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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 8829. Wien, Samstag, den 23. März 1889

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Concerte.


0002Ed. H. Die „Wiener Singakademie“ brachte
0003in ihrem zweiten Concert Chorwerke aller Arten und Zeiten.
0004An der ersten und größten Nummer rühmen wir die glück-
0005liche Wahl und beklagen ihre unglückliche Ausführung. Bach’s 
0006Kirchencantate „Du wahrer Gott und David’s Sohn“, eines
0007der herrlichsten Werke des Meisters, besteht aus einem Duett
0008für Sopran und Alt, einem Recitativ für Tenor, einem
0009freien und einem Choralchor. Letzterer erregt unsere höchste
0010Bewunderung durch die vielgestaltige, mächtige Kunst, wo-
0011mit Bach die drei Strophen des Chorals „Christe, du Lamm
0012Gottes“ durcharbeitet, jede in ganz anderer charakteristischer
0013Gestaltung des Vocalsatzes wie der Orchester-Begleitung. Un-
0014vergleichlich ist darin die aus schmerzlicher Trauer bis zur
0015hoffnungsvollen Bitte aufsteigende religiöse Empfindung, un-
0016vergleichlich die polyphone Combination. Bedeutungsvoll läßt
0017Bach dieselbe Choralmelodie bereits über dem vorangehenden
0018Tenor-Recitativ in leisen Violin- und Oboëklängen schweben.
0019Wenn irgendwo, so sind hier die Instrumente unentbehrlich.
0020Die Clavierbegleitung — sie wurde obendrein matt und
0021ausdruckslos gespielt — kann nicht den geringsten Ersatz
0022bieten für ein kleines, von der Orgel unterstütztes Orchester,
0023wie es in Bach’s Partitur steht. Das Clavier wurde voll-
0024ständig übertönt von den vielstimmigen Chören, und diese
0025waren ihrerseits weit davon entfernt, ihre schwierige Aufgabe
0026zu bemeistern. Das Ganze machte den unsicheren Eindruck
0027einer Probe. Hingegen wurden einige Madrigale von Orlando
0028Lasso, Donati und John Dowland fein nüancirt
0029und frisch vorgetragen. Der weiche Klang jugendlicher Frauen-
0030stimmen wirkte hier ebenso reizend, wie in zwei Frauen-
0031chören von N. Gade, die wir von der Singakademie schon
0032früher einmal gehört haben. Herr Labor unterstützte das
0033Concert in dreifacher Eigenschaft und mit dreifachem
0034Erfolg; als Componist eines Vocal-Chors, der, ein-
0035fach und stimmungsvoll anhebend, sich leider bald in
0036gekünstelte Harmonien verirrt; dann als Orgelspieler mit
0037der trefflich vorgetragenen großen A-moll-Fuge von Bach, 
0038endlich auch als virtuoser Pianist. Er spielte mit Fräu-
0039lein Baumeyer auf zwei Clavieren Reinecke’s be-
0040kanntes Impromptu über das Alpensee-Motiv aus
0041Manfred“, das unter den weichen, zierlichen Fingern dieser
0042beiden feinfühligen Pianisten bezaubernd klang. Weniger
0043glücklich hatte der Violin-Virtuose Herr Desider Nemes 
0044ein Concertstück von Saint-Saëns gewählt, das,
0045nur an Kunststücken, nicht aber an Ideen reich, obendrein
0046seines pikantesten Reizes, der Orchester-Begleitung, beraubt
0047war. Der junge ungarische Künstler erfreute durch geläufiges
0048Passagenspiel und sehr schönen Triller; seine nicht ganz reine
0049Intonation hing wol mit der großen Hitze im Saale zu-
0050sammen, die auch das Zerspringen einer Saite verursachte.
0051Das Publicum tröstete Herrn Nemes für dieses Mißgeschick
0052durch ausgiebigen Beifall.


0053Im Concert des „Wiener Männergesang-
0054Vereins
“ hörten wir eine neue Composition von
0055Heinrich Hofmann für Bariton-Solo, Männerchor
0056und Orchester, betitelt „Harald’s Brautfahrt“. Das Gedicht,
0057das eine sehr magere Begebenheit mit einem Uebermaß von
0058Schilderung umwickelt, kommt der Phantasie des Componisten
0059nicht sonderlich entgegen. Ein nordischer Held, Harald, ver-
0060sinkt auf seiner Brautfahrt im Seesturm sammt Schiff und
0061Mannschaft. Da im Gedichte gar nichts geschieht, um uns
0062diesen Bräutigam einigermaßen interessant zu machen, so be-
0063greifen wir nur schwer das furchtbare Spectakel, welches
0064der „Gott der Stürme“ und „die Unholde des Südmeers“
0065gegen denselben loslassen, noch die lange, untröstliche Lamen-
0066tation, mit welcher schließlich „die Geister der See“ den
0067Untergang Harald’s beklagen. Uns läßt sein Ertrinken
0068ziemlich gleichgiltig. Für den Componisten war er im
0069Grunde auch Nebensache; Hauptsache sind ihm die
0070Schilderungen des Schiffslebens und des Seesturms, die
0071Chöre der Matrosen, der guten und der bösen Meeresgeister.
0072Das Stück ist, was die Maler eine „Marine“ nennen. Und
0073als Maler hat Heinrich Hofmann in seinem Haraldbild eine
0074nicht alltägliche Gewandtheit und Effectkenntniß bewiesen. Er
0075malt mit breitem Pinsel und kräftigen Farben. Im Fache
0076instrumentaler Naturschilderei haben ja ohne Frage unsere
0077modernen Componisten die Classiker überholt. Gegen den See-
0078sturm von Heinrich Hofmann sind der Orcan im „Idomeneo“
0079und das Gewitter in der Pastoral-Symphonie Kinderspiel.
0080Und doch wirken diese viel unmittelbarer, eindringlicher auf
0081uns, weil sie nicht als Hauptsache auftreten, noch mit der
0082Absicht eines Virtuosenstückes im Instrumentiren. Ebenso
0083angemessen und wirksam wie das Orchester behandelt Hof-
0084mann die Singstimmen. „Harald’s Brautfahrt“ wirkt als
0085dankbares Productionsstück; Originalität der Erfindung, Tiefe
0086und Kraft des Gedankens muß man nicht darin suchen.
0087H. Hofmann ist kein genialer Tondichter, wol aber ein
0088sicherer, gewandter Praktiker, welcher Alltägliches in ge-
0089schmackvoll abgerundeter Form vorzutragen weiß. Er
0090bewegt sich in jener Scala, die wir den gebildeten
0091deutschen Liedertafelstyl nennen möchten. Die Welt
0092müßte bersten, sagte einmal Robert Schumann, wollte
0093sie lauter Beethovens hervorbringen. Der unglückliche See-
0094fahrer Harald wird anstatt seiner Braut sich wenigstens die
0095Männergesang-Vereine erobern. Besonders, wenn der Com-
0096ponist, wie er es hier gethan, sein Werk persönlich dirigirt.
0097Er hat schon einmal, 1876, mit seiner „Frithjof-Symphonie“
0098in Wien freundliche Aufnahme gefunden: sie ward ihm dies-
0099mal in noch wärmerem Grade zu Theil. — Die andere
0100Nummer des nur aus zwei Tonwerken bestehenden Concertes
0101war „Das Liebesmal der Apostel“ von Richard Wagner.
0102Dieses vor dem Tannhäuser componirte und von Wagner 
0103selbst recht geringschätzig beurtheilte Werk ist erst in Folge
0104seiner Operntriumphe nachträglich wieder hervorgesucht wor-
0105den. Es hat, schon als die einzige geistliche Composition
0106Wagner’s, für uns ein vorwiegend biographisches Interesse.
0107Wagner gibt sich hier die erdenklichste Mühe, ein frommes,
0108kirchliches Gesicht zu machen, das Theaterblut reagirt aber
0109doch alle Augenblicke dagegen. Nicht blos einzelne Anklänge
0110an Tannhäuser und Rienzi erinnern an die Oper: das
0111Ganze ist auf einen großartig theatralischen Schlußeffect zu-
0112geschnitten. Die ersten zwei Drittheile des Werkes füllt
0113nämlich bloßer Männerchor ohne alle Begleitung; die Jünger
0114und Apostel sind nach Christi Tod in andächtiger Heimlichkeit
0115versammelt, zaghaft, furchtsam — da plötzlich horchen sie
0116auf: „Welch Brausen erfüllt die Luft? Du heiliger Geist,
0117dich fühlen wir das Haupt umwehen!“ Hier erst fällt das [2]
0118Orchester ein, mit einem leisen Schwirren und Säuseln der
0119Geigen, das immer mächtiger anschwillt, bis es endlich unter Hin-
0120zutritt der Holzbläser, dann der Blech-Instrumente und Pauken
0121sich in einem krachenden Donnerwetter von Klängen entladet.
0122Es versteht sich, daß ein so unerwarteter, mit glänzendster Technik
0123ausgeführter Effect, nachdem das Ohr eine halbe Stunde
0124lang in trockenem Vocalsatz geschmachtet, gehörig einschlagen
0125muß. Dennoch hinterläßt das Ganze keinen tiefer nachwirken-
0126den Eindruck, weil wir zweierlei vermissen: die Kunst poly-
0127phonen Chorsatzes und den Ausdruck wahrer religiöser
0128Würde. Das „Liebesmal“ ist und bleibt eine Liebes-Lieder-
0129tafel; nur anspruchsvoller und schwerer zu singen, als die
0130gewöhnlichen. Die Ausführung, eine Feuerprobe für den
0131Chor, gelang unter Herrn Kremser’s Leitung bewunde-
0132rungswürdig. Der Wiener Männergesang-Verein besitzt die
0133für diese Aufgabe ganz unentbehrliche materielle Stärke und
0134ist außerdem so wohlgeschult und treffsicher, daß er Wagner’s
0135Werk zur denkbar günstigsten Wirkung emporzuheben vermag
0136und auch thatsächlich emporhob.


0137In unserer Besprechung von Chorproductionen dürfen
0138wir einen Privatverein nicht übergehen, der in seiner Zurück-
0139gezogenheit schon manches Schöne geleistet und mit bedeu-
0140tenden Novitäten unsere Concertgesellschaften häufig überholt
0141hat. Wir meinen den von Frau Bertha Faber gegrün-
0142deten und in ihrem Hause sich regelmäßig unter Man-
0143dyczewski’s
Leitung versammelnden Chor von Herren
0144und Damen. Wir haben dort kürzlich die neuen „Fünf Ge-
0145sänge für gemischten Chor“, op. 104, von Brahms in
0146sehr guter Aufführung zum erstenmale gehört. Man sollte
0147glauben, diese im vorigen Herbst erschienenen Chöre wären
0148von unseren öffentlichen Gesangvereinen mit jenem Eifer er-
0149griffen worden, der dem allgemeinen Verlangen nach neuen
0150gediegenen Chören für gemischte Stimmen entspricht. Trotz-
0151dem hat man sich in Wien bis heute diese schöne, würdige
0152Aufgabe entgehen lassen. Bei Faber mußten sämmtliche
0153Chöre wiederholt werden, so tiefen Eindruck machten sie durch
0154ihre Klangschönheit bei kunstvollster Stimmenverflechtung,
0155wie durch ihren seelenvollen, innigen Ausdruck. Diesen fünf
0156Chören von Brahms fehlt nichts, als ein sechster, welcher
0157durch eine hellere, glücklichere Stimmung den düsteren Ernst 
0158dieses Cyklus zu mildern und aufzuhellen vermöchte. Daß
0159übrigens der Faber’sche Chorverein kein exclusiver Brahms-
0160Tempel ist, bewies er durch den fein studirten Vortrag
0161mehrerer sehr selten gehörter Stücke von R. Schumann und
0162eines Spohr’schen Chors, „Vesper“, von sanfter, schwär-
0163merischer Schönheit.


0164Alice Barbi hat ihr drittes, leider letztes Concert ge-
0165geben. War das ein Gedränge, eine Gluthhitze im Bösen-
0166dorfer-Saal! Und doch bedauerte Niemand, sich diesen gar
0167nicht gesegneten Ein- und Ausgang erkämpft zu haben. Die
0168Sängerin hatte denselben Erfolg, das Publicum denselben
0169Genuß, wie in den beiden früheren Concerten. Mit einer
0170kleinen Einschränkung. Signora Barbi war merklich ange-
0171griffen, sie hüstelte und mußte sich wiederholt mit einem
0172Schlückchen Wasser anfeuchten. Desto bewunderungswürdiger
0173erschien ihre Willenskraft, anstrengende Stücke, wie Schu-
0174mann’s „Ich grolle nicht“, und andere mit voller Stimme und
0175Leidenschaft zu singen, sogar zu wiederholen. Das Programm
0176begann nicht zweckmäßig: drei sehr einfache, sehr langsame, sehr
0177tragische Arien der alten Italiener Astorga, Bononcini und Cal-
0178dara. Die Arie „Come raggio di sol“ von Caldara halte ich nicht
0179für außerordentlich; von der Barbi gesungen wird sie aber
0180Jedem unvergeßlich bleiben. Selten haben wir so echte, tiefe
0181Herzenstöne, so starken und doch maßvollen dramatischen
0182Ausdruck, eine so vollkommene Tonbildung und langgezogenes
0183edles Portamento gehört. Die schönsten Traditionen der
0184italienischen Gesangskunst großen Styls schienen aufzuleben.
0185Der alte Antonio Caldara, der von 1715 bis 1736 als
0186Hofcapellmeister und Lehrer Karl’s VI. in Wien lebte und in
0187der Stephanskirche begraben liegt, wird seine Arie schwerlich
0188schöner gehört haben. Nach den drei gesungenen Trauer-
0189weiden wirkte Jomelli’sVogelhändlerin“ ermunternd,
0190so unbedeutend sie an sich ist. Und mit demselben Recht, wie
0191jüngst den Text der „Zingarella“, dürfen wir heute die
0192Worte des Jomelli’schen Liedes auf die Sängerin selbst be-
0193ziehen: „E si gentile, ha cosi dolce il canto.“ Massenet’s 
0194Romanze „Les enfants“, eigentlich nur eine fein zu-
0195gehackte Declamation ohne musikalisches Fleisch und Blut,
0196erfreute lediglich durch die sinnige Interpretation
0197der Barbi und den Reiz ihrer französischen Aus-
0198sprache. Musikalischer ist eine Bizet’sche Romanze, echt
0199französisches Salonproduct mit einem kleinen arabischen An-
0200hängsel: „Les Adieux de l’hôtesse Arabe“. Auch zu diesem
0201Gesangstücke gab eigentlich Alice Barbi die Seele her. Ihr
0202unvergleichlich warmer, unmittelbar empfundener Vortrag
0203schien diese Abschiedsscene beinahe in eigenes Erlebniß der
0204Sängerin zu verwandeln. Mußte man sich nach diesem
0205Vortrage nicht sagen, daß an der Barbi eine große drama-
0206tische Sängerin verloren gegangen ist? Gehetzte Musik wie
0207Rubinstein’sNeue Liebe“, in welcher die Leidenschaft
0208nicht glüht und wärmt, sondern nur Raketen speit, sollte
0209Fräulein Barbi lieber nicht singen; dergleichen ist am we-
0210nigsten ihr Gebiet und lohnt nicht ihre Anstrengung. In
0211Brahms’Liebestreu“ wußte die Sängerin die beiden
0212Stimmen des Zwiegesprächs deutlich zu sondern; so weit es
0213ausführbar, auch in dem sehr zierlich vorgetragenen „Ver-
0214geblichen Ständchen“. Unter den Zugaben, welche Fräulein
0215Barbi mit liebenswürdiger Selbstaufopferung spendete, war
0216uns Schubert’sWohin?“ die liebste. „Wohin“ die
0217Künstlerin jetzt auch wandern möge, wir hoffen und wünschen,
0218sie nach Wien zurückkehren zu sehen.


0219Noch schulden wir einige Worte dem Quartett Winkler,
0220das während dieser Saison ein sehr theilnehmendes Publicum
0221zu fesseln wußte. Herr Julius Winkler, ein Musiker
0222voll Temperament und Begeisterung, dessen schöner, warmer
0223Geigenton uns überzeugend zu Herzen spricht, hat uns am
0224letzten Abend mit einem merkwürdigen Stück überrascht. Es
0225ist ein Streichtrio in Es-dur von Mozart, das, 101 Jahr
0226alt, unserem Publicum dennoch als eine Novität entgegenkam.
0227Man verwechsle es ja nicht mit so manchen flüchtigen Gele-
0228genheits-Compositionen Mozart’s, welche nur die Unterhal-
0229tungsmusik der gebildeten Dilettantenkreise seiner Zeit be-
0230reichern wollten. Unser Streichtrio ist edelster Wein aus
0231einem der besten Jahrgänge, 1788, dem wir auch die drei
0232Symphonien in C, Es und G-moll verdanken. Otto
0233Jahn, welchem wir bei aller schuldigen und aufrichtig ge-
0234fühlten Verehrung doch manchmal ein bischen miß-
0235trauen, wenn er von gewissen verschollenen Arbeiten
0236Mozart’s besonders enthusiastisch spricht — er hat
0237diesmal vollständig Recht, das Es-dur-Trio „ein wahres [3]
0238Cabinetsstück der Kammermusik und eine der bewunderungs-
0239würdigsten Arbeiten Mozart’s“ zu nennen. Es besteht aus
0240sechs Sätzen: Allegro, Adagio, Menuett, Andante mit Varia-
0241tionen, Menuett, Rondo. Jeder dieser Sätze ist breit an-
0242gelegt, ungemein sorgfältig ausgeführt, bei aller Einfachheit
0243erfindungsreich in den Motiven, stets anregend durch seine
0244harmonische und contrapunktische Behandlung. Manche
0245Wiederholungen und conventionelle Wendungen trüben kaum
0246vorübergehend den Genuß dieses so schlichten und doch vor-
0247nehmen Werkes. Wie reizvoll und eigenartig klingt nicht das
0248Andante, dessen volksliedmäßiges Thema sich in eine Reihe
0249fein individualisirter Variationen auseinanderlegt! Wie blü-
0250hend, frisch und zart der zweite Menuett! Und über dem
0251Ganzen dieses selige Genügen, diese Gemüthsreinheit, diese Freude
0252am Leben und am Spiel. Wie glücklich, möchte man unwill-
0253kürlich ausrufen, wie glücklich mußte der Mann gewesen sein,
0254als er diese Musik schrieb! Weit gefehlt. Mozart war in jener Zeit
0255hart bedrängt von Geldverlegenheiten, bedrückt durch häus-
0256liche Sorgen, geängstigt durch die Krankheit seiner Frau.
0257Die flehentlichen Bittschreiben an seinen Freund Puchberg 
0258datiren aus derselben Zeit. Aber all den bösen Erdenstaub
0259schüttelte Mozart von sich, wenn er zu componiren begann.
0260Der Jammer des Alltagslebens durfte nicht hinein in das
0261Allerheiligste seiner Kunst; er behielt ihn still für sich und
0262achtete es für unerlaubt, mit den Dissonanzen seines persön-
0263lichen Mißgeschickes die Hörer zu verwirren, die ja ihrer
0264eigenen Plagen vergessen wollten in einem Stündchen Musik.
0265Wie ganz anders heute! Unsere besseren Componisten —
0266noch lange keine Mozarts — leben in einer unvergleichlich
0267bevorzugteren socialen Stellung und in weit günstigeren
0268Verhältnissen, als der Schöpfer des Don Juan; es geht
0269ihnen recht gut, wo nicht vortrefflich, und doch — welch
0270bitterer Pessimismus, trostloser Jammer und öder Lebens-
0271überdruß durchziehen ihre Compositionen! Gewiß überströmt
0272die Grundstimmung einer bestimmten Zeit in den einzelnen
0273Künstler; soll aber dieser wirklich nur ein Reservoir sein der
0274allgemeinen Unzufriedenheit und ein Ausrufer der eigenen?
0275„Die schwere Noth der Zeit, die Zeit der schweren Noth“
0276— ist sie allein schuld an der Verdüsterung unserer Musik,
0277oder sind es nicht auch ein bischen die Componisten selbst?
0278Eine musikalisch-psychologische Preisfrage.