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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 4738. Wien, Samstag, den 3. November 1877

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Zur Erinnerung an Herbeck.


0002Ed. H. Bei der Nachricht von Herbeck’s Tode war uns
0003zu Muthe, als habe der Puls unseres Musiklebens plötzlich
0004zu schlagen aufgehört und stehe still. Herbeck war die be-
0005wegende Kraft, das Perpetuum mobile des Wiener Musik-
0006lebens durch zwanzig Jahre. Kaum ein einziger Zweig dieses
0007vielgliederigen Kunstorganismus, der ihm nicht tief verpflichtet
0008wäre. Die Gesellschaft der Musikfreunde, der Männergesang-
0009Verein, der Singverein, die Hofcapelle — sie stehen als
0010Waisen an seinem Grabe, denn ihm verdanken sie, wenn
0011nicht das Leben selbst, so doch ein neues Leben. Herbeck war
0012überall; darum fragen wir uns noch immer zweifelnd, ob
0013wir ihm wirklich nirgends mehr begegnen sollen? Noch heute
0014grüßt uns von allen Straßenecken sein Name, auf den An-
0015schlagzetteln des ersten Gesellschafts-Concerts; der Tod war
0016schneller bei der Hand, als die sonst so flinken Abreißer ver-
0017fallener Anschlagzettel. Zum letztenmale sprach ich Herbeck 
0018am Sonntag vor seinem Tode. Er schilderte mit froher Be-
0019friedigung die gelungene Aufführung der Schubert’schen Es-
0020dur-Messe, die er soeben in der Hofcapelle dirigirt hatte,
0021erzählte von seinen Plänen für den Winter und ver-
0022sprach, in wenigen Tagen mir die Partitur seiner
0023neuen Symphonie zu bringen. Zum erstenmale in seinem
0024Leben hat er mir nicht Wort gehalten: er kam
0025nicht und wird uns Allen nicht wiederkommen. Wie
0026innig ganz Wien an ihm hing, wie sehr Herbeck nicht
0027blos als Künstler hochgeehrt, sondern als herzvoller Mensch,
0028als treuer Freund geliebt war, das hat seine Leichenfeier be-
0029wiesen. Bei solchen Anlässen neckt uns immer der traurige
0030müßige Gedanke: Warum kann der Verstorbene, der für
0031Ehren- und Liebeszeichen so Empfängliche, nicht einen Augen-
0032blick lang sehen und hören, wie man ihn feiert und betrauert!


0033Ich lernte Herbeck vor zwanzig Jahren in einer Soirée
0034bei Vesque v. Püttlingen kennen, wo er mit gewohnter Ge-
0035fälligkeit die Tenorpartie in einigen Vocalquartetten sang.
0036Das geniale, offene Gesicht, das feurige Auge des jungen
0037Mannes sprachen mich sofort sympathisch an. Es war eine
0038Freude, ihn anzusehen; denn nie ließ er sich anmerken, daß
0039er — damals und lange nachher noch — mit schweren
0040Sorgen kämpfte. Es entspann sich bald zwischen uns ein
0041freundschaftliches Verhältniß, während dessen langer Dauer
0042Herbeck sich immer gleich treu, theilnahmsvoll und liebens-
0043würdig mir erwiesen hat. Selbst wenn ich ihn an seiner ver-
0044wundbarsten Seite verletzt hatte, durch eine, wie er glaubte,
0045unverdient strenge Beurtheilung seiner Compositionen, gestand
0046er mir zwar offen seinen Schmerz darüber, war aber sofort
0047wieder der Alte und ließ nicht die leiseste Erkältung in
0048unserem freundschaftlichen Verkehr aufkommen. Ich hebe
0049diesen Charakterzug hervor, weil er sehr selten und an einem
0050ehrgeizigen Künstler doppelt hoch zu schätzen ist.


0051Vor die Oeffentlichkeit trat Herbeck bekanntlich zuerst
0052als Chormeister des Männergesang-Vereins, sodann des
0053Singvereins. Vordem hatte er, der ehemalige Sängerknabe
0054des Stiftes Heiligenkreuz, die bescheidene Stelle eines Chor-
0055Regenten in der Piaristenkirche bekleidet. Diese Vorschule
0056war nicht bedeutungslos für sein späteres Wirken. Die strenge
0057Zucht geistlicher Musik, in der Herbeck aufgewachsen war,
0058gab ihm, dem im Kampf mit dem Leben früh Gereiften, auch
0059als Künstler jenen festen Halt und Ernst, ohne den wir einen
0060Dirigenten großer classischer Musik uns nicht denken können.
0061In der Leitung der Gesellschafts-Concerte, die vor Herbeck 
0062gerade an dem Mangel solchen Ernstes, an schwankem flitter-
0063haften Virtuosengeist gekrankt hatten, machte sich dieser Unter-
0064schied sofort bemerkbar. Daß Herbeck selbst Sänger war,
0065gedieh ihm und den ihm anvertrauten Chor-Instituten zu
0066großem Vortheil: er kannte alle Geheimnisse des Gesangs-
0067vortrags, schrieb immer sangbar und wirksam für die Stim-
0068men. Seine Chor-Aufführungen waren vielleicht das Beste,
0069was er als Dirigent geleistet hat. Er besaß einen feinen,
0070ausgebildeten Sinn für Klangschönheit und für rhythmische
0071Belebung des Vortrags. Die einfachsten Chorlieder erziel-
0072ten durch ihn eine zauberische Wirkung. Wer könnte die von
0073Herbeck für den Singverein arrangirte Allerseelen-Litanei von
0074Schubert je vergessen oder seine „Kärntnerischen Volkslieder“
0075für fünfstimmigen Männerchor! Ein Strom von mil-
0076dem Wohllaut ergoß sich aus diesen Chören. Auch
0077als Componist scheint mir Herbeck seine glücklichsten Einge-
0078bungen dem Singverein und dem Männergesang-Verein zu
0079verdanken; seine schlicht anspruchslos auftretenden Chöre
0080Wohin mit der Freud’?“ „Mailied“, dann der „Lands-
0081knecht“ und „Marschiren“ fanden größere Verbreitung und
0082dürften sich vielleicht länger behaupten, als seine großen
0083Orchesterwerke. Herbeck’s eminentes Dirigenten-Talent erkannte
0084man am deutlichsten bei den Proben. Wie er da irgend einen
0085neuen Chor aus der ersten rohen Correctheit zu immer be-
0086seelterem Ausdruck herauszuarbeiten verstand, bis das Ganze
0087in feinsten Schattirungen und einheitlicher Rundung glänzte,
0088das muß man selbst mit angesehen haben. Da Herbeck, keine
0089Mühe scheuend, diese Probe doch nicht wie ein lästiges Ge-
0090schäft, sondern voller Lust und Liebe behandelte, so hin-
0091gen die Mitglieder seiner beiden Chorvereine mit unbedingter
0092Folgsamkeit und einer fast zärtlichen Zuneigung an ihm.
0093Durch die Leitung dieser Vereine hatte sich Herbeck auch eine
0094werthvolle, unter uns älteren Oesterreichern nicht allzu häufige
0095Eigenschaft ausgebildet: die Gabe, ohne Vorbereitung öffent-
0096lich zu reden. Bei Feierlichkeiten, Festliedertafeln, auf Kunst-
0097reisen mit dem Männergesang-Verein verstand er es, nicht
0098blos musikalisch, sondern auch rhetorisch sich als das Haupt
0099einer angesehenen Genossenschaft geltend zu machen.


0100Wie dem Musiker in den Proben, so imponirte Herbeck 
0101dem Publicum am meisten in der Beherrschung großer
0102Massen, wie z. B. in jenem Monstre-Concerte in der Winter-
0103Reitschule (1866), worin über 1600 Musiker zusammen-
0104wirkten. Wie wußte er diese Armee zu überschauen, zu-
0105sammenzuhalten, den Tactstock bald hoch aufschwingend wie
0106den Säbel eines Reitergenerals, bald ihn, gleich einem
0107Wurfspieß, gegen die stärksten Accente schleudernd! Jeder
0108einzelne Musiker glaubte, daß Herbeck ihn ansehe, und [2]
0109fühlte sich zugleich geborgen und angefeuert. Als Dirigent
0110großer Massen übte er eine geradezu demagogische Wirkung.
0111Das läßt sich weder nachahmen noch aneignen; das Diri-
0112genten-Genie ist eine angeborene Gabe. Gehör, Gedächtniß,
0113Ausdauer, Kenntnisse und Erfahrung — sie reichen nicht hin,
0114trägt sie nicht wie bei Herbeck die große Mitgift: Per-
0115sönlichkeit
. Mitunter ließ sich Herbeck in seinem Feuer
0116fortreißen zu unschöner, häufig auch unnöthiger Gewaltsam-
0117keit des Tactirens; wir sahen ihn eine Haydn’sche Sym-
0118phonie mit demselben energischen Aufwande dirigiren, wie
0119den Schlußchor der Neunten, eine singende Patrouille com-
0120mandiren, als wär’s ein stürmendes Reiter-Regiment. Dem
0121enthusiastischen und stets nach Enthusiasmus dürstenden
0122Naturell Herbeck’s fiel es schwer, hierin das rechte Maß zu
0123halten, selbst wenn er nachträglich den Uebergriff einsah.
0124Auch einen andern Vorwurf: daß er zu sehr auf den Effect
0125hinarbeite, mußte er, mitunter nicht ganz ohne Grund, ver-
0126nehmen. Das Streben, aus jedem aufzuführenden Tonstücke
0127die größtmögliche Wirkung zu ziehen, ist an sich ein Vorzug;
0128er wird zum Fehler erst dann, wenn Wirkung um jeden Preis
0129oder eine solche Wirkung gesucht wird, die in der Composi-
0130tion selbst nicht liegt, nicht liegen soll. Diese Tendenz nach
0131Effect steckte, als Vorzug und als Fehler, tief in Herbeck’s
0132Wesen, das mit aller Energie auf die Außenwelt gespannt
0133war. Herbeck gehörte nicht in die Classe jener Künstler, die
0134in innerem Schauen und Versenken leben, ihre Kraft aus
0135dem geheimnisvollen, langsamen Reifen von Ideen und
0136Empfindungen ziehen. Er zählte im Gegentheile zu jenen
0137herrischen Charakteren, deren Signatur mehr der Wille als
0138der Intellect ist, die überall rasch und muthig hervortretend
0139handeln und kämpfen müssen. Diese Richtung mochte ihre
0140Gefahren haben — mehr noch für den schaffenden als für
0141den dirigirenden Tonkünstler — aber wir verdanken ihr
0142ohne Frage die hinreißende Wirkung von Herbeck’s besten
0143Aufführungen und sogar die fast räthselhafte Erfahrung,
0144daß unter Herbeck’s Leitung selbst geringere Compositionen
0145und nicht ganz fehlerfreie Aufführungen auf das Publicum 
0146einen gewissen Effect machten, einen größeren Effect jeden-
0147falls, als sie unter einem andern Dirigenten erzielt hätten.
0148Es liefen aus seiner Persönlichkeit elektrische Drähte nach
0149allen Richtungen, ins Publicum wie ins Orchester.


0150Vom Chor stieg Herbeck auf zu den großen Orchester-
0151Concerten. Die Brücke baute er sich im Männergesang-
0152Verein, dessen Concertprogramme er durch große Tonwerke
0153mit Orchesterbegleitung rühmlich erweiterte. Gestützt auf diese Er-
0154folge, vertraute die Gesellschaft der Musikfreunde, anfangs unter
0155starkem Erzittern verschiedener Zöpfe in der Direction, Her-
0156beck die Leitung der Gesellschafts-Concerte. Vom 6. Novem-
0157ber 1859, wo Herbeck zum erstenmale als „artistischer
0158Director“ fungirte, datirt eine neue Aera dieses altehrwür-
0159digen Instituts, eine Wiedergeburt unseres Concertwesens.
0160Nicht ohne harten Kampf setzte Herbeck das Recht des guten
0161Neuen durch, neben dem guten und gegen das schlechte
0162Alte. Durch ihn hörten wir zum erstenmale Schumann’s 
0163Manfred“ und „Faust“-Musik, Brahms’Deutsches
0164Requiem“ (erste Hälfte) und so viel anderes Neue von Be-
0165deutung. Durch ihn wurde unser Franz Schubert neu belebt,
0166zum Theil neu entdeckt. Ein rastloser, feiner Spürsinn ließ
0167ihn vergrabene, längst verloren geglaubte Schätze auffinden:
0168die Cantate „Lazarus“, den „Häuslichen Krieg“, die H-moll-
0169Symphonie und zahlreiche Gesangsstücke von Schubert. Dieses
0170Decennium, 1859 bis 1870, bezeichnet die Blüthezeit von
0171Herbeck’s Wirken und zugleich den größten Aufschwung des
0172Wiener Concertwesens.


0173Nachdem Herbeck bereits mit einigen kleinen Chor-Com-
0174positionen Beifall errungen hatte, trat er als Componist in
0175großem Style 1866 in einem eigenen Concert hervor, dessen
0176Hauptnummer eine Symphonie in C-dur bildete. Für Her-
0177beck’s schöpferisches Talent konnte ich damals und kann ich noch
0178heute nicht jene bewundernde Anerkennung finden, welche ihm
0179von anderen Kritikern gespendet wurde. Combinations-Talent
0180und geistreiche Behandlung des Technischen, namentlich der
0181Instrumentirung, überwiegen in Herbeck’s Compositionen
0182weit die Originalität und die schöpferische Kraft. Wir em-
0183pfangen davon nicht sowol den Eindruck organischen Wer-
0184dens und Lebens, sondern den einer sehr geschickten, mosaik-
0185artigen Zusammenfügung. Weder kleinlich noch spielend, haben
0186diese Werke einen Zug von Größe, von Energie — war ja
0187der spätere Beethoven ihr Vorbild — aber es ist eine Energie
0188des Wollens, oft des krampfhaft aufgestachelten Wollens,
0189nicht des musikalischen Vollbringens.


0190Um jene Zeit lagen vereinigt in Herbeck’s Hand die
0191Gesellschafts-Concerte, der Männergesang-Verein, der Sing-
0192verein und die Hofcapelle. Letztere verdankt ihm gleichfalls
0193ihre künstlerische Wiedergeburt aus einem Zustand musika-
0194lischer Entkräftung und Bequemlichkeit. Wie großer Arbeit
0195und Anstrengung bedurfte es, um solche Resultate zu errei-
0196chen! Herbeck hatte sich aus sich selbst herausgefunden und
0197erhoben. Glücklicherweise fand sein Talent und seine Arbeits-
0198kraft rasche und ausgezeichnete Anerkennung. Die Ernennung
0199des jungen Mannes zum ersten k. k. Hof-Capellmeister,
0200welche 1866 wie aus den Wolken fiel, war in Oesterreich 
0201ein unerhörter, alle Traditionen niederwerfender Vorgang.
0202Trotzdem wagte es höchstens der Neid, über eine Beförderung
0203zu murren, durch welche der Tüchtigste auf dem ihm gebüh-
0204renden Platz angekommen war. Der gesetzlichen Vorschrift,
0205welche das Amt eines Hof-Capellmeisters nur einem durch
0206eigene Kirchen-Compositionen bekannten Musiker vorbehält,
0207entsprach Herbeck glänzend durch seine „Große Messe“, die
0208wir seine bedeutendste, gediegenste Arbeit nennen möchten. An
0209diesem großen, Kirche und Concertsaal, Chor- und Orchester-
0210musik umfassenden Wirkungskreise, der seinen Neigungen und
0211Fähigkeiten wie kein zweiter entsprach, ließ sich Herbeck leider
0212nicht genügen; er gab ihn auf, um Director des Hofopern-
0213theaters zu werden. Nebst der Sorge für eine gesichertere Zukunft
0214seiner Familie war wol Ehrgeiz die entscheidende Triebfeder.
0215Sein künstlerisches Interesse an der Oper, am Theater über-
0216haupt war stets ein sehr geringes gewesen. Man sah Herbeck 
0217früher nur selten in der Oper, und nach seiner Demission
0218ging er gar nicht mehr hin, nicht einmal in eine Aufführung
0219der „Walküre“. Theatralisch unerfahren kam er an die Hof-[3]
0220oper. Aber erstaunlich schnell hatte er sich in den complicir-
0221ten Theater-Mechanismus einstudirt und handhabte denselben
0222bald mit der Sicherheit eines alten Praktikers. Herbeck war
0223eben, ganz abgesehen von seinem musikalischen Talent, ein
0224ungemein begabter Mensch, von schneller Auffassungs- und
0225Assimilirungskraft. Ein heller Kopf, eine geschickte Hand und
0226ein zäher Wille arbeiteten bei ihm mit außerordentlicher
0227Energie und Gleichmäßigkeit zusammen. Bald hielt und lenkte
0228er mit sicherer Faust die Zügel der Oper, dabei nur den
0229Eifer übertreibend, mit dem er Alles selbst und Alles allein
0230machen wollte. Die Freunde gratulirten Herbeck zu seiner
0231neuen Würde nicht ohne innerliche Besorgniß. Das „Außer-
0232ordentliche Concert“, mit dem sich Herbeck im Mai 1870 
0233als Dirigent beim Publicum verabschiedete, hatte trotz aller
0234lärmenden Ovationen etwas Drückendes, Leichenschmausarti-
0235ges. „Wird Herbeck als Operndirector für seine künstlerische
0236Befriedigung und für die Hebung unseres Kunstlebens auch nur
0237annäherungsweise leisten können, was er im Concertsaale
0238geleistet hat? Einem sicheren großen Verluste sehen wir hier einen
0239unsicheren und minder wichtigen Gewinn gegenüber.“ So
0240schrieben wir nach jenem Abschiedsconcerte und hatten richtig
0241prophezeit. Nicht als ob wir das viele Gute unterschätzten,
0242das Herbeck während seiner fünfjährigen Opern-Direction
0243geleistet hat. Wir verdanken ihm die Aufführung hervor-
0244ragender Novitäten („Genovefa“, „Die bezähmte Wider-
0245spenstige“, „Aïda“, „Die Königin von Saba“); die Wieder-
0246belebung mancher classischen Oper, außerdem die Ausarbei-
0247tung des Pensionsstatuts, eines neuen Theatergesetzes (das
0248unter Anderm den wieder eingerissenen Unfug des Hervor-
0249rufes bei offener Scene abstellte) und manche andere Reform.
0250Man kann im Großen und Ganzen nicht behaupten, daß
0251unter Herbeck’s Nachfolger die Oper besser geworden sei —
0252als Unterhaltungsanstalt vielleicht, als Kunst-Institut gewiß
0253nicht. Wol die meisten Unterlassungssünden Herbeck’s fallen
0254nicht ihm, sondern der General-Intendanz zur Last, die ihn
0255mit kleinlicher Strenge überall bevormundete. Wie viele
0256„unterthänige Berichte“ an die General-Intendanz hat mir 
0257Herbeck vorgelesen, worin er um die Bewilligung zur Auf-
0258führung einer neuen Oper, zum Abschlusse eines Engage-
0259ments oder eines Gastspiels bittet — ausführliche, wohl-
0260begründete Memoires, welche mit einem einfachen „Nein“
0261erledigt oder auch gar nicht erledigt wurden. So oft
0262ich aber zu seiner eigenen Rechtfertigung dergleichen öffentlich
0263besprechen wollte, hat er mich flehentlich, es zu unterlassen
0264und nur ja nicht seine vorgesetzte Behörde anzugreifen. Herbeck 
0265war da von einer rührenden Beamtentreue, aber der Beamte
0266in ihm begann den Künstler zu überwuchern. Oft suchte ich
0267ihm das Unhaltbare, ja Unwürdige seiner Stellung unter
0268solcher Vormundschaft vorzuhalten, er glaubte immer, es
0269würde sich das Verhältniß noch bessern, und trug still dul-
0270dend seine Last weiter. Mit Hoftheater-Directoren ist es aber
0271wie mit Ministern: am besten regieren diejenigen, welche
0272jeden Augenblick bereit stehen, ihr Portefeuille niederzulegen.
0273Herbeck klammerte sich zu lange an das seinige. Die öffent-
0274liche Meinung feierte zwar den unverhofften Triumph, daß
0275die General-Intendanz aufgehoben, somit Herbeck künstlerisch
0276frei wurde — aber wenige Wochen später empfing er selbst,
0277der Hofopern-Director im „Reiche der Unwahrscheinlichkeit“,
0278seine Demission. Zum Bedauern aller seiner Künstler, der
0279dürftigen insbesondere, für die er wie ein Vater gesorgt hatte,
0280schied Herbeck von der Oper. Er selbst täuschte sich und
0281Andere gern mit der Versicherung, froh zu sein ob dieses
0282Wechsels, der ihm nun wieder Muße zum Componiren und
0283die Rückkehr zu seiner geliebten Concertmusik gestatte. In
0284Wahrheit hat er seine Enthebung von der Hofopern-Direction
0285nie verschmerzt, wenn er auch zu stolz war, es einzugestehen.
0286Mit dieser nagenden Bitterniß im Herzen trat nun Herbeck 
02871875 wieder an das Dirigentenpult der Gesellschafts-Concerte.
0288Seine Kunstbegeisterung, seine aufopfernde Pflichttreue, ja
0289seine Energie waren die alten geblieben, nur schien mir diese
0290Energie zuletzt einen Anflug von wunder Heftigkeit anzuneh-
0291men, die auf gesteigerte krankhafte Reizbarkeit hindeutete. Er
0292hatte die freudige Genugthuung, jedesmal mit Jubel begrüßt
0293zu werden und zuletzt noch mit den herrlichen Aufführungen 
0294von Haydn’s „Schöpfung“ und von Mozart’s „Requiem“
0295Triumphe zu feiern. Als Componist sahen wir ihn zuletzt
0296einen neuen, feinem Talent gemäßeren Weg einschlagen:
0297während seine früheren Tondichtungen in großen Dimensio-
0298nen und leidenschaftlichem Pathos sich bewegten, großentheils
0299an den späteren Beethoven sich anlehnend, nahm sich Herbeck 
0300nunmehr die gemüthvolle, einfachere Melodik Schubert’s 
0301zum Vorbild. So in den Compositionen „Tanzmomente“,
0302Orchester-Variationen“, „Künstlerfahrt“, „Lied und Reigen“.
0303Die feinsten Instrumental-Effecte putzen darin den nicht eben
0304bedeutenden Gedankengehalt so zierlich auf, daß der Total-
0305Eindruck ein gefälliger und freundlicher bleibt. *) Seine
0308letzte größere Composition, zugleich, wie es heißt, seine be-
0309deutendste, eine Symphonie mit obligater Orgel, wollte
0310Herbeck im nächsten Philharmonie-Concert selbst dirigiren.
0311Leider sollte er diese Freude nicht mehr erleben. Jeder Nach-
0312folger, und wäre er der beste Musiker, wird einen ungleichen
0313Kampf mit der Erinnerung an Herbeck zu bestehen haben.
0314Es könnte die Seele Herbeck’s in diesen Nachfolger über-
0315gewandert sein, man würde doch seine Aufführungen matter
0316und kühler finden. Er müßte auch Herbeck’s Körper anneh-
0317men können, seinen malerischen Kopf, sein feuriges Auge,
0318seinen kühn ausgreifenden Arm, um dem Publicum zu ge-
0319nügen. Herbeck hat dafür gesorgt, zwanzig Jahre lang dafür
0320gearbeitet, daß er nicht vergessen werde. So lange nicht auf
0321den Bänken des Orchesters wie auf jenen der Zuhörer im
0322Musikvereinssaale eine ganz neue Generation Platz nimmt,
0323so lange wird man in jedem Concerte mit Schmerz und
0324Liebe Herbeck’s gedenken. Er war der lodernde Feuergeist
0325des Wiener Musiklebens, der sich allzu früh in der eigenen
0326Gluth verzehrte. Auf seinen Denkstein aber dürfen wir die
0327Worte des Dichters setzen:


0328Was vergangen, kehrt nicht wieder: /
0329Aber ging es leuchtend nieder, /
0330Leuchtet’s kange noch zurück. /

Fußnoten
  • *)Herbeck’s letztes Lied (auf einen sinnigen Text von August
    Silberstein) findet sich in Vogl’s Volkskalender für 1878.