Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1253. Wien, Dienstag den 25. Februar 1868
[1]Concerte.
0002Ed. H. Unbeirrt von dem lärmenden Ufertreiben des
0003Faschings zieht der stattliche Strom unserer Concertmusik ruhig
0004weiter. In früheren Jahren war der concertfeindliche Einfluß
0005des Carnevals viel größer, d. h. viel kleinstädtischer. Der be-
0006rauschende Duft der Walzer, dieser musikalischen Nachtviolen,
0007schien auch tagsüber die Luft zu durchzittern, und Beethoven
0008kam wochenlang nicht auf gegen den Einen Strauß. Jetzt
0009hält er sich siegreich gegen härtere Belagerung, denn „wir sind
0010Drei“! Das Strauß-Trifolium versammelt Nachts seine Ver-
0011ehrer, die classische Musik die ihren bei Tag, und siehe da, es
0012sind recht häufig dieselben. Held des Tages ist gegenwärtig der
0013„Florentiner Quartettverein“, bestehend aus den Her-
0014ren Jean Becker, Masi, Chiostri und Hilpert. Flo-
0015renz übt das Recht der Taufe eigentlich nur als die Stätte
0016der ersten Vereinigung dieser vier Musiker. Das Wesentlichste,
0017höchste und tiefste Stimme, also Kopf und Fuß des Quar-
0018tetts, ist deutsch: Becker aus Mannheim, Hilpert aus
0019Nürnberg. Den beiden Italienern in der Mitte gebührt das
0020nicht geringe Verdienst vollständiger Assimilirung. Am Morgen
0021nach der ersten, schwach besuchten Production des Beckerʼschen
0022Quartettes zeigte sich in allen Wiener Blättern eine so er-
0023freuliche Uebereinstimmung bezüglich der Vortrefflichkeit dieser
0024Leistungen, daß die zweite und dritte Soirée bei gedrängt vol-
0025lem Saale stattfanden. Und wahrlich, ein so vollkommener
0026Musikgenuß zählt zu den seltenen Festen. Was das Florentiner
0027Quartett auch immer vortrage, es ist in den reinen, goldenen
0028Strom der Schönheit getaucht. Zunächst frappirt den Hörer
0029der Zauber des Wohllautes, die „materielle“ Schönheit des
0030Tones möchten wir sagen, bestände sie nicht gerade in dem
0031gänzlichen Abstreifen alles Materiellen. Wir hören den reinen,
0032absolut schönen Ton, ohne an seinen Entstehungsjammer durch
0033Roßhaar, Holz und Darmsaiten gemahnt zu werden. „Klang-
0034schönheit! Ist denn das gar so viel? Versteht sich die nicht
0035von selbst?“ hören wir mitunter fragen. Man sollte es glau-
0036ben, und doch ist dieser Vorzug bei einem Saitenquartett nicht
0037viel häufiger, als die Vollkommenheit der Stimme und Into-
0038nation beim Sänger. Vorerst besitzen die vier Künstler wun-
0039derschöne Stimmen, und zwar aus den geheimnißvollen Werk-
0040stätten von Joseph Guarneri, Amati und Maggini; so-
0041dann verstehen sie aber auch zu singen. Der Zusammenklang
0042dieser vier Instrumente, der im leisesten Geflüster wie im
0043Sturme des Fortissimo wie aus Einem Bogen quillt, hat
0044etwas Zauberhaftes. Man denke dabei nicht an irgend ein ko-
0045kettes Raffinement; wir hören durchweg einen reifen, gesunden,
0046männlichen Ton, einen reifen, gesunden, männlichen Vortrag.
0047Die „Florentiner“ liefernd den besten Beweis — und
0048man hält ihn leider noch hie und da für nothwendig —
0049daß man mit Geist und Empfindung vortragen könne, ohne
0050jemals zu scharren oder zu winseln. Wie für ihre Tonbildung
0051das erste Princip Schönheit ist, so für ihren Vortrag
0052Klarheit. Beethovenʼs letzte Quartette sind uns niemals
0053so durchsichtig und verständlich entgegengetreten wie in der
0054Beckerʼschen Ausführung. Das verwirrende Geflecht dieser
0055Polyphonie, das unbequeme Dunkel dieser oft labyrinthischen
0056Periodisirung und Rhythmik, hier erscheinen sie wie von mil-
0057dem Sonnenlicht durchleuchtet. Durch ein Studium und Zu-
0058sammenüben von wahrhaft aufopferndem Fleiße haben die vier
0059Künstler sich diese schwierigen Compositionen so vollkommen zu
0060eigen gemacht, daß stets an rechter Stelle diese oder jene
0061Stimme, dieses oder jenes Motiv hervortritt und das Zu-
0062sammenspiel Aller mit der Empfindlichkeit einer Goldwage
0063arbeitet. Es versteht sich, daß wir die demokratische Gleichbe-
0064rechtigung der vier Spieler, von denen keiner sich ungebühr-
0065lich vordrängt oder sich demüthig verkriecht, als Cardinal-
0066tugend schätzen. Am schwersten mag sie dem Primgeiger, Herrn
0067Becker, gefallen sein, welcher (ein Schüler von Alard und
0068Ernst und bedeutender Virtuose) seine Carrière als Concert-
0069spieler mit starker Hinneigung zum Bravourspiel begonnen
0070hatte. Er hat es rühmlich erreicht, sich im Interesse des
0071Ganzen zu verleugnen, unterzuordnen. Trotz dieser Gleichheit
0072liegt es in der Natur des Quartetts, daß die erste Violine
0073und das Cello sich am meisten geltend machen: Jean Becker
0074und Hilpert sind auch die bedeutendsten unter den vier Col-
0075legen. Becker hat sich jüngst in einer Sonate von Rust als
0076Solospieler von großer Technik bewährt, dem die mannichfach-
0077sten Stricharten, der schönste Triller, alle Künste des Pizzi-
0078cato und Flageolet zu Gebote stehen. Hilpertʼs Violoncell
0079belauscht man mit ungetrübtem Vergnügen; es vergißt nie
0080seine Bedeutung als tragender Grundpfeiler des Quartetts,
0081verliert sich nie in jenes ewig klagende Tremoliren, das uns
0082so manchen gewandten Cellisten gerade im Quartett verleidet.
0083Pizzicatotöne von so unvergleichlicher Fülle und Reinheit wie
0084die Hilpertʼs haben wir noch nicht gehört. Der beste von
0085den vier Spielern bleibt aber doch immer: alle Vier zu-
0086sammen. Es wäre ewig schade, wenn dies Quartett getrennt
0087würde — möchten doch die schmeichelhaften Anerbietungen, welche
0088wiederholt an einzelne Glieder desselben ergehen, ungehört verhallen!
0089Der Florentiner Verein spielte bisher (in 3 Productionen)
00903 Quartette von Beethoven (A-dur op. 132, B-dur
0091op. 130, F-dur op. 135), je ein Quartett von Haydn,
0092Mozart, Schubert (D-moll), Schumann (A-dur)
0093und Mendelssohn (E-moll). Aus letzterem hat sich ein
0094Motiv ganz sonderbar in den zweiten Satz des Schumann’-
0095schen eingeschlichen. Claviervorträge waren keine aufgenommen,
0096und dennoch erschien Niemandem die an sich starke Dosis von
0097drei aufeinanderfolgenden Quartetten lästig. Am dritten
0098Abende trugen drei kleinere Nummern beinahe den Preis da-
0099von. Zuerst eine Serenade von Haydn, aus einem seiner
0100frühesten Quartette (G-dur 3/8) gezogen, ein zärtlicher Gesang
0101der Violine, durchgehends von den drei tieferen Instrumenten
0102pizzicato begleitet. Dies Pizzicato, das manchmal wie der
0103leiseste Guitarrenton klang, war bewunderungswürdig im Tone
0104wie in der feinen Anschmiegung an den Gesang. Das liebens-
0105würdige, hier ganz unbekannte Stück mußte wiederholt werden [2]
0106und darf in einer der nächsten Productionen nicht fehlen. Es
0107folgte ein Scherzo von Cherubini (aus dem Es-dur-
0108Quartett Nr. 2), worin der in seinen Quartetten an Haydn
0109anknüpfende Altmeister wahrhaft prophetisch auf Men-
0110delssohn hinübergreift. Endlich erregte eine Violin-
0111sonate von Rust, von Herrn Becker virtuos
0112vorgetragen, großes Interesse. Friedrich Wilhelm Rust (ge-
0113boren 1739 in Wörlitz, † 1796 in Dessau) war als Violin-
0114spieler ein Schüler Franz Bendaʼs, als Componist von mehr
0115als vierzig Clavier- und ebensoviel Violin-Sonaten eine Art
0116modernisirter, mitunter auch verzopfter Sebastian Bach. Die
0117von Becker vorgetragene (zweisätzige) Sonate, ein ernstes,
0118tüchtiges Stück, ist merkwürdig durch ihre vorgeschrittene
0119Violin-Technik. Es kommen Flageoletstellen und Pizzicato-Be-
0120gleitungen mit der linken Hand vor, die wir bei S. Bach
0121und manchen seiner Nachfolger noch nicht antreffen — fast
0122schöpften wir Zweifel, wüßten wir nicht, daß Becker die So-
0123nate ohne Zuthat, genau nach dem Originale spielt. Die
0124Aufnahme des Florentiner Quartetts von Seite des Publicums
0125war geradezu enthusiastisch. Und nichts als Lob? wird mancher
0126Leser fragen. Wo bleibt der Tadel, ohne welchen eine ordent-
0127liche Kritik sich nicht wohl sehen lassen kann? Auf die Gefahr
0128hin, den Tadel auf uns selbst zu lenken — wir haben keinen für
0129das Beckerʼsche Quartett. Daß wir ein Stück um einen Ge-
0130danken schneller oder langsamer gewünscht, irgend einen Einsatz
0131oder Uebergang ein bischen anders uns gedacht haben — was will
0132das sagen gegen den reinen, hohen Genuß, den die Kunstvollendung
0133dieses Quartetts uns durch drei Abende gewährt hat? Wir
0134wollen auch gerne einräumen, daß unter Joachimʼs Bogen
0135manche Beethovenʼsche Stelle ergreifender, pathetischer klang
0136und bei Hellmesberger irgend welche elegante Phrase noch
0137zierlicher und verbindlicher lautete. Das Beckerʼsche Quar-
0138tett bleibt trotzdem das vollkommenste, das wir je gehört, und
0139das letzte, dem wir entsagen möchten. Wenn dem Florentiner
0140Quartett vielleicht eine ästhetische Gefahr droht, so liegt sie in
0141dem möglichen Uebertreiben seines größten Vorzugs: der for-
0142malen Schönheit. In der Natur dieses Princips liegt es,
0143daß es sich leicht isolirt, verengt und der Schönheit zuliebe die
0144charakteristischen Gegensätze abschwächt, die Leidenschaft zähmt,
0145ja die kostbarsten Diamantspitzen der Genialität abschleift. Bis
0146jetzt bemerkten wir höchstens leise Andeutungen dazu, die zu
0147keinem Tadel berechtigen, aber vielleicht zu einem freundschaft-
0148lichen Fingerzeig.
0149In Herrn Hellmesbergerʼs siebenter Quartett-Soirée
0150kam ein neues Streichquartett von Volkmann in Es-dur
0151zur Aufführung. Wie alle Compositionen dieses Tondichters,
0152athmet dasselbe einen ernsten, selbstständigen Geist, der den
0153Hörer interessirt und zum Nachdenken zwingt. Was wir zu-
0154meist an ihm vermissen, ist sinnliche Frische und frei pulsiren-
0155des Leben. Er neigt zur Grübelei, zu einem gewissen gräm-
0156lichen Mysticismus, für welchen das musikalische junge Deutsch-
0157land in dem späteren Beethoven nur zu viele Anknüpfungs-
0158punkte fand. An Klarheit und Logik läßt das neue Quartett
0159kaum etwas zu wünschen, aber der Quell der Erfindung floß
0160etwas spärlich und intermittirend. Der erste Satz hat bei
0161durchaus männlicher Haltung nicht genug Schwerkraft der
0162Themen; bei so geringem Einsatze ist im Spiel kaum viel
0163zu gewinnen. Dasselbe gilt von dem langen, Grau in Grau
0164gemalten Adagio. Interessant ist das Scherzo, als die con-
0165sequenteste und klarste Durchführung des Fünfviertel-Tactes,
0166die wir bisher kennen. Ein geistreiches Experiment, aber von
0167zweifelhafter Wirkung; das Ohr des unvorbereiteten Hörers
0168wird nur zu oft ärgerlich nach dem ihm fehlenden sechsten
0169Achtel haschen, anstatt befriedigt zu constatiren, daß der Tact
0170schon mit dem fünften abschließt. Das Finale erreicht durch
0171seine rasche Triolenflucht die meiste Lebendigkeit. Volkmannʼs
0172Quartett sprach an, ohne jedoch einen tieferen Eindruck zu
0173hinterlassen. In Schubertʼs B-dur-Trio spielte Fräulein
0174Marie Geisler den Clavierpart mit Beifall.
0175Das letzte „Philharmonische Concert“ (unter Herrn
0176Dessoffʼs Leitung) brachte als Novität ein „symphonisches
0177Tongemälde“, „Wallenstein“ betitelt, von Joseph Rhein-
0178berger. Der Beifall, den diese Composition in München
0179und Leipzig errang, bot hinreichenden Anlaß, sie auch dem
0180Wiener Publicum vorzuführen. Auf dem Gebiete der sympho-
0181nischen Musik wird überdies so wenig producirt, daß selbst
0182das Halbgelungene Anspruch auf Beachtung und freundliche
0183Ermunterung erheben darf. Es ist kaum wohlgethan, wenn die
0184Kritik in solchem Falle durch allzu schneidige Strenge zugleich
0185die Producenten abschreckt und die Concert-Institute, welche
0186ohnehin meist die Tendenz zu classischer Versteinerung haben.
0187Rheinberger ist ein ernst strebender, gebildeter Künstler
0188und eine namentlich im Contrapunkt tüchtig geschulte Kraft.
0189Gar Vieles in seiner „Wallenstein“-Symphonie berechtigt zu
0190schönen Hoffnungen für seine weitere Laufbahn. In dieser „Sym-
0191phonie leidet sein Talent zunächst durch den unausbleiblichen Con-
0192flict zwischen den selbstständigen Formgesetzen reiner Instrumental-
0193musik und den Anforderungen der bestimmten poetischen Auf-
0194gabe. Der Musiker, der sich mit einem poetischen Programme
0195einläßt, erfährt nur zu bald, daß es ihm mit der linken Hand
0196ebensoviel entzieht, als es ihm mit der rechten gegeben. Der
0197lockende Vortheil ist augenfällig: ein Stück von dem bunten
0198theatralischen Realismus des Rheinbergerʼschen „Scherzo“
0199würde man in einer Symphonie schwerlich gelten lassen, in
0200einem „Wallenstein-Gemälde“ läßt man es nicht blos gelten,
0201sondern zeichnet es vorzugsweise aus, weil der Titel „Wallen-
0202steinʼs Lager und Capuzinerpredigt“ darüber steht und uns zu
0203der lebhaften Musik fertige, bestimmte Bilder entgegenbringt.
0204Dieser Satz ist der gelungenste der „Symphonie, er hat frische,
0205prägnante Themen, lebhaften Zug und fügt durch die Einfüh-
0206rung des alten Soldatenliedes „Wilhelm von Nassau“ zu der
0207glücklichen Localfärbung auch noch eine historische. Minder
0208günstig waren dem Componisten die drei anderen Sätze; hier
0209stellt sich ihm der Nachtheil des poetischen Programmes
0210entgegen. Sätze mit der Ueberschrift „Wallenstein“, „Thekla“, [3]
0211„Wallensteinʼs Tod“ bedingen eine gewisse musikalische Allge-
0212meinheit, welche den Hörer bald zu verdrießen beginnt,
0213wenn er darin nicht directe Anknüpfungspunkte an jene
0214Schillerʼschen Charaktere vorfindet. Der Componist müht
0215sich abwechselnd, musikalisch unabhängig und dann wieder
0216dramatisch illustrirend zu schreiben, und geräth dadurch in eine
0217Unentschiedenheit und rhapsodische Unruhe, welche weder der
0218„Symphonie“, noch dem „Wallenstein“ gedeihlich werden kann.
0219So treten uns im Finale starke, musikalisch unerklärbare Ge-
0220gensätze entgegen, eingeschobene Sätze von contrastirender Ton-
0221und Tactart, Rhythmik und Instrumentirung. Was habe ich
0222mir hier zu denken? fragt der Hörer unwillkürlich. Was be-
0223deutet das? Da ihm Niemand antwortet, verliert er die Stimm-
0224mung. Abgesehen von dem Verhältniß zum Programme,
0225trifft die „Symphonie zunächst der Vorwurf einer zu großen
0226Länge aller Sätze. Ferner sind die Motive mehr mosaik-
0227artig zusammengesetzt, als organisch aus sich heraus entwickelt.
0228Eine Reihe von Motiven löst sich ab, um zu verlöschen, ehe
0229sich eines davon im Hörer festgesetzt hat; man vermißt den
0230Eindruck des Nothwendigen, Logischen. Dies und die musikalische
0231Schwäche mancher Themen sind der Hauptmangel der „Wallen-
0232stein“-Symphonie. Es fehlt ihr an Vollendung des künstlerischen
0233Baues, wenn auch keineswegs an glücklichen Einfällen, fein ge-
0234arbeiteten und trefflich contrapunktirten Partien. Wie die
0235„Symphonie vorliegt, halten wir für eigentlich lebensfähig daran
0236nur das Scherzo, das sich auch isolirt als wirksame Concert-
0237nummer empfiehlt. Für lebensfähig und vielversprechend halten
0238wir jedoch das Talent des Componisten, der auf richtigerem
0239Wege auch zu schöneren Zielen gelangen wird.
0240Sonntag Mittags gab Herr Hermann Riedel, absol-
0241virter Zögling des Wiener Conservatoriums, ein Concert,
0242worin er sich als Componist und Clavierspieler vorführte. An
0243einem Tage wie der Faschingsonntag, wo so viele Wiener ihr
0244Geld für andere Säle als für den des Musikvereins brau-
0245chen, überdies in einer an musikalischen Genüssen so reichen
0246Saison mußte der Anblick des vollen Saales für den jungen
0247Concertgeber von glücklichster Vorbedeutung sein. Die Compo-
0248sitions-Proben Herrn Riedelʼs verrathen ohne Frage Talent
0249— ein Talent, das aber noch zu sehr in voller Gährung be-
0250griffen ist, um ein Urtheil über den Grad seiner Intensität
0251oder sein specielles Gebiet zuzulassen. In dem Clavier-Trio, das
0252der Componist mit den Herren Hellmesberger und
0253Röver ausführte, finden sich einzelne glückliche Gedanken,
0254Momente von Wärme und Leidenschaft, auch manche Probe
0255tüchtiger Arbeit, aber dies Alles durcheinanderwogend in
0256einer Unruhe und Uebertreibung, welche einen befriedi-
0257genden Total-Eindruck unmöglich macht. Die größte Furcht aller
0258Anfänger, mißverstanden zu werden, läßt Herrn Riedel gleich-
0259sam jedes Wort doppelt unterstreichen und dreimal wiederho-
0260len, ein Nachdruck überbietet den anderen, alle drei Instru-
0261mente sind ununterbrochen in angestrengter Arbeit, die Sätze
0262dehnen sich zu ermüdender Länge. Nach diesem Trio darf man
0263den Componisten wol zur Schumannʼschen Schule zählen.
0264Diese Richtung, namentlich in ihren späteren Abzweigungen,
0265ist als Vorbild nichts weniger als ungefährlich. Wir möchten
0266Herrn Riedel dringend an Mozart und den früheren Beet-
0267hoven weisen. Einige Lieder des Concertgebers, von Herrn
0268Walter überaus zart vorgetragen, gewinnen, ohne besonders
0269originell zu sein, durch Wärme der Empfindung und maßvol-
0270len Ausdruck. Als Pianist entfaltete Herr Riedel eine tüchtige
0271Technik, charakteristische Auffassung und Energie. Der Anschlag
0272ist etwas hart, mitunter stechend, der Vortrag mehr kräftig
0273als elegant und ausgeglichen. Die Schubertʼsche A-moll-
0274Sonate spielte Herr Riedel sehr befriedigend; Schumannʼs
0275schwierige G-moll-Sonate übersteigt derzeit noch seine Kräfte.
0276Herr Riedel wurde vom Publicum auf das freundlichste aus-
0277gezeichnet. Besonderen Dank schuldet er Frau Gabillon
0278und Herrn Walter, welche durch ihre Vorträge das Concert
0279zierten und bei Herrn Riedelʼs musikalischer Confirmation
0280gleichsam Pathe standen.