Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1626. Wien, Dienstag den 9. März 1869
[1]Richard Wagner’s „Judenthum in der Musik“.
0002Motto: Der Jude wird verbrannt.
0003Lessing
0004Richard Wagner, der seit einiger Zeit die unentbehrliche
0005Selbstverherrlichung wieder durch fleißige Broschüren-Fabrica-
0006tion betreibt, hat soeben eine neue Flugschrift unter dem Titel:
0007„Das Judenthum in der Musik“ (Leipzig bei J. J.
0008Weber) veröffentlicht. Das Scheußlichste in der gesammten
0009Schöpfung sind die Juden, und Juden sind alle diejenigen,
0010die Herrn Richard Wagner nicht anbeten — das ist ungefähr
0011der leitende Gedanke dieses zwar dünnen, aber giftgeschwollenen
0012Büchleins. Es ist Frau Marie Muchanoff, gebornen Gräfin
0013Nesselrode, dedicirt und beginnt mit der Klage, „daß jede der
0014künstlerischen Leistungen Wagner’s in der Tagespresse nicht
0015nur Deutschlands, sondern auch Frankreichs und Englands
0016einer auf Herabsetzung ausgehenden Feindseligkeit begegne“.
0017Den Grund dieser so weit verzweigten Feindseligkeit findet
0018Wagner in einer allgemeinen, organisirten Verschwörung der
0019Juden gegen ihn. Durch einen Aufsatz („Das Judenthum
0020in der Musik“) welchen Wagner im Jahre 1850 in die
0021Leipziger Musikzeitung drucken ließ, seien alle Feinde des
0022Schweinefleisches auch die seinigen geworden und trachten seit-
0023her auf alle mögliche Art sich an ihm zu rächen. Der Auf-
0024satz soll nach Wagner’s Versicherung ein ungeheures Aufsehen ge-
0025macht und ihm die bitterste Feindschaft eingetragen haben, ob-
0026wol merkwürdigerweise nicht der Name R. Wagner, sondern
0027K. Freigedank darunter stand, und der Redacteur F. Bren-
0028del sich niemals herbeiließ, den wahren Verfasser zu verrathen!
0029Es gehört in der That Wagner’sches Selbstbewußtsein dazu,
0030um zu glauben, daß die gesammte Kunstwelt und Journalistik
0031noch immer an einen vor 19 Jahren erschienenen pseudony-
0032men Aufsatz in der Leipziger Musikzeitung denke, und daß
0033jegliche seither von Wagner erlebte Unannehmlichkeit nichts als
0034Rache der Juden gegen jenes Feuilleton sei. Ich bekenne, erst heute
0035durch Wagner’s Flugschrift von jenem Artikel und seiner illustren
0036Herkunft Kenntniß erhalten zu haben. Dasselbe dürfte bei
0037der großen Mehrzahl meiner Collegen der Fall sein. Allein
0038das glaubt Wagner nimmermehr, er ist überzeugt oder stellt
0039sich mindestens so (denn manchmal zögert man wirklich, ihn
0040für so bornirt zu halten, wie er sich in der neuen Broschüre
0041darstellt), daß alle seine Gegner nur geschworne Hänge-Gen-
0042darmen eines großen jüdischen Rachecorps sind. Trotzdem
0043man aus diesen fabelhaften Wirkungen schließen sollte, jener
0044Aufsatz von „K. Freigedank“ sei allenthalben ebenso bekannt,
0045wie der kurz nachher erschienene „Propheten“-Marsch von
0046Meyerbeer, findet es Wagner dennoch für zweckmäßig, ihn
0047neuerdings abzudrucken, wofür wir ihm auch aufrichtig dank-
0048bar sind.
0049Anfangs geht es über die Juden im Allgemeinen los.
0050Da es dem Verfasser um „die Rechtfertigung seines unüber-
0051windlichen Widerwillens gegen jüdisches Wesen“ zu thun
0052ist, so malt er natürlich ohne alles Licht. Die äußere Er-
0053scheinung des Juden ist ein „unangenehmes Naturspiel“, aber
0054beileibe kein Unglück für den Juden, weil er „bei diesem Un-
0055glücke sich ganz wohl fühlt“. Auf der Bühne könne man sich
0056„keinen antiken oder modernen Charakter von einem Juden
0057dargestellt denken, ohne unwillkürlich das bis zur Lächerlichkeit
0058Ungeeignete einer solchen Vorstellung zu empfinden“. (Ob sich
0059Wagner’s christliches Gemüth wirklich gesträubt hätte, durch
0060das Talent der Bettelheim, Csillag, Sontheim’s
0061Erfolge zu erringen?)
0062Der gebildete Jude ist „der herzloseste aller Men-
0063schen und steht nur im Zusammenhange mit denen, welche sein
0064Geld bedürfen“. (Aus solchen Begegnungen scheint Wagner
0065seine gesammte Kenntniß der gebildeten Juden geschöpft zu
0066haben.) Endlich geht der Verfasser auf das Verhältniß der
0067Juden zur Kunst über. „Was der gebildete Jude auszusprechen
0068hatte, wenn er künstlerisch sich kundgeben wollte, konnte natür-
0069lich nur das Gleichgiltige und Triviale sein, weil
0070sein ganzer Trieb zur Kunst ja nur ein luxuriöser, unnöthiger
0071war.“ Nach Wagner muß jede künstlerische Thätigkeit eines
0072Juden „nothwendig die Eigenschaft der Kälte, der Gleichgiltig-
0073keit bis zur Trivialität und Lächerlichkeit an sich haben“. Und
0074welchen Namen nennt er unmittelbar nach dieser Thesis?
0075Keinen geringeren als Mendelssohn-Bartholdy’s,
0076oder wie er mit verlogener Empfindsamkeit sagt, „des frühe
0077verschiedenen Mendelssohn-Bartholdy“. Wagner behauptet,
0078Mendelssohn habe es trotz seines Talentes nie ermögli-
0079chen können, auch nur ein einzigesmal die tiefe, Herz
0080und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche
0081wir von der Kunst erwarten. Ich glaube, daß Tausende un-
0082serer Leser mir beistimmen werden, wenn ich Herrn Wagner
0083versichere, daß das einfachste Lied Mendelssohn’s (von seinen
0084großen Schöpfungen gar nicht zu reden) uns mehr an „Herz
0085und Seele“ dringt, als zehn Opern à la „Tristan und Isolde“.
0086Man kann sich vorstellen, wie laut und hitzig Wagner’s
0087Hepp, Hepp! nun hinter Meyerbeer erschallt. Meyerbeer’s
0088Kunst habe eigentlich nur darin bestanden, „zu täuschen,
0089und dieses namentlich damit, daß er jenen von uns näher
0090charakterisirten (jüdischen) Jargon seiner gelangweilten Zuhö-
0091rerschaft als modern-pikante Aussprache aller der Trivialitä-
0092ten aufheftete, welche ihr so wiederholt oft schon in ihrer na-
0093türlichen Albernheit vorgeführt worden waren“. Meyerbeer
0094ist für Wagner (der das Publicum niemals mit Opern
0095wie die „Hugenotten“ durch volle 40 Jahre „getäuscht“
0096hat) eine „tragikomische Erscheinung, wie überhaupt das Kalt-
0097lassende, wirklich Lächerliche das Bezeichnende des Judenthums“
0098bildet. Nur bei eingetretener completer Lebensunfähigkeit der
0099Musik konnten Juden in dieselbe eintreten. „Erst wenn der
0100innere Tod eines Körpers offenbar ist, gewinnen die außerhalb
0101liegenden Elemente die Kraft, sich seiner zu bemächtigen, aber
0102nur um ihn zu zersetzen; dann löst sich das Fleisch dieses Kör-
0103pers in wimmelnde Viellebigkeit von Würmern auf.“ Nach[2]-
0104dem noch Heine ob seiner „gedichteten Lügen“ ausgezischt und
0105Börne applaudirt worden, weil er an der „Selbstvernichtung“
0106des Judenthums gearbeitet habe, kommt Wagner ausführlich
0107auf die entsetzlichen Folgen seines pseudonymen Artikels vom
0108Jahre 1850 zurück. Leipzig habe durch die langjährige
0109Wirksamkeit Felix Mendelssohn’s „die eigentliche musikalisch
0110Judentaufe erhalten“, Leipzig sei „ausschließlich Juden-
0111musik-Weltstadt“ etc. In diesem widerlichen, gemeinen Tone,
0112der einem fanatischen Bettelmönche Ehre machen würde, geht nun die
0113ganze Broschüre weiter. Also in der Judenmusik-Weltstadt habe
0114sich damals die Verschwörung organisirt, Wagner „als den
0115Verfasser jenes Aufsatzes fortan zu ignoriren“, ihn hingegen
0116durch „systematische Verleumdung und Verfolgung“ auf dem
0117Gebiete seiner literarischen und musikalischen Thätigkeit zu be-
0118strafen. Als erster Verleumder sei Professor Bischoff in der
0119Kölnischen Zeitung aufgetreten, „ein Freund und Bewunderer
0120des Herrn Ferdinand Hiller“. (Merkwürdigerweise wird Hiller
0121in der Broschüre nicht weiter mißhandelt, obgleich er einige
0122Aufsätze von vernichtender Vortrefflichkeit gegen Wagner’s
0123Theorien veröffentlicht hat.) Nun sei der Unterzeichnete aufge-
0124treten mit seinem „Libell“ über das Musikalisch-Schöne.
0125Gegen diese Bezeichnung muß ich protestiren. Meine Schrift
0126„Vom Musikalisch-Schönen“ (deren Werth R. Wagner na-
0127türlich nach Belieben taxiren mag) ist eine durchaus ernst-
0128hafte theoretische Untersuchung, ein streng wissenschaftlicher
0129Versuch, die Grundbegriffe musikalischer Aesthetik neu zu
0130prüfen und zu erklären. Anders ist sie auch nie aufgefaßt
0131worden, wenngleich neben anderen Tonsetzern auch Wagner
0132darin zur Sprache kommt. Hätte ich ein Libell gegen Wagner
0133schreiben wollen, so würde ich wol auch einen pikanteren Titel
0134im Geschmack von dessen neuester Flugschrift gefunden haben,
0135z. B.: Der Größenwahnsinn in der Musik. Daß ich unter den
0136Vertretern echt musikalischer Schönheit nach Haydn, Mozart
0137und Beethoven auch den jüdischen Mendelssohn angeführt,
0138wurmt Herrn Wagner so sehr, daß er sich zu der aberwitzigen
0139Behauptung hinreißen läßt, ich hätte, blos um Mendels-
0140sohn „mit Manier auf den Thron zu erheben, ihm auch
0141einige christliche Nobilitäten, wie Robert Schumann, zur
0142Seite gestellt“! Von der Schrift über das „Musikalisch-Schöne“
0143sei nun alles weitere Unglück ausgegangen: „Der Verfasser
0144hatte sich dadurch in allgemeinen Respect gesetzt und sich eine
0145Stellung gemacht, welche ihm Bedeutung gab, wenn er, als
0146angestaunter Aesthetiker, nun im gelesensten politischen Blatte
0147auch als Recensent auftrat und mich und meine künstlerischen
0148Leistungen für null und nichtig erklärte.“ Mein „Nimbus“
0149sei auch die Ursache, daß, so weit als Zeitungen in der Welt
0150gelesen werden, eben dieser Ton über Wagner zum Styl ge-
0151worden ist, welchen überall anzutreffen Madame Muchanoff,
0152geborne Gräfin Nesselrode, so sehr verwundert. Hierauf muß
0153ich Herrn Wagner erwidern, daß er den Einfluß meiner Kri-
0154tiken weit überschätzt und mir eine Wichtigkeit beilegt, die ich
0155nicht entfernt besitze. Ich bin nur Eine Stimme unter vielen,
0156wohlgemerkt unter vielen unabhängigen, überzeugungstreuen
0157Stimmen. Warum nennt Herr Wagner nicht unseren be-
0158rühmtesten Musik-Schriftsteller Otto Jahn, dessen Kritiken
0159über „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ an hinrichterlicher Wucht
0160Alles übertreffen, was ich je über Wagner geschrieben? Warum
0161nennt er nicht aus Wien Speidel und Schelle, die —
0162zwar ebensowenig Juden als ich — ihn doch nicht um ein
0163Haar christlicher behandelt haben? Ganz kürzlich hat der Kunst-
0164historiker Lübke mit liebenswürdigen Humor ihm ein Gleiches
0165erwiesen, wofür er natürlich in Stuttgart sofort in die jüdische
0166Matrikel eingetragen wurde. Warum erinnert sich Wagner
0167nicht des geistvollen Hinrichs, welcher ihm anfangs mit leb-
0168haftester Sympathie entgegenkam, aber je länger er schrieb und
0169je genauer er Wagner’s Opern studirte, desto kälter und ab-
0170lehnender wurde, so daß der „biedere Brendel“ seine letzten
0171Aufsätze gar nicht mehr aufnahm? Beklagt sich doch Wagner
0172ausdrücklich über Adolph Stahr und Robert Franz,
0173die im Sommer 1850 einmal, „aber genau nur
0174einmal“, das Wort für ihn ergriffen hätten!
0175Auch mir wirft Wagner die „fast enthusiastische Neigung“
0176vor, die ich anfänglich für ihn empfand und jetzt nicht mehr
0177empfinde. Guter Herr Wagner, das ging vielen Leuten so.
0178Ich habe den starken Eindruck nie verleugnet, noch mich dessen
0179je geschämt, welchen ich als junger Student in Dresden von
0180der blendenden Aufführung des „Tannhäuser“ empfing. Ich
0181berichtete darüber der Wiener Musikzeitung in einem Aufsatze,
0182der zwar im Lobe etwas überschwenglich, aber trotzdem für
0183die zahlreichen Schwächen des „Tannhäuser“ nichts weniger
0184als blind war. Daß ich zu einer Zeit, wo man in Oesterreich
0185den Namen Richard Wagner noch nicht kannte, zufällig der
0186Erste gewesen sein mag, der die Aufführung des „Tannhäu-
0187ser“ öffentlich warm befürwortete, dessen freue ich mich heute
0188noch.*) Mein Irrthum bestand nur in dem sanguinischen
0194Glauben, Wagner werde in seinen späteren Opern die reiz-
0195und gehaltvollen Elemente, die sich im „Tannhäuser“ finden,
0196zu immer reinerer Schönheit steigern und abklären, hingegen
0197das Unmusikalische, Ungesunde, die spiritualistisch maskirte Tri-
0198vialität ausscheiden. Das Gegentheil davon ist eingetroffen:
0199jede folgende Oper Wagner’s ist unmelodischer, lang-
0200weiliger, lärmender und abstruser geworden. Ebenso wird
0201seine Broschüre mit jedem Bogen leidenschaftlicher, gehässiger und
0202verlogener. Die eine Lüge, mein angebliches „Judenthum“,
0203will ich der blinden Wuth eines Mannes zugute halten, wel-
0204cher, wie der Rabbiner in Heine’s „Disputation“, immer mit
0205dem blanken Messerchen herumfährt, um harmlos vorüberge-
0206hende Christen meuchlings zu beschneiden. Die zweite Lüge be-
0207trifft nicht mich allein. Wagner behauptet nämlich, Th. Fr.
0208Vischer (den er als „einen gutartigen, durchaus blonden deutschen [3]
0209Aesthetiker“ zu hänseln die Frechheit hat) habe mir die Aus-
0210führung des musikalischen Theiles in seiner „Aesthetik“ an-
0211vertraut, und zieht aus diesem Verhältnisse neue Erklärungs-
0212gründe für meine „schnelle Berühmtheit“ u. dgl. Da man
0213füglich annehmen muß, Herr Wagner habe diese, von ihm so
0214sehr herabgesetzte Vischer’sche Aesthetik wenigstens einmal in
0215der Hand gehabt, so kann ihm auch unmöglich entgangen sein,
0216daß der ganze musikalische Theil (bis auf wenige von Vischer
0217selbst geschriebene Paragraphe) einzig und allein von Professor
0218Karl Köstlin in Tübingen herrühre, welcher als tüchtiger
0219Musiker und Philosoph anerkannt und nicht nur kein Jude,
0220sondern sogar protestantischer Theologe ist.
0221Nach Wagner kann man sich den noch fortwirkenden
0222unermeßlichen Einfluß jenes pseudonymen Judenartikels von
02231850 nicht groß genug vorstellen; er versichert: „Auch was
0224Liszt widerfuhr, rührt von der Wirkung jenes Artikels her!“
0225Man sieht, Wagner wird vollständig zum Kinde. Den „Ab-
0226fall“ Joachim’s (dessen wahrhafte, künstlerische Natur den
0227Humbug der Zukunftsmusik eben nicht länger ertragen konnte)
0228erklärt Wagner gleichfalls aus der Wirkung seines jüdischen
0229„Medusenschildes“. Auch in Paris und London herrsche
0230dieselbe „organisirte Verschwörung“ gegen Wagner (natürlich,
0231dort hat man nichts Dringenderes zu thun, als die Leipziger
0232Musikzeitschrift vom Jahre 1850 zu lesen). Die allgemeine
0233Antipathie, auf die er in London stieß, erklärt er sich nebenbei
0234aus dem „eigenthümlichen Charakter der mehr auf dem
0235Alten als auf dem Neuen Testamente fußenden englischen Re-
0236ligion“! Nach dem Kriege gegen die Journalistik stürmt Wag-
0237ner, keinen Augenblick verlassen von seiner fixen Idee, gegen
0238die Theater-Directionen. „Bereits erleben Sie,“ apostrophiert
0239er die geborne Gräfin Nesselrode, „daß, nachdem meine frühe-
0240ren Opern fast überall auf den deutschen Theatern sich Bahn
0241gebrochen haben, jedes meiner neueren Werke auf ein träges,
0242ja feindselig ablehnendes Verhalten dieser selben Theater stößt:
0243meine früheren Arbeiten waren nämlich schon vor der
0244Juden-Agitation auf die Bühne gedrungen und ihrem
0245Erfolge war nicht mehr viel anzuhaben.“**) Eine solche Ant-
0249wort gibt sich nur ein von Eitelkeit gänzlich verblendeter
0250Künstler, welcher die Schuld eines Mißerfolges niemals in
0251sich selbst, sondern immer nur in fremden Intriguen sucht.
0252Jeder Theater-Director, der sein Geschäft versteht (von beson-
0253derem Kunstsinne gar nicht zu reden), wird sich beeilen, die
0254Novitäten eines Componisten aufzuführen, von dem sich zwei
0255bis drei Opern mit Erfolg auf dem Repertoire erhalten ha-
0256ben. Bei der ungewöhnlichen Armuth an neuen deutschen
0257Opern wird der Theater-Director solchen Novitäten zuliebe
0258sogar manches Opfer bringen. Wagt er sich trotzdem nicht daran,
0259so muß er sich überzeugt haben, daß diese Opern keinen oder
0260doch einen die Mühen und Kosten nicht lohnenden Er-
0261folg versprechen. Wenn warme Anhänger des „Tannhäuser“
0262gegen eine Musik wie „Tristan und Isolde“ protestiren, so
0263liegt die Ursache einzig und allein in „Tristan und Isolde“,
0264und wenn ein Theater-Director erklärt, er könne „Lohengrin“
0265und den „Holländer“ erträglich besetzen und ausstatten, aber
0266nimmermehr die „Nibelungen“ oder „Meistersinger“, so liegt
0267die Schuld wieder einzig und allein an den „Nibelungen“ und
0268den „Meistersingern“. Nicht jedes Theater kann wie die Münche-
0269ner Hofoper eine eigene kostspielige Geburtsklinik für Richard
0270Wagner unterhalten. Wagner läßt sich in seiner Leidenschaft-
0271lichkeit zu der impertinenten Behauptung hinreißen, er habe in
0272der Correspondenz mit den Leitern der Wiener und der Ber-
0273liner Hofopern „aus den von ihnen angewendeten Kniffen
0274ersehen, daß es ihnen nicht allein darum zu thun war, die
0275„Meistersinger“ nicht geben zu dürfen, sondern auch zu ver-
0276hindern, daß sie auf anderen Theatern gegeben werden“.
0277Was die Wiener Hofoper betrifft, so bin ich in der
0278Lage, Herrn Wagner des Gegentheiles zu versichern.
0279Man beharrte nur auf dem Begehren, die nothwendigsten
0280Kürzungen vornehmen zu dürfen, und mit Recht, denn kein
0281verständiger Director wird sein Publicum mit einer Oper von
0282so abenteurlicher, einschläfernder Länge heimsuchen. Wagner
0283thut sich aber etwas darauf zugute, daß er jetzt „bisher noch
0284nie für nöthig gehaltene Bedingungen an seine Einwilligung
0285zur Aufführung eines neuen Werkes stelle“. Die „Einmischung
0286des jüdischen Wesens in unsere Kunstzustände“ scheint also in
0287diesem Falle von ihm selbst auszugehen? — Nachdem Wagner im
0288Vorübergehen noch Julius Fröbel (der so manche Lanze für
0289ihn gebrochen) einen Fußtritt versetzt hat, stolpert er plötzlich
0290über den Namen Robert Schumann. Ueber den muß doch
0291auch etwas Nachtheiliges gesagt werden — das ist nicht leicht...
0292Richtig, Wagner hat’s schon. „Vergleichen Sie,“ spricht er zu
0293Madame Muchanoff, geborne Gräfin v. Nesselrode, „den Ro-
0294bert Schumann der ersten und den der zweiten Hälfte seines
0295Schaffens: dort plastischer Gestaltungstrieb, hier Verfließen
0296in schwülstige Fläche.“ Und was ist die Ursache? Etwa, wie wir bisher
0297glaubten, Schumann’s nervöse Krankheit und Verdüsterung, welche
0298in seinem tragischen Ende bald eine so entsetzliche Erklärung
0299fand? Mit nichten. Wagner versichert uns, der Grund von
0300Schumann’s abnehmender Productionskraft sei in dem Ein-
0301flusse der „Einmischung des jüdischen Wesens“ zu suchen!
0302Wenn Wagner’s Broschüre bis zu dieser Stelle überwiegend
0303den Eindruck des Lächerlichen machte, so schlägt dieser Eindruck
0304hier geradezu in Ekel um. Wir schlagen das widerwärtige
0305Buch zu, das seinem Verfasser wenig Freunde und wol auch
0306den Juden wenig Feinde zuführen wird. Für die Charakte-
0307ristik Wagner’s hat es eigentlich nur ein psychiatrisches In-
0308teresse. Die maßloseste Selbstvergötterung hat hier einen
0309Gipfel erstiegen, auf dem ein Mensch mit gesunden Gehirn-
0310functionen nicht mehr zu athmen vermag. Man muß unwill-
0311kürlich an den alttestamentarischen Vorgänger R. Wagner’s,
0312an König Nebukadnezar denken, der sich so lange für einen
0313Gott hielt, bis er sich in einen ganz gewöhnlichen Ochsen ver-
0314wandelte, Heu fraß und von Verdi in Musik gesetzt wurde.
0315Eduard Hanslick.