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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1337. Wien, Mittwoch den 20. Mai 1868

Hofoperntheater.

(„Romeo und Julie.“ — „Die Afrikanerin.“)

Ed. H. Das musikalische Interesse der letzten Woche haftete an der neuen Besetzung von zwei Lieblingsopern des Publicums. Zum erstenmale sang Fräulein Benza die Afrikanerin, sangen Fräulein Ehnn und Herr Gunz die Titelrollen von Gounod’sRomeo und Julie“. In letzterer Oper waren auch die meisten anderen Rollen in neuen Händen, so daß von dem ursprünglichen Personal nur Herr Bignio seinen Platz noch innehatte, den er als Mercutio so vorzüglich ausfüllt. Ohne Frage hat die Oper in der jetzigen Besetzung das Publicum weniger erwärmt, als in der früheren. Es ist dies nicht durchwegs die Schuld der neuen Darsteller; einige davon waren schwächer als ihre Vorgänger, andere waren nur anders, aber selbst damit störten sie die Kreise, welche sich die Phantasie der Zuhörer einmal gezeichnet und in zahlreichen Wiederholungen verstärkt hat. Der volle, frische Reiz, mit dem eine neue Oper wirkt, kommt auch den ersten Darstellern zu statten, welche — nach französischem Ausdruck — die Rollen „schaffen“ und damit auf die Vorstellungen des Publicums bestimmend wirken. Von wirklicher Schöpfung eines dramatischen Charakters war bei Fräulein Murska, der ersten Darstellerin der Julie, freilich keine Rede. Concertsängerin im Costüm und in jedem Costüm stets dieselbe, war Fräulein Murska nicht nur keine dramatisch gestaltende Kraft, sie entbehrte auch jener echten, tiefen Empfindung, welche, oft unabhängig vom schauspielerischen Talent und am blos lyrischen Moment sich entzündend, den Hörer unmittelbar mit sich fortreißen kann. Rein musikalische Vorzüge werden als solche natürlich auch in hochdramatischen Partien nicht wirkungslos verschwinden; an der mühelosen Stimmbildung, den hohen Silbertönen, der glänzenden Geläufigkeit der Murska ergötzte sich das Ohr, auch wenn sie die Julie sang. Ließ aber der Hörer nicht blos das Ohr, sondern auch Herz und Kopf zu Worte kommen, so empfand er augenblicklich die tiefe Kluft, welche zwischen der Julie des Dichters und unserer blonden Primadonna gähnte. Da gab es höchstens ein nothdürftiges Abfinden mit der dramatischen Etiquette, kein freies Schaffen und Gestalten, ein künstliches Theatergewitter ohne den zündenden Blitz der Leidenschaft, ohne den leuchtenden des Geistes. Schon die wunderlich gemalte, mit Putz und Farben überladene Erscheinung stimmte selten mit dem Ideal des Dichters; ein Gesicht (ein hübsches meinetwegen), das niemals auch nur einen Augenblick den Ausdruck ruhigen Ernstes oder natürlicher Herzlichkeit annimmt, sondern in allen Empfindungslagen dasselbe nichtssagende, süßsäuerliche Lächeln producirt, begleitet von immer demselben Kopfnicken und derselben kurz abwehrenden Handbewegung — es wird die Regungen des Herzens niemals überzeugend abspiegeln. An Shakspeare’s Julie konnten wir in keinem Moment denken, an Gounod’s Julie nur in einem einzigen. Das war die Walzer-Arie im ersten Act, welche Fräulein Murska mit blendender Bravour sang, mit so nachdrücklicher Bravour nebenbei, daß das leidige Concertstück förmlich zum hellbeleuchteten Höhenpunkt des Ganzen wurde. Die Arie, anmuthig in ihrem leichtbeschwingten, frohsinnigen Thema, banal und überladen im weiteren Verlaufe, jedenfalls unpassend zum Styl des Dramas, hat bei Gounod noch zwei ganz analoge Seitenstücke: die Schmuckwalzer Gretchens im Faust“ und die Walzer-Arie der Mireille („O légère hirondelle“) in der hier unbekannten Oper gleichen Namens. Alle drei Rollen sind für die Directrice des Théâtre Lyrique, die trillergewandte Miolan-Carvalho, geschrieben, der deutlichste Beweis, daß Gounod hier gegen seine bessere Ueberzeugung zu Concessionen gezwungen war. Es stand zu erwarten, daß Fräulein Ehnn in diesem Bravour-Walzer die weit überlegene Gesangskunst ihrer Vorgängerin nicht erreichen werde, dem Vortrag fehlte Glanz und Leichtigkeit. Von dieser Nummer an stand jedoch die Leistung Fräulein Ehnn’s sofort auf bedeutender Höhe. Gleich das „Madrigal“ mit Romeo entbehrte nicht jenes Zuges von leichter, verbindlicher Galanterie, welcher diese von der späteren Gluth noch nicht versengte erste Begrüßung charakterisirt. Die Nummer wird im Vortrag meist zu schwer und pathetisch genommen, auch von Herrn Gunz und seinem Vorgänger Walter. Mit ergreifender Wahrheit gab Fräulein Ehnn den folgenden Moment, wo Julie erfährt, daß der Fremde Romeo sei, der Todfeind des Hauses. In den Ausdruck ihres höchsten Schreckens mischte sich die Innigkeit der so plötzlich erwachten Liebe und die ganze, sichere Ahnung des tragischen Ausganges. In derlei psychologischen Schilderungen ist Fräulein Ehnn ebenso wahr als beredt, man glaubt ihr, was sie singt. Diese und ähnliche Stellen gingen bei Fräulein Murska fast spurlos verloren. Innig und schüchtern, wie in einen Traum getaucht, klang der erste Monolog auf dem Balcon; die kosende Zärtlichkeit des folgenden Duetts wuchs in der Liebesscene des vierten Actes zur leidenschaftlichen Gluth. Wir erwähnen noch des trefflichen stummen Spieles während des Verlobungsfestes und hätten nur die letzten Worte Juliens vor ihrem Zusammensinken weniger heftig gewünscht. Die Auffassung Fräulein Ehnn’s widerspricht hier zu sehr der Schilderung Lorenzo’s von der Wirkung des Schlaftrunkes. Im letzten Acte schien uns Fräulein Ehnn etwas ermüdet, mehr geistig als körperlich. Es ist selbstverständlich, daß die Rolle, von Fräulein Ehnn zum erstenmale gespielt, noch nicht vollständig ausgeglichen und aller Wirkungen sicher ist; die Zeit wird die letzte Hand daran legen. Genug, daß die Partie geistvoll angelegt und mit jenem künstlerischen Ernst und warmen Gefühl ausgeführt ist, wodurch alle Leistungen Fräulein Ehnn’s, selbst wo sie von kleinen musikalischen Schwächen nicht frei sind, so anregend und sympathisch wirken.

Der Erfolg des Herrn Dr. Gunz als Romeo war durchaus ehrenvoll und der Beifall um so verdienter, als Herr Gunz die Rolle nie zuvor gesungen, ja die Oper selbst noch nicht gehört hatte. Das fleißige Anlehnen an gute Muster, das diesem Sänger sonst wesentlich zu statten kommt, fiel somit weg und einige Befangenheit mochte sich dafür leicht einstellen. Herr Gunz sah nicht blos hübsch, sondern mit dem schwarzen Lockenkopfe auch charakteristisch aus. Seine leicht ansprechende, hell und jugendlich klingende Stimme eignet sich vortrefflich für den Romeo, dessen zärtliche Melodien Herr Gunz, namentlich im zweiten Acte, verständig und geschmackvoll vortrug. Auch an Stimmkraft fehlt es ihm keineswegs, er erprobte sie in manchen Scenen mehr, als man wünschen mochte. So sang er seine erste Monodie in der Gruft viel zu laut und heroisch. Die Scene verlangt den Ausdruck tiefster, schmerzlicher Empfindung, die sich nicht mehr in stürmischen Ausbrüchen Luft macht. Alles Theatralische soll hier zurückbleiben, das Herz seine eigenste Sprache sprechen. Hätte Herr Gunz es unterlassen, seine ganze Stimmkraft dicht vor den Fußlampen zu entfesseln, man würde seinen Empfindungen mehr Glauben geschenkt haben. „Du schreist, Jupiter, also hast du Unrecht,“ mußte sich sogar ein Gott zurufen lassen! Einen gefälligen Eindruck erzielt Herr Gunz meistens, einen tiefen nachhaltigen äußerst selten. Bei aller verwendeten Sorgfalt haben seine Leistungen etwas Aeußerliches, Flaches — man vermißt den kräftigen Pulsschlag des Lebens, noch mehr der Individualität. Ein gewisser Mangel an Concentration, an innerer und äußerer Haltung beeinträchtigt die volle Wirkung, welche Herr Gunz seinen schönen Naturgaben abgewinnen könnte. Wie sein Blick meistens unstet umherschweift, so bewegt sich auch sein Spiel in einer Art von Verlegenheit und Zerstreutheit, welche auf den Zuschauer zurückwirkt und sichere, starke Eindrücke auf denselben erschwert. Mit diesen Bemerkungen soll weder das Verdienst des Herrn Gunz um die letzte Vorstellung des „Romeo“, noch weniger die anerkannt hervorragende Stellung angefochten werden, welche er unter den lyrischen Tenoren Deutschlands gegenwärtig einnimmt. — Von den übrigen Personen der Oper ist Bruder Lorenzo, eine Rolle, die für Herrn Rokitansky’s bequeme Würde wie geschaffen und von ihm mit großer Wirkung gesungen war, an Herrn Mayerhofer übergegangen. Die Leistung dieses tüchtigen Künstlers litt merklich unter dem Nachklang von Rokitansky’s mächtiger Stimme, so wenig das feinere dramatische Detail Herrn Mayerhofer’s, im vierten Acte namentlich, dem aufmerksamen Beobachter entgehen konnte. Herr Hrabanek (Capulet) störte nicht, höchstens einen Augenblick, als er sich im vierten Acte überschrie; Herr Schmid gab der Rolle jedenfalls mehr Nachdruck und Haltung. Herr Draxler sang den kleinen Part des Fürsten Escalus mit der ihm eigenen priesterlichen Hoheit. Der „grimme Tybalt“ erhält durch Herrn Zottmayr einen fast lustspielmäßigen Anstrich. Herr Prott war ganz ausreichend für diese und ähnliche Rollen, und man wird seinen Abgang noch beklagen, wenn einmal Herr Telek oder der allerjüngste Wachtel definitiv „gewonnen“ sind. Keineswegs war Herr Prott in seinem Rollengebiete so schwach, daß man ihn entlassen durfte, bevor man eines Besseren sicher war. Fräulein Tellheim sah als Page Stefano schmuck aus, wie immer; im Gesange erreichte sie Fräulein Rabatinsky in keiner Hinsicht. Letztere sang die Serenade mit leichter, anspruchsloser Fröhlichkeit, während Fräulein Tellheim zu viel Nachdruck und Detail hineinzulegen sucht. Zwischen Fräulein Gindele und Fräulein Pastet ist gar kein Vergleich statthaft, aber auch an und für sich ist Fräulein Pastet für die secundäre Rolle der Gertrud zu tertiär.

In der letzten Vorstellung der „Afrikanerin“ sang Fräulein Benza zum erstenmale die Titelrolle und erklomm damit abermals eine neue Staffel auf der Himmelsleiter der Primadonnenschaft. Ihre Selica war eine herzhafte That und verdient ein ebenso herzhaftes Lob. Wie alle Leistungen Fräulein Benza’s, charakterisirt, auch diese eine gesunde, fast strotzende Fülle und Realität, dabei jene Zuversicht, welche gebornen Theaterkindern eigen ist. Da gibt es kein Zweifeln und Tasten, mit glücklichem Instinct und Muth geht Fräulein Benza ihrer Aufgabe schnurstracks zu Leibe. Was sie bringt, ist wirksam und praktisch, wenn auch der idealisirende Hauch fehlt, welcher poetischen Gestalten die letzte, höchste Weihe gibt. Ihre Stimme, kräftig, frisch und umfangreich, mit etwas schmetterndem Beiklang, befähigt Fräulein Benza vollkommen zu der Partie der „Afrikanerin“ welche Meyerbeer nicht für eine Altistin, sondern ausdrücklich in der Original-Partitur „für die Darstellerinnen der Valentine und Alicebestimmt hat. Diese beneidenswerthe Stimme gehört indessen nicht zu jenen vergeistigten, durchsichtigen, die gleichsam das feinste Geäder des Seelenlebens durchschimmern lassen: sie ist auf starke Wirkungen im Großen und Vollen angelegt. Fräulein Benza’s künstlerische Individualität zeigt eine ausgesprochene Neigung zu sinnlich-kräftiger, realistischer Gestaltung, wie schon ihre dunkle Stimme, ihre stramme Haltung, ihr hübsches, trotzig-rundes Gesichtchen mit dem launigen Anflug von Doppelkinn vorandeutet. Die leichte Erregbarkeit der Sensitive muß man bei ihr nicht suchen, nicht seine musikalische oder psychologische Details, nicht die Beredsamkeit eines halben Blickes, einer leisen Handbewegung. Fräulein Benza’s Bilder wirken durch starke Contouren und coloristische Kraft; die Künstlerin wählt stets frische Farben, taucht aber den Pinsel mitunter zu tief in den Farbentopf. Dies gilt auch von ihrer Darstellung der Selica. Eigenthümliches, Schöpferisches vermochten wir in dieser Leistung nicht wahrzunehmen, aber Alles war guten Vorbildern glücklich abgesehen und mit großer Sicherheit ausgeführt. Die schwierige Rolle bewährte auch neuerdings das schauspielerische Talent Fräulein Benza’s. Ihr Spiel ist durchwegs richtig und bezeichnend, nur zu stark, zu deutlich; sie läßt, in stummen Scenen besonders, dem Zuschauer nicht nur nichts zu errathen oder zu deuten übrig, sondern liebt es, wie angehende Schriftsteller thun, jedes dritte Wort nachdrücklich zu unterstreichen. Innigkeit und tiefes Gefühl können wir dem Gesange Fräulein Benza’s kaum nachrühmen; selbst wo der Ausdruck ganz richtig, ja täuschend war, schien er uns mehr gemacht als empfunden und das Empfundene mehr äußerlich geschwellt als geistig vertieft und zusammengefaßt. In diesem Punkte steht Fräulein Benza weit hinter Fräulein Ehnn zurück, deren Spiel und Vortrag stets den lebenswarmen Athem der Empfindung aushaucht und darum unmittelbar überzeugt. Hingegen ist Fräulein Benza durch größere Geschmeidigkeit der Stimme und eine flüssigere Coloratur im Vortheil. Glücklicherweise hat Fräulein Benza es auch allmälig über sich gewonnen, den Tonstrahl nicht immer in voller Dicke auszuströmen, sondern ihn auch in die zarteren Formen des piano und mezza voce zu zwingen. Dadurch ermöglichte sie sich den überraschend gelungenen Vortrag der krausen Balletmelodie, welche Selica unter dem Titel eines „Schlummerliedes“ producirt. Im vierten Acte hatte Fräulein Benza packende Momente und errang mit dem Allegro des Duettes einen großen Erfolg. Am wenigsten hat uns die Scene unter dem Manzanillobaum befriedigt: der äußere Effect zwar versagte nicht ganz, aber die echten, tiefen Herzenstöne des verrathenen Weibes, das hier wie Dido und Sappho gebrochenen Herzens den Tod sucht, wollten nicht anklingen.