0003Paris, 9. Mai.
0004Ed. H. Sie werden es oft genug in allen Tonarten
0005vernommen haben, das traurige Lied von den „zu wenig Me-
0006daillen“. Ich will es nicht wiederholen, obwol das knappe
0007Ausmaß dieser heiß ersehnten Metallstücke wenige Classen so
0008schwer trifft, als gerade die unsere. Die Gesammtheit der
0009musikalischen Instrumente enthält zu viele gleich wichtige und
0010gleich glänzend vertretene Kategorien, die mit einander nicht
0011verglichen werden können, weil ihre Fabrication nichts ge-
0012mein hat. Ist der beste Geigenmacher weniger als der beste
0013Piano-Fabrikant? Kann man die ersten Meister in der Flö-
0014ten-Fabrication über oder unter jene der Blechinstrumente
0015setzen? Und all die übrigen Gattungen, von der Orgel bis
0016zur Zither, vom Harmonium bis zur Trommel, sind sie nicht
0017alle selbstständige Industriezweige, in welchen das relativ
0018Beste geleistet werden kann und hier wirklich geleistet ist?
0019Kann eine Jury wirklich die Repräsentanten so verschiedener
0020Classen nummernweise nach ihrem Werth rangiren, wie es
0021das französische Gouvernement vorschreibt, um die letzten, die
0022vorgeschriebene Medaillenzahl überschreitenden Namen einfach
0023von dem Bogen herabzuschneiden? Auf die ganze von allen
0024Ländern beschickte Classe der Musik-Instrumente sollten nach
0025dem Reglement höchstens 2 goldene, 15 silberne, 36 broncene
0026Medaillen und 50 ehrenvolle Erwähnungen fallen. Die Classe
0027umfaßt circa 500 Aussteller mit 3000 Instrumenten. Es ist
0028zu hoffen, daß die ausführlich begründeten Vorschläge unserer
0029Jury genehmigt werden, welche 4 goldene, 50 silberne, 60
0030broncene Medaillen und 44 Mentions honorables verlangt.
0031Selbst dann bleibt die Zahl der Auszeichnungen im Verhält-
0032niß zur Quantität und Qualität der ausgestellten Instru-
0033mente eine sehr geringe, und mancher bei früheren Ausstel-
0034lungen belohnte, jetzt übergangene oder zurückgesetzte Fabrikant
0035wird sich gekränkt fühlen. Eine gute und heilsame Seite aber
0036hat diese Sparsamkeit: die Ausstellungs-Medaillen, die seit
0037London stark im Ansehen sanken, erhalten wieder Werth und
0038Bedeutung.
0039Die Pariser Medaillen von 1867 repräsentiren eine un-
0040gleich größere Auszeichnung, als jene irgend einer früheren
0041Exposition. Wenn unser Hofrath Burg jüngst vor einer An-
0042zahl mißvergnügter Aussteller die Ueberzeugung aussprach und
0043begründete, daß diesmal die Bronce-Medaille den Rang der
0044früheren silbernen einnehme und das Silber jetzt den Werth
0045des Goldes habe, so sprach er nur die strengste Wahrheit.
0046Es scheint mir Pflicht eines Jeden, dem hier in die Aus-
0047stellungs- und Jury-Verhältnisse ein tieferer Einblick gestattet
0048war, diese Wahrheit oft und so nachdrücklich als möglich her-
0049vorzuheben. Der höhere Maßstab, der größere Werth der
0050Pariser Medaillen von diesem Jahre bedarf keiner advocati-
0051schen Fürsprache oder Beweisführung; er ergibt sich von selbst
0052aus den nackten Zahlen und Thatsachen. Wenn ich einige der-
0053selben aus der musikalischen Classe anführe, so geschieht dies
0054zunächst, weil mir die officiellen Berichte und Statistiken ge-
0055rade dieser Abtheilung vorliegen, sodann aber, weil sie, mehr
0056oder minder auch auf die übrigen Gruppen passend, ein ent-
0057scheidendes Licht auf die Medaillenfrage der ganzen Ausstel-
0058lung werfen.
0059Die Gesammtzahl der Aussteller bei der ersten Pari-
0060ser Exposition von 1855 betrug 22,200, für welche 112
0061große und 252 kleine Goldmedaillen bewilligt waren, 2300
0062silberne, 3900 broncene und 4000 Mentions honorables.
0063Die Zahl der Aussteller im Jahre 1867 beträgt mehr als
0064das Doppelte, nämlich gegen 47,000, und dennoch sind
0065für Alle nur 100 goldene, 1000 silberne und 3000 bron-
0066cene Medaillen bestimmt. Wie viel seltener, also werthvoller
0067diesmal die Auszeichnungen sind, läßt sich somit mathematisch
0068berechnen; dieser Zahlenunterschied enthält jedoch lange nicht
0069die ganze Wahrheit. Diese erkennt man nur, wenn man die
0070verschiedene Abstufung der früheren und der gegenwärtigen
0071Medaillen berücksichtigt. Im Jahre 1855 gab es große
0072und kleine Goldmedaillen (Médailles d’honneurs), die sil-
0073bernen (mißverständlich „première medaille“ genannten)
0074waren somit Auszeichnungen von drittem Range. Wer im
0075Jahre 1855 eine Silbermedaille erhielt, stand nicht auf erster
0076oder zweiter, sondern auf dritter Linie. Aussteller also, welche bei
0077der ersten Pariser Ausstellung und jetzt wieder die Silber-
0078medaille erhalten haben (z. B. Lemböck, Cerveny), sind
0079thatsächlich zu einer höheren Auszeichnung avancirt; sie haben
0080anstatt zweier nur eine Classe über sich. Und diese eine
0081Classe von Goldmedaillen scheint durch ihre Winzigkeit so
0082illusorisch, daß man sie mehr einen großen Treffer nennen
0083möchte, auf den kein Verständiger sich Rechnung macht, als
0084eine von Jedem anzustrebende Auszeichnung. Für manche
0085große Kategorien, z. B. für Blasinstrumente, für Streich-
0086instrumente, konnte diesmal gar keine Goldmedaille ertheilt wer-
0087den; die mit der silbernen Medaille bedachten Fabrikanten (wie
0088Ziegler, Cerveny, Bock, Lemböck) haben somit die höchste
0089Auszeichnung errungen, die überhaupt für ihren Fabrications-
0090zweig ertheilt wurde. Wie viel strenger als bei der ersten
0091Pariser Ausstellung gegenwärtig vorgegangen wurde, zeigt die
0092oberflächlichste Vergleichung der Resultate. Fabrikanten, welche
00931855 silbergeschmückt heimkehrten, finden wir diesmal in
0094Bronce wieder (darunter Namen wie Breton und Buffet fils) [4]
0095oder gar mit einer Mention honorable abgespeist (Martin,
0096Souffleto, Montal, Franche, Westermann).
0097Damit sollte nicht sowol ein Rückschritt dieser Fabri-
0098kanten behauptet, als vielmehr die Ansicht ausgesprochen sein,
0099daß unter den gegenwärtigen Concurrenten die Genannten
0100eine so vortheilhafte Rolle nicht mehr spielen. Noch viel frei-
0101gebiger mit Medaillen verfuhr man bei der Londoner
0102Ausstellung von 1862. Der officielle englische Bericht consta-
0103tirt, daß jeder zweite Aussteller eine Auszeichnung erhalten
0104habe! Es war eine sehr bequeme Maßregel und eine wohl-
0105feile obendrein, nur Eine Gattung von Medaillen, und zwar
0106von Bronce prägen zu lassen. Das Ausgezeichnetste und das
0107eben nur Hinreichende, Anständige wurde mit derselben Aus-
0108zeichnung bedacht, und mancher Aussteller foppte sich und
0109Andere, indem er von einer „ersten“ Medaille sprach, während
0110es eben nur die einzige vorhandene war. Es war ein Fehler der
0111englischen Behörde, eine einzige Art Medaillen zu systemi-
0112siren, und ein zweiter, sie in fast unbeschränkter Zahl auszu-
0113geben. Dem Mittelgut gedieh diese Nivellirung zu unver-
0114hofftem Vortheil, dem höchsten Verdienst hingegen nur zu
0115Leid und Warnung. Noch eine solche Weltausstellung der
0116Medaillengleichheit und Brüderlichkeit, und man wird es er-
0117leben, daß alle Firmen ersten Ranges davon wegbleiben. Die
0118Londoner Medaillen werden von den Pariser Auszeichnungen
0119geradezu eklipsirt werden.
0120Mit Recht ist man hier wieder zu der Abstufung der
0121Medaillen zurückgekehrt. Freilich muß diese vierfache Abstu-
0122fung noch immer insoweit ungenau bleiben, als sie feinere
0123Unterschiede des Verdienstes auch nicht auszudrücken und das
0124Zusammenfassen mancher nicht völlig ebenbürtiger Namen in
0125Eine Kategorie kaum vermeiden kann. Allzu empfindliche Aus-
0126steller haben wirklich nicht ermangelt, jetzt schon ein Weh-
0127geschrei zu erheben, daß ihre Medaille, mit der sie ganz zu-
0128frieden waren, auch dem X. oder Y. zugefallen sei. Möchten
0129diese Herren in ihrem — vielleicht gerechten — Selbstgefühl
0130doch das Mögliche bedenken! Die Japanesen haben fünfzehn
0131verschiedene Begrüßungsformen, womit sie je nach dem Grad
0132der Ehrfurcht oder Intimität den Eintretenden becomplimen-
0133tiren. Die Jury müßte wenigstens über diesen japanesischen
0134Reichthum in Medaillenform verfügen können, um wirklich
0135jeder Schattirung des Verdienstes gerecht zu werden.*)
0143Noch in einer anderen Hinsicht weist die Medaillenliste
0144von 1867 in unserer Classe wenigstens einen entschiedenen
0145Fortschritt auf: Der wahrhaft erschreckende Löwenantheil,
0146den die Franzosen bei der ersten Pariser Ausstellung sich selbst
0147zuerkannten, hat sich in bescheidene Dimensionen zurückge-
0148zogen und einer gerechteren Würdigung der Ausländer Platz
0149gemacht. So haben beispielsweise im Jahre 1855 für Cla-
0150viere 4 Franzosen die goldene Medaille und kein
0151einziger Fremder. Die silberne Medaille 12 Franzosen und
015211 Fremde, die Bronce-Medaille 16 Franzosen und 4 Fremde,
0153die ehrenvolle Erwähnung 20 Franzosen und 2 Fremde. Für
0154Blechinstrumente entfielen damals 4 Silbermedaillen an Fran-
0155zosen, 2 an Ausländer; für Holz-Blasinstrumente 7 silberne
0156und 6 Bronce-Medaillen an französische Aussteller, an die
0157Ausländer nichts als Eine Bronce-Medaille und so fort in
0158allen Kategorien. Die diesjährige Vertheilung unterscheidet
0159sich hierin von jener ersten so bedeutend, daß z. B. in der
0160Piano-Fabrication die Franzosen 6 silberne, 5 Bronce-Medaillen
0161und 8 Mentions erhielten, während auf die auswärtigen
0162Claviermacher 17 silberne, 12 Bronce-Medaillen und 12 Men-
0163tions honorables entfallen. Im Jahre 1855 müssen die fran-
0164zösischen Jurors in der That von übermäßigem Egoismus
0165beseelt gewesen und hierin von den deutschen Jurors allzu be-
0166reitwillig unterstützt worden sein.
0167Was die österreichischen Instrumentenmacher betrifft,
0168so wird unser Leserkreis mit Befriedigung vernehmen, daß ihr
0169Erfolg bei dem Publicum wie bei der Jury ein sehr ehren-
0170voller, ja größtentheils glänzender war. Den besten Beweis
0171liefert die Medaillen-Vertheilung und eine Vergleichung der-
0172selben einestheils mit den österreichischen Erfolgen bei den
0173früheren Ausstellungen, anderntheils mit dem, was andere
0174Staaten an Auszeichnungen diesmal heimführen. Es ward
0175hoffentlich unwiderleglich dargethan, daß die diesjährigen
0176Medaillen, weil sie sparsam vertheilt wurden, einen ungleich
0177höheren Werth besitzen, als alle früheren. Aber ganz abgese-
0178hen von diesem Qualitäts-Unterschied und trotz dieser Spar-
0179samkeit der Vertheilung, hat die österreichische Instrumenten-
0180Fabrication bei keiner früheren Ausstellung so
0181viele Medaillen als diesmal davongetra-
0182gen. Im Jahre 1855 in Paris fielen an Oesterreich nicht
0183mehr als 5 silberne und eine Bronce-Medaille, in London
0184trotz der verschwenderischen Liberalität auch nicht mehr als
018513 (broncene) Medaillen. Von der diesjährigen Pariser Aus-
0186stellung tragen die österreichischen Instrumentenmacher acht
0187silberne und sechs Bronce-Medaillen, somit vierzehn
0188Medaillen davon, nebst fünf ehrenvollen Erwähnungen. Es
0189haben somit von 23 österreichischen Fabrikanten (mehr hatten
0190nicht ausgestellt) neunzehn Auszeichnungen erhalten. Ver-
0191gleichen wir damit die Resultate anderer Länder, so sehen
0192wir, daß das industriemächtigste Großbritannien (nebst
0193einer von der berühmten Firma Broadwood errungenen
0194Goldmedaille) nur drei silberne und vier Bronce-Medaillen
0195davonträgt. Die gesammte Instrumenten-Fabrication in
0196Baiern, Sachsen und Preußen hat je zwei silberne
0197Medaillen erhalten, und während die Stadt Wien allein
0198sieben silberne Medaillen für Musik-Instrumente erringt,
0199muß sich Berlin mit einer einzigen begnügen. Das ist ein
0200Erfolg, der unter so schwierigen Verhältnissen glänzend ge-
0201nannt werden darf und dessen die österreichischen Instrumen-
0202tenmacher sich um so redlicher freuen dürfen, als sie ihn ledig-
0203lich dem Werth ihrer Leistungen verdanken.