Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8759. Wien, Samstag, den 12. Januar 1889
[1]Briefe von Richard Wagner an Uhlig, Fischer und Heine. II.
(Schlußartikel.)
0003Ed. H. Eine nicht unwillkommene Abwechslung zwischen
0004den theoretischen Erörterungen und den rein geschäftlichen
0005Aufträgen bieten Wagner’s Mittheilungen über seine Wasser-
0006cur. Uhlig, ein begeisterter Apostel dieser Curmethode, hatte
0007ihm das bekannte Buch von Rausse: „Wasser thut’s frei-
0008lich“, geschickt, dessen überzeugender, oft geistreich humoristi-
0009scher Ton auch Wagner sofort gewann und ihn veranlaßte,
0010sich in der Wasserheilanstalt Albisbrunn einzuquartieren. Er
0011verbleibt dort von Anfang September bis gegen Ende November
00121851 und betreibt mit der ihm in allen Dingen eigenen
0013zähen Energie seine Cur. Daß diese keine geringen Ansprüche
0014machte, beweist uns nachstehende Tagesordnung Wagner’s:
00151. Früh halb 6 Uhr nasse Einpackung bis 7 Uhr, dann
0016kalte Wanne und Promenade. 8 Uhr Frühstück: trockenes
0017Brot und Milch oder Wasser! 2. Nochmals kurze Prome-
0018nade, dann eine kalte Compresse. 3. Gegen 12 Uhr nasse
0019Abreibung; kurze Promenade; neue Compresse. Dann Mittag-
0020essen auf dem Zimmer. Eine Stunde faullenzen; starke
0021Promenade von zwei Stunden — allein. 4. Gegen 5 Uhr
0022wieder nasse Abreibung und kleine Promenade. 5. Sitzbad
0023von einer Viertelstunde um 6 Uhr mit folgender Erwär-
0024mungs-Promenade. Neue Compresse. Um 7 Uhr Abendessen:
0025trocken Brot und Wasser! 6. Dann Whistpartie bis nach
00269 Uhr, folgt noch eine neue Compresse, und gegen 10 Uhr
0027geht’s ins Bett. In den ersten Wochen kann Wagner die
0028günstige Wirkung nicht genug loben. „Vorigen Montag,“
0029schreibt er, „war meine Eidgenossenschaft bei mir: sie
0030soffen wie immer, und mein Ekel vor diesem Weingesaufe,
0031ohne daß diese unglücklichen Menschen keine Spur von
0032Laune zu bekommen vermögen, hat mich vollends davon
0033überzeugt, daß ich wirklich curirt bin. Ich begreife nicht
0034mehr, wie es zugehen sollte und welches Unglück mich
0035treffen müßte, daß ich je wieder zum Wein, Bier u.s.w.
0036meine Zuflucht nähme.“ Nun, bekanntlich ist Wagner
0037von diesem ascetischen Entschluß später gründlich abgefallen
0038und praktisch zu dem Grundsatz zurückgekehrt, den er in
0039einem früheren Brief also ausdrückt: „Glaub’ mir, durch
0040das Wasser werden wir gesund, aber nur dann erst sind
0041wir gesund, wenn wir auch Wein trinken, ohne uns dadurch
0042zu schaden.“ Ein Jahr später kommt er zu der Ueberzeu-
0043gung, die strenge Wassercur habe ihm nur geschadet; er will
0044nichts mehr wissen von Wasserheilanstalten, wo doch nur
0045nach der Schablone gearbeitet werden kann. „Ich war jetzt
0046mit meinem Magen ganz hin, und dies kam hauptsächlich
0047von dem verfluchten Milchtrinken. Ich theile jetzt die
0048Ueberzeugung aller derjenigen, welche den Milchgenuß als
0049Unsinn bezeichnen. Milch ist die Nahrung der Säuglinge.
0050Kalte Milch trinkt gar kein Thier, und auch kein Natur-
0051mensch.“ Am schwersten und nur ganz kurze Zeit ertrug
0052Wagner die Entbehrung des Schnupftabaks. „Denke dir,“
0053klagt er Ferdinand Heine, „daß ich das Tabakschnupfen auf-
0054geben muß; seit sechs Tagen habe ich schon keine Prise mehr
0055genommen! Die Wirkung ist vorläufig, als ob ich verrückt
0056werden sollte.“ Wagner hat das Versäumte später reichlich
0057hereingebracht; er war einer der allerstärksten Schnupfer.
0058Etwas sehr Wahres, nur leider schwer Erreichbares meint
0059Wagner mit den Worten: „Bei Leiden unserer Art kann nur
0060ein Freund uns rathen und ein Arzt nur dann, wenn
0061er dies zugleich ist.“ So läßt er sich dann eine zeitlang von
0062— dem Dichter Georg Herwegh behandeln, der ihm „in
0063jeder Beziehung sympathetisch näher steht, als irgend ein Arzt“.
0064Ein besonderes Interesse gewährt es, in den Briefen
0065an Uhlig und Fischer Schritt vor Schritt zu verfolgen,
0066wie in Wagner allmälig der Plan zum „Ring des Nibe-
0067lungen“ entstand. Gleichzeitig damit zuerst der Traum,
0068dann das bewußte Streben, ein eigenes Theater für seine
0069Schöpfung zu errichten. Kaum hatte er in Zürich seine kunst-
0070philosophischen Schriften vollendet, als er schon daran geht,
0071einen „Siegfried“ zu schreiben, und zwar „Siegfried’s Tod“,
0072das letzte, jetzt „Götterdämmerung“ betitelte Stück der Tri-
0073logie. Schon im September 1850 (26 Jahre vor der Er-
0074öffnung des Bayreuther Festspielhauses!) schreibt er aus
0075Zürich an Uhlig: „Ich beschäftige mich jetzt mit Wünschen
0076und Plänen, die auf den ersten Anblick sehr chimärisch aus-
0077sehen, einzig mir aber doch Lust machen, an die Vollendung
0078des Siegfried überhaupt zu denken. Es handelt sich — zur
0079Realisirung des Besten, Entschiedensten und Bedeutungs-
0080vollsten, was ich unter den bestehenden Umständen leisten
0081kann, somit zur Erreichung meiner bewußten Lebensaufgabe
0082— um eine Summe von vielleicht 10,000 Thalern. Könnte
0083ich je über solch eine Summe disponiren, so würde ich Fol-
0084gendes veranstalten: Hier, wo ich nun gerade bin, und wo
0085Manches gar nicht so übel ist, würde ich auf einer schönen
0086Wiese bei der Stadt von Brett und Balken ein rohes
0087Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich blos
0088mit der Ausstattung an Decorationen und Maschinerien ver-
0089sehen lassen, die zur Aufführung des Siegfried nöthig sind.
0090Dann würde ich mir die geeignetsten Sänger, die irgendwo
0091vorhanden wären, auswählen und auf sechs Wochen nach
0092Zürich einladen; den Chor würde ich mir größtentheils
0093hier aus Freiwilligen zu bilden suchen. So würde ich mir
0094auch mein Orchester zusammenladen. Von Neujahr gingen
0095die Ausschreibungen und Einladungen an alle Freunde des
0096musikalischen Dramas durch alle Zeitungen Deutschlands mit
0097der Aufforderung zum Besuche des beabsichtigten dramatischen
0098Musikfestes; wer sich anmeldet und zu diesem Zwecke nach
0099Zürich reist, bekommt gesichertes Entrée, natürlich wie alles
0100Entrée: gratis! Ist Alles in gehöriger Ordnung, so lasse
0101ich dann drei Aufführungen des Siegfried in einer Woche
0102stattfinden; nach der dritten wird das Theater eingerissen
0103und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache
0104gefallen hat, sage ich dann: Nun macht’s auch so! Wollen
0105sie auch von mir wieder etwas Neues hören, so sage ich aber:
0106Schießt ihr das Geld zusammen!“ Aus diesem noch ganz
0107phantastischen Plane hat Wagner’s nicht nachlassende Energie
0108in der Folge das Bayreuther Festspielhaus herausentwickelt.
0109Im nächsten Jahre verlegt er sein geträumtes Theater von
0110Zürich an den Rhein: „Mit dem Siegfried habe ich noch
0111große Rosinen im Kopfe: drei Dramen, mit einem drei-
0112actigen Vorspiel. Wenn alle deutschen Theater zusammen-
0113brechen, schlage ich ein neues am Rhein auf, rufe zusammen
0114und führe das Ganze im Laufe einer Woche auf.“ Noch
0115bestimmter schreibt er am 15. Februar 1854 an F. Heine, [2]
0116es sollen die ganzen vier Nibelungen-Dramen zu Ostern
01171856 fertig sein. „Dann geht es ans Unmögliche: mir mein
0118eigenes Theater zu schaffen, mit dem ich vor ganz Europa
0119mein Werk als großes dramatisches Musikfest aufführe.“ Als
0120Wagner dies schrieb, hatte er kein Geld und noch nicht die
0121geringste Aussicht, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen.
0122Aber der Glaube an sich selbst und der eiserne Wille ver-
0123ließen ihn nicht, und so ist ihm „das Unmögliche“ schließlich
0124gelungen. Anfangs hatte Wagner, wie wir gesehen, nur
0125„Siegfried’s Tod“ im Sinne. Dann packte ihn aber die
0126Idee, in einem vorangehenden Stücke den jungen Sieg-
0127fried darzustellen. „Habe ich dir nicht,“ schreibt er im Mai
01281851, „früher schon einmal von einem heiteren Stoffe
0129geschrieben? Es war dies der Bursche, der auszieht, um das
0130Fürchten zu lernen, und so dumm ist, es nie lernen zu
0131wollen. Denke dir meinen Schreck, als ich plötzlich erkenne,
0132daß dieser Bursche niemand Anders ist, als — der junge
0133Siegfried, der den Hort gewinnt und Brünhilde erweckt!
0134Die Sache ist nun fertig. Der „junge Siegfried“ hat den
0135ungeheuren Vortheil, daß er den wichtigen Mythos dem
0136Publicum im Spiel, wie einem Kinde ein Märchen, bei-
0137bringt.“ Im November 1851 theilt er Uhlig zum erstenmale
0138die Idee mit, dem „jungen Siegfried“ noch eine „Tragödie
0139von erschütterndster Wirkung“, nämlich die Walküre,
0140vorangehen zu lassen, und diese drei Dramen durch ein grö-
0141ßeres Vorspiel („Das Rheingold“) einzuleiten. So knüpfte
0142sich ihm, in umgekehrter Ordnung, ein Glied an das andere
0143zu seiner großen Nibelungen-Trilogie. Ende Mai 1852 hat
0144Wagner den vollständigen Entwurf zur Dichtung der Wal-
0145küre fertig. „Ich bin wieder mehr wie je ergriffen von der
0146umfassenden Großartigkeit und Schönheit meines Stoffes.
0147Nach diesem Werke werde ich wol nie wieder dichten! Es ist
0148das Höchste und Vollendetste, was meiner Kraft entquillen
0149konnte. Sind die Verse fertig, so werde ich von dann ab wieder
0150ganz Musiker, um dann dereinst nur noch — Aufführer zu sein!“
0151Auf andere Componisten kommt Wagner sehr selten zu
0152sprechen; wo er es thut, geschieht dies in sehr geringschätzigem
0153Tone. Von Marschner’s „Vampyr“ schreibt er: „Die
0154Musik hat mich im Ganzen diesmal auch degoutirt; dieses
0155Duett-, Terzett- und Quartett-Singen und nählen (?) ist
0156doch rasend dumm und geschmacklos. Es ist weiß Gott nur
0157gelehrt-impotent gemachte, deutsch versohlte und verlederte
0158italienische Musik; durchaus nichts Anderes.“ Ueber
0159Mendelssohn’s Ausführung Beethoven’scher Werke heißt
0160es, daß „Mendelssohn den dichterischen Gehalt derselben gar
0161nicht fassen konnte, sonst — hätte er ja selbst etwas ganz
0162Anderes zu Tage bringen müssen! Mendelssohn’s grobe
0163Unwissenheit von dem Inhalte der Tonstücke; Jeder wird
0164das verstehen, der z.B. sein Tempo zum ersten Satz der
0165Neunten Symphonie hörte... Hier erschien er mir plötzlich
0166als der allergemeinste Musikmacher, und genau erkannte ich
0167hieran den Grund davon, daß er selbst nichts Anderes
0168schaffen konnte, als er schuf.“ Dieser Ausfall hängt enge
0169zusammen mit einer fixen Idee Wagner’s, die er auch Uhlig
0170des Breitesten auseinandersetzt — nämlich, daß Er (Wagner)
0171der einzige Mensch auf der Welt sei, der eine Beethoven’sche
0172Symphonie aufzufassen und zu dirigiren verstehe. In seinem
0173Buche „Ueber das Dirigiren“ hat Wagner dieses Thema
0174später ausführlich behandelt. Er findet das Wesenhafte der
0175größeren Tonwerke Beethoven’s darin, daß sie „nur in
0176letzter Linie Musik, in erster Linie aber einen dichteri-
0177schen Gegenstand enthalten“. „Am deutlichsten,“ schließt
0178er seine Auseinandersetzung, „dürfte es mir gelingen, den
0179dichterischen Gegenstand in der Coriolan-Ouvertüre zu
0180bezeichnen.“ (Das ist freilich nicht schwer!) „Ich darf mir
0181sagen, daß, wer meine Erklärung dieses Gegenstandes
0182genau kennt und ihre Richtigkeit von Stelle zu Stelle ver-
0183folgt, sich eingestehen muß, ohne diese Erklärung dieses
0184über Alles plastische Tonstück gar nicht verstanden zu
0185haben.“ Wagner fordert Uhlig auf, diese Gedan-
0186ken in einem „ordentlichen Artikel“ zu verarbeiten.
0187„Es ist hier wirklich ein für unser ganzes nach-Beethoven’-
0188sches Musiktreiben vernichtendes Thema berührt: meines Er-
0189achtens nichts Geringeres als der Beweis, daß Beethoven in
0190seiner eigentlichen Wesenheit, somit überhaupt gar nicht
0191verstanden worden ist. Ich wenigstens kann’s nicht anders
0192ansehen, da ich mir selbst jetzt ganz deutlich darüber gewor-
0193den bin, daß auch ich Beethoven nur von da ab ver-
0194stehe, wo ich dem dichterischen Gegenstande seiner Ton-
0195ausführungen auf die Spur gerieth und endlich auffand.“
0196Das ist ein sehr merkwürdiges Geständniß, und die ganze
0197musikalische Welt müßte eigentlich in Verzweiflung gerathen,
0198da sie weder vor Wagner noch neben oder nach Wagner eine
0199Beethoven’sche Symphonie je richtig gehört und verstanden
0200hat! Wie man aber aus Wagner’s Erklärung der Dritten
0201und der Neunten Symphonie weiß — nur diese zwei
0202hat er interpretirt — besteht seine Panacee für die
0203richtige Aufführung solcher Werke in einer bilderreichen
0204poetischen Ausdeutung oder Umdichtung derselben, welche
0205schwärmende Dilettanten entzücken mögen, aber einem Diri-
0206genten von Geist und Talent nicht die geringste neue Ent-
0207deckung oder fruchtbare Belehrung zuführen. Uhlig hat den
0208Auftrag seines Meisters so genau erfüllt, daß wir in seinem
0209Aufsatze „Ueber den dichterischen Gehalt Beethoven’scher Ton-
0210werke“ es in Brendel’s Zeitschrift vom 24. September 1852
0211die betreffenden Briefstellen Wagner’s wortgetreu wieder-
0212finden.
0213Das letzte Drittel des Buches füllen die Briefe an
0214Fischer und Heine. Wir finden darin, wie sich von selbst ver-
0215steht, viele Wiederholungen aus den an Uhlig gerichteten
0216Briefen: Mittheilungen über Wagner’s Befinden und Pläne,
0217seine Häuslichkeit in Zürich, seine Reise nach London und
0218Paris, endlich zahlreiche geschäftliche Aufträge. Letztere mehren
0219sich für Fischer insbesondere nach dem Tode Uhlig’s, welcher
0220bishin der Haupt-Commissionär für Wagner gewesen. Wag-
0221ner’s Briefe an Fischer und Heine beginnen nicht erst mit
0222dem Züricher Exil, sondern schon 1841 von Paris aus. Es
0223sind Zuschriften von hochachtungsvoller, fast unterwürfiger
0224Ergebenheit, worin der Chordirector und der Costumier des
0225Dresdener Hoftheaters um ihre „Protection und Geneigt-
0226heit“ gebeten werden bezüglich der in Aussicht stehenden Auf-
0227führung des Rienzi. Wagner betont wiederholt, daß er
0228diese Aussicht vor Allem seiner „hohen Gönnerin, der ange-
0229beteten Schröder-Devrient“ verdanke; diese hat indessen auf
0230ein Dutzend seiner Briefe gar nicht geantwortet, ja die Auf-
0231führung des Rienzi zu verschiedenenmalen geradezu verzögert.
0232Den wichtigsten Einfluß auf die Annahme des „Rienzi“ in
0233Dresden hat ohne Zweifel die Empfehlung Meyerbeer’s
0234gehabt, auf dessen Fürwort bekanntlich auch der „Flie-
0235gende Holländer“ in Berlin angenommen worden ist.
0236Davon macht Wagner aber nicht die leiseste Er-
0237wähnung, und wenn er behauptet, seine „größte [3]
0238Wollust sei, dankbar zu sein“, so hat er Meyer-
0239beer gegenüber stets das gerade Gegentheil bewiesen.*)
0262Im Sommer 1842 kommt Wagner, nach fünfjähriger Ent-
0263fernung von Deutschland, selbst nach Dresden, um die Auf-
0264führung seiner Oper vorzubereiten. Fischer, der uns als eine
0265bescheidene, liebenswürdige Natur geschildert wird, empfängt
0266Wagner mit einer Herzlichkeit, welche dieser ihm nie vergessen
0267hat. Wagner war damals 29 Jahre alt, Fischer sehr viel
0268älter, und trotzdem entspann sich zwischen den beiden Künst-
0269lern von so grundverschiedenem Wesen bald eine innige
0270Freundschaft. Fischer war im ersten Jünglingsalter zum
0271Theater gekommen, ward Schauspieler und als Baßbusso
0272ein Liebling des Leipziger Publicums. Aber das genügte ihm
0273nicht; es trieb ihn zum Ernst seiner Kunst; so pflegte er
0274seine musikalischen Kenntnisse, ward — neben seiner Stellung
0275als Schauspieler — Chordirector, studirte immer fort und
0276erlangte den Ruhm eines der vortrefflichsten Chordirigenten
0277in Deutschland. Oft traf ihn Wagner des Abends, wie
0278Fischer zur Erholung von den Tagesmühen allerhand seltene
0279Tonwerke alter Meister für sich allein zierlich abschrieb, um
0280daran zu lernen. Als Fischer im Jahre 1858 starb, widmete
0281ihm Wagner einen Nachruf, der wol das Wärmste und
0282Herzlichste ist, was aus seiner Feder geflossen. „Einst war
0283ich seine Freude, nun seine Sorge,“ so schreibt Wagner über
0284die Gesinnungen Fischer’s gegen ihn nach der Flucht von
0285Dresden. „Und wie sorgte er um mich! Als sich das ganz
0286Unerwartete wie ein Wunder zutrug und meine Opern, die
0287fast kaum den Bezirk Dresdens überschritten hatten, sich über
0288ganz Deutschland verbreiteten, da ging seine Sorge bald
0289in Besorgung über, und wo ich, der Jugendliche, erlag,
0290da trat der rüstige Alte ein, nahm mir alle Mühe ab, über-
0291wachte die Copien und Einrichtungen meiner Partitur, corre-
0292spondirte, trieb an, hielt ab — damit ich nur Ruhe hätte,
0293wieder arbeiten und meiner Kunst mich hingeben könne.
0294Wahrlich, es ist ein Trost, daß es Solche gibt! Es ist ein
0295unschätzbares Wohlgefühl, einem Solchen begegnet zu sein!“
0296Wagner’s Briefe an seinen gleichfalls viel älteren
0297Freund, den Costümier des Dresdener Hoftheaters, Ferdinand
0298Heine, haben im Inhalt und Ton viel Aehnliches mit
0299denen an Fischer. Die ersten sechs (aus Paris 1842) be-
0300handeln gleichfalls nur die Rienzi-Angelegenheit, in einem
0301Crescendo von Unruhe und Ungeduld. Die Züricher Mit-
0302theilungen athmen dieselbe trauliche Herzlichkeit, wie die
0303Unterhaltungen mit Fischer. Wagner gibt dem Freunde
0304allerlei Scherz- und Kosenamen: Heinemann, Heinemännlein,
0305Nante, und bezeugt die innigste Theilnahme für dessen Familie.
0306An Zahl weit geringer als die Briefe an Uhlig und Fischer,
0307reichen die an Heine doch am weitesten; der letzte ist datirt
0308aus München am 28. März 1868, also 16 Jahre nach
0309Uhlig’s, 10 Jahre nach Fischer’s Tod.
0310So legen wir denn die umfangreiche neue Briefsammlung
0311mit der Empfindung aus Händen, daß wir ihr zwar nicht
0312viel thatsächlich Neues verdanken, dafür aber manchen tieferen,
0313erfreulichen Blick in das Gemüthsleben Wagner’s. Der herz-
0314liche, kameradschaftlich traute Ton, den er gegen seine drei
0315Dresdener Freunde anschlägt und durchaus festhält, hat
0316etwas unmittelbar Wohlthuendes. Er unterscheidet sich wesent-
0317lich von der unnatürlichen, aus Vergötterung und Ver-
0318zweiflung gemischten Exaltation in den Briefen an Liszt,
0319welche uns manchmal einen leichten Nachgeschmack von Un-
0320echtheit zurückläßt. In ihrer Gesammtheit schätzen wir die
0321neuen Briefe keineswegs als die bedeutendsten, gewiß aber
0322als die liebenswürdigsten und gemüthvollsten, die wir von
0323Wagner kennen.