Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 11704. Wien, Dienstag, den 23. März 1897
[1]Concerte.
(Philharmonisches Concert.)
0003„Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so
0004fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weißt
0005ja: Lärm mordet die Gedanken!“
0006(F. Nietzsche: „Also sprach Zarathustra.“
0007III. Anderes Tanzlied.)
0008Ed. H. So kennen wir denn endlich Richard Strauß’
0009vielbesprochene Symphonie mit dem großartigen Titel:
0010„Also sprach Zarathustra!“ Sie stolzirte im Phil-
0011harmonischen Concert zwischen Weber’s Euryanthe-Ouvertüre
0012und der C-moll-Symphonie von Beethoven, zwei ganz un-
0013philosophischen naiven Tondichtungen, die sich gewiß nicht
0014wenig geehrt fühlten. Richard Strauß nennt seine Com-
0015position „Frei nach Nietzsche“. Merkwürdig, daß er ihr nicht
0016auch den zweiten Titel von Nietzsche’s Buch umhängte;
0017„Eine Symphonie für Alle und für Keinen“, das hätte so
0018schön geklungen. Was soll uns, so fragen wir, diese Sensa-
0019tionsmacherei, welche das Interesse für ein reines In-
0020strumentalwerk von einem der Musik ganz fremden, ja un-
0021musikalischen Stoff herüber nöthigt? Mit Liszt’s sym-
0022phonischen Dichtungen begann die modernste Tendenz,
0023Inhalt und Bedeutung einer Symphonie von der
0024Litteratur zu erbetteln und durch dieses abgedrungene Almosen
0025den Mangel an eigenem musikalischen Bargeld zu ersetzen.
0026Aber die einfachen Liszt’schen Ueberschriften: Tasso, Faust,
0027Dante, Orpheus konnten doch bei den Hörern das noth-
0028wendigste Verständniß ihrer musikalischen Wechselbeziehungen
0029voraussetzen. Das scheint Herrn R. Strauß offenbar zu
0030einfach. Unsere Dichter umzucomponiren, wie altmodisch!
0031Er greift also zu den Philosophen. Hat Richard I. angeblich
0032in seinen Nibelungen Schopenhauer’sche Ideen verkörpert,
0033so muß Richard II. einen Schritt weiter gehen und Nietzsche
0034componiren. Gewiß kann Strauß nicht voraussetzen, daß das
0035Concertpublicum, dem er doch sein Werk darbringt, in
0036Nietzsche’s schwer verständlichem Buche bewandert und über
0037den räthselhaften „Zarathustra“ informirt sei. Die griechische
0038Form „Zoroaster“ ist uns schon geläufiger und vollends
0039sein zum „Sarastro“ verkürztes Opernabbild. Aber die Specu-
0040lation auf das Unverstandene, Mystisch-Symbolische findet mei-
0041stens ihre Rechnung, und wenn man sich heute so gern vor einem
0042Bilde, einem Drama den Kopf zerbricht, was dasselbe bedeute
0043— warum sollte der moderne Musiker hinter dem Dichter
0044und dem Maler zurückbleiben? Die Tausende von
0045Aphorismen, die Nietzsche in seinen vier Büchern „Zarathustra“,
0046aneinanderreiht, enthalten geniale, glänzende Gedanken, aber
0047ebensoviele abstruse, erkünstelte Einfälle und abstoßende
0048Sophismen. Wer nach der Lectüre dieses Buches, ja auch
0049nur des Gedichtes: „Die Wüste wächst, weh’ dem, der
0050Wüsten birgt“ (im vierten Theile) ernstlich behaupten kann,
0051Nietzsche sei damals noch vollkommen bei Verstand gewesen,
0052dem ist nicht zu helfen. Und die Kenntniß dieses Buches
0053will R. Strauß bei seinem Concertpublicum voraussetzen?
0054Ja noch mehr; ihm ist Nietzsche offenbar noch nicht ge-
0055heimnißvoll genug. Er erklärt in einem Manifest, er habe
0056als Componist noch Verschiedenes in Nietzsche’s Zarathustra
0057„hineingeheimnißt“. Fast möchte man hinter dem Compo-
0058nisten der Zarathustra-Symphonie einen Schalk vermuthen,
0059der sich mit seinem Publicum einen Spaß macht.
0060Was der Stifter des altpersischen Religionssystems
0061Zarathustra (das ist Goldstern) im sechsten Jahrhundert
0062vor Christus gelehrt hat, ward bekanntlich in der Bibel des
0063Ormuzd-Glaubens, der Zend-Avesta (d. h. Wort des
0064Lebens), gesammelt. Was das Buch für „Keinen und für
0065Alle“ in charakteristisch maskirter, salbungsvoller Rede vor-
0066trägt, ist natürlich echtester Nietzsche. In hundert
0067glitzernden Variationen preist er sein philosophisches Ideal:
0068den zu züchtenden Uebermenschen der Zukunft, welcher die
0069Herrenmoral im Gegensatze zur Sklavenmoral der großen
0070Menge zu verkörpern hat. „Der Mensch ist etwas, das
0071überwunden werden soll. Einst ward ihr Affen, und auch
0072jetzt noch ist der Mensch mehr Affe als irgend ein Affe.“
0073Ist der Cynismus Nietzsche’s, wie er sich in der Verachtung
0074der Menschheit, der Moral, der Ehe ausspricht — „auch
0075das Concubinat ist corrumpirt worden durch die
0076Ehe!“ — wirklich ein Ideal für den Musiker, eine
0077Aufgabe für die reinste, stoffloseste aller Künste? Bereits
0078beginnt sich um die Fahne Nietzsche’s eine Art philosophische
0079Heilsarmee oder Unheilsarmee zu schaaren. Er und Ibsen
0080sind die Leitsterne unserer jungen Literaten. Daß Nietzsche
0081auch musikalisch interpretirt werden müsse, ist erst dem
0082Componisten des „Eulenspiegel“, R. Strauß, eingefallen.
0083Ein kühnes Project! Aber Strauß scheint glücklicherweise
0084mit den Lehren Nietzsche’s auch dessen starkes Selbstbewußt-
0085sein eingesogen zu haben. Mein Ehrgeiz, sagt Nietzsche, ist:
0086in zehn Sätzen zu sagen, was jeder Andere in einem Buche
0087sagt oder auch nicht sagt. Ich habe der Menschheit das tiefste
0088Buch gegeben, das sie besitzt, meinen „Zarathustra“. R. Strauß
0089möchte auch in zehn Tacten sagen, was Andere in einer
0090ganzen Symphonie; und wünscht ohne Zweifel der Mensch-
0091heit in seinem „Zarathustra“, das größte symphonische Ge-
0092dicht zu geben, das sie besitzt. Eines der längsten gewiß; es
0093dauert in Einem Zuge volle 33 Minuten; 33 bösartig
0094lange Minuten.
0095Strauß hat einzelne Abschnitte seiner Composition
0096mit Capitel-Ueberschriften aus Nietzsche’s „Zarathustra“ ver-
0097sehen, z. B.: „Von den Hinterweltlern“, „Von der großen
0098Sehnsucht“, „Von den Freuden und Leidenschaften“, „Von
0099der Wissenschaft“ u. s. w. Nach einer kurzen feierlichen
0100Einleitung tritt Zarathustra zu den „Hinterweltlern“ — das
0101sind diejenigen, welche jenseits dieser Welt einen neuen
0102Willen suchen und den alten Wahn von sich werfen —
0103vier Trompeten blasen das Leitmotiv des Ganzen: c g c;
0104Aus einem Orgelsatz mit durchaus getheilten Geigen —
0105die Violoncellos an sechs Pulten vertheilt — ringt sich
0106das 2. Thema in H-moll heraus; es schildert
0107den „Sehnsuchtsdrang“. Die Religion als Hoff-
0108nungsanker der gequälten Menschheit wird durch
0109das Gregorianische Credo eingeführt, das bekanntlich Bach
0110in die H-moll-Messe aufgenommen hat. Das der „Andacht“
0111gewidmete Andante in As-dur ist weitaus der reinste,
0112stimmungsvollste und klangschönste Satz des ganzen Werkes.
0113Eine Episode „von der großen Sehnsucht“ führt direct zu
0114den „Freuden und Leidenschaften“; ein aufjubelndes Allegro,
0115über welches die Glissandos zweier Harfen einen wilden
0116Glanz breiten. Der Prophet wendet sich hierauf zur
0117„Wissenschaft“; sie wird durch eine rhythmisch lahme, miß-
0118klingende fünfstimmige Fuge recht abschreckend repräsen-
0119tirt. Auf die Wissenschaft folgt die „Genesung“ und als ihr
0120Wahrzeichen das „heilige Lachen“, ein zweimal von der
0121Trompete intonirtes komisches Kikeriki! In die Gefilde
0122ewiger Lust versetzt uns ein recht ärmlicher Walzer, welchen
0123das Leitmotiv C G C in allen Formen und Farben um-
0124flattert. Was diesem „Tanzlied“ vorhergeht, ist ein vom
0125„Motiv der Verachtung“ beherrschtes langes, wahrhaft [2]
0126scheußliches Geheul. Nachdem im Tanzlied Triangel und
0127kleine Glöckchen ihr Wesen getrieben, führt sich das „Nacht-
0128wandlerlied“ mit einer tiefen, in E gestimmten Glocke ein,
0129die Mitternacht schlägt. Hierauf der merkwürdige Schluß:
0130die Violinen und die Bläser halten hoch oben den H-dur-
0131Accord fest, während dazu in der Tiefe die Contrabässe ihr
0132leises C G C pizzikiren! Dieses Zugleichklingen von H-dur
0133und C-dur soll, den officiellen Auslegern zufolge, „das un-
0134gelöste Welträthsel“ bedeuten. „Welch triviale Idee, so
0135geistreich zu sein!“ sagen wir mit dem Kritiker in Harden’s
0136„Zukunft“.
0137Wer die Strauß’sche Symphonie unbefangen anhört,
0138ohne sich um das detaillirte Programm zu kümmern, der
0139wird gewiß keinen Zusammenhang mit Nietzsche’s „Zara-
0140thustra“ darin entdecken. Die wunderliche, über einem
0141Orchesterstück ganz sinnlose Aufschrift ist in der That nur
0142ein Mittel, sich interessant zu machen, der Musik eine
0143Bedeutung anzutäuschen, die nicht in ihr selbst liegt. Die
0144Composition, ungemein schwach und gequält als musikalische
0145Erfindung, ist eigentlich nur ein raffinirtes Orchester-
0146kunststück, ein klingender Farbenrausch. Als geistreiche Com-
0147bination neuer, origineller, aber auch abenteuerlicher und
0148beleidigender Klangeffecte ist das Stück gewiß interessant
0149und unterhaltend. Aber diese fabelhafte Orchestertechnik war
0150nach meiner Empfindung dem Componisten weniger ein
0151Mittel, als vielmehr Zweck und Hauptsache. Die instru-
0152mentale Armee, welche R. Strauß zu diesem philosophischen
0153Feldzug aufgeboten hat, steht auf einem bisher ungeahnten
0154Kriegsfuß.*)
0161R. Strauß wird damit gewiß noch weitere ungeahnte
0162strategische Combinationen vornehmen, und da seine Compo-
0163sitionen nicht Musik von der Quelle sind, sondern compri-
0164mirte Literatur, so liegt noch ein reiches Feld zur Auswahl
0165vor ihm. Ich meine die übrigen Werke Nietzsche’s, der ja
0166ein Virtuose in pikanten, gewaltsam geistreichen Büchertiteln
0167war. Bei dem Aufsehen, das die Zarathustra-Symphonie
0168überall erregt, und bei der modernen Tendenz, sich an
0169Musik nicht zu erfreuen, sondern den Kopf zu zerbrechen,
0170dürften R. Strauß’ nächste Symphonien frei nach Nietzsche
0171heißen: „Götzendämmerung“, „Menschliches, Allzumensch-
0172liches“ und „Wie man mit dem Hammer philosophirt“.
0173Warum auch sollte er, der Allermodernste, der Neugierde
0174des modernen Publicums nicht entgegenkommen? „Mit
0175Bucklichen darf man schon bucklich reden,“ lehrt Nietzsche-
0176Zarathustra in dem Capitel „Erlösung“.
0177In einer geistvollen, gediegenen Schrift behandelt
0178L. Stein (Professor der Philosophie in Bern) „Friedrich
0179Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren“. Die Ge-
0180fahren für das Denken, die Sittlichkeit, die Wohlfahrt der
0181Menschen. Seit Richard Strauß kann man auch von ihren
0182Gefahren für die Tonkunst sprechen. Diese selbst, als nach
0183ewigen Gesetzen sich entwickelnde Idee, hat freilich von ein-
0184zelnen Umsturzversuchen nichts zu fürchten; sie wirft, früher
0185oder später, Unmusikalisches, Widermusikalisches aus, wie
0186das Meer die Leichen. Aber für die jungen Componisten,
0187die von Strauß’ raschen Erfolgen geblendet sind, besteht die
0188Gefahr unleugbar. Mit etwas Talent, Studium und Ehr-
0189geiz lassen sich ihm feine Klangkunststücke ablernen, und zu
0190reichlicher Auswahl stehen noch Dichter wie Philosophen
0191da, die sich zu symphonischen Lebensbildern umtödten lassen.
0192Brahms und Dvořak werden weniger Nachahmer finden;
0193dazu gehören Mittel.
0194Die Aufführung der Strauß’schen Novität war ein
0195Heldenstück unserer von Hanns Richter commandirten tapferen
0196Philharmoniker. Tumultuarisch raste der endlose Applaus,
0197schließlich von beherzten Zischlauten gemildert. Uebrigens
0198schien mir der Beifall mehr noch dem Orchester zu gelten
0199als dem Componisten; denn ich kann mir kaum denken,
0200daß unser Publicum wirklich Genuß und Begeisterung aus
0201diesem wüsten Hexenkessel geschöpft habe. Jedenfalls hat
0202Beethoven’s C-moll-Symphonie, die zu ihren übermächtigen
0203Wirkungen nicht einmal Posaunen braucht, durch die
0204prätentiöse Nachbarschaft nicht gelitten. Es wurde ihr noch
0205stärker zugejubelt. Kraft und Schönheit des Gedankens sind
0206doch mächtiger als das kostbarste Gewand, und der echte
0207Dichter siegt schließlich über die verwegensten Künste des
0208Regisseurs und Decorations-Malers.