(H. — L.) Dieses Büchlein enthält im engen Rahmen rei-
chen und gehaltvollen Inhalt, der auch bereits in ganz Deutsch-
land ehrende Anerkennug gefunden hat. Da es die Grundsätze,
welche eine Revision der Aesthetik der Tonkunst in ihrer kriti-
schen und konstruirenden Thätigkeit festzuhalten hätte, nicht nur
wie der Verfasser in dem Vorworte sagt, hinzustellen versucht,
sondern in doppelter Richtung beleuchtet und ausführt, nemlich
sowohl durch einen berichtigenden Einblick auf die bisher gang-
baren Ansichten und Auffassungen als durch eine auf scharfer
Begriffs-Sonderung beruhende positive Entwickelung des Mu-
sikalisch-Schönen an sich mit Bezug auf die es erzeugende gei-
stige Thätigkeit, des subjectiven Eindrucks der Musik, der ästhe-
tischen Auffassung derselben gegenüber der pathologischen, der
Beziehungen der Tonkunst zur Natur, des Inhalts und der Form
in der Musik — so würde man — um eine vollständige, gewis-
senhafte Würdigung dieser Schrift und der in ihr enthaltenen
Keime zur richtigen und fruchtbringenden Erkenntniß des Wesens
der Tonkunst und ihrer Geheimnisse zu geben — ein kaum min-
der umfangreiches Referat liefern müssen, als das Werk selbst
ist; denn da es sich um alle wesentlichen Elemente der Erkennt-
niß des Schönen in der Musik, der subjectiven und objectiven
Bedeutung derselben handelt, so könnte nur durch eine tief ein-
gehende Betrachtung der von dem Verfasser mit der größten
Entschiedenheit der Meinung und scharfer Polemik gegen bishe-
rige und gegen neu aufgetauchte Ansichten über Wesen, Inhalt
und Zweck der Musik hingestellten Behauptungen etwas dem
Werthe des Buches wenigstens durch Vollständigkeit und Ernst
Entsprechendes geliefert werden. Da hierzu der Raum dieser
Blätter nicht hinreicht, so begnügen wir uns damit, das geistreiche
und höchst anregende Werkchen der Aufmerksamkeit des musik-
freundlichen Publikums zu empfehlen.
Inwieferne es vor allem die objektive Erkenntniß des mu-
sikalisch-Schönen als Produkt der schaffenden Phantasie gegen-
über der bisherigen Gefühlsästhetik zu vermitteln sucht, tritt es
mit Schärfe manchem eingewurzelten Irrthume über das Wesen
der Tonkunst entgegen; inwieferne es die neu auftauchende An-
sicht bekämpft, die allen Werth und alles Heil der Musik in die
Bestimmtheit des Ausdrucks, die musikalische Sprachentwicklung
und Charakteristik, setzt, weist es mit Recht die moderne Tendenz-
und Programm-Richtung der Tonkunst in ihre Schranken zu-
rück. Uebrigens ergeht es dem Verfasser wie den meisten Kunst-
ästhetikern welche wissenschaftlich in die Geheimnisse der Kunst
eindringen, ihr Wesen erforschen und in Grundsätzen festbannen
wollen, daß sie die geistig sinnliche Totalität, worin jede Kunst wur-
zelt und woraus sie allein Leben gewinnt, bei allem Bestreben sie
festzuhalten, denn doch zerpflücken, und den göttlichen Anhauch auf
dem Wesen der Kunst gleichsam verwischen. Was dann als wis-
senschaftliches Resultat zurückbleibt, ist immer etwas Unbefriedigen-
des, nicht lebendig Aufklärendes, sondern von seinem Lebensprin-
zipe Abgeschiedenes, das uns dem Geheimnisse, woraus uns so un-
endliche Entzückungen und Offenbarungen quellen, nicht näher
bringt, sondern vielmehr davon entfernt. Das größte Geheim-
niß unter den Künsten aber ist die Musik.
Daß der geistreiche Verfasser, einer der feinsten Musik-
Kenner und scharfsinnigsten Kritiker, dies selbst gefühlt habe,
scheint aus manchen Stellen in seinem trefflichen Buche hervor-
zugehen; denn nachdem er ausgeführt, daß das Schöne über-
haupt bloße Form, daß das Schöne in der Musik ein spezi-
fisch Musikalisches sei, aus dem reichen Tonmateriale gebildet
und lediglich aus musikalischen Ideen bestehend, und nachdem er
hiermit die sogenannte Gedanken- und Gefühlsmusik von vorne-
herein abgelehnt und ausgeschlossen hat, kann er doch nicht um-
hin zu sagen: „Die musikalische Idee ist Selbstzweck und keines-
wegs erst wieder Mittel oder Material zur Darstellung von Ge-
fühlen oder Gedanken, wenn sie gleich in hohem Grade
jene simbolische, die großen Weltgesetze wiederspie-
gelnde Bedeutung besitzen kann, welche wir in jeder
Kunstsphäre vorfinden“ — dann: „Dem Hörer wirkt die Musik
nicht blos und absolut durch ihre eigenste Schönheit, sondern
zugleich als tönendes Abbild der großen Bewegun-
gen im Weltall“ — dann: „Durch tiefe und geheime
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Naturbeziehungen steigert sich die Bedeutung der
Töne hoch über sie selbst hinaus und läßt uns in dem
Werke menschlichen Talents immer zugleich das Unendliche
fühlen“.