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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1609. Wien, Samstag den 20. Februar 1869

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Das Landhaus in Meudon“.

Komische Oper in zwei Acten; Text von Mosenthal, Musik von Käßmayer. — Erste Aufführung im Hofoperntheater am 18. Februar 1869.


0004Ed. H. Jeder in unseren Musikkreisen halbwegs Bewan-
0005derte weiß, daß Herr Moriz Käßmayer ein höchst geach-
0006tetes Mitglied des Hofopern-Orchesters und der menschlichen
0007Gesellschaft überhaupt ist, ein tüchtiger Violinspieler und neben-
0008bei ein wahrhaft liebenswürdiger, bescheidener Mensch von
0009einnehmendster Persönlichkeit. Diese Vorzüge, welche Herrn
0010Käßmayer so zahlreiche Freunde und nur Freunde verschafft
0011haben, diese Vorzüge — das schwarze Bekenntniß muß heraus —
0012sie geniren mich heute. Ich wollte, Käßmayerʼs Privat-
0013leben erfreute sich des übelsten Leumunds, sein Geigenspiel
0014hätte mir regelmäßig die Ohren zerrissen und er selbst wäre
0015der zudringlichste und aufgeblasenste Patron von Ober- und
0016Niederösterreich. Dann würde ich keinerlei Verlegenheit, sondern
0017eher ein Vergnügen empfinden, über das „Landhaus in
0018Meudon“ recht frischweg meine Meinung zu sagen, was mir
0019jetzt bei der — wie gesagt störenden — Liebenswürdigkeit des
0020Componisten weder leicht noch angenehm ist. Die Oper er-
0021scheint mir als eine recht schwache, unerquickliche Arbeit. Die
0022schmeichelhafte Aufnahme, welche Herr Käßmayer am ersten
0023Abend fand, hat dies Blatt bereits gestern treulich berichtet;
0024über den Erfolg des Werkes selbst kann man vor der vierten
0025oder fünften Vorstellung nicht sprechen. Die Beifallslust der
0026Freunde fiel gleich nach der Ouvertüre (genau wie diese selbst)
0027mit der Thür ins Landhaus. Im ersten Acte wurde fast jede
0028Nummer applaudirt, erst im zweiten rasteten ein wenig die
0029Handflächen und verlängerten sich die Gesichter. Zum Schluß
0030wieder Hervorruf des Componisten und aller Sänger.


0031Sehen wir uns die Handlung der Oper an: Der Ren-
0032tier Gogot (Herr Rokitansky) kündigt den Verkauf
0033seines Landhauses an, weil ihm träumt, der erste herkommende
0034Kauflustige werde ein liebenswürdiger junger Mann sein und
0035Gogotʼs Nichte, deren Glück der gutmüthige alte Herr begrün-
0036den will, heiraten. Zwischen dieser Nichte Sophie (Fräulein
0037v. Rabatinsky) und einem jungen Maler Julius (Herr 
0038Walter) besteht aber bereits ein Liebesverhältniß, und der-
0039jenige, der sich zuerst als Käufer des Landhauses präsentirt,
0040ist wirklich ihr Geliebter. Doch hat er keine Ahnung, daß
0041Sophie in seiner Nähe weilt, er benützt nur die aus-
0042gehängte Verkaufs-Annonce, um durch den Eintritt ins Haus
0043seine Person vor den Gendarmen des Wechselgerichtes in Sicher-
0044heit zu bringen. Diese Häscher hetzt sein eigener Onkel, der Staats-
0045anwalt Gardel, hinter ihm her, weil der Neffe des alten Roué
0046an dessen Frau einige Treulosigkeiten des galanten Sünders
0047verrathen hat. Vor dem Eigenthümer des Landhauses äußert
0048der vermeintliche Käufer nur aufs Gerathewohl, er brauche
0049die Villa — für seine kranke Frau. Große Enttäuschung
0050Gogotʼs, der in dem jungen Manne schon ganz den Bräu-
0051tigam seines Traumes erkannt hatte, noch größere Ver-
0052zweiflung Sophiens über den Ungetreuen! Indessen erscheint
0053ein zweiter, wirklicher Kauflustiger, und zwar — eben jener
0054Onkel des bedrängten Flüchtlings (Herr Mayerhofer).
0055Während der alte Geck an dem Landhause und dem hüb-
0056schen Mädchen, als nicht zu verachtende Zugabe, Wohl-
0057gefallen findet, treffen endlich auch Sophie und Julius zu-
0058sammen. Es kommt zu Erklärungen und in natürlicher
0059Folge zu einer zärtlichen Scene zwischen den Beiden, welche
0060als versteckter Zeuge Gardel belauscht. Letzterer erzählt nun
0061eiligst Herrn Gogot, daß der junge Mann, der sich in das
0062Landhaus eingeschlichen, nicht verheiratet, sondern der heimliche
0063Liebhaber seiner Nichte Sophie ist. Zu Gardelʼs höchstem Er-
0064staunen beantwortet der alte Herr diese Denunciation mit
0065Jubel: er sieht seinen Traum erfüllt, bezahlt die Schulden des
0066jungen Malers und vereinigt die Liebenden. Staatsanwalt
0067Gardel aber zieht beschämt ab, geleitet von dem Gerichtsser-
0068geanten, den er selbst gegen seinen Neffen herbeigerufen, und
0069von seiner eifersüchtigen bösen Frau, welche Julius auf die
0070Spur ihres getreuen Ehegatten geleitet hat. Zur Erhöhung der
0071allgemeinen Befriedigung erkennt obendrein Gogotʼs Wirth-
0072schafterin (Fräulein Gindele) in dem Sergeanten Samson 
0073(Herr Hrabanek) ihren lang vermißten Mann wieder. —
0074Enthielte der Theaterzettel nicht die Angabe, das Textbuch sei
0075nach einer Erzählung von Frédéric Soulié bearbeitet, man
0076würde kaum auf einen französischen Ursprung rathen. Das
0077Ganze hat vielmehr in den Figuren und Situationen, wie in 
0078dem langsam behäbigen Vorrücken der Handlung etwas Deutsch-
0079Spießbürgerliches, das direct an Kotzebue erinnert. Mosen-
0080thal
, der in seiner Bearbeitung von Shakspeareʼs „Lustigen
0081Weibern“ so entschiedenes Geschick für die komische Oper be-
0082währte, hat mit seinem „Landhaus“ kein Meisterstück geliefert.
0083Eine geschickte Behandlung der Scene und klangvolle, melodiöse
0084Verse verstehen sich bei Mosenthal allerdings von selbst, aber
0085der Stoff ist viel zu dürftig für die Dauer eines gan-
0086zen Theaterabends. Zu einer einactigen Operette hätte er ganz
0087gut getaugt. Indessen kann Herr Käßmayer, wenn seine Oper
0088langweilig befunden wird, doch nur einen kleinen Theil der
0089Schuld auf den Librettisten wälzen. Ein Recht zu schwerer
0090Klage gegen den Textdichter hat der Componist doch wol nur
0091dann, wenn trotz seiner schönen und originellen Melodien der
0092Erfolg durch die Mängel des Librettos gänzlich lahmgelegt
0093wird, wie z. B. in „Così fan tutte“. Mosenthalʼs Text läßt
0094eine wirksamere komische Musik jedenfalls zu, von den senti-
0095mentalen Nummern gar nicht zu reden. Musikalisch günstige
0096Strophen, wie Sophiens: „Jugend und Lenzeslust jubeln in
0097meiner Brust,“ oder ihre späteren: „Rosen im Thal“ u. s. w.,
0098bieten sich doch ebenso gut einer reizenden, lebensvollen, neuen
0099Melodie dar, wie einer matten, abgeleierten. Kurz gesagt, an
0100Einem Unglück ist der Dichter niemals schuld: daß nämlich
0101seinem Componisten nichts Besonderes einfällt. Und dies ist
0102das gewichtigste Bedenken, welches Herrn Käßmayerʼs Compo-
0103sition einflößt. Sie läßt durchwegs den schöpferischen Funken,
0104läßt Erfindungskraft und Originalität vermissen. Vergebens
0105strenge ich mich an, wenigstens ein paar kleine Nummern als
0106erfreuliche Ausnahme anführen zu können, nur zwei bis drei
0107Themen oder Melodien, die den Stempel glücklicher, selbststän-
0108diger Erfindung trügen und den Hörer wirklich gepackt hätten. Die
0109Melodien im „Landhaus“ tragen überwiegend das Gepräge des Ba-
0110nalen, Mittelmäßigen und erinnern fast durchwegs an schon Gehör-
0111tes. Fast noch dürftiger ist es mit dem Rhythmus bestellt, dessen
0112monotone Verwendung im „Landhaus“ auffällt. Wenn man
0113sich einen beliebigen Arientext aus dem Mosenthalʼschen Libretto
0114vorscandirt, so weiß man auch zuverlässig den Rhythmus,
0115welchen Käßmayer anschlagen und meist in ermüdender Gleich-
0116förmigkeit bis zu Ende des Musikstückes festhalten wird. (Bei-
0117spielsweise sei an den Anfang des Quintetts Nr. 7, an die [2]
0118Arien von Sophie, Julius, Brigitte Nr. 8, 11, 14, den
0119Weiberchor Nr. 3 erinnert.) Das rhythmische Leben ist aber
0120so recht die Seele der Opera buffa. Die Harmonisirung ist
0121in der Regel einfach, angemessen, selten geistreich; die Sing-
0122stimmen führt Käßmayer natürlich, dankbar und (mit Aus-
0123nahme von Sophiens Partie) maßvoll. Die Instrumentirung
0124verräth große Routine, aber nicht viel feinen Geschmack.
0125Theils geräth sie mit Posaunen und Paukenwirbel in eine
0126ungehörige heroische Aufgeblasenheit (Gogotʼs Duett mit Sophie:
0127„Mein Kind, es war ja nur ein Scherz,“ dessen Arie: „Ich
0128platze vor Aerger,“ der Schluß der vorhergehenden: „Herr-
0129lich, prächtig“ u. s. w.), theils in eine unleidliche Unruhe
0130durch das Bestreben, mit kleinen Accenten komisch oder
0131charakteristisch zu wirken; man erinnere sich an das
0132unermüdliche Aufschreien der Oboen in dem Duett zwischen
0133Gardel und Gogot, an das Schmachten der Violoncelle bei
0134jeder sentimentalen Stelle u. s. w. Gänzlich rococco sind die
0135brillanten Instrumental-Soli der Clarinette, Violine u. dgl.
0136Die erste Violine füllt nicht nur den Zwischenact mit einem
0137förmlichen Concerte aus, sie setzt ihre Bravour-Passagen noch
0138während der Arie Sophiens unermüdlich fort. Von eigent-
0139lich komischer Kraft ist in der Musik nur selten ein Hauch zu
0140verspüren, am ehesten noch in dem „Chor der Gevatterinnen“
0141und Gogotʼs geschäftigen Aufträgen im ersten Acte. Das
0142heitere Temperament, das doch einen Theil des ersten Actes
0143durchzieht, stockt förmlich im zweiten. Die Arie Gardelʼs, sein
0144Duett mit Gogot, das Terzett dieser Beiden mit Sophie 
0145haben einen zähen, stockenden Fluß, während hier selbst bei
0146mittelmäßiger melodischer Erfindung ein pikanter Rhythmus und
0147rasches Fortströmen des Dialogs aufhelfen konnten. Diese
0148Nummern und dazu das ausgesponnene Finale des zweiten
0149Actes sind von einer bedauerlichen Dürre und Humorlosigkeit.
0150Treten wir von dem komischen auf das ernsthafte Gebiet im
0151Landhaus“ so finden wir es musikalisch noch übler bestellt.
0152Sophiens Arie: „Rosen im Thal“, Julius’ Romanze:
0153„Das Augʼ der Liebe“, und Aehnliches gehört zum sentimen-
0154talen Bänkelsang in Prochʼs, Gumbertʼs, Abtʼs schlimmster
0155Manier. Den Styl zu charakterisiren, in welchem Käß-
0156mayerʼs Oper sich bewegt, ist nicht leicht, so viel musi-
0157kalischer Zopf und „Urväter-Hausrath“ liegt hier dicht
0158neben modernen Toilettestücken buntester Art. Man müßte die-
0159sen Styl durch eine Art Märchen zu erklären versuchen, z. B.
0160daß der alte Dittersdorf vor achtzig Jahren während der
0161Composition einer seiner komischen Opern in einen Zauber-
0162schlaf verfallen und etwa gegen das Jahr 1840 in Heinrich
0163Prochʼs Wohnung unter den Klängen des „Alpenhorns“,
0164Stillen Zechers“ u. dgl. plötzlich wieder erwacht sei. Wie sich
0165ihm dann unwillkürlich diese Elemente vereinigten, er glückli-
0166cherweise die lang ersehnte Bekanntschaft Dr. Mosenthalʼs 
0167machte, der ihn auch einmal (aber nur einmal) in eine
0168Auberʼsche Oper mitnahm, an der ihm jedoch nichts gefiel,
0169als eine hüpfende Quadrille-Figur der Violinen und einige ihm
0170gänzlich neue Passagen der Rabatinsky.


0171Wahrscheinlich wird man an Käßmayerʼs Oper we-
0172nigstens das Eine gerühmt haben wollen: die künstlerische Ge-
0173sinnung, die „echt deutsche Gewissenhaftigkeit“. Diese freilich
0174etwas bedenkliche Art von Anerkennung ließe sich vielleicht aus-
0175sprechen, wenn die Sophie nicht wäre. Diese Rolle ist eines
0176der schlimmsten Beispiele, wie ein Componist sowol dem Geiste
0177des Gedichtes als dem Style seiner ganzen übrigen Partitur
0178ins Gesicht schlägt, um von den Kunststückchen einer gefeierten
0179Sängerin für sich zu profitiren. Diese Sängerin, welcher die
0180Partie zugedacht war, ist Fräulein Murska; ihr Name
0181schimmert „auf jedem Purpurblättchen“, d. h. auf jedem der
0182zahllosen hohen h, c und cis, auch d, sammt Trillerketten
0183und Staccato-Passagen, womit die Rolle überladen ist. Der
0184Charakter Sophiens bietet nicht die mindeste Berechtigung
0185dazu; sie ist vom Dichter nicht als muthwillig oder kokett,
0186sondern als ernstes, bescheidenes, gefühlvolles Mädchen gezeich-
0187net. Unter der Hand des Componisten wird sie ein Mittelding
0188zwischen Philine und Margarethe von Valois in den „Huge-
0189notten“. Als eine exquisite Murska-Huldigung ist wol auch
0190der triviale Eingangswalzer und das „Nachtigallenlied“ ent-
0191standen („Die Nacht läßt ihre Schleier fallen“), welches das
0192erste Wort (die Nacht!) gleich auf dem hohen a anhebt und
0193jeder Strophe eine lange, peinlich geschmacklose Imitation des
0194Nachtigallenschlages anhängt.


0195Wenn ich mein (natürlich ganz unmaßgebliches und sub-
0196jectives) Urtheil über Käßmayerʼs „Landhaus“ völlig unge-
0197schminkt wiedergab, so trieb mich dazu außer der principiellen
0198Verpflichtung des Kritikers, gegen sich und das Publicum wahr
0199zu sein, noch eine specielle Nöthigung. Diese liegt in den 
0200ebenso ungeschminkten Klagen, die ich zu verschiedenen Zeiten
0201gegen den Local-Patriotismus der musikalischen Kritik in
0202Deutschland erhob, welche alljährig aus sechs bis zwölf Städ-
0203ten meldet: Heute wurde hier zum erstenmale die
0204neue Oper unseres einheimischen Componisten N. N.
0205mit außerordentlichem Erfolg gegeben. Nun folgen die be-
0206kannten Phrasen von dem durch N. N. so glücklich gelösten
0207Zwiespalt zwischen den Anforderungen der „Gediegenheit“ und
0208der „reizenden Melodie“, von seiner angenehmen „Vermitt-
0209lung“ zwischen der älteren und der neuesten Schule, und füh-
0210ren schließlich zu der Versicherung, daß durch das neue Mün-
0211chener oder Karlsruher Product das deutsche Opern-Repertoire
0212eine werthvolle Bereicherung erfahre und dasselbe überall des
0213größten Beifalls sicher sei. Die Berichterstatter nehmen die
0214persönlichen Ovationen eines solchen ersten Abends für einen
0215wirklichen Erfolg des Werkes hin, welches dann in der Regel
0216schon in der nächsten Hauptstadt Fiasco macht. Diese patrio-
0217tischen Lobredner aller deutschen Opern-Novitäten haben sich
0218dadurch dergestalt um den Credit gebracht, daß sich bereits die
0219Fabel vom Lügner wiederholt, dem man, als er einmal wirk-
0220lich die Wahrheit mittheilte, nicht mehr geglaubt hat. Kommt
0221nämlich oder käme heute die Oper eines wirklich bedeutenden
0222jungen Talentes irgendwo zur Aufführung, so haben für sie
0223die Local-Kritiken jede nützende Kraft verloren; sie muß ihren
0224Weg mühsam ganz auf eigenen Füßen machen. Das ist ein
0225aus lauter Wohlwollen und Patriotismus entstandener sehr
0226schlimmer Zustand. Wer denselben wiederholt Anderen zur
0227Last gelegt, darf, wenn die Prüfung an ihn selbst herantritt,
0228nicht in den gleichen Fehler gerathen. Das Mißlingen einer
0229ersten Oper ist zum Glück nicht entscheidend. Möglich, daß
0230Herrn Käßmayerʼs Talent noch einen unvermuthet frischen
0231Ausflug nimmt oder ein anderes Genre findet, das ihm noch
0232besser zusagt — wir werden jeden seiner Fortschritte mit auf-
0233richtiger Freude begrüßen.


0234Die Aufführung der Novität (unter Herrn Prochʼs 
0235energischer Leitung) war, wie bereits gemeldet, eine vorzüg-
0236liche. Bessere Sänger als die Fräulein Rabatinsky und
0237Gindele, die Herren Walter, Rokitansky und Mayer-
0238hofer
konnte sich der Componist kaum selbst wünschen und
0239dürfte er auch anderswo kaum finden.