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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9948. Wien, Donnerstag, den 5. Mai 1892

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Zur Eröffnung der Musik- und Theater-Ausstellung.


0002Ed. H. Die Ausstellung, welche in fast unübersehbarem
0003Reichthum sich übermorgen vor unseren Augen entfalten wird,
0004ist aus einem ursprünglich bescheidenen Kern emporgewachsen.
0005Zur hundertsten Wiederkehr von Mozart’s Todestag (1891)
0006war in Wien eine Ausstellung von musikalischen Instru-
0007menten, Autographen, Drucken und Porträts geplant, welche
0008etwa nach Art der Grillparzer-Ausstellung in den Localitäten
0009des Rathhauses Platz gefunden hätte. Je tiefer man, be-
0010sprechend und berathend, in das Detail dieses Planes ein-
0011drang, desto mächtiger wuchs der Rahmen desselben in die
0012Höhe und Breite. Warum nur die Geschichte der Musik 
0013illustriren und nicht auch die Entwicklung des Theaters?
0014Und warum nicht über eine österreichische Musik- und
0015Theater-Ausstellung hinausgreifen zu einer internatio-
0016nalen
? So trieb in dem genialen Frauenkopf, welchem die
0017erste Anregung entsprang, der Urgedanke immer neue Aeste
0018und Zweige, bis in unbegreiflich kurzer Zeit eine in ihrer
0019Art ganz einzige Ausstellung fertig stand. In ihrer Grund-
0020idee und Gestaltung hat sie weder Vorgänger noch Rivalen.
0021Die letzten Pariser Weltausstellungen haben allerdings der
0022„Histoire du travail“ — oder wie wir’s 1873 in Wien 
0023nannten, der „Additionellen Ausstellung“ — einige Pavillons
0024oder Galerien eingeräumt, aber darin bildeten Musik- und
0025Theater-Geschichte nur eine sehr dürftige Unterabtheilung,
0026eine amüsante Beigabe zur Hauptsache: der Industrie-Aus-
0027stellung. Zum erstenmal haben wir jetzt eine ausschließlich
0028musikalisch-theatralische Exposition, die gerade durch diese
0029Beschränkung ihren Zweck in außerordentlicher Vollständig-
0030keit und wissenschaftlicher Gruppirung zu erreichen vermag.
0031In Wien erschien 1873 die Tonkunst als Ausstellungs-
0032Gegenstand auf die Instrumente beschränkt, während in Paris 
00331867 die Musik selbst sowol als schaffende Kunst (durch
0034Compositionen) wie als reproducirende (durch Vocal- und
0035Instrumental-Concerte) zu förmlichem Wettkampf aufgerufen
0036war. Unsere diesjährige „Musik- und Theater-Ausstellung“ 
0037benützt mit Recht das Beispiel der Franzosen, indem sie
0038auch der lebendigen Musik durch eine fortlaufende Reihe von
0039Concerten und Opernvorstellungen außerordentliche Entfal-
0040tung gewährt. Daß damit nicht wie in Paris auch das
0041Princip der Preisbewerbungen, dieser Brutstätte von Neid
0042und Eifersucht, verbunden ist, erhöht den vornehmen Cha-
0043rakter des Unternehmens und kann jedem in derlei Aus-
0044stellungsturnieren Erfahrenen nur willkommen sein.


0045Das Publicum, das am 7. Mai staunend die herr-
0046lichen Räume durchwandeln wird, hat schwerlich eine richtige
0047Vorstellung von der aufreibenden geistigen und physischen
0048Arbeit, welche in dem Unternehmen steckt. Um nur von den
0049Spitzen zu reden: die Fürstin Metternich und ihr zu-
0050nächst die Gräfin Kielmansegg haben monatelang ihr
0051ganzes Denken und Thun dafür eingesetzt. Und als ich vor
0052mehr als vier Wochen die noch gänzlich leere Rotunde be-
0053sichtigte, traf ich den Präsidenten der Ausstellung, Mark-
0054grafen Pallavicini, schon längst installirt in seinem
0055kahlen Bureau und eifriger beschäftigt, als der letzte
0056seiner Secretäre. Welches Kapital von Kenntnissen und
0057Thatkraft hatten die Fachreferenten — speciell Pro-
0058fessor Adler für die Musik — aufzuwenden, um von
0059überall her diese Unzahl werthvollster Objecte zu erlangen
0060und nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu ordnen! Das
0061wissenschaftliche Interesse ist in der Ausstellung streng ge-
0062wahrt, aber es wird keineswegs allein herrschen, sondern in
0063glücklichster Verbindung mit dem Unterhaltenden und Ergötz-
0064lichen. Man kann das in Kürze so präcisiren: in der
0065Rotunde die Belehrung, im Park das Amüsement und die
0066Erholung. Genauere Beschreibung all des Schönen und
0067Merkwürdigen in der Ausstellung wird den ganzen Sommer
0068hindurch Theater- und Musikreferenten in Athem halten.
0069Heute beschränkt sich meine Absicht darauf, den Leser auf
0070einem flüchtigen Orientirungsgang durch die musikhisto-
0071rische
Abtheilung in der Rotunde zu geleiten und ihn auf
0072einige der werthvollsten Objecte aufmerksam zu machen.


0073Links vom Eingange durch das Südportal beginnt die
0074Illustration der Entwicklung der Tonkunst von
0075der ältesten bis zur neuesten Zeit, durch Handschriften,
0076Drucke, Instrumente, Porträts, Medaillen u. s. w. Eine
0077Art Vorhof dazu bildet die „Ethnographische Musik-
0078ausstellung“: wunderliche, meist primitive Instrumente
0079fremder Völkerschaften, ebenso interessant durch ihr hohes
0080Alter wie durch ihre verschiedenartigen seltsamen Formen.
0081Daran schließt sich die Ausstellung von Documenten der
0082vorchristlichen Musik. Sie ist keineswegs reich-
0083haltig, birgt aber eine der größten Merkwürdigkeiten:
0084ein Fragment des „Papyrus Erzherzog Rainer“. Diese
0085Papyrusrolle (aus dem Beginne unserer Zeitrechnung)
0086enthält Text und Partitur, Instrumental- und Vocal-
0087noten eines Chorliedes des „Orestes“ von Euripides 
0088und ist das älteste und einzige erhaltene Stück griechischer
0089Musik. Griechenland ist außerdem durch die Werke
0090seiner berühmtesten Musik-Theoretiker und Historiker ver-
0091treten. Einen viel kleineren Raum nimmt das alte Rom 
0092ein. Die Römer, diese Engländer des Alterthums, hatten
0093zu viel mit Staatskunst, Jurisprudenz und Kriegswissenschaft
0094zu thun, um sich besonders um Musik zu kümmern. Wir
0095schreiten vorwärts zum Mittelalter. Mehr als hundert
0096Bilder der heiligen Cäcilia verkünden hier gleichsam die
0097Alleinherrschaft der geistlichen Musik. Wir betrachten alte
0098Handschriften des Gregorianischen Gesanges, die ältesten
0099Proben der Notenschrift — Neumen, Choralnoten, Mensural-
0100noten — Vieles mit kostbaren Miniaturen, wie zum Bei-
0101spiel das Antiphonar des Königs Mathias Corvinus. Näher
0102stehen uns schon Minnegesang und Meistergesang.
0103Unschätzbar sind die Lieder des Tiroler Minnesängers
0104Oswald von Wolkenstein, ein prachtvoll ausgestatteter
0105Band aus dem Privatbesitze des Kaisers. Zunftbücher, Tabu-
0106laturen und Gemälde versinnlichen uns die Thätigkeit der
0107Meistersinger.


0108Nun beginnt die Musik in das Stadium des eigentlich
0109kunstmäßigen Satzes, des Contrapunktes, einzutreten durch
0110die Niederländer, deren Componisten und Sänger das
0111fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert beherrschen. Zu
0112den kostbarsten Monumenten dieser Kunst-Epoche gehört der
0113vom Unterrichtsministerium ausgestellte „Tridentiner
0114Codex
“, eine der reichhaltigsten handschriftlichen Samm-
0115lungen niederländischer Compositionen des fünfzehnten Jahr-
0116hunderts, geschrieben von dem Trienter Bürger Johann
0117Wiser. Lehrreich und übersichtlich dargestellt ist die Entwick-
0118lung des Notenstiches und Druckes. Da sehen wir [2]
0119zuerst liturgische Werke, in welchen die Notenlinien gedruckt,
0120die Noten aber geschrieben sind; dann werden die Linien ge-
0121druckt, die Noten gestempelt (Patronendruck); endlich versucht
0122man es mit Holztafeldrucken. Dieses sehr kostspielige
0123Verfahren — weil für jedes Notenbeispiel eine besondere,
0124nicht weiter brauchbare Tafel geschnitten werden mußte —
0125machte endlich der großartigen Erfindung Platz, mittelst
0126beweglicher Metalltypen Noten zu drucken. Der Er-
0127finder, Ottavio Petrucci, erhielt 1498 das päpst-
0128liche Privilegium darauf und etablirte sich in Venedig.
0129Nebst diesen feinen, eleganten Petrucci-Drucken, die zu
0130den größten musikalischen Kostbarkeiten gehören, bietet die
0131Ausstellung die ersten deutschen Notendrucke aus den Offi-
0132cinen in Augsburg, Mainz, Nürnberg, Prag. Den Abschluß
0133machen die Notendrucke aus Kupferplatten. Aus dem sech-
0134zehnten Jahrhundert sehen wir die Werke der berühmtesten
0135Theoretiker in Original-Ausgaben, dazu ein Cancionale der
0136Hussiten und der Mährischen Brüder. Eine eigene Gruppe
0137dieser Abtheilung bildet die protestantische Kirchenmusik;
0138darunter das „Wittenbergisch deutsch geistlich Gesangbüch-
0139lein“ von Johann Walther, dem Freunde Luther’s, vom
0140Jahre 1551.


0141Wir kommen nun zu den Anfängen der Oper und
0142des Oratoriums. Die italienischen Madrigale und die
0143Monodien, welche als die ersten Erscheinungen kunstmäßigen
0144Sologesanges direct zur Entstehung der Oper, des „Drama
0145in musica“, leiten, sind durch kostbare Sammlungen ver-
0146treten. Von der königlichen Bibliothek in Berlin wurden die
0147ersten Opern, hochwichtige Marksteine in der Geschichte
0148der Musik, eingeschickt: Caccini’s und Peri’sEuridice“
0149(beide aus dem Jahre 1600) und Monteverde’s 
0150Orfeo“ (1607). Auch die denkwürdige Hamburger 
0151Unternehmung ist nicht vergessen, die erste stehende deutsche
0152Oper, an welcher Reinhard Kaiser, Matheson, Händel 
0153wirkten. Nebst den ältesten Hamburger Operntextbüchern
0154finden wir da eine ganze Reihe Opern-Autographe von
0155Reinhard Kaiser. Das anstoßende Gelaß repräsentirt die
0156Blüthe der Musik am bayrischen Hofe im sechzehnten
0157Jahrhundert und enthält vorzugsweise Compositionen von
0158Orlando Lasso, dem berühmten Niederländer, der 1595 
0159als Hof-Capellmeister des Herzogs Albert V. in München starb.


0160In den anstoßenden Räumen wird die Entwicklung der
0161Instrumental-Musik im sechzehnten und siebzehnten
0162Jahrhundert dargestellt. Zuerst der Orgel und des Claviers.
0163Dann fesseln uns nicht weniger als vier Separat-Ausstellungen
0164auserlesener alter Musik-Instrumente. Erstens das Ber-
0165liner königliche Instrumental-Museum
; wol
0166die Krone aller ähnlichen systematisch geordneten Sammlun-
0167gen. Daneben die schönen italienischen Streichinstrumente des
0168Baron Nathaniel Rothschild. Ferner die kostbare Samm-
0169lung von Instrumenten des sechzehnten und siebzehnten Jahr-
0170hunderts aus dem Besitz des Erzherzogs Franz Ferdi-
0171nand von Este
. Schließlich eine reiche Collection alter
0172Instrumente, namentlich italienischer Geigen, welche der Wiener
0173Instrumentenmacher Zach mit bedeutenden Opfern auf ausge-
0174dehnten Reisen erworben hat. Man wird gar nicht fertig, diese
0175unschätzbaren vier Instrumenten-Sammlungen zu betrachten
0176und zu studiren. Was die Entwicklung der Orgelmusik 
0177betrifft, so sehen wir die Werke zahlreicher bedeutender Or-
0178ganisten, getrennt nach norddeutschen und süddeutschen
0179Schulen. Mit diesen ist der Uebergang zu Joh. Seb. Bach 
0180unmittelbar gegeben. Wir stehen andächtig bewundernd vor
0181den beiden colossalen Säulen, welche eine große Musikepoche
0182abschließen und zugleich eine neue einleiten: Händel und
0183Bach! Porträts und Autographe versinnlichen uns die
0184Persönlichkeit und das Wirken der beiden großen protestan-
0185tischen Meister. Selbstverständlich sind auch die Söhne Bach’s
0186nicht vergessen.


0187Als träten wir aus der feierlichen Erhabenheit eines
0188gothischen Doms in die frühlingswarme, grüne Landschaft
0189hinaus, so wird uns zu Muthe, wenn wir jetzt von Sebastian
0190Bach zu den Meistern Haydn, Mozart, Beethoven,
0191Schubert gelangen, welche Wien zum Mittelpunkt der
0192musikalischen Welt gemacht haben. Mit ihrer Musik sind
0193wir aufgewachsen, ihre Melodien sind uns vertraut, wie ihre
0194Gesichtszüge, die aus unzähligen Porträts und Büsten uns
0195anblicken. Es versteht sich, daß die Wiener Ausstellung hierin
0196besonders reich ist an Documenten und Erinnerungen. Wo-
0197hin nur zuerst blicken? Da sehen wir neben einem großen
0198Original-Porträt von Haydn (dem Fürsten Esterhazy ge-
0199hörig), das Autograph seiner Nelson-Messe, seiner „Schöpfung“
0200und mehrerer Symphonien. Unter den zahlreichen Ehren-
0201diplomen Haydn’s Ernennung zum Ehrenbürger von Wien 
0202(1804); ferner eine reizende Schreibcassette mit einem
0203Aquarell, darstellend das denkwürdige „Liebhaber-Concert“
0204vom 27. März 1808, der letzten Musik-Aufführung, welcher
0205Joseph Haydn beigewohnt hat. Von Gluck sind die
0206Original-Ausgaben seiner Werke ausgestellt und das Autograph
0207seiner Oper „Telemacco“. Mit Rührung betrachten wir
0208zahlreiche Erinnerungen an Mozart. Sein Clavier, aus
0209dem Nachlaß Liszt’s, und seine Stainer-Geige; die hand-
0210schriftliche Partitur des Requiems und der G-moll-Symphonie 
0211(Eigenthum J. Brahms’). Ueber der ersten Ausgabe des
0212Don Juan“ und dem ältesten Textbuch der „Zauberflöte“
0213hängen die Original-Cartons von Schwind’s Fresken zur
0214Zauberflöte“ im Hofoperntheater und die sorgsam ausge-
0215führte Original-Skizze (in Oel) von Munkacsy’s Gemälde
0216Mozart’s letzte Stunden“. (Eigenthum des Herrn L. Lobmeyr.)
0217Von Beethoven’s Handschrift sind Briefe und Compo-
0218sitionen ausgestellt, dann Büsten, Gesichtsmasken und zahl-
0219reiche Porträts, die zum Theil einander erstaunlich un-
0220ähnlich sind. Ein biographisch merkwürdiges Schriftstück ist die
0221„Verbindungs-Urkunde“, in welcher der Erzherzog Rudolph,
0222die Fürsten Kinsky und Lobkowitz dem Meister eine lebens-
0223längliche Pension aussetzen, blos um ihn an Oesterreich zu
0224fesseln. Die Urkunde ist ausgefertigt im Jahre 1809, dem
0225Todesjahr Haydn’s und Albrechtsberger’s — ein symbolischer
0226Grenzstein zwischen dem zurücktretenden alten und einem die
0227Weltherrschaft antretenden neuen Musik-Ideal. Die reizende
0228Marmorbüste eines jungen Mädchens fesselt unsern Blick:
0229die Gräfin Julia Guicciardi, die Muse der Cis-moll-
0230Sonate! Beethoven’s Wandnachbar in der Rotunde wie
0231in der Musikgeschichte ist Franz Schubert. Die schönsten
0232seiner ausgestellten Autographe — so reinlich, correct und
0233zierlich, wie die Beethoven’schen derb und unförmlich —
0234sind Eigenthum Nikolaus Dumba’s. Darüber zwei
0235humoristische „Schubertiaden“ von Schwind.


0236Reich vertreten ist das achtzehnte Jahrhundert 
0237durch Autographe, Bilder und Drucke seiner hervorragenden
0238Componisten, nach Möglichkeit geordnet in Gruppen der
0239Kammer-, Haus- und Orchestermusik, der Oper und des
0240Oratoriums. Wir befinden uns da in der gewählten Gesell-
0241schaft von Hasse, Graun, Scarlatti, Boccherini, Porpora, [3]
0242Salieri, Abbé Vogler, Tomaschek, Forkel, Zelter und Anderen.
0243Im anstoßenden Gelasse befinden sich Stücke aus der Ge-
0244schichte der Oper in Wien, München und Dresden während
0245des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, dann Auto-
0246graphe und Bilder der Componisten aus fürstlichen Häusern.
0247An Schubert reihen sich (an der Hauptwand gegenüber den
0248Classikern) die Romantiker: Weber, Mendelssohn, Schu-
0249mann, Spohr, Meyerbeer, Marschner, Löwe, Liszt und
0250Chopin. Besonderes Interesse erweckt ein Porträt Meyer-
0251beer’s
aus seinen Knabenjahren und das Autograph der
0252Afrikanerin“; von Weber die „Euryanthe“ und Entwürfe
0253zum „Oberon“; von Mendelssohn und Schumann 
0254zahlreiche Briefe und musikalische Autographe. Die Abthei-
0255lung „Liszt“ ist überaus reich beschickt von Budapest und
0256Weimar. Herrlich ist das von W. Kaulbach gemalte
0257lebensgroße Porträt Liszt’s in ganzer Figur und schwarzem
0258Mantel. Richard Wagner ist der einzige Componist,
0259für den ein eigener Bau im Parke errichtet ist, eine von
0260Joseph Hofmann ausgeführte „Gibichungen-Halle“. Nebst
0261dem Porträt von Lembach, der Büste von Zumbusch und
0262vielen anderen Bildnissen finden wir hier die Autographe
0263fast seiner sämmtlichen Musikdramen, theils aus Bayreuth,
0264theils aus dem Nachlasse König Ludwig’s II. von Bayern.


0265In der Mitte des Westtransepts sind alle hier nicht ge-
0266nannten musikalischen Größen des neunzehnten Jahr-
0267hunderts
vertreten. Die älteren Besucher werden an den
0268Porträts der vormärzlichen Componisten, Virtuosen, Sänger
0269und Sängerinnen ihre schönsten Erinnerungen aufleben sehen.
0270Die nächste Wand hält uns mitten in der Gegenwart fest.
0271Unser erster Blick fällt auf die von Michalek so charak-
0272teristisch aufgefaßten Brustbilder von Brahms, Joachim,
0273Goldmark und Dvořak. Daneben lauter liebe gute Bekannte
0274aus der Oper und dem Concertsaal. Hier dürfte das Publi-
0275cum, das sich um die Meßbücher und Instrumente des
0276sechzehnten Jahrhunderts weniger kümmert, mit Vorliebe
0277verweilen.


0278Zuletzt betreten wir eine Sammlung von so vornehmer
0279und allerseltenster Art, wie sie wol noch keinem Ausstel-
0280lungs-Publicum geboten worden ist: das „Intérieur
0281Habsburg-Lothringen
“. Es enthält die Porträts,
0282Autographe, Compositionen und Instrumente derjenigen öster-
0283reichischen Monarchen, welche theils selbstschaffende
0284Componisten, theils hervorragende Kenner und Förderer der
0285Tonkunst waren. Eine Reihe von Oelgemälden, sämmtlich
0286Privateigenthum des Kaisers, zeigt uns die Bildnisse dieser
0287Herrscher: Maximilian I. und II., Ferdinand I., II. und III.
0288Leopold I., Joseph I., Karl VI., Maria Theresia, Joseph II.,
0289Franz I. Wir sehen da Autographe von Leopold I. und dem
0290Cardinal-Erzbischof Rudolph, dem musikalisch hochbegabten
0291Schüler Beethoven’s. Daneben Compositionen mehrerer öster-
0292reichischer Kaiser im Original und in der jüngst von uns
0293besprochenen Prachtausgabe von Professor Guido Adler.
0294Ein interessantes Stück ist die Partitur der Fux’schen Oper
0295Elisa“, aus welcher Karl VI. die Aufführung im Jahre
02961725 dirigirte. Neben einander stehen das Spinett Kaiser
0297Joseph’s II. und jenes der Kaiserin Maria Theresia. Welch
0298bescheidene, enge, tonarme Claviere im Vergleiche zu un-
0299seren heutigen! Mit Wehmuth betrachten wir die reichver-
0300zierte Harfe der unglücklichen Marie Antoinette. Die Lauten-
0301Tabulatur gehörte Kaiser Joseph I., dessen Lieblings-
0302instrument die Laute war. Aus neuerer Zeit stammt das
0303Clavier, welches die Stadt München der Kaiserin Carolina
0304Augusta 1816 als Hochzeitsgeschenk verehrte; desgleichen das
0305Streichquartett ihres Gemals, des Kaisers Franz, endlich die
0306Zither unserer Kaiserin Elisabeth. Ein Ehrenplatz in dieser
0307erlauchten Gesellschaft ist dem Original von Haydn’s Volks-
0308hymne gewidmet.


0309Neben und gegenüber den hier besprochenen Samm-
0310lungen befinden sich die Ausstellungen von Frankreich, Italien,
0311Rußland, England und die Abtheilung für musikalische Päda-
0312gogik und Vereinswesen. In dem vorliegenden Aufsatze ist
0313nur das Allerwichtigste und Auffallendste berührt, was die
0314österreichische und deutsche musikhistorische Ausstellung
0315dem Beschauer bietet. Tagelang, wochenlang wird man an ihr
0316zu schauen, zu studiren haben. Schon aus unserer so knappen,
0317nothgedrungen flüchtigen Ueberschau dürfte der Leser ent-
0318nommen haben, daß die Musikausstellung in der Rotunde
0319etwas ganz Einziges und ebenso lehrreich ist für den Fach-
0320musiker wie höchst interessant für jeden Gebildeten. Gegen-
0321wärtig interessirt sich ja doch für die Geschichte der Musik,
0322wer immer als Fachmann oder Liebhaber Musik treibt — und
0323Musik treibt heutzutage so ziemlich Jedermann.