Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8758. Wien, Freitag, den 11. Januar 1889
[1]Briefe von Richard Wagner an Uhlig, Fischer und Heine. I.
0002Ed. H. Wer ist Uhlig? wer Fischer? wer Ferdinand
0003Heine? So werden wol die meisten Leser beim Anblick der
0004neuen, soeben von Breitkopf & Härtel ausgegebenen Samm-
0005lung Wagner’scher Briefe fragen. Und sicherlich hätten die
0006Herausgeber mit einer kurzen biographischen Notiz dieser
0007leicht vorauszusehenden Frage begegnen sollen. Ein Leser, der
0008nicht mit jedem Detail, mit jeder Nebenfigur in Wagner’s
0009Leben vertraut ist, informirt sich nur mühsam über jene drei
0010Persönlichkeiten, die ihm in dem neuen Buche doch werth
0011und interessant geworden, ja durch Wagner ein bischen
0012mitunsterblich geworden sind. Theodor Uhlig war Kammer-
0013musiker, Wilhelm Fischer Chordirector und Regisseur,
0014Ferdinand Heine Schauspieler und Costümier am Dresdener
0015Hoftheater; ihre Bekanntschaft mit Wagner datirt aus der
0016Zeit seiner Capellmeisterschaft an diesem Theater. Zur innigen
0017Freundschaft, zur Bruderschaft auf Du und Du, erwuchs
0018dieses Verhältniß erst in der Entfernung, ja durch dieselbe.
0019Wagner empfand in seinem Züricher Exil ein gesteigertes
0020Bedürfniß nach engem freundschaftlichen Anschluß und Aus-
0021tausch. Hatte er während seiner sechsjährigen Thätigkeit in
0022Dresden den tüchtigen und liebenswürdigen Charakter dieser
0023drei im täglichen Theaterverkehr ihm nahestehenden Männer
0024kennen gelernt — in der Fremde konnte er ihre Hingebung
0025an seine Person und sein künstlerisches Streben noch ungleich
0026stärker erproben. Nach seiner Flucht aus Dresden beginnt er
0027von Zürich aus (1849) einen fleißigen Briefwechsel mit
0028allen Dreien. Nur Wagner’s eigene Briefe sind in der
0029neuen Sammlung abgedruckt; von den Antworten der drei
0030Freunde keine Zeile. Das ganz eigenartig fesselnde
0031dramatische Interesse, das dem Wagner-Liszt’schen Brief-
0032wechsel innewohnt, fehlt der neuen Briefsammlung. Dort
0033horchen wir dem Dialog der beiden genialen Männer;
0034die Briefe Wagner’s und die Antworten Liszt’s werfen
0035gegenseitig ein erklärendes, bedeutsames Licht auf einander.
0036Wagner’s Briefe an das Dresdener Freundeskleeblatt behan-
0037deln, mit wenigen ganz vereinzelten Ausnahmen, nicht so
0038wichtige Fragen, wie seine Sendschreiben an Liszt. Trotzdem
0039machen sie im Ganzen einen erfreulichen Eindruck, indem sie
0040Wagner mehr von seiner menschlich gemüthlichen Seite
0041zeigen, kameradschaftlich aufgeknöpft, zeitweise in Hemdärmeln.
0042Auch fällt es angenehm auf, daß Wagner an die genannten
0043drei Freunde beiweitem nicht so verzweifelt, so trost- und
0044hoffnungslos schreibt, wie gleichzeitig an Liszt. Man braucht
0045nur dieselben Jahrgänge in beiden Briefsammlungen mit
0046einander zu vergleichen. Es fehlt zwar auch nicht an einzelnen
0047Klagen und Verwünschungen; aber so herzzerreißende Schil-
0048derungen seines Züricher Lebens, eine solche Wollust der
0049Verzweiflung und Verbitterung wie in den Briefen an
0050Liszt wird man hier nicht finden. Wagner schreibt anfangs
0051sogar sehr gut gelaunt im Genuß der wiedergewonnenen
0052Freiheit. Ihm ist „immer so übermüthig, behaglich zu
0053Muthe, wie einem Hunde, der die Prügel weg hat“. „Ich
0054muß unverhohlen eingestehen,“ versichert er Uhlig (August
00551849), „daß mir die Freiheit über Alles gut schmeckt, die
0056ich hier in frischen Alpenluftzügen einathme. Was ist die ge-
0057meine Sorge um die sogenannte bürgerliche Zukunft gegen
0058das Bewußtsein, in seiner edelsten Thätigkeit nicht despoti-
0059sirt zu sein! ... Hier lebe ich nun, auf communistische Weise
0060durch Liszt unterstützt, heiter, und ich kann fast sagen, glück-
0061lich meiner besten Natur nach dahin.“ Und ein Jahr später
0062(August 1850): „Macht es dir Freude, zu erfahren, daß ich
0063ein glücklicher Mensch bin? Willst du, daß ich glücklich bin,
0064so lang ich lebe, so miß mir dies Leben nicht nach der
0065Länge, sondern nach dem Inhalte zu. Die Zeit ist das
0066absolute Nichts, nur was die Zeit vergessen macht,
0067was sie vernichtet, ist das Etwas... Also: Ich
0068bin glücklich! Seid ihr gescheit, so seid ihr
0069es Alle!“ Und wieder in einem späteren Briefe:
0070„Ich fühle mich jetzt wieder in Zürich sehr wohl, und nach
0071meiner Wahl möchte ich in der ganzen weiten Welt nicht
0072anderswo leben, als hier. Wir haben eine höchst angenehme
0073Wohnung am See, mit den herrlichsten Aussichten, Garten etc.
0074Im Hausrock gehe ich hinunter und bade mich im See; ein
0075Boot ist da, auf dem wir uns selbst fahren. Dazu ein vor-
0076trefflicher Schlag Menschen, Theilnahme, Gefälligkeit, ja
0077rührendste Dienstbeflissenheit, wohin wir uns wenden. Mehr
0078und zuverlässigere Freunde, als ich je im weiten schönen
0079Dresden finden konnte. Alles ist froh, daß ich nur da bin;
0080von Philistern kenne ich nur die sächsischen Flüchtlinge. Ach,
0081was kommt Ihr mir dort unglücklich und bedauernswürdig
0082vor!“ Ganz ähnlich, wieder ein Jahr später (1851) an
0083W. Fischer: „Ich lebe im Schutze wirklicher und echter Liebe
0084von Menschen, die mich so kennen, wie ich bin, und mich
0085nicht um ein Haar anders haben wollen. Ich bin nur zu
0086beneiden.“ An F. Heine schreibt Wagner im selben Jahre
0087(1851): „Ach, wenn mich nur kein Mensch mehr um den
0088Verlust meiner Dresdener Stelle bedauern wollte! Wie
0089wenig kennen mich die, die diesen Verlust für mich als ein
0090Unglück ansehen. Würde ich heute amnestirt und sollte ich
0091wieder Dresdener Ober-Hofcapellmeister werden: du solltest
0092sehen, mit welcher Seelenruhe ich in meiner Schweiz sitzen
0093bliebe und vielleicht kaum den gesegneten Boden des deutschen
0094Reichs nur beträte!“
0095Am zahlreichsten sind die Briefe an Uhlig; 92 von
0096den 177 Briefen des vorliegenden Bandes. Sie sind zugleich
0097die ausführlichsten und gehaltvollsten, wenden sie sich doch zumeist
0098an den Musikkritiker Uhlig, mit welchem Wagner
0099sich durch stärkere geistige Interessen verknüpft fühlte, als
0100mit dem Chordirector Fischer und dem Costümier Heine.
0101Theodor Uhlig war fast zehn Jahre jünger als Wagner.
0102Unter Friedrich Schneider in Dessau zum gründlichen Musiker
0103gebildet, tüchtiger Violinspieler und Componist, wurde er
01041841 Mitglied der königlichen Capelle in Dresden. Er hat
0105nicht weniger als 84 größere und kleinere Werke componirt,
0106von welchen blos ein Quartett und einige Lieder gedruckt
0107sind; dem Publicum ist nur seine Musik zu Räder’schen
0108Possen bekannt geworden, worunter — merkwürdigerweise —
0109ein Stück, mit dem er die damals noch neue Wagner’sche
0110Richtung zu persifliren suchte. Uhlig hatte unter Wagner’s
0111eigener Leitung die Opern Rienzi, Fliegender Holländer und
0112Tannhäuser kennen gelernt, war aber, nach dem Zeugnisse
0113seines Freundes W. Rühlmann, bis 1847 ein entschiedener
0114Gegner derselben. Erst durch seine Direction der Neunten
0115Symphonie von Beethoven, außerdem durch einen auffallen-
0116den Beweis persönlichen Vertrauens gewann Wagner seinen
0117früheren Gegner vollständig. Uhlig vertieft sich nun in die
0118Partitur des Tannhäuser, hört selber vollständig auf zu com-
0119poniren und wird eifriger Musikschriftsteller aus Enthusias-
0120mus für Wagner. In Brendel’s Leipziger Musikzeitschrift
0121(1849 bis 1852) begegnet uns Uhlig als einer der ersten, [2]
0122feurigsten und rücksichtslosesten Kämpfer für Wagner’s Werke
0123und Ideen. Er war ein aufgeweckter Kopf, dem der Besitz
0124einer reellen musikalischen Bildung beträchtlichen Vortheil ge-
0125währte über andere Wagner-Schwärmer, wie z. B. Brendel.
0126Dieser Vortheil ging aber halb verloren in der unbedingten,
0127blinden Heeresfolge. In diesem apologetischen Sinn schrieb
0128er zuerst über Wagner’s reformatorische Schriften, deren
0129pseudophilosophischer Jargon merklich auf Uhlig’s Styl ab-
0130gefärbt hat. Noch eifriger tummelte er sich in der Polemik
0131gegen Alle, die irgend etwas gegen Wagner einzuwenden
0132wagten. Veranlaßt durch das außerordentliche Lob, das
0133Wagner den Aufsätzen Uhlig’s spendet, habe ich die meisten
0134derselben jetzt nachgelesen, ohne mich mit dieser Art von ge-
0135schmackloser, beißwüthiger Polemik befreunden zu können.
0136(Als Ein Beispiel unter vielen erwähne ich zur Be-
0137gründung des Gesagten den Aufsatz „Wollen“ in
0138Nr. 8 und 9 der Brendel’schen Zeitschrift vom Jahre 1851.)
0139Bemerkenswerth ist, daß der Einfluß Uhlig’s und mittelbar
0140Wagner’s sich in der Brendel’schen Zeitschrift sofort auch in
0141zwei Dingen zeigt: erstens in der auffallend kühleren Be-
0142urtheilung Robert Schumann’s, dann in den ersten Symp-
0143tomen der musikalischen Judenhetze. Die stereotypen Bei-
0144wörter „hebräisch“, „jüdisch“, so oft Meyerbeer mit der
0145ganzen Verbissenheit Uhlig-Wagner’schen Hasses angefallen
0146wird, kommen hier in musikalischer Beurtheilung zum ersten-
0147male vor. Wagner’s „Judenthum in der Musik“ nimmt
0148thatsächlich seinen Ausgangspunkt von einem Worte Uhlig’s
0149über den herrschenden „hebräischen Kunstgeschmack“. Aus dem
0150Liszt-Wagner-Briefwechsel ist auch das „ausgezeichnete Ur-
0151theil“ Uhlig’s bekannt, daß die Prometheus-Ouvertüre von
0152Liszt allein mehr werth sei, als der ganze Mendels-
0153sohn! Ein echteres und bleibendes Verdienst hat sich Uhlig
0154durch seinen Clavierauszug des „Lohengrin“ geschaffen; wol
0155der beste, den wir von allen Wagner’schen Opern besitzen.
0156Ein schweres Hals- und Lungenleiden, mit welchem Uhlig
0157das Jahr 1852 hindurch gekämpft, machte schon am
01583. Januar 1853 dem Leben des erst 31jährigen talentvollen
0159Mannes ein Ende. Welch treuen und hingebenden Freund
0160Wagner an Theodor Uhlig verloren hat, davon geben die
0161vorliegenden Briefe Zeugniß.
0162Die erste Zeit seines Aufenthaltes in Zürich wendete
0163Wagner bekanntlich an die Abfassung seiner kunstphilosophi-
0164schen Schriften: „Die Kunst und die Revolution“, „Das
0165Kunstwerk der Zukunft“, endlich „Oper und Drama“.
0166Von diesen Arbeiten sprechen seine ersten Briefe an Uhlig.
0167Erstaunlich ist der nimmermüde leidenschaftliche Eifer, wo-
0168mit sich Wagner plötzlich in die schriftstellerische Thätigkeit
0169stürzt, auf musikalisches Schaffen gänzlich vergessend. Kaum
0170hat er die erste Schrift: „Die Kunst und die Revolution“,
0171an den Verleger Wigand abgeschickt, so meldet er Uhlig:
0172„Seit ein paar Wochen, das heißt seitdem ich häuslich zur
0173Ruhe gekommen bin, hat mich die Wuth zu einer neuen
0174literarischen Arbeit, „Das Kunstwerk der Zukunft“, in sol-
0175chem Grade gefaßt, daß ich selbst heute mir nicht die Zeit
0176gönne, Ihnen ordentlich zu schreiben. Mir brennt der Kopf
0177vor lauter Kunstdarlegung.“ Vier Wochen später schickt er
0178ihm bereits das ganze umfangreiche Manuscript. Uhlig möge
0179sich nicht viel Noth bereiten, günstige Besprechungen dieser
0180Arbeiten zu erzielen. „Wichtig ist mir nur Eines! — daß
0181sie möglichst viel gelesen werden: was hiezu beigetragen wer-
0182den kann, ist mir lieb; ob sie heruntergerissen werden, ist
0183sehr gleichgiltig, und zwar weil es sehr natürlich ist. Ich
0184bringe ja keine Versöhnung mit der Nichtswürdigkeit, son-
0185dern den unbarmherzigsten Krieg... Das wird meine letzte
0186schriftstellerische Arbeit gewesen sein.“ Aber schon im nächsten
0187Monate widerruft Wagner diesen Entschluß: „Ich war nach
0188der Abfassung der Arbeit so bestimmt, nicht mehr in der
0189Weise zu schriftstellern, daß ich jetzt darüber lachen muß:
0190nach allen Seiten hin quillt mir die Nothwendigkeit hervor,
0191wieder zu schreiben. Sind wir ganz aufrichtig, so müssen wir
0192eigentlich auch zugestehen, daß es jetzt das Einzige ist, was
0193Sinn und Zweck hat: das Kunstwerk kann jetzt nicht geschaffen,
0194sondern nur vorbereitet werden, und zwar durch Revolutioniren,
0195durch Zerstören und Zerschlagen alles dessen, was zerstörens-
0196und zerschlagenswerth ist. Das ist unser Werk, und ganz
0197andere Leute als wir werden erst die wahren schaffenden
0198Künstler sein. Nur Zerstörung ist jetzt nothwendig —
0199Aufbauen kann gegenwärtig nur willkürlich sein.“ Von diesen
0200Ansichten ist Wagner glücklicherweise bald abgekommen. Durch
0201seine Compositionen hat er eine ungeheure, immer noch fort-
0202arbeitende Wirkung erzielt, mit seinen „zerstörenden“ Schrif-
0203ten nur ein augenblickliches Aufsehen; ihnen bleibt kaum
0204mehr als biographische Bedeutung. Er selbst schreibt im
0205Sommer 1850 über seine Bücher: „Daß sie im Allgemeinen
0206gar nicht weiter betrachtet würden, setzte ich bereits voraus;
0207daß sie aber auch von den Wenigen aus unserer eigenen
0208Partei, die sie beachteten, meist gar nicht einmal verstanden
0209wurden, das habe ich endlich nur mit tiefem Seufzen wahr-
0210nehmen können. Wer soll auch aus unserm künstlerisch-egoi-
0211stischen Nachahmungs-Handwerkertreiben zum Beispiel die
0212naturgemäße Stellung der bildenden Kunst zur unmittelbaren,
0213rein menschlichen Kunst begreifen können?“ Und nun fällt
0214Wagner grimmig her über den „sonst gutgewillten Kunst-
0215ästhetiker in der Deutschen Monatsschrift, der so tief
0216in der absoluten Gedankenlosigkeit drin steckt, daß er über
0217diesen Gegenstand in ein solch kunstgeschwätziges Faseln ge-
0218räth“. Daß ernsthafte Gelehrte Wagner’s Ansichten über
0219die bildende Kunst ihrerseits für „Faseln“ erklären mußten,
0220wird man schon aus folgender Briefstelle Wagner’s (S. 26)
0221begreifen: „Wenn ich nachweisen will, daß die bildende
0222Kunst, als eine künstliche, von der wirklichen Kunst nur
0223abstrahirte Kunst, in der Zukunft ganz aufhören
0224müsse, wenn ich somit dieser, heute als Hauptkunst sich
0225gerirenden, bildenden Kunst — Malerei und Bild-
0226hauerei — ein Leben in der Zukunft ganz ab-
0227spreche, so gibst du mir wol zu u.s.w.“ Mit Wagner’s
0228Gleichgiltigkeit gegen die öffentliche Beurtheilung seiner Bücher
0229war es übrigens nicht so weit her; er schimpft gehörig über
0230die Kritiker, nicht etwa blos gegen die namenlosen in den
0231Musikzeitungen, sondern auch und ganz besonders gegen die
0232„Grenzboten“, in welchen Gustav Freytag und Otto
0233Jahn Wagner-Artikel geschrieben hatten. Wagner sendet
0234seinem „Offenen Brief“ an Brendel eigens eine Randnote
0235nach, um die „Grenzboten“ „als Lumpe hinzustellen“. „Die
0236„Grenzboten“, erklärt er Uhlig, „sind gegen mich in die
0237allergemeinste Recensenten-Niederträchtigkeit gerathen. Sie
0238wittern den Tod und decken so im Sterben auf, was sie
0239eigentlich sind: schlechte Kerle, und das sind sie, F. an der
0240Spitze.“*)
0244Sein Heil erblickt Wagner immerdar in den Frauen,
0245die sich ihm auch dankbar genug erwiesen haben. Gerne
0246citiren wir folgende schöne Stelle aus einem seiner Briefe
0247an Uhlig: „Mit Frauenherzen ist es meiner Kunst immer [3]
0248noch ganz gut gegangen, und das kommt doch wahrscheinlich
0249daher, daß bei aller herrschenden Gemeinheit es den Frauen doch
0250immer noch am schwierigsten fällt, ihre Seelen so gründlich
0251verledern zu lassen, als dies unserer staatsbürgerlichen Männer-
0252welt zu so voller Genüge gelungen ist. Die Frauen sind
0253eben die Musik des Lebens: sie nehmen Alles offener und
0254unbedingter in sich auf, um es durch ihr Mitgefühl zu ver-
0255schönern.“ Und in einem späteren Brief: „Frage E., was
0256ich darunter verstehe, sie wird es dir mit zwei Worten klar
0257und deutlich machen, denn — glaube mir — dieses Mädchen
0258ist dir weit voraus — und woher? Durch ihre Geburt, weil
0259sie ein Weib ist. Sie ist als Mensch geboren — du
0260und jeder Mann wird heutzutage als Philister geboren,
0261und langsam und mühevoll gelangen wir Aermsten erst
0262dazu, Menschen zu werden. Die Frauen, die ganz das
0263geblieben sind, was sie von Geburt an sind, können
0264uns einzig lehren, und wären sie nicht, wir
0265Männer gingen rettungslos im Dütendrehen zu Grunde.“
0266Neue Bestärkungen in seinem Frauencultus blieben für
0267Wagner niemals lange aus. „Gestern,“ meldet er am
026825. März 1852, „erhielt ich einen Brief aus Hamburg von
0269einer Frau von aristokratischer Geburt, die für meine
0270Schriften dankt: sie sei durch sie erlöst worden. Sie er-
0271klärt sich mir zur vollständigsten Revolutionärin. So sind
0272es doch immer die Frauen, die mir gegenüber das Herz auf
0273dem rechten Fleck haben, wogegen ich die Männer schon fast
0274ganz aufgeben muß.“ In Zürich führt Wagner einmal die
0275Tannhäuser-Ouvertüre auf; die Wirkung, schreibt er, war
0276geradewegs furchtbar. „Namentlich die Frauen sind
0277um und um gewendet worden: die Ergriffenheit war bei
0278ihnen so groß, daß Schluchzen und Weinen ihnen helfen
0279mußte... Ich war zunächst über diese ungemein heftige
0280Wirkung erstaunt. Gerade eine Frau löste mir aber das
0281Räthsel: ich bin den Leuten als niederschmet-
0282ternder Bußprediger gegen die Sünde der
0283Heuchelei erschienen.“ Nach diesem Stückchen darf
0284man wol bei der Dame eine ungewöhnliche Bußfertigkeit
0285und bei Wagner eine ebenso große Geneigtheit voraussetzen,
0286schönen Schwärmerinnen jeden Unsinn zu glauben.
0287(Ein Schlußartikel folgt.)