Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9914. Wien, Donnerstag, den 31. März 1892
[1]„Freund Fritz.“
Oper in 3 Acten von P. Mascagni.
(Erste Aufführung im Hofoperntheater am 30. März 1892.)
0004Ed. H. Es war vorauszusehen: dieser „Freund Fritz“
0005hat einen schweren Stand. Maßlose Erwartungen knüpften
0006sich gleich an die Anzeige seiner glücklichen Geburt. Ein
0007Gegenstand des Neides für die vielen Collegen, deren zweite,
0008auch dritte Opern man ohne besondere Aufregung heran-
0009kommen sieht. Aber für Mascagni konnte der Triumph der
0010„Cavalleria“, der als Siegesfahne dem „Freund Fritz“ voran-
0011flatterte, leicht zur spitzen Lanze werden. Welch unerhörter
0012Erfolg, diese „Cavalleria rusticana“! Ein übertriebener, wenn
0013wir ihn an dem musikalischen Werth des Werkes messen —
0014aber jedenfalls ein aufrichtiger. In Wien hält die Oper nicht
0015weit von ihrer hundertsten Aufführung und füllt jedesmal
0016das Haus; in anderen Städten verhält es sich nicht anders.
0017Neben dem Publicum geriethen auch die Schriftsteller in
0018ungewohnte Bewegung; wo es sonst Feuilletons gab, regnete
0019es nun Broschüren. Der Componist der „Cavalleria“ erschien
0020darin als der Inbegriff des musikalischen Jahrhunderts, als
0021ersehnter Messias der dramatischen Musik. Es fehlte nichts
0022weiter, als ein Buch: „Mascagni als Erzieher“. Wir haben
0023bereits „Rembrandt als Erzieher“, „Moltke als Erzieher“,
0024„Bülow als Erzieher“, und sogar „Richard Wagner
0025als Erzieher“. So betitelt sich ein Büchlein von H. Ritter,
0026welches der Jugend als Begleiter und Mentor zu den
0027Bayreuther Festspielen dienen soll. Vortrefflich! Unsere
0028Jugend, erzogen am Anblick der Brautnacht des Geschwister-
0029paares in der „Walküre“, des Stelldicheins von Tristan
0030und Isolde u. s. w.! Jetzt kommt wol Mascagni auf den
0031Erzieherthron. Herr Heinrich Pudor hat ihn bereits
0032mit dem Hundegebell seiner kurzen Sätze begrüßt. Wäh-
0033rend aber der Wagnerianer Pudor alles Heil in Mas-
0034cagni erblickt, kommt ein anderer Wagnerianer, Herr
0035Dwelshauvers; der läßt kein gutes Haar daran und beklagt
0036in einer eigenen Broschüre die Schmach, „daß ein von
0037Wagner erzogenes Volk zwischen Meisterwerk und Mach-
0038werk nicht zu unterscheiden verstehe“, wie der Erfolg der
0039„Cavalleria“ bezeugt. Solche Wichtigkeit hat das für Deutsch-
0040land! Aber das Glück einer ersten Oper ist immer eine
0041Gefahr für die zweite. Wird nicht das Publicum nach dem
0042vermeintlichen Non plus ultra der „Cavalleria“ jetzt im
0043„Freund Fritz“ ein Plus ultra erwarten? Kein unbedingter
0044Bewunderer der ersten Oper, befinde ich mich der zweiten
0045gegenüber glücklicherweise in ruhigerer Gemüthsstimmung.
0046An der „Cavalleria“ imponirte uns zunächst die außer-
0047ordentlich glückliche Wahl des Stoffes. Ohne Zweifel hat
0048dieses Textbuch das Talent Mascagni’s an seiner kräftigsten
0049Seite gefaßt und ist entscheidend geworden für den Erfolg
0050der Oper. Ein volksthümlicher, bewegter Schauplatz, scharf
0051umrissene Charaktere, treffliche Exposition und Steigerung
0052der Handlung, Alles wohl motivirt, natürlich, realistisch.
0053Und endlich die „himmlische Kürze“, nachdem man die vier-
0054bis fünfstündigen Opern satt bekommen, wie die neunbändigen
0055Romane von Gutzkow! Hat Mascagni, so lautet die erste
0056Frage, mit dem neuen Libretto eine ebenso glückliche Wahl
0057getroffen? Man kennt die Erzählung „Ami Fritz“, von
0058Erckmann-Chatrian, deren elsässisches Colorit und ge-
0059müthliches Kleinleben den deutschen Leser anheimelt. Fritz
0060Kobus, ein wohlhabender Gutsbesitzer, hat sich bis an das
0061Ende der Dreißiger an ein lustiges Garçonleben gewöhnt.
0062Umsonst bemüht sich sein alter Freund, der Rabbiner David
0063Sichel, ihn zur Heirat zu bewegen. Endlich verliebt sich Fritz
0064in Susel, die Tochter seines Pächters; das Mädchen er-
0065widert seine Neigung, und so hätte die Geschichte ein Ende,
0066wenn dieses nicht durch das Schwanken des Helden ver-
0067zögert würde. Zwischen nur drei Personen, Susel, Fritz
0068und David, spielt sich die ganze Handlung ab; drei Neben-
0069figuren, worunter die recht überflüssige des jungen Zigeuners,
0070huschen daneben über die Scene. Auf der Bühne gibt es
0071keinen Chor, kein Ensemble, kein Finale. Ich weiß nicht, ist
0072es persönliche Laune Mascagni’s, dessen „Cavalleria“ doch
0073dem Chor so große Effecte verdankt, oder die unheilvolle
0074Influenza Wagner’scher Theorie, was ihn im „Fritz“ den
0075Chor verbannen ließ? Die prächtigste Gelegenheit zu einem
0076lebensvollen Chor-Finale liegt in Erckmann’s Erzählung
0077förmlich auf der Hand. Ich meine die lustige Kirchweih in
0078Bisheim, wo Fritz, von unbestimmter Sehnsucht angetrieben,
0079plötzlich mit seinen Freunden erscheint, Susel findet, mit ihr
0080tanzt und inmitten von Fröhlichen im Glücke schwelgt. Die
0081Scene ist ein Glanzpunkt der Erzählung und hätte ein
0082Glanzpunkt der Oper werden können. So aber klingt die
0083ganze idyllisch stagnirende Handlung in lauter Monologen
0084und Dialogen aus. Am wenigsten dürfte gerade aus deutschem
0085Gesichtspunkte gegen das Sujet des „Fritz“ eingewendet
0086werden. Das deutsche Theater-Publicum, insbesondere der
0087mittleren und kleineren Städte, bewahrt seit den Tagen
0088Schröder’s, Iffland’s und Kotzebue’s noch immer eine heimliche
0089Liebe für Familiengemälde, ländliche und kleinbürgerliche Stücke.
0090Daß aber gerade Mascagni diese simple Herzensgeschichte sich
0091erkor, schien verwunderlich. Wir haben allerdings in der
0092„Cavalleria“ auch Töne von rührender Zartheit und Anmuth
0093vernommen, aber gleichsam nur nebenbei oder als contrastiren-
0094des Element. Mascagni’s Stärke waren entschieden die ge-
0095waltigen, ja gewaltsamen Effecte, die Ausbrüche überschäumen-
0096der Leidenschaft. Selbst seine fröhlichen Melodien (Trinklied,
0097Fuhrmannslied, Bauernchor) sind von einem giftigen Roth
0098durchschossen. Mascagni ist ein eminent dramatisches Talent
0099im Sinne Verdi’s, nicht ein lyrisches, wie seine mittel-
0100mäßigen Lieder beweisen. Ein so geartetes Naturell vermag
0101mit einem guten Jungen wie Freund Fritz nicht lange
0102unisono zu gehen; es wird entweder sich selbst Gewalt an-
0103thun oder dem Stoffe. Mascagni hat häufiger das Letztere
0104gethan. Nicht nur die leidenschaftlichen Gefühle spannt er
0105bis zum Bersten, auch der gewöhnlichen Conversation gibt
0106er einen übertrieben aufgeregten Charakter. Wir werden das
0107an Einzelheiten genauer sehen. Gehen wir die Oper durch.
0108Gleich das Vorspiel („Preludietto, tempo di Valzer“)
0109beginnt ganz unmotivirt mit einer Reihe peinlich dissoni-
0110render Accorde, die sich eigensinnig fortspinnen und wieder-
0111holen, damit der Hörer ihre feinen Stacheln ja recht empfinde.
0112Im Orchester, wo diese Unholde von einem Piccolo, einer
0113Flöte und zwei Clarinetten geblasen werden, wirken sie frei-
0114lich nicht so teuflisch, wie auf dem Clavier. Da meinte
0115Freund B., ihm sei, als würde er von der altgewordenen,
0116keifenden Susel mit scharfen Nägeln ins Gesicht gekratzt.
0117Man könnte diese Aufdringlichkeit häßlicher Klänge, die sich
0118in der neuesten Musik gleichwerthig dünken mit dem Har-
0119monischen, einen social-demokratischen Zug nennen: Alles
0120soll gleich berechtigt sein, Disharmonie wie Harmonie. Der
0121erste Act enthält überwiegend Conversations-Musik, zwischen
0122Fritz und seinen Freunden, welche an seinem Geburtstag
0123mit ihm schmausen. Diese Art musikalischen Dialogs über [2]
0124einer fortlaufenden Orchester-Melodie ist hier trotz unver-
0125kennbar französischen Einflusses keineswegs so fließend und
0126ebenmäßig behandelt, wie zum Beispiel in „Manon“ oder
0127„Werther“. Es ist musivische Arbeit, auch im Orchester;
0128Stückchen, die nicht immer zusammenpassen. Der unaufhör-
0129liche Tact- und Tempowechsel bei stets unruhiger Modulation
0130gibt der Musik zum „Freund Fritz“ im Ganzen etwas Un-
0131stetes, Formloses, Schaukelndes. Suschen tritt ein mit
0132einem Veilchenstrauß und einem Gratulationslied in G-dur,
0133welches sich eigentlich nur dadurch auszeichnet, daß es conse-
0134quent F bringt, wo das Ohr den Leitton Fis erwartet.
0135Es ist dies eine Lieblingsgewohnheit Mascagni’s, die wir
0136schon aus der „Cavalleria“ kennen, aber noch viel häufiger
0137im „Fritz“ begegnen. Wenn man Suschen’s Lied oder dem
0138zweiten Liede des Zigeuners in G-moll ein Kreuz vor das
0139stereotype F setzte, so hätte man eine ganz gewöhnliche Me-
0140lodie; durch die naturwidrige Vertiefung des Leittons wird
0141sie „pikant“ gemacht und gleicht etwas Besonderem. Derlei
0142künstlich verbogene, verkrüppelte Harmonien entstellen manche
0143der hübschesten Einfälle in „Freund Fritz“. Jedenfalls ver-
0144leihen sie aber — im Verein mit dem unaufhörlichen Tact-
0145wechsel, dem Schaukeln zwischen Dur und Moll in derselben
0146Periode, endlich gewissen rhythmischen und instrumentalen
0147Wunderlichkeiten — der Musik Mascagni’s ein eigenartiges
0148Gepräge. Kein Zweifel, daß sich das Publicum mit der Zeit
0149an diese Mißklänge gewöhnt, auch wol in zehn Jahren noch
0150stärkere vertragen wird; aber gerade das ist zu beklagen, daß
0151solche zu herrschendem Einflusse gelangende Opern dahin
0152wirken, das gesunde musikalische Gehör zu verstimmen, zu
0153fälschen. Ebenso unerquicklich wie Susel’s Lied ist das des
0154Zigeuners Joseph. Diese in Erckmann’s Erzählung sympathische
0155mannhafte Figur hat Mascagni leider in eine affectirte Knaben-
0156rolle für die Altistin verwandelt. Das endlose Violin-Solo,
0157das dem Liede vorhergeht, ist ein gekünsteltes Bravourstück ohne
0158echte Zigeuner-Poesie. Das kurze kecke Orchestervorspiel vor
0159jeder Strophe verspricht Besseres, als der langsam schleichende
0160Gesang hält. Auch dieses Beispiel ist charakteristisch für die
0161ganze Oper: die kleinen Orchester-Ritornells sind oft ganz
0162reizend, der darauffolgende Strophengesang aber matt und
0163zerrissen, wie auch in Suschen’s Romanze „Mein edler
0164Herr“ im zweiten Act. Der Marsch der Waisenkinder
0165mit der Fanfare hinter der Scene (nach einem Volkslied
0166„Ich bin lustig“) gibt dem Act wenigstens einen frischen
0167Abschluß. Der zweite Act ist entschieden und weitaus der
0168beste. Hübsch sind gleich das kleine pastorale Vorspiel und die
0169Parlandosätze Suschen’s; die graziöse Orchester-Begleitung
0170über pizzikirten Bässen erinnert an Aehnliches bei Auber
0171und Halévy. Ein Oboë-Solo präludirt einem kurzen Chor
0172hinter der Scene, der mehr einem Grabgesang gleicht, als
0173einem Schnitterlied. Hierauf folgt eine Art Ballade Suschen’s;
0174vier langsame Strophen, jede immer um einen halben Ton
0175höher gesungen, als die vorhergehende. Auch hier schiebt
0176sich zwischen die Andante-Strophen ein rasches Orchester-
0177Ritornell, das viel hübscher ist, als der bei aller Verkünste-
0178lung monotone Gesang. Es folgt das vielgerühmte Duett
0179zwischen Fritz und Susel unter dem Kirschenbaume; ein sehr
0180zartes, anmuthiges Stück von lieblicher Wirkung. Ein sehr
0181frisches Orchester-Motiv erklingt bei der Ankunft der Freunde
0182und mischt sich geistreich scherzend in die Conversation. Als
0183eine der Sonderbarkeiten dieser Partitur dürfte dem Hörer
0184die Staccatto-Figur in schnellen Sechzehnteln auffallen, die
0185gleichzeitig von der Posaune und hoch oben von der Flöte
0186geblasen wird. Eine gute Nummer, an welcher Erckmann
0187mindestens ebenso viel Verdienst hat, wie der Componist,
0188ist das Duett am Brunnen zwischen dem Rabbiner und
0189Susel; ein von den Blasinstrumenten choralartig begleitetes
0190Andante religioso. Susel muß auf David’s Verlangen die
0191Geschichte der Rebekka aus der Bibel erzählen. Der ein-
0192färbig ernsthafte Ton des „Aussagens“ ist anfangs glücklich
0193getroffen; aber Mascagni kann nicht lange ruhig bleiben.
0194Schon bei den ziemlich gleichgiltigen Worten der Erzählung:
0195„Sende ein Mädchen, daß ich zu ihr rede“ u. s. w., ver-
0196fällt er in einen unmotivirten Kraftaufwand, treibt die
0197Stimme in die Höhe und zwingt die Sängerin, zu schreien,
0198während das ganze Orchester mit Pauken und Posaunen in
0199einen Aufruhr geräth, als handelte es sich um den Untergang
0200Jerusalems. Beim Abgang des verschämt flüchtenden Sus-
0201chen fügt Mascagni zu dem Fortissimo des ganzen
0202Orchesters noch ein Tantam! In dem Schauspiel „Freund
0203Fritz“, ehedem in Laube’s Stadttheater gegeben, hat mir die
0204Scene am Brunnen einen tieferen Eindruck gemacht als in
0205der Oper. Dort beherrschte ein gemüthvoller, von leichter
0206Ironie durchwehter Ton dieses Zwiegespräch, das in der
0207Oper in tragisches Pathos hinaufgehoben wird. Unvergeßlich
0208wird auch Jedem Fräulein Schratt geblieben sein als
0209Suschen; die hatte den entzückend wahren, ungezierten Ton
0210der Naivetät, welcher so selten anzutreffen ist im Schauspiel
0211und fast gar nicht in der Oper! Das Andante des Fritz:
0212„Mich umfängt’s wie heiße Schwüle“, beginnt einfach, warm
0213empfunden, an Verdi anklingend; leider stockt alsbald der
0214melodische Fluß, das Stück entwickelt sich nicht, bricht ab,
0215wie so viele in dieser Oper. Recht stimmungsvoll ist der
0216Schluß des Actes mit dem leisen Herüberklingen des Chors
0217hinter der Scene. Vor dem dritten Act hören wir
0218ein „Intermezzo“, das auch schon berühmter ist, als es ver-
0219dient. Mit dem Intermezzo aus der „Cavalleria“, das gewiß
0220kein musikalisches Heldenstück ist, aber durch seinen Klang-
0221zauber fesselt, scheint mir doch dieses D-moll-Präludium nicht
0222zu vergleichen. Eine Zigeuner-Imitation, gebildete, affectirte
0223Zigeunermusik, die ihre Wirkung durch die Wucht eines mit
0224aller Kraft gestrichenen Geigen-Unisonos erzwingt. Das
0225traurige Liebeslied des Zigeuners mit Piccolo und Fagott
0226bewegt sich, stark außerhalb des Styles der Oper, in abge-
0227rissenen, übertriebenen Phrasen. Auch das folgende Arioso
0228des Fritz in Ges-dur behilft sich meist mit bekannten Phrasen
0229leidenschaftlicher Exaltation und vernichtet durch fortwähren-
0230den Tactwechsel die Einheit der Stimmung, wie die Ein-
0231präglichkeit der Melodie. Von starker Empfindung ist der
0232kurze Monolog Susel’s: „Nicht mehr lachen, nur weinen“.
0233Das folgende Liebesduett zwischen ihr und Fritz öffnet zwar
0234alle Schleusen der Opernberedtsamkeit, bringt es aber doch,
0235vor lauter Uebertreibung im Gesang und Orchester, nicht zu
0236überzeugender Innigkeit. Es ist Verdisch, ohne Verdi’s Er-
0237findung und Originalität. Ein paar Schlußtacte singen Fritz
0238und Susel unisono, unter großem Orchester-Spectakel. Nun
0239kommen zum fröhlichen Ende die Freunde herbei und wieder-
0240holen Fritzens Strophe „O Liebe, du sanfte Leuchte“, welche
0241dadurch nicht bedeutender wird. Nur unpassender an dieser
0242Stelle, welche einen fröhlichen Abschluß verlangt, ist die
0243pathetisch-sentimentale Melodie, in welcher Fritz vorher sein
0244Liebesweh ausgesungen hat.
0245Die Frage, wie sich „Freund Fritz“ dem Werthe nach
0246zur „Cavalleria“ verhalte, ist mit Einem Worte schwer zu
0247beantworten. Daß er die Wirkung nicht erreicht, welche von
0248der „Cavalleria“ mit der Gewalt einer Explosion ausging,
0249versteht sich von selbst. Mascagni’s einactige Tragödie über-
0250raschte und packte als etwas ganz Neues. Nicht als ob die
0251musikalischen Ideen an sich besonders originell klängen, aber
0252ihr Verschmelzen mit der erschütternden Handlung und dem [3]
0253leidenschaftlich mitfühlenden Orchester, das Alles zusammen
0254machte ohne Frage den Eindruck einer entschieden neuen
0255Erscheinung. Die einfache Herzensgeschichte „Freund Fritz“
0256kann Aehnliches nicht bieten. Sie steht an äußerer Wirkung
0257zurück; auch musikalisch darin, daß alle größeren Ensembles
0258fehlen und selbstständige wirksame Musikstücke von abgerundeter
0259Form seltener als in der „Cavalleria“ vorkommen. Auch
0260wüßte ich im „Fritz“ keine Scene namhaft zu machen,
0261welche an tiefer Empfindung, an rührender Gewalt den
0262Hauptmomenten der Santuzza und des Turiddu gleichkäme.
0263Trotzdem läßt sich nicht behaupten, daß Mascagni’s Talent
0264im „Freund Fritz“ gesunken wäre; es ist nur auf ein ihm
0265weniger homogenes Gebiet gerathen. Vorzüge der neuen
0266Oper sind: daß sie sich frei hält von Trivialitäten, die in
0267der „Cavalleria“ recht häufig vorkommen; daß ihr Styl
0268doch einheitlicher, geläuterter ist, seine italienischen, französi-
0269schen und deutschen Elemente nicht so ungenirt neben ein-
0270ander stellt, sondern möglichst zu verschmelzen sucht. Das
0271Orchester — von den erwähnten einzelnen Maßlosigkeiten
0272abgesehen — klingt feiner, gewählter, interessanter. In der
0273Orchesterpartie finden wir mehr Originalität und Geist, als
0274in den Gesängen, obgleich auch diese viel Zartes und An-
0275muthiges enthalten. Die rein melodische Erfindung fließt im
0276„Fritz“, trotz dessen viel größerem Umfang, nicht üppiger
0277als in der „Cavalleria“. Was wir an der neuen Oper be-
0278klagen, ist, wie gesagt, ihre maßlose Exaltation des dramati-
0279schen Ausdrucks, ihr raffinirtes Künsteln in Harmonie und
0280Rhythmus, endlich die nervöse Unruhe, welche die Musik nie
0281zu einer wohlthuenden anhaltenden Sammlung kommen läßt.
0282Trotz alledem: es steckt Race in dieser Musik, eine Selten-
0283heit bei den Operncomponisten unserer Tage. Das starke
0284dramatische Talent Mascagni’s ist unanfechtbar, seit der
0285„Cavalleria“ scheint es mir auch musikalisch verfeinert.
0286„Freund Fritz“ verräth noch die Gährung dieses Talentes,
0287es deutet aber vernehmlich auf den starken, klaren Wein, den
0288uns Mascagni in Zukunft noch credenzen wird. Was den
0289Erfolgen des „Freund Fritz“ in Deutschland zum großen
0290Vortheil gereicht, ist die musterhafte Uebersetzung des Text-
0291buches durch Max Kalbeck. Es gibt wenige Opern-
0292übertragungen, welche, wie diese, zugleich treu und frei, sich
0293ebenso leicht singen, als angenehm lesen.
0294Ueber die heutige Aufführung der Oper berichten wir
0295an anderer Stelle.