Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 9022. Wien, Sonntag, den 6. October 1889
[1]„Der Vasall von Szigeth.“
(Oper in drei Acten, aus dem Italienischen des L. Illica und F. Pozza von Max Kalbeck. Musik von A. Smareglia.)
0003Ed. H. Beim Anblick des Theaterzettels mögen wol
0004sämmtliche Leser übereinstimmend an die Belagerung von
0005Szigeth und Zrinyi’s Heldentod gedacht haben. In Wahrheit
0006hat aber die neue Oper mit Szigeth und Zrinyi, überhaupt
0007mit Ungarn gar nichts zu schaffen. Die Handlung könnte
0008ebenso gut in Schweden oder in Portugal spielen, falls man
0009überhaupt annehmen will, daß ein solches Wirrsal alberner
0010Gräuel in irgend einem Lande möglich sei. Wir erblicken
0011beim Aufziehen des Vorhangs das Innere eines Doms, in
0012welchem die Vermälung des Gutsbesitzers Andor mit der
0013schönen Naja gefeiert wird. Eben hat eine Aebtissin (die in
0014der Oper das Amt eines Priesters zu versehen scheint) das
0015Paar gesegnet, als Naja mit einem Wehschrei leblos zu
0016Boden stürzt. Es wird für die Todte ein Requiem ange-
0017stimmt, und der verzweifelte Bräutigam verläßt mit der
0018ganzen Gesellschaft die Kirche. Nur sein Bruder Milos bleibt
0019zurück. Er wäre als der Bösewicht des Stückes zu bezeichnen,
0020wenn dieses nicht deren zwei besäße, beide im Baßschlüssel,
0021den genannten Milos und den „Vasallen von Szigeth“
0022Rolf. Milos hat den alten Rolf veranlaßt, der Braut seines
0023Bruders, in die er verliebt ist, ein Gift beizubringen, das
0024sie scheintodt niedersinken macht. Das ist gelungen, und
0025Milos wartet nun in der Kirche das Erwachen Naja’s ab,
0026um sich der schmählich Betrogenen zu bemächtigen. Rolf, der
0027ein ebenso feiner Chemiker wie Bösewicht ist, läßt in der
0028Kirche allerhand „starke Zauberdüfte“ aufsteigen, welche über-
0029flüssigerweise das „süße Verlangen“ des ohnehin sehr erhitzten
0030Liebhabers zur Liebesraserei steigern sollen. Die vom Schein-
0031tod erwachte, gleichfalls betäubte Naja stürzt jubelnd in seine
0032Arme und bedeckt ihn so lange mit Küssen, bis der Vorhang
0033— wagnerisch „schnell“ — herabsinkt. Für einen kurzen
0034ersten Act liefert dieser, wie man sieht, eine ganz
0035anständige Auswahl von Freveln und Schrecknissen.
0036Aber auch an Unverständlichkeit läßt er wenig zu wünschen
0037übrig. Der Zuschauer, dem die Ereignisse wie Felsblocke auf
0038den Kopf fallen, reibt sich betäubt und rathlos die Stirn.
0039Rolf hat früher die Aeußerung hingeworfen, daß er von dem
0040verstorbenen Vater der beiden jungen Herren um sein Lebens-
0041glück betrogen worden und dafür entschlossen sei, sich an den
0042Söhnen zu rächen. Man braucht blos diese wenigen Worte,
0043die obendrein von dem Najaden-Chor und dem Orchester
0044gänzlich verdeckt sind, zu überhören, um den Abend hindurch
0045vor einem completen Räthsel zu stehen. Noch mehr. Der
0046Zuschauer sieht den Altar langsam versinken, sieht in blendend
0047rosigem Licht eine von singenden und harfenden Najaden
0048umgebene Venus im Muschelwagen daherschweben — woher
0049soll er wissen, daß dies Alles nur in der Phantasie
0050des Milos sich abspielt? Muß er doch den geheimnißvollen
0051Rolf nach seinen Thaten für einen richtigen Zauberer an-
0052sehen. Wir hören ferner das entzückte Liebesduett zwischen
0053Naja und Milos; müssen wir nicht glauben oder können
0054wenigstens glauben, Naja liebe wirklich diesen Milos und
0055sei von ihm aus den Banden einer aufgezwungenen Ehe
0056errettet? Hell genug ist es ja auf der Bühne und lang
0057genug die Liebesscene, um Milos von Andor wohl unter-
0058scheiden zu können. So, nach allen Seiten verwirrend, über-
0059trifft dieser „Vasall von Szigeth“ an Unklarheit der Expo-
0060sition noch weit den Verdi’schen „Troubadour“, dessen Vor-
0061geschichte bekanntlich ein Haushofmeister in einer Mazurka-
0062Strophe explicirt, die Niemand versteht und der Niemand
0063zuhört.
0064Auf diesen ersten Act, der mit unheimlicher Geschwindig-
0065keit die Hochzeit in ein Begräbniß und den Sarg in ein
0066Hochzeitsbett verwandelt, setzt der zweite um so lustiger ein.
0067In sommerlicher Landschaft gibt es Tanz und Lustbarkeit.
0068Milos erscheint mit schmuckem Gefolge, schäkert mit den
0069Mädchen und trinkt mit den Cavalieren. Auch Naja, die Todt-
0070geglaubte, ist auf Rolf’s Veranstaltung aus ihrer Gruft befreit und
0071hiehergebracht worden. Sie wird gleich von dem überglücklichen
0072Andor erblickt und umarmt. Nach den ersten Ausbrüchen
0073der Freude enthüllt ihm Naja den an ihr begangenen
0074Frevel. Andor bekommt einen erfreulichen Anfall von Muth,
0075zerrt racheglühend seinen zechenden Bruder aus dem Zelt
0076und stellt ihn dicht vor Naja hin. Milos aber, dem die
0077Sache ungelegen kommt, befiehlt ohne Umstände, „die Hexe“
0078in Fesseln abzuführen. Und doch hat derselbe Milos wenige
0079Augenblicke zuvor sich in reuiger Sentimentalität förmlich
0080gewunden: er wolle Naja um Verzeihung bitten
0081und „nach freier Wahl solle sie sich für ihn entscheiden,
0082sein eigen sein“! Weiter kann man wol die Unverschämtheit
0083nicht treiben. Von den Soldaten bedroht, wirft sich Naja
0084zu Andor’s Füßen und beschwört ihn, mit ihr zu fliehen.
0085Aber dieser edle Rächer wendet sich kaltblütig von ihr ab,
0086weil — Rolf ihm zugeraunt hat, er solle Naja „aus Vor-
0087sicht“ verleugnen! Woher dieser niedere Knecht so ungeheure
0088moralische Autorität über Andor besitzt, fragen wir vergeb-
0089lich. Aber unser Held fragt nicht, sondern folgt blindlings
0090dem wüsten Rachegreis und überläßt Naja ihrem Schicksal.
0091Er gibt das Zeichen zur Fortsetzung des Tanzes, und wieder
0092dreht sich Alles in lustigem Wirbel, nur unser Verstand
0093steht stille.
0094Im dritten Act sehen wir Naja in einem eleganten
0095Gemach des Milos, unter Schloß und Riegel. Sie ver-
0096zweifelt an jeder Hoffnung und wünscht sich nur einen
0097raschen, schmerzlosen Tod. Damit kann der überall gegen-
0098wärtige, brave Rolf dienen. Nachdem er einen äußerst
0099gefühlvollen Monolog zum Fenster hinausgesungen, reicht er
0100Naja ein Giftfläschchen, das sie rasch austrinkt. Zu spät
0101kommt Andor — ein kurzes Liebesduett und Naja ist eine
0102Leiche, diesmal wirklich. Sie stirbt mit dem Ausruf: „Milos,
0103dir lass’ ich meinen Körper! Für Andor die Seele!“ Milos
0104stürmt herein und nähert sich dem ihm vermachten Körper
0105mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit. Weil er dabei einige
0106Thränlein vergießt, wird Andor gleich unendlich gerührt
0107und will Alles verzeihen. Aber davon will Milos nichts
0108wissen; immer grausamer reizt er seinen Bruder durch das
0109Ausmalen von Naja’s Hingebung, die er und nur er allein
0110genossen. Schließlich umfängt er mit so zärtlicher
0111Gluth die Leiche, daß es selbst Andor zu viel wird.
0112Er erschlägt seinen Bruder, wird wahnsinnig und hört nur
0113noch die schadenfrohe Schlußmoral Rolf’s: „Rache hab’ ich
0114geschworen und den Schwur gehalten. Hier liegt der Ertrag
0115meiner Saaten!“ Wir danken sowol für den Säemann, als
0116für seine Ernte. Eine so widerwärtige, sinnlos gräßliche
0117Handlung wie die des „Vasall von Szigeth“ ist im Bereiche [2]
0118der ganzen Opern-Literatur schwerlich zu finden. Die Situa-
0119tionen sind unnatürlich in der Motivirung, verletzend in der
0120Ausführung. Und die Charaktere? Man schwankt, welcher
0121von den drei Männern, die an dem unschuldigen Opferlamm
0122Naja sündigen, der jämmerlichste sei: Rolf, Andor oder
0123Milos. Aus dieser Poesie „de sang et de boue“ wähnten
0124wir doch schon herausgekommen zu sein. Die neue Oper be-
0125weist leider das Gegentheil.
0126Und die Musik? Beinahe fühlt man nach Erzählung
0127dieses Textbuches sich versucht, gar nichts über die Com-
0128position zu sagen. Nicht als ob die Musik nicht besser wäre
0129als der Text und Herr Smareglia kein vornehmerer Künstler
0130als sein Poet. Aber die neuere musikdramatische Schule, zu
0131der auch Smareglia gehört, zwingt uns andere Forderungen
0132auf, als man ehedem an einen Operntext stellte. Ungleich den
0133älteren naiven Meistern, welchen auch in der Oper der Reiz
0134und das Gewicht der musikalischen Erfindung die Hauptsache
0135war, erblicken die Neueren ihre künstlerische Aufgabe in der
0136genauesten Auslegung und Ausmalung des Librettos. Was
0137der Dichter vorschreibt, was der Dichter sagt, was der Dichter
0138empfindet, das soll in jedem Tact musikalisch ausgedrückt,
0139ausgepreßt sein, unbekümmert um den Schaffensdrang der
0140selbstständig erfindenden und formenden musikalischen Phan-
0141tasie. Während die älteren Tondichter gleichsam aus eigenem
0142Material einen musikalischen Körper formten, ähneln unsere
0143Modernen dem Anatomen, der einem präparirten Leichnam
0144die feinsten Gefäße kunstvoll mit farbiger Flüssigkeit aus-
0145spritzt. Sie erklären und behandeln die Musik in der Oper
0146als ein bloßes Mittel für die Zwecke des Poeten. Gut. Dann
0147aber muß ein solcher Componist vor Allem darauf achten,
0148daß, was er musikalisch zu interpretiren unternimmt, auch dieser
0149Interpretation werth sei. Wenn er wirklich das Textbuch für
0150die unumschränkte Macht anerkennt, die ihm — nicht blos
0151im Großen und Ganzen, sondern für jede einzelne Wendung
0152— die Gesetze vorschreibt, dann darf er nimmer freiwillig sich
0153in die Botmäßigkeit eines dramatischen Machwerkes begeben,
0154darf uns kein Libretto zumuthen wie diesen „Vasall von Szigeth“.
0155Gerne wiederholen wir, daß Smareglia eine sehr be-
0156achtenswerthe Begabung, daneben große Gewandtheit und
0157Effectkenntniß besitzt. Eine ausgesprochene Individualität
0158haben wir allerdings aus seiner Oper nicht herausgehört; sie
0159zählt zu jenen modern italienischen, welche eine Vermittlung
0160zwischen dem späteren Verdi und dem jüngeren Wagner
0161anstreben. Das bekannteste und bemerkenswertheste Product
0162dieser Richtung ist Boito’s „Mefistofele“, und diesem
0163möchten wir einen bestimmenden Einfluß auf Smareglia’s
0164Oper zuschreiben. Boito ist freilich ein viel intensiveres
0165Talent, seine Erfindung reicher und kühner. „Mefistofele“
0166enthält einzelne reizvolle, originelle Stücke, an welche das
0167Beste aus dem „Vasall von Szigeth“ nicht hinanreicht —
0168Lichtblicke, die uns wahrscheinlich noch heller erscheinen
0169würden, ständen wir der ganzen Oper, als einer Ver-
0170unglimpfung des Goethe’schen Faust, nicht mit Grund vor-
0171eingenommen gegenüber. Leider sind um diese Lichtpunkte im
0172„Mefistofele“ sehr breite Schatten- und Schmutzflecke ge-
0173lagert, von welchen der solidere „Vasall“ sich frei zu halten
0174weiß. In Smareglia kämpft die Natur des geborenen
0175Italieners mit seinen deutschen Mustern und Errungen-
0176schaften; ja der größere Theil seiner Oper klingt mehr
0177wagnerisch-deutsch, als italienisch. Viele unsere Landsleute
0178werden dies dem Werke nachrühmen; für mein Theil gestehe
0179ich offen, daß ich die unverfälschten, die italienischen Italiener
0180vorziehe. Wir machen uns keine Illusionen darüber, daß diese
0181in der Musik ausgestorben sind.
0182Treten wir näher an die Partitur heran, so zeigt sie
0183uns Smareglia’s Stärke nicht sowol in der Ursprünglichkeit
0184und Originalität der Erfindung, als vielmehr in der ge-
0185schickten Anpassung seiner Musik an die Situation und deren
0186malerische Spiegelung im Orchester. Am glücklichsten
0187beherrscht der Componist das Zarte, weich Empfind-
0188same und Schwärmerische, das er mit Wärme,
0189aber mit geringer Abwechslung zum Ausdruck bringt.
0190So hebt sich im ersten Act die chromatische B-dur-Cantilene
0191Andor’s („Ist’s nur ein Traum?“) freundlich heraus, eine
0192frappant Spohr’sche Wendung, die als Erinnerungsmotiv
0193im letzten Act wiederkehrt. Aehnlich in ihrer schmachtend
0194modulirenden, chromatischen Weise klingt die Melodie Milos’:
0195„Schon fühl’ ich sie liegen in meinen Armen“, und wiederum
0196ähnlich Naja’s Lied in A-dur im zweiten Act. Der Com-
0197ponist läßt somit diese drei verschiedenen Charaktere dieselbe
0198empfindsame, in Halbtönen schwelgende Sprache sprechen.
0199Immerhin sind diese lyrischen Stellen die besten. Wo hin-
0200gegen leidenschaftliche Energie und Schlagfertigkeit zu ent-
0201scheiden haben, da mangelt dem Componisten die zusammen-
0202fassende Kraft. Er sucht dann die geistige Gewalt durch
0203materielle zu ersetzen, die lebendigen Ideen durch bewährte
0204Phrasen. Als Beispiel citiren wir das Finale des zweiten
0205Actes, die Allegro-Sätze der beiden Liebesduette: „Nimm mich,
0206die Deine!“ im ersten Act, „Lass’ in einem langen Kusse“
0207im dritten u. A. Frisch und anmuthig klingen die Volks-
0208scenen im zweiten Act; volksthümlich, naiv sind sie nicht, am
0209allerwenigsten national. Einzig der als Balletmusik ein-
0210gefügte Czardas erinnert daran, daß das Stück in Ungarn
0211spielt. Die sich ablösenden Gruppen der Landleute, Mönche,
0212Soldaten, durch deren Strophen sich ein Walzermotiv
0213schlängelt, formen sich zu einem gefälligen Ganzen, das seine
0214Vorbilder, den Osterspaziergang in Boito’s „Mefistofele“
0215und in Gounod’s „Faust“, keinen Augenblick verleugnet.
0216Der dritte Act wirkt noch weit trostloser und niederdrücken-
0217der als der erste; er beginnt mit Klagen und Verwünschungen
0218und endet mit Selbstmord, Todtschlag und Wahnsinn. Gerne
0219erkennen wir das redliche Bemühen und das dramatische,
0220Talent, womit der Componist diesen Jammerscenen die ent-
0221sprechenden herzdurchbohrenden Töne zu geben versucht und
0222namentlich die Sterbescene Naja’s weich und stimmungsvoll
0223austönen läßt. Allein es läßt sich nicht verschweigen, mitten
0224in diesen psychologischen und pathologischen Klangkunststücken
0225schmachten wir doch nach dem, was wir gute Musik nennen.
0226Diese ewige Gefühlsmalerei und Gefühlsquälerei, wie wird
0227sie uns schließlich langweilig! Smareglia’s leidenschaftlich
0228accentuirter Gesangstyl und detaillirte Stimmungsmalerei ver-
0229rathen ein sehr genaues Studium der neuesten Deutschen. Der
0230Einfluß Wagner’s, des vornibelungischen Wagner, braucht
0231nicht erst betont zu werden. Er ist handgreiflich gleich in der
0232Introduction der Oper; auch der declamatorische Singsang
0233Rolf’s im dritten Acte und Aehnliches ist reiner Wagner.
0234Wie viel Smareglia in der Instrumentirungskunst von
0235Wagner profitirt hat, beweist die Vision Milos’ im ersten
0236Acte, dieses geheimnißvolle Schwirren der getheilten Violinen,
0237die auf Harfen-Arpeggien und tiefen Clarinett-Tönen immer
0238höher steigen. Alle die neuen Künste der Orchestration hält
0239Smareglia in sicherer Hand; es sind ihrer, nach meinem
0240Geschmack, nur zu viele, und sie drängen sich mit ihrer [3]
0241psychologischen Beredsamkeit allzusehr an die Oberfläche.
0242Den natürlichen, gesunden Orchesterklang wird eine spätere
0243Zeit erst wieder aus Mozart lernen müssen. Trotz mancher
0244unbestritten werthvollen Eigenschaften hat mir der „Vasall
0245von Szigeth“ doch nicht jenen befriedigenden Total-Eindruck
0246hinterlassen, welcher die schöne Erinnerung an einen genuß-
0247reichen Abend an die Sehnsucht nach wiederholtem Begegnen
0248knüpft. Das moderne Publicum, insbesondere das Wiener,
0249wie ich glaube, dürfte anders empfinden. Es öffnet sich mit
0250Vorliebe allem Pathetischen, auch dem überspannt Pathetischen,
0251und hat sich bereits in jenen Opernstyl eingelebt, welcher die
0252musikalische Substanz zerfasert, bis sie in Stimmungsduft
0253aufgeht.
0254Die Novität hat am ersten Abend eine sehr günstige
0255Aufnahme gefunden. Das Publicum kam dem Componisten
0256überaus freundlich entgegen und rief ihn mehrmals nach
0257jedem Actschluß. Er dürfte an der Hand eines besseren Text-
0258buches gewiß noch schönere Erfolge erleben. Von Seite des
0259Hofoperntheaters war für die Novität durch eine glänzende
0260Ausstattung und sorgsam vorbereitete Aufführung das
0261Möglichste geschehen. Unter den Darstellern der vier Haupt-
0262rollen muß man Herrn van Dyck den Preis zuerkennen. Er
0263sang den Andor voll Energie in den leidenschaftlichen, zart
0264und geschmackvoll in den lyrischen Stellen. Auch sein Spiel
0265machte den günstigsten Eindruck durch vornehme, ritterliche
0266Haltung und freie, schöne Lebendigkeit der Action. Für die
0267Rolle der Naja kommen Fräulein Lola Beeth der jugendlich
0268helle Klang ihrer Stimme, sowie ihre blendende Erscheinung
0269vorzüglich zu statten. Auch waren Fortschritte in gesanglicher
0270wie in dramatischer Hinsicht nicht zu verkennen. Ihren Vor-
0271trag der A-dur-Romanze im zweiten Act belohnte einhelliger,
0272anhaltender Beifall. Leider forcirte Fräulein Beeth im dritten
0273Act ihre Stimme zum Nachtheil der Schönheit wie der
0274Reinheit des Tones. Die nicht minder schwierigen, aber
0275weniger dankbaren Aufgaben des Milos und des Rolf wur-
0276den von den Herren Sommer und Grengg mit hin-
0277gebendem Eifer und gutem Erfolg gelöst. Besonderen Dank
0278schuldet der Componist auch dem Dirigenten der so gelungenen
0279Vorstellung, Herrn Hanns Richter, und Herrn Max Kal-
0280beck, der das traurige Libretto nicht blos vortrefflich über-
0281setzt, sondern auch durch Milderung der anstößigsten Stellen
0282vielfach verbessert hat.