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Neue Freie Presse
Morgenblatt
No. 1804. Wien, Sonntag, den 5. September 1869

[1]

Das Rheingold“ von Richard Wagner.


0002Ed. H. Den neuesten Zeitungsberichten zufolge ist die
0003Aufführung der Oper „Rheingold“ in München definitiv auf-
0004gegeben. Damit verschwindet selbst für das zarteste Gewissen
0005jede Furcht vor der Indiscretion einer dem allgemeinen Urtheil
0006voraneilenden Kritik. Die Münchener Generalprobe am
000727. August, die in Costüm und vollständiger Scenirung ohne
0008die geringste Unterbrechung vor sich ging, muß jedem mit
0009dem Werke vorher Vertrauten eine so klare und lebhafte Vor-
0010stellung davon eingeprägt haben, wie eine öffentliche erste Auf-
0011führung. Darum darf ich mir wol erlauben, dem durch zahl-
0012lose „Rheingold“-Nachrichten bereits schwer bedrängten Leser
0013zu guterletzt Einiges über das Werk selbst mitzutheilen.


0014Wagner nennt sein „Rheingold“ ein Vorspiel. Die
0015eigentliche, damit einzuleitende Action bildet eine an drei auf-
0016einanderfolgenden Abenden aufzuführende Trilogie: „Die
0017Walkyre
“, „Sigfried“ und „Die Götterdämmerung“.
0018Die Handlung des ganzen „Bühnen-Festspiels“ ist dem alt-
0019deutschen Sagenkreise mit hauptsächlicher Benützung der Edda 
0020und des Nibelungen-Liedes entnommen und gestaltet sich im
0021Rheingold“ folgenderweise: Die erste Scene stellt den Grund
0022des Rheins dar; aus der Tiefe ragen schroffe Felsenriffe, die
0023Höhe ist von rastlos hin- und herwogendem Gewässer erfüllt.
0024Die Töchter des Rheins, Woglinde, Wellgunde und
0025Floßhilde, hüten den ihnen anvertrauten Schatz, das Rhein-
0026gold, indem sie sinnend und schwimmend den mittleren, höch-
0027sten Fels umkreisen. Der häßliche Zwerg Alberich beginnt
0028eine lüsterne wilde Jagd nach den drei Nixen, welche ihn
0029necken und verspotten. Da trifft der lichte Schein des Rhein-
0030golds sein Auge, er bemächtigt sich des Schatzes und stürzt
0031damit hastig nach der Tiefe. Schwarzes Gewölk lagert sich
0032nun über die Scene, die sich nach und nach wieder erhellt 
0033und uns in eine freie Gegend mit der Aussicht auf die glän-
0034zende Götterburg Walhall führt. Die Sage erzählt, daß
0035ein Baumeister den Göttern versprochen hatte, die Burg in
0036drei Halbjahren zu erbauen, zum Schutz und Schirm der Götter
0037wider die Bergriesen. Zum Lohne hatte er sich die Göttin
0038Freya ausbedungen, dazu Sonne und Mond. Durch eine List
0039des Halbgottes Loki wurde er verhindert, zu rechter Zeit mit
0040dem Bau fertig zu werden; Thor erschlug ihn hierauf
0041mit dem Hammer. In Wagner’s Dichtung sind es die
0042beiden Riesen Fafner und Fasolt, welche den Bau
0043der Götterburg vollendet haben und nun Freya als
0044den bedungenen Lohn verlangen. Letztere kommt, von den
0045Riesen verfolgt, hilfesuchend zu Wotan und dessen Gemalin
0046Fricka (Frigg) herangeeilt, welche eben einen zärtlichen Ehe-
0047standsdialog beendet haben. Wotan will Freya nicht ausfolgen,
0048der arglistige Loge (Loki) soll Rath schaffen, wie die Riesen 
0049um ihren Lohn zu prellen wären. Loge erzählt von dem
0050Rheingold, das wunderthätige Macht verleihe und nunmehr
0051im Besitz des Nibelungen Alberich sei. Dieses Rheingold wird
0052den beiden Riesen als Lösegeld für die verpfändete Freya ver-
0053sprochen, und Wotan macht sich mit Loge auf den Weg, es dem
0054Alberich zu rauben. Schwefeldampf verbreitet sich über die
0055Bühne, die Wolken verwandeln sich in finsteres Steingeklüft,
0056das immer tiefer sinkt, bis wir eine unterirdische Kluft, von
0057fernem Feuerschein geröthet, vor Augen haben. Es ist Nibel-
0058heim, die unterirdische Wohnung der Nibelungen. Alberich 
0059zerrt den kreischenden Mime, seinen Bruder, an den Ohren
0060aus einer Seitenschlucht herbei. Mime, ein kunstreicher
0061Schmied, hat für Alberich aus dem Rheingold kostbares Ge-
0062schmeide gefertigt, will aber für sich selbst die unsichtbar ma-
0063chende Tarnkappe zurückbehalten. Während er dafür von
0064Alberich weidlich geprügelt wird, treten Wotan und Loge ein
0065und verlangen die Wunder des Tarnhelms zu sehen. Alberich 
0066verwandelt sich auf ihren Wunsch zuerst in eine Riesenschlange,
0067dann in eine Kröte, auf welche sofort Wotan den Fuß setzt, 
0068während Loge ihr den Tarnhelm entreißt. Die beiden Götter
0069überwältigen Alberich und führen ihn geknebelt an die Ober-
0070fläche der Erde, wo er ihnen den ganzen Nibelungenschatz aus-
0071folgen und zuletzt auch den wunderthätigen Ring opfern muß.
0072Der Nebeldunst des Vordergrundes löst sich allmälig auf, wir
0073befinden uns wieder in der Rheingegend mit der Götterburg
0074im Hintergrunde. Die beiden Riesen liefern Freya gegen das
0075Rheingold aus, das nun massenhaft herbeigeschleppt wird; zu-
0076letzt streiten sie sich um den Ring, Fafner erschlägt den Fasolt 
0077mit einem Pfahl und macht sich mit dem Schatz auf und
0078davon. Donner und Blitz, hierauf ein immenser Regenbogen,
0079über dessen Wölbung die Götter nach Walhall einziehen, wäh-
0080rend aus der Tiefe der Gesang der Rheinnixen ertönt.


0081Der scenische Aufbau der Handlung ist sehr geschickt,
0082diese selbst unserem Interesse fernstehend. Man muß leiden-
0083schaftlicher Germanist sein, um sich für den ganzen Hofstaat
0084der altnordischen Mythologie zu erwärmen; wir wollen auf
0085der Bühne Menschen sehen, mit menschlichen Leidenschaften
0086und Schicksalen. Die tiefe Symbolik, welche die Sage in ihre
0087Götter-Gestalten legt, kommt in Wagner’s „Rheingold“
0088nirgends zu Tage, eine gelehrte Kenntniß derselben kann man wol nur
0089von einem verschwindend kleinen Theil des Publicums erwarten.
0090So agiren denn die blutlosen Schemen, die uns Wagner 
0091als Wotan, Loge, Fricka, Donner, Froh u. s. w. vorführt,
0092wie ausgestopfte Puppen, eine dem andern ähnlich. Einen
0093Versuch zu genauerer Charakteristik, aber einen mißglückten,
0094macht Wagner mit seinem „Loge“. Loge (Loki) erscheint
0095nach Uhland’s Ausdruck als das leise Verderben, das rastlos
0096unter den Göttern einherschleicht, listig, verrätherisch, dabei
0097gewaltig durch die elementare Macht, die seinem Wesen als
0098Feuergott zu Grunde liegt. Wagner macht aus ihm einen
0099halbkomischen Diplomaten, der sich eines abgeschmackten, lä-
0100chelnden Conversations-Tones befleißt und dem Niemand seine
0101Abkunft von den Riesen, dieser ältesten Götterdynastie, glaubt.
0102Götter, Riesen und Zwerge als handelnde Person auf die [2]
0103Bühne zu bringen, ist ein unmögliches Unternehmen: es spie-
0104len sie doch immer Menschen von gewöhnlichem Mittelmaß.
0105Selbst die besten Dramatisirungen des Nibelungenstoffes muß-
0106ten das Mißliche dieses Widerspruches erfahren und büßen:
0107des Widerspruchs zwischen unserer Vorstellung von übermensch-
0108lichen Heldengestalten und deren dürftiger Verkörperung auf
0109der Bühne. Wenn Wagner auf die Volksthümlichkeit jenes
0110Sagenkreises zählt, wie aus dem ganzen Unternehmen her-
0111vorgeht, so hat er sich verrechnet, wie seinerzeit Klopstock mit
0112seiner künstlichen Wiederaufnahme der altdeutschen Mytho-
0113logie. Gerade jene Klopstock’schen Oden, welche von Thor,
0114Freya, Walhall etc. wimmeln, sind am wenigsten verstanden
0115und am frühesten vergessen worden. Die Figuren und Si-
0116tuationen in „Tannhäuser“, „Holländer“, den „Meistersin-
0117gern“ expliciren sich selbst; um den vollen Sinn des „Rhein-
0118gold“ zu verstehen, müßte der Zuschauer beim Eintritt ins
0119Parterre nebst dem Theaterzettel auch ein Handbuch der alt-
0120germanischen Mythologie und womöglich ein kleines Wörter-
0121buch in die Hand bekommen. Denn in seiner alterthümelnden
0122Passion gebraucht Wagner mit Vorliebe Wörter, die — zu unserem
0123größten Bedauern — heutzutage kein Mensch mehr versteht.
0124Stellen wie: „Mein Friedel sei, du frauliches Kind,“ „Bin
0125glatt und glau,“ „Glühender Glanz entgleißt weihlich 
0126im Wag’!“ trifft man auf jeder Seite. Wie in diesen eben
0127herausgegriffenen Beispielen, so herrscht in der ganzen Dich-
0128tung, sprachverderbend und sinnverrückend, die Alliteration.
0129Und nicht der Gedanke ruft bei Wagner die passende Allite-
0130ration hervor, sondern umgekehrt. Diese unausgesetzte läp-
0131pische Buchstaben- und Lautspielerei umschwirrt uns wie ein
0132lästiger Schwarm von Wespen. Etwas Abgeschmackteres als
0133die Diction von Wagner’s „Rheingold“ von der ersten Zeile
0134bis zur letzten kommt schwerlich irgendwo zum Vorschein.
0135Man schaukelt bei der Lectüre dieses poetischen Ungethüms
0136seekrank zwischen Aerger und Lachen. Ein wahres Glück, daß
0137man bei der Aufführung selbst fast nichts von den Textwor-
0138ten versteht, die gefährlichen Symptome „allgemeiner Heiter-
0139keit“ würden nicht ausbleiben.


0140Die theatralische Form des „Rheingold“ ist insofern
0141völlig neu, als die ganze Oper ununterbrochen in Einem Zug,
0142ohne irgend einen Actschluß sich abspielt. Die vier Bilder
0143oder Scenen entwickeln sich aus einander bei offener Scene, nach
0144Art von Dissolving views aus Dämpfen, während gleicher-
0145weise die Musik unten atemlos fortdampft. Zwischen den
0146einzelnen Scenen tritt nicht einmal ein kurzer Ruhepunkt ein,
0147wie nach den Sätzen einer Symphonie. Die Oper spielt buch-
0148stäblich von Anfang bis zu Ende, also gegen drei Stunden
0149lang ohne Pause fort. Bei der monotonen Unruhe, welche
0150diese Musik charakterisirt, und bei dem Uebermaß von Schau-
0151gepränge auf der Bühne ist das kein Spaß. Im „Rhein-
0152gold“ behaupten die Künste des Decorationen-, Costüm- und
0153Maschinenwesens eine ungebührliche und unerhörte Wichtigkeit.
0154Das Auge wird fortwährend durch zauberhaften Decorations-
0155Wechsel, durch Feerien, Flugmaschinen, Lichteffecte und farbige
0156Dämpfe beschäftigt und geblendet. Es gibt keine zweite Oper,
0157in welcher ein Componist sich so vollständig zum dienstfertigen
0158Begleiter des Maschinisten und Decorations-Malers degradirt
0159hätte, wie im „Rheingold“. Wer mit uns in München sein
0160Brot mit Thränen aß, wird bezeugen, daß in allen „Rhein-
0161gold“-Gesprächen (und es gab keine anderen) fast ausschließ-
0162lich von den schwimmenden Nixen, den farbigen Dämpfen,
0163der Götterburg und dem Regenbogen die Rede war, nur sel-
0164ten von der Musik. Ist nicht Meyerbeer, der von Wagner 
0165mit so tugendhafter Entrüstung Geschmähte, ein unschuldig
0166Kind gegen den auf die raffinirteste Schaulust speculirenden
0167Componisten dieses Kosmoramas? Was bleibt von „Rhein-
0168gold“, wenn man das scenische Blendwerk abzieht? Nichts
0169als ein langweilig nüchternes Psalmodiren der Sänger über
0170einer gestaltlos wogenden, im besten Falle realistisch malenden
0171Begleitung.


0172Der musikalische Styl des „Rheingold“ ist der zuerst im 
0173Tristan“ streng durchgeführte: die reiz- und melodienlose Decla-
0174mation der Singstimmen, dazu die in ewigen Trugschlüssen sich
0175aufreibende „unendliche Melodie“ im Orchester. Die Consequenz,
0176mit welcher Wagner diese widermusikalische Methode festhält,
0177erregt eine Art gruselnder Bewunderung. Keine symmetrische
0178Form, kein selbstständig melodiöses, rhythmisch gegliedertes
0179Thema, kein Ensemblesatz. Wir sehen die ganze Götter- und
0180Riesengesellschaft, 8—10 Personen stark, den halben Abend
0181hindurch neben einander auf der Bühne stehen, und niemals
0182singen ihrer Zwei zugleich. Langsam und pathetisch recitirt
0183Einer nach dem Anderen, während die Uebrigen stumm und
0184gelangweilt zusehen. Ein drei Stunden langer musikalischer
0185Gänsemarsch! Wenn das ein Fortschritt heißen soll, von dem
0186unschätzbaren Kunstgewinn des mehrstimmigen Gesanges zu
0187dem einstimmigen Kindheitslallen der ersten Opernversuche zu-
0188rückzukehren, so danken wir für den Fortschritt. Würde etwa
0189ein moderner Maler auf jene vor-Dürer’sche Periode zurück-
0190gehen dürfen, welche, das Gesetz der Perspective noch nicht
0191kennend, die Menschen einander auf den Köpfen gehend dar-
0192stellte? Auch keine dramatische Nöthigung spricht für sol-
0193chen Puritanismus (ganz abgesehen davon, daß wir das musi-
0194kalische
Schönheitsprincip auch in der Oper gewahrt wissen
0195wollen), denn die Handlung des „Rheingold“ bringt
0196mehr als Eine Situation, welche ein Zusammensingen
0197geradezu dramatisch erheischt. So zum Beispiel, wenn die
0198von den Riesen bedrängte Freya die versammelten Götter um
0199Hilfe anruft, wenn später die zurückbleibenden Götter dem
0200gen Nibelheim ziehenden Wotan ihr „Glück auf“ und „Fahr’
0201wohl“ zurufen. Wäre ein Chor der goldschleppenden Nibe-
0202lungen oder der schließlich triumphirend in Walhall einziehen-
0203den Götter undramatisch? Wir finden das Gegentheil, finden
0204Wagner’s Partitur undramatisch. Nur einmal labt den
0205homophon gemaßregelten Hörer ein musikalischer Sonnenblick:
0206die drei Rheinnixen geruhen am Schlusse der Oper ein kurzes
0207dreistimmiges Sätzchen zu singen, und das verschmachtend [3]
0208Ohr lebt förmlich auf. Wer die Wirkung dieses langentbehr-
0209ten Zusammenklanges auf die Hörerschaft beobachtet hat und
0210unter dem Eindrucke dieses Contrastes noch nicht im Klaren
0211ist über die Verkehrtheit des Wagner’schen Hintereinander-Styls,
0212dem ist nicht zu helfen.


0213Fragen wir nun, welches Maß von Glück und Erfindung
0214dem Componisten gerade im „Rheingold“ zu statten kam, so
0215sinkt dies Werk vollends tief unter Wagner’s frühere Inspira-
0216tionen. In jeder seiner übrigen Opern hat Wagner mehr
0217Wärme des Ausdrucks, mehr Kraft der Erfindung bewährt.
0218Die „Meistersinger“, welche nach langen trostlosen Strecken
0219doch wieder reizvolle Oasen enthalten — Proben von der
0220Vollkraft des Wagner’schen Talentes — schwellen gegen
0221Rheingold“ zu einem zweiten „Fidelio“ oder „Don Juan“
0222empor. Die wärmsten Verehrer des Componisten müssen die
0223Inferiorität seiner „Rheingold“-Musik zugeben, sie ist als
0224Ganzes geradezu arm, kalt und mittelmäßig. Die raffinirte-
0225sten Orchester-Combinationen können nicht darüber täuschen,
0226wie nüchtern und seelenlos aller Gesang im „Rheingold“ ist.
0227Dies graue declamatorische Einerlei fällt uns wie ein schwerer
0228Nebel auf die Brust. Scenen, deren eigenthümlichem Cha-
0229rakter diese Art Musik noch allenfalls entspricht (wie
0230die Erscheinung der warnenden „Erda“) und welche von einer
0231contrastirenden Umgebung sich effectvoll abheben würden, ver-
0232sagen hier, weil eben Alles in denselben Farben gemalt ist.
0233Da alle Personen im „Rheingold“ pathetische Declamatoren
0234sind, so krystallisirt sich keine einzige zur lebendigen Indivi-
0235dualität, selbst in den charakteristischesten Momenten nicht.
0236Ein solcher Moment ist z. B. der Fluch, den der beraubte,
0237racheschnaubende Alberich gegen Gold und Götter schleudert.
0238Wir erwarten hier ein Musikstück von leidenschaftlicher rhyth-
0239mischer Kraft und Gedrungenheit. Statt dessen entledigt sich
0240Alberich seiner Rede mit dem salbungsvollen Pathos eines
0241verdrießlichen Nachmittagspredigers.


0242Den vortheilhaftesten Eindruck macht jedenfalls das erste
0243Bild: die Nixen im Rheine. Da ist der Hörer noch unab-
0244gestumpft und kann sich dem eigenthümlich anregenden, ganz
0245ungewohnten Schauspiel mit Interesse hingeben. Daß dieser
0246Reiz weit mehr ein malerischer und poetischer als ein musikali-
0247scher sei, darüber legt man sich unter dem Eindruck des
0248Total-Effects keine Rechenschaft, auch paßt dazu Wagner’s
0249descriptive, das Bild gleichsam nur elementarisch umfluthende
0250Musik noch am besten. Je weiter, desto schwerfälliger, ein-
0251töniger, blutloser wird die Musik. Nur momentan unterbricht
0252irgend ein geistreicher Klang-Effect das wachsende Unbehagen
0253des Hörers. Mit rein reflectirendem Interesse bemerkt dieser
0254allenfalls noch, wie Einzelnes musikalisch zum Sprechen ge-
0255troffen sei: das plumpe Auftreten der beiden Riesen, der
0256rothe Feuerschein in der (durch achtzehn abgestimmte Amboße
0257colorirten) Schmiedescene u. dgl. Bald jedoch übersättigt
0258und belästigt ihn solch kalte Verstandesmusik, die kein anderes
0259Ziel kennt, als dem Ohre etwas vorzumalen. Er sehnt den
0260Schluß herbei und verläßt das Theater in einer an physisches
0261Unwohlsein grenzenden Nervenabspannung.


0262An der nun vereitelten Aufführung des „Rheingold“
0263verliert Deutschland eine interessante Curiosität, aber nimmer-
0264mehr ein lebensfähiges Bühnenstück. Wenn der sich selbst als
0265Wagner-Enthusiast“, bekennende Musikreferent des Nürn-
0266berger „Correspondenten“ dem „Rheingold“ „im günstigsten
0267Fall kaum einen Succès d’estime
“ prophezeite, so hat
0268er die Ueberzeugung aller unbefangenen Besucher der General-
0269probe ausgesprochen. Kaum wird eine zweite Bühne sich zur
0270Aufführung dieses bis zur Thorheit kostspieligen und mühe-
0271vollen Werkes entschließen, dessen musikalischer Dürre keine
0272normal organisirte Hörerschaft Stand halten kann. Was wir
0273zumeist bedauern, ist, daß Direction und Künstler des Mün-
0274chener Theaters den Lohn ihrer sechsmonatlichen Anstrengungen
0275nicht ernten sollen. Die Hälfte der Kosten und Mühsal, welche
0276für das nunmehr stumm versinkende „Rheingold“ aufgewendet
0277wurden, hätte ausgereicht, München ein Jahr lang mit Mu-
0278steraufführungen der besten classischen Opern zu versehen.