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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2397. Wien, Samstag, den 29. April 1871

Aus dem Leben und der Correspondenz von Franz Hauser.

III. (Letzter Artikel.)

(Briefe von Mendelssohn-Bartholdy.)

Ed. H. Zu den anziehendsten, rührendsten Freundschaftsverhältnissen zwischen Künstlern gehört das Bündniß Hauser’s mit Felix Mendelssohn-Bartholdy. Von den mir im Original vorliegenden 47 Briefen Mendelssohn’s an Hauser ist der erste vom 16. April 1830 datirt, der letzte vom 27. September 1846, also kurz vor dem Tode des Schreibers. Innerhalb dieser langen Zeit, in welcher den beiden Freunden nur selten und für wenige Tage ein Wiedersehen gegönnt war, strömt fast ununterbrochen der herzlichste Briefwechsel. Wie Mendelssohn’s Briefe die ganze Liebenswürdigkeit und feine Bildung des Schreibers athmen, so flößen sie auch für den Empfänger den wärmsten Antheil, ja den größten Respect ein. Ein Mann, welchem Mendelssohn mit solcher Wärme und Anhänglichkeit schreibt, konnte als Mensch und Künstler unmöglich zu den gewöhnlichen Erscheinungen zählen. Es kann nicht meine Absicht sein, alles Charakteristische und Interessante aus diesen (mitunter sehr ausführlichen) Mendelssohn’schen Briefen hier mitzutheilen, welche Hauser’s Sohn vielleicht einmal selbstständig und complet herausgibt. Einiges jedoch, was für Hauser’s Wesen und seine Beziehung zu Mendelssohn besonders charakteristisch erscheint, möge hier Platz finden.

Zuerst ist es Sebastian Bach, der musikalische Abgott beider Freunde, wovon Mendelssohn (Berlin 1830) schreibt, zunächst mit Bezug auf die Matthäische Passionsmusik, aus welcher Hauser Einzelnes in Wien ausgeführt hörte. „Wird denn,“ fragt Mendelssohn, „dort nie eine vollständige Aufführung zu Stande kommen?“ *) „Im Anfang wollte (in Berlin) Keiner daran, sie meinten, es sei zu verwirrt und ganz unsinnig schwer. Doch schon nach einigen Proben war das Alles anders geworden, und sie sangen mit einer Andacht, als ob sie in der Kirche wären. So gingen denn auch die beiden ersten Aufführungen ganz herrlich, und es zeigte sich wieder, daß das Publicum immer gut ist, wenn man ihm nur das Gute gibt.“ Bald nach diesem Briefe kam Mendelssohn, auf der Reise nach Italien, selbst nach Wien und wohnte bei Hauser in der „Bärenmühle“ auf der Neuen Wieden. Dieser Aufenthalt bei Hauser ist ihm unvergeßlich. „Sie haben mir wieder,“ schreibt Mendelssohn aus Rom (1831), „einen göttlichen Choral von Bach geschickt und selbst geschrieben, und das Ganze sieht so zierlich und nett und doch gelehrt aus, wie mein Zimmer in der „Bärenmühle!“ Und aus Genua heißt es einige Monate später: „Sie glauben nicht, wie ich täglich mit Dankbarkeit an die Tage denke, die ich bei Ihnen im Bücherzimmer mit vier Fenstern wohnte! Sie haben mir eine sehr frohe Zeit gemacht, und so lange mir die Erinnerung daran bleibt, so lange werde ich’s Ihnen danken. Das möchte ich aber gar zu gerne wieder einmal mündlich thun und möchte wieder einmal einen ordentlichen Menschen sehen, eine ordentliche Stimme hören und ordentliche Musik machen können. Hier im kalten Italien gibt es dergleichen nicht. Bewunderung und Verehrung hat man vollauf von den Menschen, aber keine Freude. Sie sind herabgesunken oder vielmehr sie sinken täglich, und das ist ein Jammer mit anzusehen. Daß sie keine Wahrheit und keinen Heldensinn haben, wußt’ ich schon längst. Aber der grelle Widerspruch eines warmen, blühenden, phantastisch schönen Landes über alle Länder, mit kalten, trockenen, ärmlich philisterhaften Menschen, unter allen anderen Völkern, das hätt’ ich mir nicht so arg gedacht. Wenn man mit einem kleinen Jungen spricht oder Kinder nur ansieht und da noch das alte Feuer, den alten Geist und die Lebendigkeit hervorsprühen sieht, und dann die Aelteren, denen alle Richtung, alle Gesinnung fehlt, die so durch und durch sittlich, also auch geistig verdorben sind — man möchte zuweilen traurig darüber werden, und dann sehen Berge, Bäume, Meer und Inseln so lächelnd d’rüber herein und blicken so heiter und so schön, trotz allem Elend um sie herum; es ist ein sonderbares Bild. Das erklärt auch, warum es ehemals das Land der Kunst war; die Zeit ist längst vorüber, und ob sie wiederkommt, weiß Keiner von uns. Sollten Sie aber wol denken, daß ich eine unglaubliche Sehnsucht nach irgend einem gesunden Ton, einem schönen Klang habe? Was das Volk hier singt, ist so entsetzlich barbarisch, die Stimmen so unrein und gemein roh, daß man gewiß denkt, hier kommt ein Betrunkener der taumelt, bis man merkt, der Mann sei ganz nüchtern und singe eine der berühmten Barcarolen.“ Aehnliche Klagen, stets abwechselnd mit herrlichen Schilderungen italienischer Gegenden, wiederholen sich in den Briefen aus Rom, von wo aus Mendelssohn unter Anderem Hauser widerräth, ein Engagement in Italien anzunehmen. „Daß kein Mensch hier eine Ahnung von Ihnen haben kann, davon bin ich überzeugt. Das Beste, was Sie haben, versteht hier Keiner, und dazu ist das Repertoire so unglaublich klein, so nur auf Bellini beschränkt, daß es Ihnen unmöglich auf einige Zeit nur erträglich sein kann.“ „Wissen Sie woll noch,“ schließt Mendelssohn einen Brief aus Rom vom März 1831, „daß ich an Ihrem Clavier einmal eine Stelle aus Goethe’s „Erster Walpurgisnacht“ componirte: „Doch ist es Tag, sobald man mag ein reines Herz dir bringen“, und daß ich Sie nachher sehr damit quälte, indem ich es Ihnen immer wieder vorspielte? Mir baut sich das Ding nun zusammen, und ich werde das ganze Gedicht als eine neue Sorte von Cantate componiren, für Chöre und großes Orchester; es kann bunt genug werden, denn es sind prächtige Elemente darin.“ Interessant ist auch die Mittheilung Mendelssohn’s, daß er ein neu componirtes Lied an Hauser schicken wollte, als ihm zum Glücke einfiel, „daß alle Briefe, die ich aus oder nach Oesterreich geschrieben hatte, mit Noten darin, nicht angekommen sind. Sie halten es für Chiffren; es ist wahrlich zu abgeschmackt, aber noch neulich ist mir ein Brief an den alten Sir George Smart, dem ich einen Canon schickte, wieder aufgefangen worden und nicht angekommen.“ Von Luzern aus (August 1831) verabredet Mendelssohn ein Zusammentreffen mit Hauser in München, das auch glücklich zu Stande kommt und den Freundschaftsbund noch enger knüpft. Von da an erscheint in ihren Briefen das „Du“ an Stelle des früheren „Sie“. Von einem kurzen Aufenthalte in Düsseldorf auf der Reise nach Paris (December 1831) meldet Mendelssohn als die „Hauptsache“, daß Immermann ihm einen Operntext schreibe, und zwar nach Shakspeare’s „Sturm“, worin die Rolle des Caliban Hauser zugedacht sein soll. Opernprojecte beginnen nun immer anhaltender Mendelssohn zu beschäftigen; von Paris aus erkundigt er sich genau bei Hauser, wie viel deutsche Theater-Directionen für einen Operntext zu zahlen pflegen. Mendelssohn will in Immermann’s Namen mit der Münchener Theater-Direction verhandeln und „möchte nicht, daß Immermann zu kurz käme bei seiner noblen Art, die ganze Sache zu nehmen“. Aus Paris schreibt Mendelssohn manche feine Bemerkung über Kunst und Leben, hierauf aus Berlin meistens Geschäftliches, Verleger-Angelegenheiten und dergleichen. Die Herren Verleger zeigten sich häufig sehr nachlässig im Antworten und sehr knickerisch in ihren Anboten. Nach einer solchen Erfahrung schreibt Mendelssohn, „daß ich mir den Teufel draus mache, ob mein Concert in Deutschland erscheint oder nicht. Wenn ich stumpf oder todt bin, werden sie mich loben“. Nicht ohne Schwierigkeit und eifrigste Bemühung gelingt es Mendelssohn, dem Freunde einen schematischen Katalog aller in Berlin befindlichen Compositionen Bach’s zu verschaffen. „Ich hoffe, du wirst mich loben,“ schreibt er an Hauser, „und ich sage mit Angoulême, als er von irgend einem lausigen Feldzug zurückkam: Mon père, je suis content de moi.“ In diesem und in folgenden Briefen (aus Berlin 1838) vertieft sich Mendelssohn in Details über Bach’sche Manuscripte in äußerst interessanter Weise, wobei der unbefangene, lebendige Kunstsinn stets die Oberhand behält über blos antiquarisches Interesse. So zweifelt er keinen Augenblick an der Unechtheit einer vermeintlich Bach’schen Passionsmusik nach dem Evangelium Lucas. „Es thut mir leid, daß du für die „Passion St. Lucas“ so viel Geld gegeben hast; zwar als unbezweifeltes Manuscript ist es nicht zu theuer bezahlt, aber ebenso gewiß ist diese Musik auch nicht von ihm.“ Und im nächsten Briefe setzt er fort: „Du fragt, aus welchem Grunde der Lucas nicht von Sebastian Bach sein soll? Aus inneren. Es ist zwar fatal, daß ich’s behaupten muß, denn sie gehört dir, aber kuck’ einmal den Choral oder, wie es sonst heißt, „Tröste mich und mach’ mich satt“ an; wenn das von Sebastian ist, so lass’ ich mich hängen, und doch ist’s unleugbar seine Handschrift. Aber es ist zu reinlich, er hat es abgeschrieben. Von wem sonst? fragst du. Von Telemann oder M. Bach oder Locatelli oder Altnickel oder Jungnickel oder Nickel schlechtweg, was weiß ich? Aber nicht von dem.“ Beiläufig taucht ihm (in Berlin 1833) wieder der Gedanke auf, vielleicht im Sommer nach Wien zu kommen. „Dort gibt es doch noch lustige Menschen und fruchtbares Land und schöne Mädchen. Hier ist nichts dergleichen, und was das Schlimmste ist, die Leute sind seit den letzten drei Jahren stehen geblieben, das heißt zurückgegangen; dazu sind die Mädchen so gebildet und so häßlich, daß es ein Elend ist.“

Wie diese Berliner Briefe, so sind auch die darauffolgenden Düsseldorfer aus den Jahren 1834 und 1835 nach Leipzig adressirt, wohin Hauser inzwischen übersiedelt war. Auf Hauser’s Wunsch nach neuen Liedern von Mendelssohn antwortet dieser: „Ich will in keinem Falle jetzt gerade ein Liederheft wieder ediren, ich schlage mich wieder auf eine Weile ins Ernsthafte, sonst hält mich das Lumpengesindel für ihresgleichen und freuen sich über meine „fließende“ Schreibart, ein Wort, das ich nicht ausstehen kann.“ Aus Düsseldorf, wo Mendelssohn bekanntlich eine außerordentliche Thätigkeit entwickelte, erhält er Hauser stets in Kenntniß von seinen Plänen, Arbeiten und Erlebnissen. Die Oper beschäftigt ihn sehr, und er wünscht Hauser für ein Gastspiel nach Düsseldorf zu gewinnen. Für einen Brief Hauser’s über die Ouvertüre: „Meeresstille und glückliche Fahrt“ dankt Mendelssohn mit besonderer Wärme: „Weiß Gott, welche Freude es mir macht, wenn auch ordentlichen Musikern wol ein Stück von mir gefällt, wie du mir das von der Meeresstille schreibst (mit euch meine ich hier dich, sonst Niemanden). Auch ist’s mir lieb, wenn ich abgehe, als Maculatur, wenn’s nur geht. Ich lese eigentlich wenig Sachen mit mehr Interesse, als das Notenpapier, worin Simrock und Andere ihre Sendungen einschlagen, und denke, „„die Leute haben ihr Stück auch lieb gehabt und muß ihnen nun so gehen!““ und denke, das arrivirt mir auch.“ So erfreut Mendelssohn über die Zustimmung befreundeter Musiker ist, so gleichgiltig läßt ihn das Urtheil der Musikzeitungen, von denen er sehr despectirlich spricht: „Im Ernst, soll ich das Blatt lesen?“ fragt er Hauser mit Bezug auf eine neue Musikzeitung, „was du mir auch rathen magst, so lese ich’s doch nicht. Die einzige musikalische Zeitung, die ich liebe, ist der Galignani Messenger, weil er Reden von Lord Grey und Brougham etc. enthält, die welthistorisch schön sind. Wie die Leute sprechen und denken, wenn man das liest, beneidet man die Engländer wider etwas, denn die deutsche Nation hat heute Niemanden, den sie gegen Brougham stellen kann, als etwa Rellstab, und kaum.“

Im September 1834 feiern die beiden Freunde ein kurzes Wiedersehen in Leipzig und schließen einen förmlichen Vertrag, daß Hauser am 15., Mendelssohn am 1. jeden Monats schreiben soll. Auf dem Rückweg verweilt Mendelssohn in Kassel, wo damals M. Hauptmann (der später berühmt gewordene Theoretiker und Cantor an der Thomasschule zu Leipzig) lebte. „Hauptmann suchte ich gleich Morgens auf, und zu meiner Freude kann ich dir sagen, daß er mir in allen Beziehungen eine so angenehme, wohlthuende Erscheinung war, wie ich lange nicht gesehen. Er ist erstlich durch und durch gut und ernsthaft und ein wahrer Musiker, und dann hat sein Wesen eine gewisse Ruhe ohne Kälte, Vornehmheit ohne allen Dünkel, wie ich’s liebe. Ich fühlte mich so recht behaglich mit ihm; wo wir einer Meinung waren, freute mich’s, und wo wir auseinandergingen, war mir’s wieder interessant — kurz du hast mir gewiß nicht zu viel von ihm gesagt, und ich danke dir für den frohen Tag, den ich mit ihm zugebracht habe. Nur Eins hat mir leid gethan an ihm, das ist eine gewisse Resignation in seinem Wesen, namentlich hinsichtlich der Compositionen, die mir nur durch den Mangel an anregender, theilnehmender Umgebung, nicht aus tieferen Gründen herzustammen schien; aber darum that es mir doppelt leid, und ich gäbe was d’rum, wenn ich länger mit ihm hätte zusammen sein können, um dem mehr nachzuspüren. Denn als wir über seine Messe sprachen und ich ihm aufrichtig angab, was mir darin sehr zusagte und was nicht, und als ich ihn bat, eine neue, noch bessere zu machen, die die Fehler nicht hätte, an denen er sich stieß und die ihn selbst mehr störten, als die Anderen wol, da wurde er lebendiger, als ob es ihm neu wäre, daß ein Musiker an den Sachen des anderen herzlichen Antheil nehmen kann, und er versprach mir, eine neue Messe zu schreiben, und ich glaube, an dem Tage dachte er ernstlich daran. Aber ich fürchte, wenn die Zweifel dann wieder kommen, ohne daß sie Einer wegleugnet und vertreibt, und wenn die Umgebungen wieder erkälten, statt anzuregen, dann wird er wenig mehr in diese Stimmung zurückkommen oder die ganze Sache gar vergessen. Doch schreibe ich ihm nächstens und erinnere ihn an sein Versprechen; das sollte schön sein, wenn ich’s wirklich dazu brächte, daß er die Messe schriebe.“ Ich konnte mir’s nicht versagen, diese ganze, den Besuch bei Hauptmann betreffende Stelle aus Mendelssohn’s Brief hier mitzutheilen, weil sie von der Bescheidenheit, Wärme und Liebenswürdigkeit Mendelssohn’s ein deutlicheres Bild gibt, als spaltenlanges Lob. — Interessant ist auch Mendelssohn’s Mittheilung über eine Soirée in Kassel, in welcher er spielen mußte. „Ich stellte mich ungeberdig genug an, und es gelang mir auch schlecht. Einmal mag ich nun vor Hofmarschallinnen nicht spielen, ich passe da nicht hin, und dann machte mich Spohr befangen. Er hatte mir den Morgen sein neues Oratorium vorgesungen, ohne daß mir warm dabei geworden wäre, und da denke ich immer, es müßte ihm bei meinen Sachen noch schlimmer gehen, sie müßten ihm mißfallen. Denn er schreibt doch seine Ueberzeugung hin, das muß wahr sein, und lügt nicht dem Publicum zuliebe; darum bin ich ihm auch gut, ob ich gleich das Wenigste von seiner Kirchenmusik und gar keine enharmonische Verwechslung leiden kann.“

In Düsseldorf hatte bekanntlich Mendelssohn’s anfängliche Begeisterung für das Theater und seine Harmonie mit Immermann bald ein Ende: die kalte Realität verscheuchte erbarmungslos die idealistischen Träume. Am 2. December 1834 schreibt er an Hauser: „Seit ich das Theaterwesen über Bord geworfen habe, ist mir sauwohl. Curios, Immermann und einige Andere nehmen mir’s schrecklich krumm und halten wenig auf mich, und so was ennuyirt mich sonst stark; diesmal aber glitscht es ab, wie Wasser von einem Wachstuchhut, und ich sitze darunter im Trockenen.“

Gegen Preisausschreibungen hatte Mendelssohn einen eingefleischten Widerwillen. „In Wien,“ schreibt er (1835) an Hauser, „haben sie für die beste Symphonie einen Preis von 50 Ducaten ausgesetzt, und Seyfried, Umlauf und Conradin Kreutzer und Consorten sollen’s entscheiden, lauter Kerls, die keine Symphonie zusammenbringen können, und wenn sie sich drei Jahre kasteiten. Wär’ es ein Comité von den besten Componisten der ganzen Welt, so möcht’ ich auch um keinen Preis concurriren; der bloße Gedanke, daß ich eine Preismusik componirte, machte mich so unmusikalisch wie Umlauf und Seyfried zusammengenommen. Und hätte ich eine Symphonie fertig liegen, so würde ich mich wohl hüten, die hinzuschicken, denn da können die andern Leute drüber urtheilen, und am Ende findet sich’s doch, ob sie was taugt oder nicht. Das ist so eine Art Treibhauscultur, und die 50 Ducaten sind das Mistbeet, ob aber eine Cactus-Symphonie herauskommt, ist die große Frage.“ Auch mit seinem chronischen Librettoschmerz wendet sich Mendelssohn um Rath an Hauser. „Wenn ich nur (schreibt er aus Düsseldorf 1835) einen rechten Text kriegen könnte, hungrig genug bin ich darauf, und wollte nicht übel darüber herfallen. Aber Klingemann thut gar nichts und macht mir keinen Vers, und sonst kenne ich keinen ordentlichen Dichtermenschen. Jetzt muß ich darüber lachen, daß ich es einmal mit Immermann hatte versuchen wollen. Bei diesen jetzigen Theater-Angelegenheiten habe ich den Mann und seinen mir widrigen Charakter recht kennen gelernt, und sehe nun, wie dumm das von mir war, so im Allgemeinen an einen deutschen Dichter und dessen Frische zu glauben. Das geht Alles in Vornehmigkeit und Selbstbewußtsein unter; wenn Einer jetzt wol einen Vers macht, den die Journale loben können, oder gar wirkliches Talent hat, so kriegt er gleich so verteufelt viel Selbstbewußtsein, daß er gar nichts Andres mehr weiß, und statt sich munter umherzutummeln und sich’s sauer werden zu lassen, ruht er gleich auf den Lorbeern, die er noch lange nicht hat. Gott bessere es; sind doch die Musiker ebenso. Aber die Maler hier, die muß man loben; das sind ordentliche Menschen, und fleißig und freuen sich ihres Lebens.“

Nach einigen Frankfurter und Berliner Intermezzos folgen nun die Briefe fast ununterbrochen aus Leipzig, wo Mendelssohn festen Fuß gefaßt. Von dort animirt er 1843 Hauser, nach Leipzig zu kommen, nachdem er zwei Jahre früher ihm abgeredet, ein Engagement in Berlin zu suchen. **) Der Wunsch, Mendelssohn in Wien zu sehen, veranlaßt Hauser zu einer Art Vermittlerrolle zwischen diesem und der Gesellschaft der österreichischen Musikfreunde, welche den „Paulus“ gerne unter Mendelssohn’s persönlicher Direction gegeben hätte. Aus der Reise wurde bekanntlich nichts; Mendelssohn, anfangs geneigt, zu kommen, fühlte sich jedoch durch das wenig correcte und wenig rücksichtsvolle Benehmen der „Gesellschaft“ bald zum entgegengesetzten Entschlusse veranlaßt. Seine ausführlichen Briefe über diesen Punkt sind für die früheren Musikverhältnisse in Wien und namentlich für die gedachte „Gesellschaft“ nicht eben rühmlich. Auf das angelegentlichste empfiehlt Mendelssohn im Jahre 1846 seinem Freunde Hauser die Jenny Lind. „Ich bilde mir ein, es muß dir mit ihr so gehen, wie mir, dem sie eigentlich niemals eine Fremde, sondern wie eine „von den Unsrigen“ (von der unsichtbaren Kirche, über die du mir sonst zuweilen schriebst) erschienen ist. Sie zieht mit uns Allen, die wir’s mit der Kunst redlich meinen, Einen Strang, denkt an dasselbe, strebt nach demselben, und darum ist alles Gute, was ihr in der Welt widerfährt, mir genau so schmeichelhaft, als wenn’s mir selbst widerführe, und hilft mir und uns Allen ebenso gut weiter. Und dir, dem Sänger, muß es noch gar eine besondere Freude sein, diese Vereinigung von glücklichster Anlage, tiefstem Studium und innerster Herzlichkeit einmal endlich zu finden.“ — In den letzten Briefen Mendelssohn’s tritt sein Wunsch, nach Wien zu kommen, immer bestimmter auf. „Wahrhaftig, ich muß einmal nach Wien,“ schreibt er im Mai 1846 an Hauser, „ich höre doch gar zu viel rechts und links davon erzählen, und ihr sagt mir Alle so viel Freundliches über meine Musik und so viel Außerordentliches über ihre Ausführung dort, daß mir der Mund sehr wässerig wird. Vielleicht bring’ ich den „Elias“ an, wenn er ganz neu ist, so gegen den Winter, oder ich warte, bis ich einen Opernstoff gefunden und componirt habe und bis die Jenny Lind wieder einmal da ist — und das Letztere wäre mir das Liebste — aber auf irgend eine Art hoffe ich mir doch eure Kaiserstadt einmal selbst anzusehen, und dann gehe ich zuerst nicht nach dem Stephansthurm, auch nicht zum Sperl, sondern in die Bärenmühle. Aber da wohnst du freilich nicht mehr — also dahin, wo du wohnst!“ — Leider ist dieser Plan, auf dessen Realisirung Hauser sich wie ein Kind gefreut, durch den frühen Tod Mendelssohn’s in traurigster Weise vereitelt worden. Während sich in Wien Alles zum frohen Empfange des Meisters und zur ersten Aufführung des „Elias“ rüstete, kam ganz unerwartet die Nachricht von seinem Tode, am 4. November 1847. Seine letzten Briefe an Hauser schrieb Mendelssohn am 27. September 1846, kurz nach seiner Rückkehr aus England nach Leipzig. Der heiter scherzende Schluß ist weit entfernt von jeder Ahnung, daß es der letzte Brief an den Freund, der letzte Gruß im Leben sei! Dieser Schluß lautet: „Bleib’ mir gut, deinem alten, sehr unveränderlichen, aber sehr eiligen, aber sehr vergnügten, die Seinigen sehr wohl angetroffen habenden, sehr faulen, die Deinigen tausendmal grüßenden, einen miserablen Briefstyl schreibenden, mit seinen fünf Kindern fast täglich spazieren fahrenden, ihnen Kuchen kaufenden, sie möglichst erziehenden und dennoch fast gelbschnäblichen, burschikosen und die verfluchten Philister von ganzer Seele perhorrescirenden, wohlbekannten Felix Mendelssohn- Bartholdy m. p.“

Fußnoten
  • *)Dieser Wunsch wurde erst 32 Jahre später erfüllt, durch die erste Aufführung der „Matthäus-Passion“ im Jahre 1862.
  • **)Dieser Brief, ddo. Berlin, 12. October 1841, ist seltsamerweise das einzige an Hauser gerichtete Schreiben Mendelssohn’s, welches in die gedruckte Sammlung Mendelsohn’scher Briefe (2. Band, S. 306) aufgenommen wurde. Und doch hat Hauser dem Herausgeber den ganzen reichen Briefschatz zur Disposition gestellt.