Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 665. Wien, Samstag den 7. Juli 1866
[1]Die Wohlthätigkeits-Concerte in Wien.
0002Ed. H. Die Leser, welche uns kürzlich auf unserem
0003Friedhofsgang durch die Reihen verblichener patriotischer
0004Concerte freundlich begleiteten, entsinnen sich, daß diese
0005politisch-musikalischen Demonstrationen sich meistens Wohl-
0006thätigkeits-Akademien zu ihrem Schauplatz erwählt hatten.
0007Schon bei dieser Specialität mußte die große Zahl der zu
0008wohlthätigen Zwecken gegebenen Concerte auffallen. In der
0009That bilden seit dem Anfang dieses Jahrhunderts die Wohl-
0010thätigkeits-Akademien einen integrirenden Bestandtheil
0011des Wiener Concertlebens. Sie haben nicht immer durch
0012ihren künstlerischen Werth, wol aber durch ihre eigenthüm-
0013liche Physiognomie, durch die Stabilität ihrer Widmungen,
0014durch Besonderheiten des Ortes und der Zeit Anspruch auf
0015einige Beachtung.
0016Als eines der erfolgreichsten Mittel, die allgemeine
0017Mildthätigkeit in Anspruch zu nehmen, hat man in Wien
0018seit jeher auch die Concerte verwendet. Wir erinnern, daß
0019bei der Gründung der „Gesellschaft der Musikfreunde“ diese den
0020humanitären Zweck ihrer Bestrebungen fast ebenso stark als den
0021künstlerischen betonte; eine Rücksicht, die sich im Laufe weniger
0022Jahre allerdings verlor, da die erste Sorge der Gesellschaft die
0023sein mußte, selbst fortzubestehen und die Kosten ihrer großen
0024Concerte aus dem Ertrag zu decken. Ein Wohlthätigkeitszweck,
0025der ausnahmsweise die musicirenden Concertgeber selbst an-
0026ging, hat auch die „Tonkünstler-Societät“ und deren Con-
0027certe ins Leben gerufen. Die vier jährlichen Akademien dieses
0028Vereins für den Witwen- und Waisenfonds der Musiker
0029waren die ersten stehenden („festgesetzten“) Concerte in
0030Wien und blieben es über das erste Decennium dieses Jahr-
0031hunderts hinaus. Kaum hatte ein öffentliches Concertleben
0032sich zu bilden begonnen, als einzelne, besonders begünstigte
0033Wohlthätigkeits-Institute das Vorrecht errangen, alljähr-
0034lich eine Akademie zu ihrem Vortheil zu veranstalten, d. h.
0035von mildthätigen Künstlern aufführen zu lassen. Die beson-
0036dere Begünstigung bestand in dem Monopol der betreffenden
0037Akademie auf einen bestimmten theaterfreien (Norma-)Abend
0038und auf die Benützung eines der beiden Hoftheater oder des
0039kaiserlichen Redoutensaales.
0040Das erste dieser Institute war der sogenannte „Hof-
0041theatral-Armenfonds“, d. h. die Versorgungskasse armer
0042oder verunglückter Mitglieder des untergeordneten Personals
0043der beiden Hofbühnen. Die erste Akademie für diesen Fonds
0044wurde am 25. December 1796, und zwar im großen Redou-
0045tensaale gegeben; auf Befehl des Kaisers hatte sie alljährlich
0046stattzufinden. Seit dem Jahre 1800 ungefähr begegnen wir
0047dieser Akademie im Burgtheater zur Fastenzeit und ein
0048halbes Jahrhundert später im Hofoperntheater mit der
0049Beschränkung auf den Pensionsfonds dieser Bühne, neue-
0050stens in vermehrter Ausgabe von zwei bis drei Vor-
0051stellungen. Nach dem Vorgange der Hoftheater gab auch das
0052Theater an der Wien vom Jahre 1805 an bis in die
0053Zwanziger-Jahre eine oder zwei Akademien jährlich für seinen
0054eigenen „Theater-Armenfonds“. Sie hielten in den ersten
0055Jahren eine entschieden classische Richtung fest, indem größ-
0056tentheils ein ganzes Oratorium das Programm bildete. (In
0057den Jahren 1805 bis 1809 Mozart’s, „Davidde penitente“
0058und „Requiem“, Händel’s „Messias“, „Timotheus“ etc.) Auch
0059die Aufführung ganzer Opern (in Concertform) war
0060für Wohlthätigkeitszwecke an Normatagen erlaubt und zu
0061Anfang des Jahrhunderts beliebt. (1801 Mozart’s „Titus“,
00621805 Winter’s „Tamerlan“ etc.)
0063Für den „Bürgerspitalsfonds“ (Versorgungs-
0064haus zu St. Marx) fand seit Beginn dieses Jahrhunderts
0065jährlich eine Akademie statt; die erste im Jahre 1801, wobei
0066Joseph Haydn die „Schöpfung“ dirigirte. Sie hing mit
0067der Errichtung der neuen „Bürgerspitals-Wirthschafts-Com-
0068mission“ zusammen, die im Jahre 1800 (als starke Passiva
0069den alten Bürgerspitalsfonds gefährdeten) sich über Aufruf
0070des Kaisers Franz bildete und für freiwillige Beiträge Sorge
0071trug. Diese Akademie, anfangs im großen Redoutensaal, und
0072zwar stets am 25. December abgehalten, verlor zu Anfang
0073der Dreißiger-Jahre wahrscheinlich in Folge strengeren Kir-
0074chenregiments den lange innegehabten ersten Weihnachtsfeier-
0075tag; nach verschiedenen Provisorien ist sie jetzt definitiv in das
0076Hofoperntheater und zwar auf den Norma-Abend des Feiertags
0077Mariä Verkündigung verlegt. Die Concerte für das Bürger-
0078versorgungshaus standen in großem Ansehen und erfreuten sich
0079in künstlerischer wie in pecuniärer Hinsicht vieler Berücksichti-
0080gung. Der Wiener Magistrat ertheilte mitunter auf Antrag
0081der unaussprechlichen „Bürgerspitals-Wirthschafts-Commis-
0082sion“ besondere Auszeichnungen an Künstler, deren Mitwir-
0083kung bei diesen Akademien sich vorzugsweise ersprießlich ge-
0084zeigt hatte; so erhielt der Hofopernsänger Weinmüller das
0085Bürgerdiplom, die Sängerin Anna Milder den goldenen
0086Salvatorpfennig, Joseph Haydn (1803) die zwölffache gol-
0087dene Ehrenmedaille. Sein überaus bescheidenes Dankschrei-
0088ben für diese „großmüthige Behandlung“ beginnt Haydn mit
0089der Versicherung, er schätze sich sehr glücklich, „zur Erquickung
0090der verarmten Bürger und Bürgerinnen etwas durch seine
0091Kenntnisse in der Tonkunst beizutragen“.
0092Regelmäßig war auch die jährliche Akademie für die „öffent-
0093lichen Wohlthätigkeits-Anstalten“ (bald nach Beginn
0094dieses Jahrhunderts), welche erst im Burgtheater, von 1813
0095an im Kärntnerthor-Theater am Leopoldstag (15. November)
0096stattfand. In den Zwanziger-Jahren finden wir diese Aka-
0097demie regelmäßig am Ostersonntag im großen Redouten-
0098saal, jetzt wieder im Hofoperntheater meistens im März, und
0099zwar nicht mehr durch ein Concert, sondern durch eine voll-
0100ständige Opernvorstellung repräsentirt. Das vortheilhafte
0101Monopol auf den Leopoldstag ging auf die Akademie für das
0102Spital der Barmherzigen Schwestern über; mit dem Tode
0103des Unternehmers dieser Akademien, Dr. Wache (1862), hör-
0104ten letztere auf.
0105Neben den Bürgerspitals-Akademien waren die ange-
0106sehensten jene der „Adeligen Frauen“. Der hohe Rang
0107der Gründerinnen, der Schutz des Hofes, endlich auch der
0108etwas weitere und freiere Gesichtskreis in ihren Humanitäts-
0109zwecken verhalf dieser Gesellschaft zu besonderem Ansehen und
0110ihren Akademien — am Aschermittwoch jeden Jahres im
0111Kärntnerthor-Theater — zu glänzenden künstlerischen Illustra[2]-
0112tionen. „Die Gesellschaft der adeligen Frauen zur Beförde-
0113rung des Guten und Nützlichen“ (so lautete ihr voller Titel)
0114wurde im Jahre 1811 nach einem von Joseph Sonnleith-
0115ner gemachten Plan gegründet. Die Fürstinnen Caroline
0116Lobkowitz und Odescalchi stellten sich an die Spitze und
0117hatten binnen wenigen Wochen 160 Damen vom hohen und
0118höchsten Adel zusammengebracht. Anfangs rein aristokratischen
0119Ursprungs, nahm diese Gesellschaft, einmal constituirt, doch
0120Frauen aller Stände auf. Jedes Mitglied zahlte einen jähr-
0121lichen Beitrag ganz nach Willkür. Aus diesen Beiträgen
0122durfte aber kein Fonds gebildet werden, „die menschli-
0123chen Herzen sollen das wahre Stammkapital sein“,
0124wie der Aufruf sich sinnig ausdrückt. Die Gesellschaft hatte
0125ihre Thätigkeit, um diese nicht zu zersplittern, in jedem Jahre
0126vorzüglich Einem Gegenstande zu widmen. Zunächst wurden
0127als wohlthätige Zwecke ins Auge gefaßt: das Taubstum-
0128men-Institut, Erziehung blinder Kinder, Versorgung
0129von Findlingen, öffentliche Schwimmschulen und Ver-
0130breitung der Bienenzucht. Almosen an einzelne Per-
0131sonen waren gänzlich ausgeschlossen. Die Concerte dieses Ver-
0132eins, an dem ein eigenthümlicher poetischer Zug nicht zu
0133verkennen ist, verlieren wir um die Mitte der Zwanziger-
0134Jahre aus den Augen, jedenfalls hörte um diese Zeit ihre
0135regelmäßige Abhaltung auf. Ob das gleichzeitige Ver-
0136bot aller Concerte am Aschermittwoch die Ursache war,
0137können wir nicht sagen. Der Verein selbst existirt noch in aller
0138Stille. Musikhistorisch interessiren uns die „Adeligen Frauen“
0139insbesondere dadurch, daß sie den ersten Anstoß zur Grün-
0140dung der „Gesellschaft der österreichischen Musik-
0141freunde“ gaben, indem sie die großartige Aufführung des
0142Händel’schen Oratoriums „Timotheus“ durch Dilettanten (am
014329. November 1812 in der Winter-Reitschule) veranlaßten.
0144Die gewöhnlichen Locale für die größeren Wohlthätig-
0145keits-Akademien waren die beiden Hoftheater und die Redou-
0146tensäle, da der kaiserliche Hof sie zu diesen Zwecken unent-
0147geltlich einräumte. Einige Wohlthätigkeits-Concerte hingen
0148durch ihre Widmung mit dem schönen, der Musik äußerst
0149günstigen Universitätssaal zusammen, der sich aus-
0150nahmslos nur „wohlthätigen“ Productionen erschloß. Dazu
0151gehörte vornehmlich die alljährliche Akademie für „Witwen
0152von Mitgliedern der juridischen Facultät“, meist von Di-
0153lettanten ausgeführt und in der Regel vom Hofsecretär I.
0154Mosel dirigirt. Ihre Programme zeichneten sich vor jenen
0155anderer Wohlthätigkeits-Akademien durch ein ernsteres Prin-
0156cip aus; insbesondere cultivirten sie Beethoven, der einige-
0157male auch persönlich als Dirigent mitwirkte. Die letzte die-
0158ser „juridischen“ Akademien fand 1840 statt.
0159Im Universitätssaal fanden auch durch einige Jahre
0160Concerte für die Witwen medicinischer Facultätsglieder
0161statt, sowie alljährlich eine Akademie für das „Hand-
0162lungs-Kranken-Institut“, d. h. für mittellose Kranke
0163aus dem Handelsstande. Beide Classen von Akademien haben
0164seit lange aufgehört. Wir erwähnen noch von regelmäßigen,
0165bis auf den heutigen Tag erhaltenen Wohltätigkeits-Produc-
0166tionen die beiden Theater-Vorstellungen für den Invaliden-
0167fonds (jährlich am 18. October in beiden Hoftheatern) und
0168aus neuester Zeit die jährliche Akademie des Journalisten-
0169Vereins „Concordia“.
0170Es dürfte unsern Lesern aufgefallen sein, daß man von
0171kirchlicher Seite gegen die Wohlthätigkeits-Concerte ehemals
0172weit liberaler vorging als gegenwärtig. Am Aschermitt-
0173woch, am ersten Weihnachtsfeiertag, ja selbst am Oster-
0174sonntag fanden in den ersten fünfundzwanzig Jahren die-
0175ses Jahrhunderts Wohlthätigkeits-Akademien regelmäßig statt.
0176Da an diesen Tagen alle Schauspiele geschlossen blieben, konn-
0177ten die mit Akademien bedachten Humanitäts-Anstalten auf
0178eine ergiebige Einnahme zählen. Noch am Ostersonntag 1826
0179fand eine Wohlthätigkeits-Akademie anstandslos im Redouten-
0180saale statt; sofort trat aber eine strengere kirchliche Praxis
0181ein und legte Verbot auf viele früher regelmäßig gestattete
0182Tage. Die Gründe dieses bald verschärften, bald gemilderten
0183Regiments interessiren uns hier nicht weiter, wenn überhaupt
0184von Gründen bei Dingen die Rede sein kann, die heute
0185für erlaubt, morgen für sündhaft erklärt, hier verboten und
0186zwanzig Meilen weiter gestattet werden.
0187Nur der sehr drückenden Folgen müssen wir erwähnen,
0188welche diese plötzliche kirchliche Correctheit für die „Tonkünst-
0189ler-Societät“ herbeiführte. Dieses Institut hatte seit
0190seiner Gründung (1772) bis zum Jahre 1826 jährlich vier
0191Akademien gegeben, und zwar an den von Maria Theresia
0192ihm ausdrücklich zugesicherten theaterfreien Tagen des Palm-
0193sonntag und -Montag, des 22. und 23. December.
0194Da kam der Societät aus heiterem Himmel eine a. h.
0195Entschließung vom 12. October 1826 zu, welche alle Aka-
0196demien an Normatagen verbot, und dazu gehörten
0197jene der Societät erb- und eigenthümlichen vier Concerttage.
0198Ad majorem Dei gloriam mußten gleich die beiden Weih-
0199nachts-Akademien von 1826 unterbleiben, und der Kaiser
0200zahlte als Entschädigung dafür 1480 fl.
0201Nach mehreren Audienzen der Vorstände bei dem Kai-
0202ser Franz wurden der Societät die zwei Hofnormatage (Sterbe-
0203tag des Kaisers Leopold und der Kaiserin Ludovica) einge-
0204räumt, so daß die Pensions-Gesellschaft durch volle zehn
0205Jahre (1826 bis 1835) statt der ihr zugesicherten vier Aka-
0206demien nur zwei geben durfte, und diese an weit ungünsti-
0207geren Tagen.*)
0216Gleich nach der Thronbesteigung des Kaisers Ferdi-
0217nand wendete sich die „Tonkünstler-Societät“ an diesen Mon-
0218archen mit einem Majestätsgesuch, worin sie betonte, es seien
0219ihr die vier Normatage „zu einer Zeit (unter Maria The-
0220resia) bewilligt worden, wo die Moralität und Religiosität ge-
0221wiß auf keiner niedrigeren Stufe standen als jetzt“. Die vier
0222ursprünglichen Akademie-Tage wurden vom Kaiser Ferdinand
0223sofort dem Vereine zurückgegeben, und so lauschte denn am
022422. und 23. December 1835, nach zehn Jahren wieder, das
0225Burgtheater den musikalischen Wundern der „Schöpfung“.
0226Was die künstlerische Physiognomie der Wohlthätig-
0227keits-Concerte betrifft, so charakterisirte sie sich weniger durch
0228Classicität, Ernst und Uebereinstimmung, als durch sinnlichen [3]
0229Reiz und große Quantität des Gebotenen. Zwölf bis vier-
0230zehn Stücke bildeten in den Zwanziger- und Dreißiger-Jah-
0231ren das übliche Maß eines solchen Programms. Es begann
0232mit einer Orchester-Ouverture, darauf folgten in buntem Ge-
0233misch mehrere Declamations-Stücke, vier bis sechs Gesangs-
0234nummern, meist italienische Arien und Duette, ebenso viel
0235Solo-Concertstücke für Clavier, Geige, Cello, Flöte oder Horn;
0236zum Schlusse endlich wieder eine Ouverture, seltener ein oder
0237zwei Symphoniesätze oder ein Chor.
0238Etwa vom Jahre 1810 an bildeten Tableaux oder
0239„Mimisch-plastische Darstellungen“ einen fast unentbehrlichen
0240Bestandtheil solcher Akademien. Die „Gesellschaft adeliger
0241Damen“ wählte hiezu (1811) zum erstenmal Tableaux nach
0242berühmten Gemälden: „Die Königin von Saba“ nach Ra-
0243fael, „Die Ohnmacht der Esther“ nach Poussin, „Die Ver-
0244haftung des Haman“ nach Vincenz Troyes — „ein Schau-
0245spiel, das auf der hiesigen Bühne zum erstenmal gegeben und
0246für den größten Theil der Zuseher ganz neu war“, wie der
0247„Sammler“ berichtet.
0248„Diese Bilder — wie sie Goethe in den „Wahlver-
0249wandtschaften“ beschreibt — gewährten einen herrlichen Genuß,“
0250schreibt Theodor Körner aus Wien. Es wurde nun aller-
0251dings bald ein wahrer Unfug mit derlei Tableaux getrieben,
0252am meisten in den zahlreichen patriotischen Concerten während
0253des Befreiungskrieges und der Congreßzeit. Der Mißbrauch
0254kann indeß nicht die Sache selbst ganz verwerfen machen.
0255Das „Mimisch-Plastische“ war ein Element, das, künstlerisch
0256behandelt, immerhin einen Reiz der früheren Wiener Con-
0257certe bildete, der uns gänzlich abhanden gekommen ist. Der-
0258selben Richtung gehörten die mimischen Darstellungen an,
0259welche Madame Hendel-Schütz und die große Sophie
0260Schröder mit ungemeinem Erfolg in Wien wiederholt gaben.
0261Erstere schien dabei die schöne Form, Letztere den psychologi-
0262schen Ausdruck stärker zu betonen. Madame Hendel gab
0263ihre „Kunstdarstellungen“ 1809 im kleinen Redoutensaale.
0264Mit einer weißen Tunica bekleidet und abwechselnd einen
0265weißen und grünen Shawl zur Drapirung verwendend,
0266stellte die schöne Frau plastische Meisterwerke aller Schulen
0267und Zeiten dar. Der „Sammler“ nannte es eine kurze Ge-
0268schichte der bildenden Künste. Die Schröder führte in einer
0269von ihr veranstalteten „declamatorisch-dramatisch-mimisch-pla-
0270stischen Mittagsunterhaltung“ am 3. November 1816 im
0271Kärntnerthor-Theater die Medea, Agrippina, Niobe etc. in pla-
0272stischen Tableaux vor; im selben Jahre und später brachte
0273sie in einigen Wohlthätigkeits-Concerten ihre „mimisch-plasti-
0274sche Darstellung verschiedener Gemüthsbewegun-
0275gen“ u. dgl. Noch zu Anfang der Vierziger-Jahre finden
0276wir in Wohlthätigkeits-Akademien „Tableaux“; seit zwanzig
0277Jahren haben sie gänzlich aufgehört, wenn wir nicht etwa
0278als letzten Rest davon die lebenden Bilder zu Schiller’s
0279„Glocke“ im Burgtheater ansehen wollen.
0280Declamationsstücke waren früher ein unentbehrlicher
0281und stark vertretener Bestandtheil jeder Wohlthätigkeits-Aka-
0282demie. In dem Zeitraum von 1808 bis 1816 wurde in
0283allen Akademien so viel declamirt, daß das Publicum dessen
0284müde war. „Gottlob, endlich einmal eine Akademie ohne
0285Kunstredner!“ ruft die Wiener Modezeitung nach dem Con-
0286cert des Violinspielers Pixis (1816) aus. Mit dem Er-
0287scheinen Saphir’s stieg der Anwerth der Declamations-
0288Nummern wieder bedeutend, einerseits durch die Beliebtheit
0289der Saphir’schen Prunk-Rhetorik und seine Fruchtbarkeit in
0290Prologen, andererseits durch die trefflichen Künstler, welche
0291(wie Anschütz, Löwe, Julie Rettich, Louise Neu-
0292mann, Amalie Haizinger) damals die Kunst der Decla-
0293mation so meisterhaft übten und damit Hunderte von Wohl-
0294thätigkeits-Akademien unterstützten. Gegen Ausgang der Vier-
0295ziger-Jahre trat abermals eine Reaction ein, sei es aus Ueber-
0296druß an den Poesien (den Saphir’schen zumal), sei es aus
0297Mitleid mit den wahrhaft ungebührlich geplagten Declama-
0298toren des Burgtheaters.
0299Gegenwärtig ist die Declamation aus den eigentlichen Con-
0300certprogrammen beinahe gänzlich verschwunden und selbst in den
0301Wohlthätigkeits-Akademien nur sehr mäßig vertreten. Decla-
0302matoren, welche als solche Akademien geben, wie ehemals
0303Theodor v. Sydow, sind seit dreißig bis vierzig Jahren
0304nicht mehr gang und gäbe; der treffliche Holtei war ein
0305vereinzelter Nachzügler. Erst in neuester Zeit hat der Hofschau-
0306spieler Lewinsky, unser Declamator par exellence, etwas
0307Aehnliches mit der „Vorlesung“ eingeführt, die er alljährlich
0308zu einem wohlthätigen Zweck ohne jegliche fremde Unter-
0309stützung abhält.
0310So sehr auch die Wohlthätigkeits-Akademien jederzeit auf
0311bunte Zusammenstellung bedacht waren, so brachten sie doch
0312in den Jahren 1800 bis 1825 auch vieles Gediegene, ja sie
0313bildeten mitunter die Stätte, wo neue Werke Beethoven’s
0314ihren ersten Einzug in die Welt hielten oder ihn zuerst wie-
0315derholten.**)
Um die Einführung Schubert’s in die Oef-
0324fentlichkeit hatten die „Adeligen Damen“ wesentliche Ver-
0325dienste; durch den Einfluß ihres ständigen Secretärs, J. Sonn-
0326leithner, kamen in der Akademie vom 7. März 1821 der „Erl-
0327könig“ und später noch andere Compositionen Schubert’s zur
0328ersten Aufführung.
0329So lange es in Wien noch keine oder erst aufkeimende
0330stabile Orchester-Concerte gab (Gesellschafts- und
0331Spirituel-Concerte, philharmonische) hatten die Wohlthätig-
0332keits-Akademien eine weit größere musikalische Bedeutung.
0333Componisten und Virtuosen ersten Ranges, welche jetzt ge-
0334eignetere Schauplätze ihres Auftretens finden, benützten ehe-
0335dem mit Freude die Wohlthätigkeits-Akademien, welche ihrer-
0336seits wieder sich um gediegene Musik bekümmern mußten, so
0337lange davon dem Publicum anderwärts nichts oder sehr we-
0338nig geboten war. In dem Maße nun, als später große sta-
0339bile Orchester-Concerte die Pflege classischer Musik übernah-
0340men und vervollkommneten, warfen sich die Wohlthätigkeits-
0341Concerte auf das äußerlich Lockende, Leichte und Bunte;
0342glänzende Oberflächlichkeit wurde ihnen nunmehr Princip und
0343Specialität. In diesem Genre erlebten sie ihre Glanzperiode
0344in den Dreißiger-Jahren, unter der vereinten Pathenschaft der
0345Virtuosen, der italienischen Sänger und der Saphir’schen Poesie.