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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2393. Wien, Dienstag, den 25. April 1871

Hofoperntheater.

(Die Gäste: Herr Hill, Herr Adams, Fräulein Zimmermann, Fräulein Trousil.)

Ed. H. Wenn man den erschreckend großen und raschen Verbrauch an Gesangskräften beobachtet, der sich in unserem modernen Opernwesen vollzieht, so muß man oft besorgt werden für die allernächste Zukunft. Wir sehen nach einander unsere besten Künstler abdanken oder altern und können doch trotz der Genügsamkeit, mit welcher wir unsere Ansprüche von Jahr zu Jahr herabstimmen, nirgends einen ausreichenden Nachwuchs erblicken. Sänger, die eben nur von anständiger Tüchtigkeit sind, allenfalls glänzend in Einem Punkte, sei es die Stimme oder die Virtuosität oder die dramatische Begabung, bei gleichzeitiger Dürftigkeit in allen übrigen, sie werden jetzt — halbfertig — mit Summen engagirt, für welche man vor zwanzig Jahren Künstler allerersten Ranges gewann. Wie soll das weitergehen? In so skeptisch und hypochondrisch stimmenden Verhältnissen thut es doppelt wohl, wenn plötzlich, fast aus dem Dunkel, einige neue Talente hervortreten, die wieder tröstliche Zuversicht verbreiten. So sind in Wien gleichzeitig die Sänger Vogl und Hill als unberühmte, wenngleich nicht ganz unbekannte Namen erschienen, um, mit dem Purpur eines glänzenden Erfolges bekleidet, wieder nach Deutschland zurückzukehren. An sie schloß sich die jugendliche Sängerin Emmy Zimmermann, deren Name ebenfalls einen ungleich stärkeren Klang von hier fortnimmt, als er mitgebracht. Wien hat dabei nur die Freude, daß es in Einem Abende den Ruhm eines fremden Talentes mächtiger fördert, als ein jahrelanges pflichttreues Wirken an deutschen Stadt- und Hoftheatern es vermocht. Man kann allerorten in Deutschland ein tüchtiger Künstler sein, ein berühmter wird man nicht ohne Wien und Berlin.

Die Opernlaufbahn der genannten Sänger datirt aus neuester Zeit. Vogl war vor sieben oder acht Jahren ehrsamer Schullehrer in einem baierischen Städtchen. Hill lernte ich noch im Jahre 1866 als Postbeamten der freien Stadt Frankfurt kennen; damals schon als Lieder- und Oratoriensänger geschätzt, vertauschte er doch erst später die Briefpost mit der Opernbühne — ein trefflicher Entschluß, durch den er sich im schönsten Sinne frei und recommandirt gemacht hat. Emmy Zimmermann endlich ward als Anfängerin aus kleinstädtischen Verhältnissen durch Laube emporgehoben und am Leipziger Theater engagirt. Laube’s scharfer Blick hatte den Werth dieses schönen, bildungsfähigen Talentes erkannt, unbeirrt von mißtrauischen Bedenken seiner Capellmeister; der Erfolg gab ihm Recht, denn nach wenigen Monaten fleißigen Studiums war Fräulein Zimmermann die größte Anziehungskraft seines Theaters.

Herrn Vogl’s leicht ansprechenden, wohlgeschulten, jugendlich kräftigen Tenor lernten wir leider nur im Oratorium kennen. An drei aufeinanderfolgenden Abenden (in der Schöpfung“, den „Jahreszeiten“ und der „Matthäus-Passion“) machte dieser unermüdliche Sänger Furore, und so wird es hoffentlich sein eigener Wunsch sein und nicht blos der unserige, sich den Wienern recht bald auch als Opernsänger zu zeigen. Der mecklenburg’sche Kammersänger Herr Hill, welcher bereits in vier Rollen hier aufgetreten ist, theilt mit Vogl den unschätzbaren Vorzug musikalischer Durchbildung und Sicherheit, die Natur hat ihn allerdings minder freigebig bedacht. Seine Stimme, ein Bariton von immerhin ausreichender Kraft, entbehrt des Metalls, klingt gedeckt, in der Tiefe hohl und wird bei starkem Ansatz in der Höhe leicht unedel. Weich und seelenvoll spricht seine Stimme im Piano und Mezzavoce an, während im Forte die Töne sich sondern und die mächtigeren Lagen leicht zerbröckeln. Hill’s Aussprache ist wunderbar deutlich, seine Intonation unfehlbar rein, seine Methode überhaupt so gediegen, daß sie selbst den etwas kurzen Athem geschickt maskirt. Mit diesen keineswegs glänzenden Mitteln (auch Statur und Gesichtsbildung sind nicht bedeutend) weiß Herr Hill große Wirkungen zu erreichen. Durch anhaltende Schulung hat er seine Stimme gehorsam und geschmeidig gemacht, durch geistigen Ausdruck und dramatische Beseelung wird sie ihm zum Organ der edelsten künstlerischen Intentionen. Hill ist ein eminent dramatischer Sänger; er setzt seine Rollen nicht aus effectvollen Einzelheiten zusammen, sondern gestaltet sie organisch, bis in die feinsten Auszweigungen, aus dem Mittelpunkt des Charakters. Gesang und dramatische Darstellung sind ihm Aeußerungen eines Wesens. Sein schönster Vorzug ist die innige und vollkommene gegenseitige Durchdringung von Wort und Ton, seine größte Kunst die Behandlung des declamatorischen Elementes im Gesang. Ueberall, wo diese speciellen Vorzüge den Ausschlag geben, da steht Hill als Herr und Meister auf seinem eigensten Boden; das zeigte sein Wolfram von Eschenbach, sein „fliegender Holländer“. Wolfram’s Rhapsodien beim Sängerkrieg, sonst keine kleine Geduldprobe für den Hörer, wußte Hill mit so eindringender Articulation vorzutragen, daß sie durch diesen Vortrag interessirten. Ohne Zweifel hat er viel von der Gesangsweise Stockhausen’s gelernt, und ähnlich können wieder alle Sänger von Herrn Hill profitiren. Musikalisch wie dramatisch waren beide Rollen vortrefflich; als Holländer hatte Herr Hill noch den Vortheil, besser auszusehen, als in dem bunten Gewande Wolfram’s. Es kann Herrn Hill’s Holländer nichts anhaben, daß man Beck’s mächtiges Organ und feurigeren Vortrag in den effectvollsten Stellen vermißte. Glänzender, hinreißender ist Beck’s „fliegender Holländer“ ohne Frage; allein das ruhigere, in gedämpften, durchgeistigten Farben ausgeführte Bild Herrn Hill’s steht als Kunstwerk hinter jenem nicht zurück. Hill faßt den Charakter viel elegischer auf als Beck; die schmerzliche, beinahe resignirte Sehnsucht nach Erlösung bildet den Grundton, gegen welchen die dämonischen und heroischen Accente fast ganz zurücktreten. Dieser Auffassung gemäß begibt sich Hill der starken Ausbrüche von Leidenschaft, um durch Rührung den Weg zum Herzen zu finden. Das gelang ihm als Holländer, ohne in Weichlichkeit zu verfallen; seine Klage war tief, aber nicht unmännlich. Von eindringendem Verständniß der Rolle zeugte auch die äußerste Sparsamkeit im Geberdenspiel; Hill, der überhaupt selten eine unnöthige Bewegung macht, erreichte gerade durch die fast statuarische Darstellung des Holländers die rechte, volle Wirkung.

Gegen diese trefflichen Rollen Hill’s in den beiden Wagner’schen Opern standen sein Figaro (in „Figaro’s Hochzeit“) und Valentin (in „Faust“) unleugbar zurück, obgleich Beides ganz tüchtige Leistungen sind. Für Charaktere wie Figaro scheint Herrn Hill die natürliche Beweglichkeit und Laune zu fehlen, auch bereitete die tiefe Lage dieser Baßpartie ihm einige Schwierigkeiten. Noch Eines fiel im Figaro auf: daß Herr Hill (wie manche denkende Künstler im Gefühl ihrer geistigen Selbstständigkeit gern thun) zu absichtsvoll ins Detail arbeite, bekannten Stellen neue Accente und Auffassungen aufdränge. In der Stelle: „Will der Herr Graf“ in der Schlußarie des ersten Actes unter Anderem fielen uns solche allzu reflectirte, interpretirende Züge auf, die doch nicht mehr und nicht Besseres leisten, als der volle, ungehemmte Strom der Melodie für sich vollbringt. Vorzüglich gelang Herrn Hill die große Arie im letzten Act, deren schnelles Tempo sich auf deutschen Text so unbarmherzig schwer singt. Daß unser geschätzter Gast den Valentin im „Faust“ richtig erfaßte und wiedergab, bedarf nicht ausdrücklicher Erwähnung, die Rolle ist nicht zu vergreifen. Nur vergriff sich Herr Hill einigemal in der Tonstärke und forcirte seine Stimme zu unschöner Klangwirkung. Dieser kleine Flecken vermag uns aber das Gesammtbild Hill’s nicht zu trüben, in welchem wir einen der besten Gesangskünstler und Darsteller kennen gelernt, deren die deutsche Oper sich heutzutage rühmen kann.

Fräulein Zimmermann, welche bisher in drei Rollen (Elsa, Gretchen, Alice) aufgetreten ist, hat zwei wuchtige Bundesgenossen: ihre Persönlichkeit und ihre Stimme. Sie braucht blos aufzutreten und einige Tacte zu singen, so hat sie auch schon das Publicum eingenommen. Die persönliche Erscheinung einer Darstellerin ist nichts Gleichgiltiges oder Nebensächliches, wie man gerade in der Oper uns manchmal weißmachen möchte; nur wer das musikalische Drama vom bloßen Concert nicht unterscheidet, kann sie dafür halten. Müssen wir in der Regel schon zufrieden sein, wenn die Persönlichkeit eines Opernsängers die dramatische Illusion nicht geradezu Lügen straft, so dürfen wir wol auch dankbar sein, wenn sie diese Illusion einmal fördert. Wir empfinden es schmerzlich, wenn wir einer Sängerin, singe sie noch so virtuos, keine ihrer Gestalten glauben können; daß Elsa oder Alice in der Phantasie des Dichters so aussah, wie Fräulein Zimmermann in diesen Rollen aussieht, das glaubt man sofort und bringt damit die rechte „gläubige“ Stimmung den poetischen Ereignissen auf der Bühne entgegen. Die Gestalt Fräulein Zimmermann’s ist fein und stattlich, ihre Gesichtszüge sind edel, von sanftem Ausdruck, die mimische Gewalt über dieselben freilich noch unentwickelt. Die Stimme der Sängerin, ein Sopran von bezauberndem Wohlaut, weich und blühend, klingt durchaus gleichmäßig, am schönsten in der Mittellage, nur etwas mühsam im starken Anschlagen der hohen über A hinaus liegenden Töne. Eine tadellose Tonbildung, reine Intonation, gute Aussprache und ruhige Haltung sind Fräulein Zimmermann nachzurühmen. Ueberdies phrasirt sie gut, schreit nicht, tremolirt nicht, hat überhaupt keine modernen Gesangsunarten. Was hingegen noch mangelt, ist die dramatische Energie, der volle Erguß des Gefühles. Vortrag und Spiel dieser Sängerin sind zwar immer fein und stylvoll, jedoch kühl angehaucht von jener zurückhaltenden Verständigkeit und Reflexion, welche norddeutschen Sängerinnen so häufig eignet. Wo der Feuerstrom der Leidenschaft sich entfesseln oder die tiefsten, leisesten Töne des Herzens erklingen sollen, da läßt uns Fräulein Zimmermann unbefriedigt; es fehlt ihr gewiß nicht an Empfindung, aber an dem naiven, unmittelbaren Ausdruck derselben. Insbesondere mußte Gretchen (in Gounod’s Faust“) diesen Mangel an Ursprünglichkeit und Naivetät empfinden lassen; die ganze Gestalt wurzelte nicht im Volk, sondern in den gebildeten Ständen Norddeutschlands. Diese Ueberfeinerung im Spiel machte sich analog in der Musik durch Neigung zum sentimentalen Schleppen des Zeitmaßes (zum Beispiel in der ersten Begegnung, im „König von Thule“ etc.) geltend. In der Scene vor dem Madonnenbild entwickelte Fräulein Zimmermann mehr Energie, als wir vermuthet hätten; hingegen blieb ihr Liebesduett mit Faust, sowie das mit Lohengrin beinahe wirkungslos. Gerade in Wien ist man in diesen Nummern den Ausdruck leidenschaftlicher Erregung in Gesang und Spiel gewohnt. Fräulein Zimmermann wurde als Elsa wie als Gretchen sehr freundlich aufgenommen, den entschiedensten, ungetheiltesten Erfolg errung sie jedoch als Alice in Robert der Teufel“. Im ersten Acte war sie ganz vortrefflich, in den Kraftstellen der folgenden verursachten die höchsten Töne zwar einige Anstrengung, aber sie mißglückten nicht. In diesen Scenen ist man hier freilich an solche Entfesselung der Stimmkraft gewöhnt oder verwöhnt, daß bald nichts mehr stark genug sein wird. Wer Sinn und Werthschätzung für musikalische Vorzüge hat, wird die Leistungen Fräulein Zimmermann’s, so weit sie auch noch zur Vollendung haben, mit aufrichtigem Vergnügen begrüßen. Es ist dies eine reich ausgestattete, gut musikalische, talentvolle und offenbar noch bildungsfähige Sängerin. Bleibend in ein Ensemble eingereiht, das etwas frischer und heißblütiger sich bewegt, würde Fräulein Zimmermann wahrscheinlich auch noch wärmer werden und einige ihrer allzu zierlichen Spitzen gegen eine kräftigere Natürlichkeit eintauschen. Die neueste hier gastirende Sängerin, Fräulein Johanna Trousil (eine Schülerin der Bochkoltz-Falconi), ist bis jetzt nur als Jemmy im „Tell“ aufgetreten — einer Rolle, die bekanntlich wenig Gelegenheit zur Auszeichnung gibt. Immerhin hat Fräulein Trousil durch ihre wohltönende, kräftige Mezzosopranstimme und durch guten Vortrag die Aufmerksamkeit in günstiger Weise auf sich gelenkt, so daß man ihren nächsten (hoffentlich etwas dankbareren) Rollen mit Interesse entgegensehen darf.

Den Tenoristen Herrn Adams, welcher gegenwärtig auf dem Theaterzettel „als Gast“ figurirt, brauchen wir nicht als solchen vorzustellen, er ist ein guter alter Bekannter unseres Publicums und erst seit ganz kurzer Zeit kein engagirtes Mitglied des Hofoperntheaters mehr. Fleißig und verwendbar wie er ist, hilft Herr Adams in dieser bösen Periode der Tenoristennoth wacker aus. Er ist, was man in der französischen Theatersprache „grande utilité“ nennt und als solche willkommen. Das Nützliche und das Reizende sind freilich zweierlei in der Kunst. Herr Adams wird keine Rolle verderben, aber auch in keiner einzigen entzücken oder hinreißen. Was er auch an Fleiß und Geschicklichkeit aufwende, es scheitert an dem trockenen, reizlosen, papierenen Klang seiner Stimme. Der Glanz ist von jeder Tenorpartie weggewischt, wenn Herr Adams sie singt. Da hilft kein Leugnen und kein noch so wohlwollendes Anerkennen der formellen Vorzüge dieses Sängers. Auch gegen diese formelle Abrundung seiner Leistungen wird man unempfindlicher, wenn man ihn (wie in den letzten Wochen Gelegenheit war) oft nach einander in verschiedenen Rollen hört. Da ist eine genau wie die andere, Robert der Teufel, Lohengrin, Edgar — immer dieselbe kerzengerade Haltung, dasselbe unbewegliche, hübsche Gesicht, dieselben akademisch gerundeten Armbewegungen, kein Schritt kürzer oder länger, kein Ton heftiger oder sanfter als in jeder anderen Rolle. Herr Adams, der im Privatleben für einen tadellosen Gentleman gilt, ist dies auch auf der Bühne, leider ist er in jeder Rolle immer und blos Gentleman. Von den neuesten Leistungen des Herrn Adams war Lohengrin die relativ glänzendste; die schwächste war Robert der Teufel, eine Rolle, die ohne sinnliche Schönheit der Stimme gar nicht gedacht werden kann. Und dennoch wollen wir sie künftighin uns lieber denken.