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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 4682. Wien, Freitag, den 7. September 1877

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Grillparzer und die Musik. II.


0002Ed. H. In Bezug auf sein musikalisches Leben läßt
0003uns Grillparzer’s autobiographisches Fragment leider bald
0004im Stiche. Aber wir brauchen nur seine Werke aufzuschlagen,
0005da läuft uns der klingende Faden, der sich durch sein ganzes
0006Leben spinnt, von selbst durch die Finger. Hat doch die Ton-
0007kunst dem jungen Dichter zuerst die Zunge gelöst: ein
0008längeres Gedicht „An die Musik“ in reimlosen Versen ist
0009das Erste, was von Grillparzer in die Oeffentlichkeit kam.
0010(“Sei mir gegrüßt, o Königin! Mit der strahlenden Herr-
0011scherstirne, mit dem lieblich tönenden Munde!“) Diese
0012Jugendarbeit, mit späteren stoffverwandten Gedichten Grill-
0013parzer’s nicht zu vergleichen, webt doch schon manch glän-
0014zenden, neuen Gedanken in den alten Stoff; wie die Musik
0015den Menschen von der Wiege bis zum Grab begleitet in
0016allen bedeutsamen Lebensmomenten. Noch ein zweites, kürzeres
0017Gedicht richtet Grillparzer „An die Tonkunst“ und preist sie
0018darin als „die freieste, einzig freie“ unter den Künsten. Das
0019Wort lasse sich fangen, die Gestalt deuten — „Aber
0020du spricht höhere Sprachen, die kein Häscherchor versteht —
0021Ungreifbar durch ihre Wachen, gehst du wie ein Cherub
0022geht“. In diesem schönen Gleichniß regt sich schon der Grund-
0023gedanke von Grillparzer’s musikalischer Aesthetik: die Selbst-
0024verständlichkeit und Selbstherrlichkeit aller echten Musik. Wir
0025werden dieses Glaubensbekenntniß in den verschiedensten
0026Wendungen, in Versen und in Prosa bei Grillparzer wieder-
0027kehren sehen.


0028Von Grillparzer’s Gedichten sind sehr wenige componirt
0029worden, sie locken auch heute noch selten einen Tondichter.
0030Grillparzer’s Poesie schreitet zu gedankenschwer, zu wenig spielend
0031und klingend, um eigentlich musikalisch heißen zu können.
0032Rein liedmäßige Lyrik im Sinne Goethe’s oder Heine’s
0033aus welcher schon die Melodienknospe guckt, finden wir bei Grill-
0034parzer äußerst selten. Selbst in seinen Liebesliedern und Stim-
0035mungsgedichten nimmt die Empfindung im Weiterströmen 
0036gern bildliche und reflectirte Elemente auf, welche den Com-
0037ponisten leicht abschrecken oder doch abkühlen. Und doch war
0038der Dichter selbst so musikalisch! Er stellte eben ganz andere,
0039fast entgegengesetzte Forderungen an die Musik und an die
0040Poesie: in dieser sollte der Gedanke, in jener die schöne
0041Sinnlichkeit vorherrschen. Härten, wie er sie in manchen
0042seiner Gedichte, dem Gedanken zulieb, stehen ließ, hätte
0043Grillparzer in einem Musikstück schwerlich vertragen. Als
0044Musikkundiger stand er indessen bei den Wiener Tonkünstlern
0045in großem Respect und hat ihnen auch willig manche poetische
0046Handreichung gewährt. Weigl, der Componist der
0047Schweizerfamilie“, wünschte einen Operntext „Sappho“ von
0048Grillparzer, und gab ihm damit die Anregung zu der Tra-
0049gödie gleichen Namens. Für Beethoven schrieb Grill-
0050parzer den Operntext „Melusina“, für Franz Schubert 
0051zwei Gedichte : „Ständchen“ („Zögernd, stille“) und
0052Mirjam’s Siegesgesang, für Franz Lachner die Can-
0053tate „Weihgesang“. *) Von neueren Componisten ist mir
0061nur Engelsberg bekannt, der (zum Grillparzer-
0062Jubiläum) ein Grillparzer’sches Gedicht: „Als ich
0063noch jung war“, für Männerchor gesetzt hat. Grill-
0064parzer dichtete nur selten für Musik, aber gerne von und
0065über Musik. Mozart, Beethoven, Schubert feierte
0066er in Gedichten, auf die wir noch zurückkommen. Aber nicht
0067blos schaffende, auch reproducirende Tonkünstler von geistigem
0068Adel wecken in ihm ein poetisches Echo. Obenan stehen in
0069dieser Gruppe die Gedichte an Jenny Lind und Clara
0070Wieck. Die mit Grauen gemischte Bewunderung, die
0071Paganini’s Spiel ihm einflößt, entfesselt er in der pracht-
0072vollen Apostrophe an den bekanntlich von unheimlichen Ge-
0073rüchten umschwirrten Geiger: „Du wärst ein Mörder nicht?
0074Selbstmörder du! — Was öffnest du des Busens stilles
0075Haus — Und jagst sie aus, die unverhüllte Seele — Und 
0076wirfst sie hin, den Gaffern eine Lust?“ Die späteren Erschei-
0077nungen einer ihm widerwärtigen überreizten Romantik entlocken
0078ihm manchen satyrischen Vers. Köstlich ist sein „Chor der Wiener
0079Musiker beim Berlioz-Fest 1846“, dessen Schneide sich
0080weniger gegen den französischen Componisten, als gegen dessen
0081ihm überall nachschleppende Bewunderungs-Clique kehrt.
0082(„Und fehlt uns etwa das Talent — Genie lacht der Ge-
0083meinheit — D’rum Nullen, schaart so viel ihr könnt — Euch
0084um die fremde Einheit!“) Von den in der Gesammt-Aus-
0085gabe ohne Namensüberschrift erscheinenden boshaften Epi-
0086grammen war eines auf Dr. Alfred Becher**) , das andere
0091auf Richard Wagner***) gemünzt. Zu den sinnigsten und
0096rührendsten Gedichten Grillparzer’s gehört das „Am Grabe
0097Mozart’s des Sohnes“ (1844). Er ruft diesem ohne
0098Erfolge früh verstorbenen Componisten nach: „Daß Keiner
0099doch dein Wirken messe — Der nicht der Sehnsucht Stachel
0100kennt — Du warst die trauernde Cypresse — An deines
0101Vaters Monument.“ Ueberraschend, vielleicht gar befremdend
0102wird Manchen Grillparzer’s Gedicht über das Stabat mater 
0103von Rossini erscheinen, worin er Partei nimmt für diese
0104Composition gegen das kühle kritische Verhalten des Wiener
0105Publicums. Es schmerzte ihn, daß die Wiener der blühenden
0106Schönheit dieser Musik sich nicht unbefangen hingeben, sich
0107nicht „einen Augenblick selbst vergessen wollten in des Ge-
0108nusses Glück“. Er sieht schon die scharfe Verstandesrichtung
0109Norddeutschlands, „die kalte Nebelnacht“ auch über sein
0110Oesterreich hereinbrechen und schließt mit der bitteren Klage:


0111Ein’s aber ging verloren, Ein’s /
0112Der Unschuld Glück, o Oestreich, dein’s! /


0113Von den großen Wiener Tondichtern haben Beethoven 
0114und Schubert persönlich mit Grillparzer verkehrt. Die In-
0115dividualität Schubert’s hat der Dichter in einem kurzen [2]
0116Gedicht zu zeichnen versucht, das zwar die Bedeutung Schu-
0117bert’s nicht entfernt erschöpft, aber doch zwei charakteristische
0118Züge: die gesunde Originalität seines Talents und seine um
0119Lob und Tadel unbekümmerte Behaglichkeit, geistvoll auffängt.
0120(„Schubert heiß’ ich, Schubert bin ich — Und als solchen
0121geb’ ich mich“ etc.) Außer diesen Versen besitzen wir keinen
0122einzigen Ausspruch Grillparzer’s über Franz Schubert. Weder
0123in der Selbstbiographie noch in den Tagebuchblättern Grill-
0124parzer’s ist der Name Schubert genannt. Ebensowenig weiß
0125uns Kreißle’s fleißig zusammengestellte Schubert-Biographie 
0126etwas über das persönliche Verhältniß beider Männer zu
0127sagen. Hoffen wir, daß die von Joseph Weilen zu erwar-
0128tende BiographieGrillparzer’s diese und andere Lücken
0129unserer Kenntniß ausfüllen werde. Ich selbst habe leider nie
0130das Glück gehabt, mit Grillparzer zu sprechen — eine un-
0131überwindliche schüchterne Ehrfurcht vor dem kränklichen,
0132menschenscheuen Dichter hielt mich zu meinem Schaden von
0133jedem Versuche zurück, seine Einsamkeit zu stören.


0134Am wichtigsten ist uns jedenfalls Grillparzer’s Verhält-
0135niß zu Beethoven, persönlich wie künstlerisch. In ersterer
0136Hinsicht hat Grillparzer selbst in einem eigenen Aufsatz das
0137Wichtigste zusammengefaßt. Schon in seinen Knabenjahren
0138hatte er Beethoven (zugleich mit Cherubini und Abbé Vogler)
0139in einer Abendgesellschaft bei seinem Onkel Sonnleithner ge-
0140sehen; in Heiligenstadt wohnte die Familie Grillparzer mit
0141Beethoven in demselben Hause. Hier wiederholte Beethoven 
0142den in seiner Biographie etwas häufig vorkommenden Auf-
0143tritt: er schlug wüthend das Clavier zu, als er eines Tages
0144bemerkte, daß Frau Grillparzer auf dem gemeinsamen Gange
0145(nicht etwa an seiner Thür) seinem Spiele zuhörte, und be-
0146rührte das Instrument den ganzen Sommer hindurch nie
0147wieder. Persönlich bekannt mit Beethoven wurde Grillparzer 
0148erst, nachdem er mit seinen vier ersten Tragödien erfolgreich
0149die Oeffentlichkeit betreten hatte. Da äußerte Beethoven den
0150Wunsch, Grillparzer möchte für ihn einen Operntext dichten,
0151und ließ durch den Grafen Moriz Dietrichstein deßhalb bei
0152dem Dichter anfragen. „Diese Anfrage,“ erzählt Grillparzer,
0153„setzte mich in nicht geringe Verlegenheit. Einmal lag mir
0154der Gedanke, je ein Opernbuch zu schreiben, an sich schon
0155fern genug, dann zweifelte ich, ob Beethoven, der unterdessen 
0156völlig gehörlos geworden war und dessen letzte Compositionen,
0157unbeschadet ihres hohen Werthes, einen Charakter von Herbig-
0158keit angenommen hatten, der mir mit der Behandlung der
0159Singstimmen in Widerspruch zu stehen schien — ich zweifelte,
0160sage ich, ob Beethoven noch im Stande sei, eine Oper zu
0161componiren. Der Gedanke aber, einem großen Manne
0162vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeden Fall höchst
0163interessanten Werke zu geben, überwog alle Rück-
0164sichten, und ich willigte ein.“ Die Bereitwilligkeit,
0165womit Grillparzer, trotz seiner sehr gegründeten Be-
0166denken, Beethoven’s Wunsch erfüllte und sogar bemüht
0167war, in dem Opernbuch „Melusina“ „sich den Eigenthüm-
0168lichkeiten von Beethoven’s letzter Richtung möglichst anzu-
0169passen“ — sie beweist besser als alle Betheuerungen, wie
0170sehr GrillparzerBeethoven verehrte. Seine Ahnung von der
0171Fruchtlosigkeit dieser Arbeit ist trotzdem in Erfüllung gegan-
0172gen: Beethoven hat von Grillparzer’s „Melusina“ nicht Eine
0173Note componirt, obgleich er dem Dichter wiederholt ver-
0174sicherte, er habe die Oper fertig (in seinem Kopf wahrschein-
0175lich). Es ist eine neue und wie mir scheint sehr scharf-
0176blickende Bemerkung Grillparzer’s, daß es doch Weber’s 
0177Erfolge gewesen sein dürften, die in Beethoven den Gedanken
0178hervorriefen, selbst wieder eine Oper zu schreiben. „Er hatte
0179sich aber,“ fügt Grillparzer hinzu, „so sehr an einen unge-
0180bundenen Flug der Phantasie gewöhnt, daß kein Opernbuch
0181der Welt im Stande gewesen wäre, seine Ergüsse in gegebe-
0182nen Schranken festzuhalten.“ So verblieb denn in der That
0183das Libretto unberührt auf Beethoven’s Tisch und hat erst
0184nach dessen Tode einen Componisten in der Person Conradin
0185Kreutzer’s gewonnen. Bestimmung und Schicksal der
0186Grillparzer’schen „Melusina“ finden später eine seltsame
0187Analogie in der von Emanuel Geibel für Mendels-
0188sohn
gedichteten „Loreley“. Hier wie dort schreibt ein hoch-
0189gefeierter Poet ganz ausnahmsweise einen Operntext für den
0190größten seiner musikalischen Zeitgenossen. Was erwartete
0191man nicht Alles von dem Zusammenarbeiten Beethoven’s
0192mit Grillparzer, Mendelssohn’s mit Emanuel Geibel! In
0193beiden Fällen kam es zu keinem Resultat. An den ver-
0194waisten Webstuhl des musikalischen Genies setzte sich das
0195weltläufige Talent — dort Conradin Kreutzer, hier 
0196Max Bruch — die Welt hat aber wenig Notiz genommen
0197von ihrem Gespinnst. Noch an eine dritte, fast ans Komische
0198streifende Analogie könnte man hier erinnern: an den Opern-
0199text, den Rubinstein von Friedrich Hebbel bestellte,
0200empfing — und als gänzlich unbrauchbar liegen lassen mußte.


0201Grillparzer erzählt uns weiter von einem Besuch bei
0202Beethoven auf dem Lande, von dessen Hauswesen oder —
0203-Unwesen in der Stadt. Endlich, wie er durch Schindler von
0204Beethoven’s täglich zu erwartender Auflösung benachrichtigt
0205und gebeten wird, eine Grabrede für die Leichenfeier zu ver-
0206fassen. Grillparzer war umsomehr erschüttert, als er kaum
0207etwas von der Krankheit Beethoven’s wußte, suchte jedoch
0208seine Gedanken zu ordnen und begann am nächsten Morgen
0209die Rede niederzuschreiben. „Ich war,“ erzählt er, „in die
0210zweite Hälfte gekommen, als Schindler wieder eintrat, um
0211das Bestellte abzuholen, denn Beethoven sei eben gestorben.
0212Da that es einen starken Fall in meinem Innern, die
0213Thränen stürzten mir aus den Augen, und wie es mir auch
0214bei sonstigen Arbeiten ging, wenn wirkliche Rührung mich
0215übermannte, ich habe die Rede nicht in jener Prägnanz voll-
0216enden können, in der sie begonnen war.“ Man kennt die
0217von der ganzen Größe des Moments gehobene, zugleich von
0218persönlichen Antheil leise durchzitterte Grabrede, welche
0219Anschütz auf dem Währinger Friedhofe sprach. Einen ab-
0220schließenden Nachtrag zu diesen „Erinnerungen“ beginnt Grill-
0221parzer mit den Worten: „Ich habe Beethoven eigentlich
0222geliebt.“ Dieser schlichte Satz hat für meine Empfindung
0223etwas unsäglich Rührendes. Wie charakteristisch ist dieses
0224„eigentlich“ für Grillparzer! An der Stelle, wo es vielleicht
0225jeden Andern zu starkem, feurigem Ausdruck hingerissen hätte,
0226begnügt sich Grillparzer mit „eigentlich“. Wie immer will
0227er die ganze Wahrheit sagen, aber auch nicht mehr als die
0228Wahrheit. Daß er Beethoven liebte, hat er bewiesen; nicht
0229Viele dürften zu jener Zeit behaupten, sie hätten Beethoven 
0230„eigentlich geliebt“. Bewundert und geehrt haben sie ihn,
0231aber auch gefürchtet und gemieden. Er wäre sonst nicht so
0232vereinsamt gestorben.


0233Grillparzer hat nicht blos den Menschen Beethoven, er
0234hat auch den Tondichter „eigentlich geliebt“. Wir wissen von
0235seiner nächsten Umgebung, wie gern und viel er Beethoven [3]
0236spielte, mit Ausschluß der letzten Werke. In vielen seiner
0237Aussprüche über Beethoven deutet er allerdings nachdrücklich
0238auf die Schatten dieses mächtigen Lichtkörpers, Schatten, die
0239ihm und seinen Zeitgenossen dunkler erscheinen mußten, als
0240uns Nachgeborenen. Der Uebereifer, mit welchem Beethoven 
0241nach seinem Tode auf Unkosten Mozart’s gepriesen wurde,
0242noch mehr das spätere fanatische Emporheben der letzten
0243Werke Beethoven’s über alle seine früheren Tondichtungen
0244reizte Grillparzer zur Opposition. Wie Grillparzer von sich
0245selbst bekennt (und Mancher von uns ja ganz gleich an sich
0246erlebt), er fühlte sich sofort zu kritischer Schärfe gegen jeden
0247vermeintlich überschätzten Künstler aufgestachelt und wieder
0248umgekehrt zu vertheidigender Sympathie für irgend ein un-
0249billig verkleinertes oder angefeindetes Talent. So ruft er
0250denn auch den „Beethovomanen“ zu:


0251Ich sähe, glaubt ihr, auf Beethoven schief? /
0252Als ob zu meinem Ohr nicht seine Zauber reichten? /
0253Mir graut nur vor dem Wörtlein: tief, /
0254Vor Allem aus dem Mund der Seichten. /


0255Ein längeres Gedicht von Grillparzer, wahrscheinlich
0256bald nach Beethoven’s Tod geschrieben, malt dessen Ankunft
0257im Elysium. Nach einem grandiosen Eingange, der an den
0258Sturm einer Beethoven’schen Introduction erinnert („Auf-
0259wärts! Aufwärts! — Kreis an Kreis — Welt an Welt
0260vom Schwunge heiß!“), folgt die Schilderung des Elysiums,
0261wie ein freundliches, vielleicht etwas altmodisches Rondo.
0262Bach, Händel, Haydn begrüßen unseren verewigten Meister,
0263sogar Cimarosa und Paisiello; „da theilt plötzlich sich die
0264Menge, und der Glanz wird doppelt Glanz: Mozart 
0265kommt im Siegeskranz“. Und hier, mit dem Eintritte Mo-
0266zart’s, erhält auch Grillparzer’s Poesie wieder doppelten
0267Glanz; sie läßt Mozart die prachtvollen Worte zu Beethoven 
0268sprechen:


0269Wer auch Richter über dir? /
0270Starke Könige der Seelen, /
0271Lassen wir vom Volk uns wählen, /
0272Doch, gewählt, gebieten wir. /


0273Auch die großen Dichter nahen sich, Shakspeare, Klop-
0274stock, Dante, Tasso — denn „gleich den Besten“ sei Beethoven 
0275geehrt. Daß eine große Persönlichkeit wie Beethoven auch
0276wagen dürfe, was Anderen nicht zusteht, hat Grillparzer 
0277stets bekannt: „Es ist dein, was du genommen — Und dein
0278Wagen ist dein Werth.“ Er fürchtete blos, mit richtiger
0279Vorahnung, daß die nachfolgenden Componisten den meteor-
0280gleichen Flug Beethoven’s für eine ihnen jetzt eröffnete
0281Bahn ansehen würden. In einem kürzeren Gedichte:
0282Wanderscene“, schildert Grillparzer einen kühnen Mann,
0283der einsam durch’s Dickicht dringt, einen Strom durchschwimmt,
0284Abgründe überspringt — „als Sieger steht er schon am
0285Ziel, nur hat er keinen Weg gebahnt — Der Mann mich
0286an Beethoven mahnt“.


0287In den eingangs erwähnten ungedruckten Tagebuch-
0288blättern Grillparzer’s findet sich ein kleiner Aufsatz, worin
0289der Dichter sich klar zu werden sucht über „die nach-
0290theiligen Wirkungen Beethoven’s auf die
0291Kunstwelt, ungeachtet seines hohen, nicht
0292genug zu schätzenden Werthes
“. Er bringt diese
0293„Nachtheile“ unter vier (heute doch großentheils antiquirte)
0294Gesichtspunkte, deren prägnantester lautet: „Durch Beethoven’s
0295überlyrische Sprünge erweitert sich der Begriff von Ord-
0296nung und Zusammenhang eines musikalischen Stückes so
0297sehr, daß er am Ende für alles Zusammenfassen zu lose
0298sein wird.“


0299Schon aus Grillparzer’s Urtheilen über Beethoven 
0300leuchtet wie ein verdecktes Licht seine unbegrenzte Verehrung
0301für Mozart. Von allen Tondichtern besaß und behielt
0302Mozart Grillparzer’s höchste Bewunderung und Liebe. Schon
0303in seine Jugend spielten Mozart’s Opern mit dem Humor
0304des Zufalls hinein. Eines der frühesten Bücher, die der
0305Knabe las, war das Textbuch der „Zauberflöte“. Ein
0306Stubenmädchen seiner Mutter besaß es und bewahrte es als
0307heiligen Besitz. Sie hatte nämlich als Kind einen Affen in
0308der „Zauberflöte“ gespielt und betrachtete jenes Ereigniß als
0309den Glanzpunkt ihres Lebens. Außer ihrem Gebetbuche besaß
0310sie kein anderes, als diesen Operntext. „Auf dem Schoße
0311des Mädchens sitzend,“ erzählt Grillparzer, „las ich mit ihm
0312abwechselnd die wunderlichen Dinge, von denen wir Beide
0313nicht zweifelten, daß es das Höchste sei, zu dem sich der
0314menschliche Geist aufschwingen könne.“ Seine erste Liebe —
0315eine geheime Liebe aus der Ferne — hing mit der „Hoch-
0316zeit des Figaro“ zusammen. Es war die Sängerin des 
0317Cherubin, welche „in der doppelten Verklärung der herrlichen
0318Musik und ihrer eigenen jugendlichen Schönheit“ sich seiner
0319ganzen Einbildungskraft bemächtigte. An sie ist eines der
0320ersten und leidenschaftlich-schönsten Gedichte Grillparzer’s
0321(1812) gerichtet. Daß „Don Juan“ ihm das Hohelied aller
0322Opernmusik war, braucht kaum gesagt zu werden. Eine un-
0323gedruckte Bemerkung von Grillparzer’s Hand (aus jenen
0324musikalischen Tagebuch-Notizen) würdigt mit gerechter Ein-
0325sicht auch das Verdienst des Libretto-Dichters mit folgenden
0326Worten: „Wenn der Text zum „Don Juan“ von Mozart 
0327unmittelbar, wie wir nicht zweifeln, aus Molière’s „Festin
0328de Pierre“ gegangen ist, so kann man der Kunst des Be-
0329arbeiters, seiner Kenntniß dessen, was zur Oper gehört, und
0330tiefer Einsicht in das Wesen der Musik nicht genug Ge-
0331rechtigkeit widerfahren lassen. Die Bearbeitung ist ein Muster
0332für alle ähnlichen.“


0333Mozart und kein Anderer mußte Grillparzer’s musi-
0334kalisches Ideal sein, nur Mozart’sche Musik stimmte voll-
0335kommen zu des Dichters reinem Schönheitssinn, zu seinem
0336Cultus classischer Form und edler Anmuth, endlich zu seinen
0337Ueberzeugungen von der aus sinnlicher Schönheit aufquellen-
0338den Kraft der Tonkunst. Einen vollkommeneren poetischen
0339Ausdruck hat die Verehrung für Mozart weder früher
0340noch später gefunden, als in Grillparzer’s Gedicht: „Zur
0341Enthüllung des Mozart-Denkmals in Salzburg“ (1842).
0342Darin ist jeder Vers eine Perle, und sollte das Ganze ein-
0343gerahmt, als musikalischer Haussegen, in dem Arbeitszimmer
0344jedes Musikers hängen. „Nennt ihr ihn groß?“ — fragt
0345Grillparzer —


0346Nennt ihr ihn groß? Er war es durch die Grenze: /
0347Was er gethan und was er sich versagt, /
0348Wiegt gleich schwer in der Wage seines Ruhms; /
0349Weil er nie mehr gewollt, als Menschen sollen. /
0350Tönt auch ein Maß aus Allem, was er schuf. /
0351Und lieber schien er kleiner, als er war, /
0352Als sich zum Ungethümen anzuschwellen. /
0353Das Reich der Kunst ist eine zweite Welt, /
0354Doch wesenhaft und wirklich wie die erste, /
0355Und alles Wirkliche gehorcht dem Maß. /
0356Deß seid gedenk, und mahne dieser Tag /
0357Die Zeit, die Größ’res will und Klein’res nur vermag. /

Fußnoten
  • *)Diese Cantate, zur feierlichen Eröffnung des neuen Musik-
    vereinssaales „unter den Tuchlauben“ bestimmt, wurde daselbst in
    einem Festconcerte am 4. November 1831 aufgeführt. Das Gedicht,
    dessen Anfangsstrophen in meiner „Geschichte des Wiener Concert-
    wesens“ abgedruckt sind, findet sich nicht in der Gesammt-Ausgabe
    von Grillparzer’s Werken, eine Unterlassung, für welche die Heraus-
    geber, meines Erachtens, keinen Tadel verdienen.
  • **)Dein Quartett klang, als ob Einer, /
    Der da hackt in dumpfen Schlägen, /
    Mit drei Weibern, welche sägen, /
    Eine Klafter Holz verkleiner’! /
  • ***)Man sagt, du verachtest die Melodie, /
    Schon das Wort erfüll dich mit Schauer: /
    So ging’s auch dem Fuchs, dem enthaltsamen Vieh, /
    Der fand die Trauben sauer. /