0002Ed. H. Herr Hofcapellmeister Herbeck hat vorgestern
0003(in der „Mignon“) zum erstenmale im Hofoperntheater diri-
0004girt und ist bei seinem Erscheinen am Dirigentenpulte lebhaft
0005begrüßt worden. Eine bedeutungsvolle, in ihren Folgen noch
0006ungewisse Wendung vollzieht sich damit in Herbeckʼs Laufbahn
0007und erregt das Interesse des Publicums wie der Kritik. Ein
0008Theil der Presse hat allerdings schon im Juli, als Herbeckʼs
0009Berufung „zur Theilnahme an der Leitung des Hofopern-
0010theaters“ bekannt wurde, einen triumphirenden Jubelhymnus
0011intonirt. Wir werden gerne einstimmen, sobald hinreichende
0012Thatsachen dazu berechtigen; für jetzt scheint es uns dazu
0013noch zu früh. Ein ausgezeichneter Concert-Dirigent zu sein
0014und ein vortrefflicher Bühnenleiter, das sind zwei sehr ver-
0015schiedene Dinge. Herbeckʼs glänzende Begabung und musikalische
0016Tüchtigkeit, sowie seine großen Verdienste um das Wiener
0017Concertleben kennen wir Alle, sie wurden speciell in diesen
0018Blättern oft genug beleuchtet. Was wir somit genau ab-
0019schätzen können, ist die Größe des Verlustes, welcher uns
0020durch Herbeckʼs Abdication als Director der Gesellschaftscon-
0021certe, des Männergesang- und des Singvereines trifft. Ob
0022es ihm möglich sein werde, als musikalischer Leiter des Opern-
0023hauses ebenso Bedeutendes zu leisten, uns also jenen Verlust
0024durch einen gleich großen Gewinn aufzuwiegen, kann erst die
0025Zukunft lehren. Wir haben Herbeck in seiner neuen Stel-
0026lung mit jenem achtungsvollen Vertrauen entgegenzukommen,
0027welches er durch seine Concertleistungen so reichlich verdient.
0028Daß man der Sache oder Herrn Herbeck selbst einen Dienst
0029damit erweist, indem man ihn, den Neuling im Theater-
0030wesen, jetzt schon als den rettenden Messias unserer Oper
0031feiert, möchten wir bezweifeln. Die Berufung Herbeckʼs an
0032das Hofoperntheater hat zwei Seiten, eine sehr erfreuliche
0033und eine mindestens noch ungewisse, bedenkliche. Betrachten
0034wir sie unbefangen alle beide. Die lichte Seite erblicken wir
0035in dem Gewinne eines so ausgezeichneten Capellmeisters
0036für die Oper. Die Aufgabe eines solchen wird Herbeck vor-
0037trefflich erfüllen; selbst die ihm noch ungewohnten dramatisch-
0038musikalischen Elemente, das Eingehen in die verschiedenen, ihm
0039bisher ferngelegenen, auch wol unsympathischen Style der
0040französischen und italienischen Oper werden einem so geschmei-
0041digen Talente wenig zu schaffen geben. Die Oper „Mignon“
0042(welche er übrigens von Esser vortrefflich einstudirt mit
0043der gewohnten Besetzung überkam) ging unter Herbeckʼs Lei-
0044tung äußerst präcis zusammen. Sein wesentlichstes Ver-
0045dienst war wol die Veranstaltung mehrerer Chorproben und
0046zweier completer Orchesterproben, während man sonst bei uns
0047derlei Repertoire-Opern auch nach monatelanger Pause ohne
0048Probe auf gut Glück aufzuführen pflegt. Dadurch gewann
0049„Mignon“ die Präcision und Lebendigkeit einer ersten Vor-
0050stellung, bot auch hie und da einen kräftigeren Chor-Effect,
0051eine zartere Begleitungsstelle. Die Aufführung war ganz vor-
0052züglich, und das ist wol des Lobes genug. Wenn hingegen
0053übereifrige Freunde Herbeckʼs behaupten, Herbeck und
0054erst Herbeck habe „aus diesem musikalischen Rauch
0055Flammen zu ziehen gewußt“, habe „Kohlen in Gold
0056verwandelt“ und einen „ganz gewöhnlichen Gassenhauer“
0057(die Ouvertüre) so zu dirigiren verstanden, „daß das Audi-
0058torium wirklich etwas zu hören glaubte“, so können wir solcher
0059Uebertreibung unmöglich beipflichten. Es liegt in derselben
0060einmal ein principielles Ueberschätzen dessen, was ein Capell-
0061meister aus der von ihm dirigirten Musik überhaupt schaffen
0062kann, sodann eine wahrhaft bedauerliche Kränkung des frühe-
0063ren Dirigenten der „Mignon“, Heinrich Esser. Sich jetzt
0064nachsagen zu lassen, daß er nicht einmal die Ouvertüre zu
0065„Mignon“ zu dirigiren verstand, in welcher man erst seit
0066vorgestern „wirklich etwas zu hören glaubt“, das hat der
0067treffliche Mann wahrlich nicht verdient. Wir halten das Aus-
0068scheiden Esserʼs aus dem Hofoperntheater für einen großen
0069Verlust, mögen nun hinter ihm so viel neue Sterne auf-
0070tauchen, als nur immer wollen. Esser scheint diese freund-
0071schaftlichen Marseillaisen im Geiste vorausgehört zu haben,
0072als er sofort nach Herbeckʼs Anstellung seine Entlassung nahm.
0073Herbeck selbst ist an letzterer ohne Zweifel unschuldig, möchte
0074die Journalistik sich dasselbe Zeugniß geben können. Esser
0075hat in der Stellung, die jetzt Herbeck einnimmt, sich so große
0076Verdienste um das Operntheater erworben, daß nur Unkennt-
0077niß oder Undank den Verlust dieses ebenso feingebildeten
0078und erfahrenen als charaktervollen Künstlers leicht hinneh-
0079men kann.
0080Ein eigenthümlich gemischter Charakter, eine Art Dop-
0081pelleben macht sich in jeder Opernleitung geltend. Diese be-
0082greift zwei verschiedene Elemente, welche aber fortwährend in-
0083einandergreifen: die Musik und das Theater. Die rein musi-
0084kalische Bildung läßt sich aus einem anderen Wirkungskreise
0085importiren, und wer die schwierigsten Symphonien und Can-
0086taten so meisterhaft vorführt wie Herbeck, der wird auch eine
0087Meyerbeerʼsche Oper (sofern ihm Lust und Interesse dafür
0088nicht ausgehen) zu dirigiren verstehen. Anders ist es mit dem
0089specifisch Theatralischen, worunter wir nicht blos die Regie
0090und Inspection verstehen, sondern die Beurtheilung und Rea-
0091lisirung des theatralisch Zweckmäßigen und Wirksamen in je-
0092dem bestimmten Fall. Wenn irgend etwas, so istʼs das Büh-
0093nenwesen, das praktisch erlernt sein will. Ohne genaue
0094Kenntniß des Theaters, ohne zahlreiche Erfahrungen und Ver-
0095suche daselbst ist Niemand, und wäre er der genialste Musiker,
0096ein guter Theater-Director geworden. Es ist nicht bekannt,
0097daß Herbeck auch nur ein lebhafteres Interesse für das Theater
0098gehegt hätte, bevor er Mitdirector der Hofoper wurde. Die
0099Bühne ist ihm eine neue Welt. Gewandt und energisch wie
0100er ist, wird Herbeck vielleicht schneller als ein Anderer sich
0101das Technische des Bühnenwesens aneignen. Ob er für die
0102Leitung eines Operntheaters dasselbe Talent und dieselbe
0103Begeisterung besitzt, wie für die Ausführung symphonischer
0104Werke, ob er in seiner neuen Stellung nicht blos genügen,
0105sondern excelliren werde wie vorher, das muß die Folge zei-
0106gen. Da läßt sich nichts escomptiren. Aber nicht blos die
0107technische Complication ist es, welche das Amt eines Theater-
0108Directors so schwierig macht, sondern eine Kette von
0109psychologischen Hemmungen, denen gerade die feurig-
0110sten Künstlernaturen sich am seltensten gewachsen zeigen. Der
0111Beruf eines Concert-Dirigenten, der künstlerisch autonom, [2]
0112nach Oben und Unten frei, die höchsten Schöpfungen der Ton-
0113kunst nachschafft, dieser Beruf ist ein idealer gegen jenen eines
0114Operndirectors. Das Theater-Publicum, welches jeden Abend
0115amüsirt sein will, hat andere Bedürfnisse und Ansprüche, als
0116ein sechs- bis achtmal des Jahres sich versammelnder Kreis
0117von ernsten Musikfreunden. Will der frühere Concert-Diri-
0118gent seinen idealen Standpunkt in die Oper hinüberretten, so
0119wird er ein unbrauchbarer Theater-Director und ein unglückli-
0120cher Mensch. Meyerbeer, Gounod, Donizetti, Verdi und wie
0121sie Alle heißen, die der strenge Musiker zu ignoriren oder zu
0122verachten pflegte, er hat sie nun selbst aufzuführen, oft mit
0123allem Aufgebote seiner Kraft in zahlreichen Wiederholungen.
0124Soll sein Institut bestehen, so muß der Operndirector dem
0125Publicum und den Sängern eine Summe von Concessionen
0126machen, zu denen er als Concertleiter sich niemals herbeilas-
0127sen würde und auch nicht herbeizulassen braucht. Er muß
0128seinem früheren streng künstlerischen Standpunkt untreu, muß
0129musikalisch ein Anderer werden. Damit zerfließt für uns die
0130Illusion, Herbeck werde uns als Theater-Director derselbe
0131bleiben, dasselbe für die echte Kunst leisten, denselben musika-
0132lisch veredelnden Einfluß üben, wie bisher als Director unse-
0133rer großen Concert-Institute. Herbeck verläßt ein Fach, in
0134welchem er Meister und durch Niemanden zu ersetzen ist, für
0135ein anderes, das er erst studiren muß, und das mancher An-
0136dere, ihm musikalisch Untergeordnete, vielleicht eben so gut aus-
0137füllt. Wir verlieren durch seinen Uebertritt ein gewisses Gut
0138um eines noch ungewissen willen. Denn daß Herbeck neben
0139der Opern-Direction und der Leitung der Hofcapelle auch noch
0140seine Concerte fortführen könne, dünkt uns eine Unmöglichkeit.
0141Die Direction eines großen Operntheaters verlangt den gan-
0142zen Mann. Mitunter bricht sie auch den ganzen Mann. In
0143dieses Getriebe von kleinlichen Leidenschaften, von unvermeidli-
0144chen Concessionen an das Schlechte und aufreibenden Käm-
0145pfen um das Gute findet sich eine echte Musikernatur am
0146schwersten, und ist sie endlich damit befreundet, so hat sie es
0147an ihrer Künstlerschaft gebüßt.
0148Neben den an jeder Bühne vorkommenden Mißständen
0149gibt es bei einem Hoftheater noch ganz besondere; sie fließen
0150aus der Unterordnung des Directors unter eine Hofstelle.
0151Während ein Privatdirector oder Pächter frei nach seiner
0152Ueberzeugung schaltet, hat bei uns der Director der Oper
0153(wie des Burgtheaters) zwei Instanzen über sich: den Inten-
0154danten und den kaiserlichen Obersthofmeister. Er muß sich
0155ihren Befehlen fügen, auch ihrem bloßen Wunsche Opfer brin-
0156gen, die seine künstlerische Ueberzeugung oft schwer bedrücken,
0157ohne deßhalb seine Verantwortlichkeit vor der öffentlichen
0158Meinung im mindesten zu erleichtern. Wenn wir bei diesen
0159Oberbehörden auch nur die besten Absichten voraussetzen, so
0160kann es an Fällen widerstreitender Meinung doch nicht fehlen.
0161Man lese Laubeʼs Geschichte seiner Burgtheater-Direction;
0162sie war ein unausgesetzter Kampf gegen die Ansichten seiner
0163Hofbehörde und endete damit, daß Laube ging, als diese seinen
0164artistischen Wirkungskreis auf ein Minimum einschränken
0165wollte. Es gehört eine kaltblütige Festigkeit, ein trotziger Un-
0166abhängigkeitssinn wie Laubeʼs dazu, jahrelang das blanke
0167Schwert seiner geistigen Ueberlegenheit vor sich hinzuhalten,
0168ungerührt von der Macht wie von der Liebenswürdigkeit der
0169hohen Herrschaften. Ob Herbeck, bekanntlich ein Liebling in den
0170betreffenden Hofkreisen, diese Widerstandskraft nach Oben besitze,
0171dies und vieles Andere wird erst eine spätere Zeit lehren.
0172Darum halten wir es, bei aller Achtung vor Herbeckʼs Ta-
0173lent und Verdiensten, für verfrüht, jetzt schon ein neues gol-
0174denes Zeitalter der Oper vom Tage seiner Anstellung zu da-
0175tiren. Die nächste Zukunft erscheint uns übrigens in ganz
0176freundlichem Lichte. Herbeck wird seine neue Aufgabe
0177mit ungemeinem Eifer anfassen und dadurch einen erhöh-
0178ten Pulsschlag in den Organismus des Instituts bringen. An
0179angestrengte Arbeit gewöhnt, wird er auch von den Mitglie-
0180dern der Oper eine größere Thätigkeit verlangen. Sein künst-
0181lerischer Ehrgeiz wird dafür sorgen, daß jede ihm anvertraute
0182Vorstellung nur sorgfältig vorbereitet vorʼs Publicum trete.
0183Dies wird seinerseits mit Vorliebe einen Mann am Diri-
0184gentenpulte sehen, der niemals blasirt, nachlässig oder gelang-
0185weilt erscheint. Da Herbeck blos zu dirigiren braucht, was
0186und wann es ihm gefällt, so werden seine Aufführungen das
0187Gepräge des Enthusiasmus tragen. Möge nur dieser Enthu-
0188siasmus in ihm selbst lange vorhalten!
0189Wie sich Herbeckʼs Verhältniß zu dem Director v. Din-
0190gelstedt gestalten werde, ist eine delicate Frage, für deren
0191Beantwortung noch jeder Anhaltspunkt fehlt. Falls die beiden
0192Männer einander verstehen und redlich unterstützen, kann ihr
0193Zusammenwirken nur gute Früchte tragen. Der Eine bedarf
0194des Anderen, Dingelstedt ist ein kenntnißreicher, erprobter Thea-
0195tervorstand, aber kein Musiker, Herbeck versteht die Musik,
0196aber nicht die Bühne. Dingelstedt hat in Weimar, in Mün-
0197chen und bei allen ersten Vorstellungen in Wien gezeigt, was
0198er kann, wenn er will. Ein großes Bühnentalent und Mei-
0199ster der Scenerie, leitet er vortrefflich, was und so lange es
0200ihn interessirt. Reprisen und ältere, nicht von ihm scenirte
0201Vorstellungen hingegen überläßt er meist führerlos ihrem guten
0202Stern. Aus solchen Aufführungen fühlt man mitunter den
0203Quietismus des Directors empfindlich heraus und glaubt sein
0204ironisch lächelndes „Was liegt daran!“ zu hören. Unter
0205dieser Devise hat Dingelstedt die Barbarei des Hervorrufes
0206bei offener Scene zu einer Blüthe gebracht, welche bereits den
0207ausländischen Journalen zum Gespötte dient. Einen neuen
0208Beitrag lieferte die letzte Vorstellung von „Mignon“, wo
0209sämmtliche Sänger mit stattlichen Schnurrbarten erschienen,
0210nachdem einige Monate vorher Dingelstedt selbst (mit vollem
0211Recht) den Rasirbefehl hatte ergehen lassen. Wenn damals
0212„etwas daran lag“, warum denn jetzt nicht? Es ist leicht
0213möglich, daß Herbeckʼs sprichwörtliche Energie die zeitweis
0214einnickende Thatkraft Dingelstedtʼs zu erfreulichem Wettkampf
0215ansporne, und daß (Schopenhauerisch zu sprechen) Dieser
0216von Jenem den „Willen“ lerne, sowie jener von Diesem die
0217„Vorstellung“. Die beiden Directoren des Hofoperntheaters
0218sind wie gemacht, einander zu unterstützen und zu ergänzen.
0219Hoffen wir, daß vorläufig der eine aus den Kenntnissen des
0220andern freundschaftlich schöpfen werde, ohne die Quelle selbst
0221zu untergraben.