem Arme desselben
0007Weges, so sieht er sich bald wie Sarastro von eingeweihten
0008Prüfern und Sprechern umringt, die ihn nach dem neuesten
0009Stande der „Stifter“ und „Gründer“ befragen. Die Unein-
0010geweihten aber merken aus der Erregtheit unserer musikalischen
0011guten Gesellschaft, daß wichtige Ereignisse auf diesem Gebiete
0012in Schwang gehen. Das ist auch wirklich der Fall. Eine
0013schwere, fast eine Lebensfrage der Musik in Wien, seit gerau-
0014mer Zeit sachte, schrittweise herankommend, ist jetzt leibhaftig
0015über unsere Schwelle getreten und heischt Antwort. Ein Auf-
0016ruf der neuen Direction der „Gesellschaft der Musikfreunde“
0017gibt hierüber ehrliche, offene Auskunft; sein Inhalt scheint uns
0018wichtig genug, um auch die Musikfreunde außerhalb Wiens zu
0019interessiren.


0020Wir wollen nicht weit zurückgreifen. Man weiß, wie die
0021„Gesellschaft der Musikfreunde“ mit immer schwererer, aber
0022bisher siegreicher Anstrengung sich gegen die Ungunst der Zei-
0023ten vertheidigt hat in ihrer doppelten Wirksamkeit: dem Con-
0024servatorium
und den großen Concert-Aufführungen.
0025Nicht länger jedoch war zu verhehlen, daß sie den gesteigerten
0026Anforderungen der Gegenwart nach beiden Richtungen nur
0027entsprechen könne durch den Bau eines neuen, eigenen Hau-
0028ses, welches passende Concertsäle und hinreichende Räumlich-
0029keiten für das Conservatorium enthielte. Dieses Bau-Unter-
0030nehmen wurde zuerst von Sr. Majestät dem Kaiser in groß-
0031artiger Weise gefördert; ein Bauplatz nächst der Handels-Aka-
0032demie ward der „Gesellschaft der Musikfreunde“ unentgeltlich
0033eingeräumt und die Hälfte des Erträgnisses von zwei Woh-
0034thätigkeits-Lotterien dem Baufonds zugewendet. Es war eine
0035Bedingung dieser Schenkung, dass der Bau sofort begonnen  
0036werden mußte, und so haben denn die ersten kostspieligen Ar-
0037beiten, die Erdaushebungen und die Grundmauern, jenen Lot-
0038terie-Ertrag so gut wie verschlungen. Diese Grundmauern vor
0039Augen und den herrlichen Plan von Meister Hansen in der
0040Hand, steht nun die Direction gar betrübt auf dem Bauplatz
0041und — hat kein Geld, den begonnenen Musikpalast weiterzu-
0042führen. Dies ist die Situation. Nachdem alle erdenklichen
0043Mittel zur Abhilfe berathen waren, mußte man zu
0044der Ueberzeugung gelangen, daß nur durch eine aus-
0045giebige, rasche Betheiligung aller Musikfreunde Wiens
0046der Bau fortgeführt und vollendet werden kann.
0047Der Direction widerstrebte es jedoch, schlechtweg mit der Al-
0048mosenbüchse von Haus zu Haus zu pilgern, ohne ihrerseits den
0049Spendern eine angemessene Gegenleistung zu bieten. Sie ver-
0050fiel auf die Errichtung zweier neuer Kategorien von
0051Mitgliedern
, welche neben den einfach „unterstützenden“ ein
0052besonderes Verdienst um die Gesellschaft und besondere Rechte
0053an derselben erwerben sollten. Und dies sind eben die vielge-
0054nannten „Stifter“ und „Gründer“. Jeder Spender einer Ka-
0055pitals-Einlage von zweitausend Gulden zum Baufonds wird
0056als Stifter in die Gesellschaft aufgenommen und erwirbt
0057dadurch für sich und seine Erben für immer das Recht, einen
0058Zögling im Conservatorium unentgeltlich ausbilden zu
0059lassen. Dieser Stiftungsplatz wird nach dem Namen des Stif-
0060ters benannt; die Namen der Stifter werden, in Votivtafel
0061eingegraben, Festsaale prangen. Dem „Stifter“ erwächst
0062ferner das erbliche Recht der Mitgliedschaft der Gesellschaft
0063und damit ein erblich eigener, mit seinem Namen bezeichneter
0064Sitz zu allen Vereinsconcerten. Damit jedoch auch jene Musik-
0065freunde, die nur über eine kleinere Summe zu diesem Zwecke
0066disponiren wollen, in bleibende Rechte treten können, wird
0067jeder Spender von zweihundert Gulden „Gründer“ der Ge-
0068sellschaft und erwirbt das erbliche Mitgliedsrecht. Der Grün-
0069der erhält einen mit seinem Namen bezeichneten unentgeltlichen
0070Sitz zu allen Vereinsconcerten und (so wie der „Stifter“) das
0071Vorkaufsrecht auf diesen Sitz zu allen anderen Musik-Produ-
0072tionen von Virtuosen u. dgl. Zwei passende Nebenbestimmun-
0073nen wurden hinzugefügt: dass sowol Stifter als Gründer den  
0074genannten Kapitalsbeitrag in Raten einzahlen können, sodann
0075daß die Nachbarsitze nach Möglichkeit für die Familienglieder
0076der Gründer und Stifter reservirt werden, falls diese als
0077temporäre Mitglieder oder nur als Concert-Abonnenten ein-
0078treten. Die Beträge von zweitausend Gulden und von zwei-
0079hundert Gulden, für welche man Stifter oder Gründer wird,
0080sind nicht willkürlich angesetzt. Die Summe von zweitausend
0081Gulden ist die Kapitalisirung des Schulgeldes für einen
0082Zögling und des Beitrags als Mitglied. Die von
0083den „Gründern“ zu erlegende Summe von zweihundert
0084Gulden repräsentirt die (sechspercentige) Kapitalisirung
0085des jährlichen Mitgliederbeitrages von zwölf Gulden.
0086Die Stifter und Gründer sind durch jenen einmaligen Erlag
0087für alle Zeiten der Mühe überhoben, sich zu Anfang jeder
0088Saison um ihre Concertsitze zu kümmern. Die diesjährigen
0089„Gesellschafts-Concerte“, zu denen Späterkommende einen Sitz
0090selbst für Liebhaberpreise nicht zu erlangen vermochten, bewie-
0091sen, daß jener Vortheil nicht ganz unerheblich ist. Mit der
0092künstlerischen Vollkommenheit dieser Productionen ist auch die
0093Schwierigkeit gewachsen, Plätze dafür zu erhalten. Wir nähern
0094uns damit den Pariser Verhältnissen: ein Sitz zu den Con-
0095servatoire-Concerten ist dort Gegenstand langjähriger Vormer-
0096kung, wird in der Familie vererbt, an Fremde veräußert und
0097übertragen. Er repräsentirt einen förmlichen Kapitalswerth,
0098wie die zu eigen erworbenen Logen in den Theatern Italiens.
0099Die rasch zunehmende künstlerische und sociale Entwicklung
0100Wiens wird ohne Zweifel ähnliche Verhältnisse für die großen „Ge-
0101sellschafts-Concerte“ herbei führen. Nichtsdestoweniger sind wir
0102überzeugt, daß nicht diese Vortheile den stärksten oder einzigen
0103Magnet für die eintretenden Stifter und Gründer bilden,
0104daß diese vielmehr ihren besten Lohn in dem Bewußtsein fin-
0105den, ihr Scherflein für eine große künstlerische Angelegenheit
0106beigetragen zu haben.


0107Der Aufruf der Direction wendet sich natürlich zunächst
0108an den reichen Adel, die großen Grundbesitzer, die hohen geist-
0109lichen Würdenträger — sie erscheinen recht eigentlich als die
0110prädestinirten „Stifter“. Die Namen der hervorragendsten
0111Adelsgeschlechter sind mit der Geschichte der Musik in Oester[2]-
0112reich eng verwachsen. Niemand kann der österreichischen Aristo-
0113kratie die rühmlichen Verdienste streitig machen, welche sie in
0114früherer Zeit um Tonkunst und Tonkünstler sich gesammelt.
0115Allein mit jeder neuen Generation, seit 40 bis 50 Jahren, ist
0116dieser Ruhm blasser geworden, hat sich dieser musikalische Eifer
0117des österreichischen Adels verringert. Schon die Gründung der
0118„Gesellschaft der Musikfreunde“ (1813) und des Wiener Con-
0119servatoriums (18171821) trägt einen eminent bürgerlichen
0120Charakter: es war der gebildete Mittelstand, die musicirende
0121Dilettantenschaft, welche dies Institut ins Leben riefen und
0122(von wenigen Adeligen unterstützt) erhielten. Im Gegensatze
0123hiezu ist das Prager Conservatorium ganz und gar eine
0124Schöpfung des böhmischen Adels.*)


0138Was der österreichische hohe Adel gegenwärtig für die
0139Pflege der Musik thut, ist äußerst geringfügig. Ueberhaupt
0140müssen wir die noch vielfach waltende Illusion zerstören, dass
0141die wohlhabenden Musikfreunde Wiens das Conservatorium
0142namhaft unterstützen. Der letzte Jahresbericht weist an Unter-
0143stützungsbeiträgen für das Conservatorium (außer dem sehr
0144mäßigen Staatsbeitrage von 3000 fl. und dem Gemeindebei-
0145trage von 1000 fl.) nur folgende aus: Die Sparkasse 
0146105 fl.; Erzbischof Cardinal Rauscher 26 fl.; Fürst Liech-
0147tenstein
40 fl.; Fürst Schwarzenberg 10 fl.: Fürst
0148Clary 15 fl.; Stift Schotten 15 fl.; Ritter v. André 
014910 fl. Dies ist die ganze Unterstützung, welche der ersten und 
0150wichtigsten Musikanstalt des Kaiserstaates zu Theil wird. Glück-
0151licherweise können wir jetzt schon mit großer Befriedigung mel-
0152den, daß in Folge des neuesten Aufrufes sich bereits zahlreiche
0153Musikfreunde und Gönner gefunden haben, welche, dem Wahl-
0154spruche: „Noblesse oblige“ folgend, sich sofort an die Spitze
0155der „Stifter“ stellten.*) Nur Unkenntniß oder Undank ver-
0169möchte hier den Namen des Mannes zu übergehen, dessen auf-
0170opfernder Thätigkeit diese ersten schönen Erfolge zu danken sind,
0171den Namen Nikolaus Dumbaʼs.


0172Neben den Stiftern und Gründern bleibt die Kategorie
0173der „unterstützenden Mitglieder der Gesellschaft
0174bestehen. Aus welchem Grunde sie bisher diesen schmeichelhaften
0175Namen führten, ist schwer einzusehen. Indem sie für einen
0176Jahresbetrag von nur 6 fl. einen Sperrsitz zu vier großen
0177Concerten erhielten, außerdem das Stimmrecht in den General-
0178Versammlungen, die Benützung der Bibliothek und des Archives,
0179haben sie in der That Niemanden unterstützt als sich selbst. Da
0180die großen Gesellschafts-Concerte regelmäßig mehr kosten als
0181eintragen (das letzte mit der neunten Symphonie verursachte der
0182Gesellschaft eine Auslage von circa 1600 fl. trotz des überfüllten
0183Saales), nehmen sie fast den Charakter eines Geschenkes an, wel-
0184ches die Direction ihren „unterstützenden“ Mitgliedern macht.*)
0189Der geringe Abonnementspreis für die Gesellschafts-Con-
0190certe ist längst als eine Anomalie erkannt worden, er steht
0191außer Verhältniß zu dem Kunstwerth und der Kostspieligkeit
0192dieser Productionen, sowie zu den Preisen anderer Concerte.
0193Nun ist aber das „unterstützende Mitglied“ nicht bloßer Con-
0194cert-Abonnent, mit seinen sechs Gulden soll auch noch das
0195Conservatorium bedacht werden. Die letzte General-Versamm-
0196lung hat demnach mit vollem Rechte beschlossen, den Jahres-
0197beitrag der unterstützenden Mitglieder auf zwölf Gulden zu
0198erhöhen, wovon sechs Gulden für die Concerte und sechs Gul-
0199den für das Conservatorium gedacht sind. Wir sind über-
0200zeugt, daß diese Beitragserhöhung die Zahl der Mitglieder nicht
0201vermindern wird. Jeder echte Musikfreund, so meinen wir,
0202wird angesichts der gegenwärtigen Bedrängniß der „Gesell-
0203schaft“ es als eine moralische Verpflichtung empfinden, das
0204erste Conservatorium und die bedeutendste Concert-Unterneh-
0205mung der Monarchie durch jenen kleinen Mehrbetrag wirklich
0206zu „unterstützen“ und zu der Vollendung eines Baues beizu-
0207tragen, welcher ein würdiges Asyl der Musik und eine der
0208schönsten Zierden der Stadt bilden soll. Wem der ganze
0209Ernst dieser Angelegenheit aus unseren Zeilen nicht klar ge-
0210worden sein sollte, der wird ihn aus den Schlußworten des Rund-
0211schreibens der Direction herausfühlen. Diese lauten: „Sollte
0212dieser Aufruf nicht mit ausreichendem Erfolge gekrönt wer-
0213den, so wird die Gesellschaft der Musikfreunde genöthigt sein,
0214das schöne und gemeinnützige Werk aufzugeben, und die Di-
0215rection müßte das ganze Unternehmen, wenn auch mit gro-
0216ßem Bedauern, so doch mit dem Bewußtsein fallen lassen, daß
0217sie das Gute gewollt habe, jedoch dasselbe wegen Mangels an
0218Theilnahme, ohne ihr Verschulden, nicht vollführen konnte.“
0219Dahin, wir sind dessen gewiß, wird es und kann es in einer
0220Stadt nicht kommen, welche, eine Metropole der Musik von
0221altersher, ein so großes und patriotisches Elitecorps von
0222Kunstfreunden ihr eigen nennt. Mit vollem Vertrauen dür-
0223fen wir auf die werkthätige Theilnahme dieser Männer zählen.
0224und ihnen zurufen: Werdet Stifter, werdet Gründer!

Fußnoten
  • *)Im Jahre 1808 die erschließen die Grafen Wrtby, Stern-
    berg
    , Johann und Friedrich Nostitz, Pachta, Clam-Gallas,
    Firmian und Klebelsberg den Aufruf zur Gründung eines
    Conservatoriums in Prag und verbanden sich zur Zahlung von jähr-
    lich 2700 fl. Sie luden alle Liebhaber der Tonkunst zur Subscription
    ein, als deren kleinster Betrag 100 fl. bestimmt war. Zweiundzwanzig
    böhmische Adelige subscribierten sofort mit einer jährlichen Summe
    von 6600 fl. Die Gründer widmeten in aufopfernder Weise und un-
    mittelbar eingreifend ihre Thätigkeit dem Institut. Es präsidierten ab-
    wechselnd Fürst Lobkowitz und Graf Nostitz, technischer Referent
    war Graf Klebelsberg, Wirthschafts-Chef Fürst Kinsky,
    Cassier Graf Wrtby, Assessoren die Grafen Clam, Defours 
    und Pachta.
  • *)Als Stifter der „Gesellschaft der Musikfreunde“ sind bis
    jetzt eingetreten: Ihre kaiserlichen Hoheiten die Herren Erzherzoge Franz
    Karl
    , Karl Ludwig, Ludwig Victor, Albrecht und Wilhelm;
    Herzog August von Coburg, der Abt des Stiftes Schotten, die
    Niederösterreichische Sparkasse, die Fürsten Czartoryski,
    Batthyanyi, Karl Liechtenstein, Johannes Liechtenstein,
    Kinsky, Schwarzenberg, Hohenlohe; Graf Czernin; die Frei-
    herren v. Rothschild, Sina, Wodianer, Prandau; die Herren
    v. Schey, Schwarz v. Mohrenstern, v. Friedland, Drasche 
    und Cünzer. Außerdem haben zwölf bis fünfzehn hervorragende Kunst-
    freunde ihren Beitritt als Stifter in nächste Aussicht gestellt. Die
    Zahl der Günder (Dr. Eduard Schön figurirt als der erste der-
    selben) wird natürlich noch viel bedeuter sein.
  • *)Der Rechnungsabschluß des letzten Verwaltungsjahres bezif-
    fert die Concert-Einnahmen mit 4379 fl., die Concert-Aus-
    gaben
    mit 8623 fl. Concerte haben somit noch einmal so viel
    gekostet als eingetragen.