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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 3294. Wien, Freitag, den 24. October 1873

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Gounod über Componisten und Dirigenten.


0002Ed. H. Gounod, der gefeierte Componist des „Faust“
0003und „Romeo“, hat kürzlich von London aus einige Briefe
0004an Herrn J. L. Heugel gerichtet und in dessen Musik-
0005zeitschrift „Le Ménestrel“ veröffentlicht. Diese Briefe („Les
0006compositeurs — chefs d’orchestre“) machen mit Recht
0007Aufsehen in der Musikwelt. Gehört es doch zu den an-
0008ziehendsten und fruchtbarsten Dingen, wenn schaffende
0009Künstler von Bedeutung über praktische Fragen ihrer Kunst
0010selbst das Wort ergreifen. Die Technik des Dirigirens, wie
0011sie Berlioz und Wagner in ihren bekannten geistvollen Auf-
0012sätzen erörtert haben, ist allerdings nicht Gegenstand der
0013Gounod’schen Briefe; diese behandeln ein specielleres Thema,
0014ein so ganz eigenartig französisches, daß man bei uns die
0015Möglichkeit eines Streites darüber vielleicht kaum begreifen
0016wird. Es ist die Frage: ob ein Tondichter das Recht
0017haben solle, seine eigenen Compositionen zu dirigiren? In
0018Deutschland bestand nie ein Zweifel darüber; nicht nur ein-
0019heimischen Componisten gönnen wir regelmäßig dieses Vor-
0020recht, wir pflegen sogar ausländische Tondichter eigens zur
0021persönlichen Leitung ihrer Werke einzuladen. So haben in
0022Wien Meyerbeer, Gounod, Offenbach erste Vorstellungen im
0023Hofoperntheater selbst dirigirt, und wurde erst kürzlich Am-
0024broise Thomas (für „Hamlet“) darum ersucht. In Paris 
0025haben weder Meyerbeer noch Gounod, Offenbach, Thomas etc.
0026jemals ihre Opern dirigirt, so sehr sie es wahrscheinlich ge-
0027wünscht hätten. Es ist das ein altes, streng gewährtes Her-
0028kommen in Frankreich, daß nur der angestellte Capellmeister
0029eines Theaters oder Concert-Institutes die aufzuführenden
0030Werke dirigiren darf. Die merkwürdige Wahrnehmung, daß
0031die im Leben und in der Mode so flatterhaften Franzosen
0032überaus conservativ in Fragen der Kunst sind und mit
0033zäher Hartnäckigkeit an alten, anderswo lang überwundenen
0034Literatur-, Kunst- und Theater-Regeln festhalten, finden wir
0035hier abermals bestätigt. Den Anlaß zu Gounod’s Send-
0036schreiben gab die Nachricht vom Tode George Hainl’s,
0037des ersten Capellmeisters der Großen Oper in Paris.
0038Gounod erachtet den Zeitpunkt für günstig, mit der Neu
0039besetzung dieser Stelle zugleich eine Reform in ihren Rechten
0040und Pflichten eintreten zu lassen. Sein Aufsatz, welcher
0041durch den Inhalt wie durch den individuellen warmen Aus-
0042druck des geistreichen Verfassers auch die deutschen Leser in-
0043teressiren wird, soll hier — mit einigen nothwendigen und
0044das Wesentliche der Frage nicht alterirenden Kürzungen —
0045möglichst getreu wiedergegeben sein.


0046Gounod schreibt: „Ueberall, ausgenommen in Frank-
0047reich, haben die Tondichter das Recht und die Gelegenheit,
0048ihre Werke im Theater oder im Concert selbst zu dirigiren.
0049In Italien und in Deutschland besteht diese Uebung seit
0050undenklichen Zeiten, man hat dort den Componisten dieses
0051natürlichste aller Rechte niemals bestritten. Woher kommt
0052es, daß man ihnen dasselbe in Frankreich verweigert? Man
0053behauptet, dieser Anspruch des Tondichters sei ein Angriff
0054auf die Rechte und auf das Ansehen des angestellten Capell-
0055meisters. Man fügt hinzu, daß viele Componisten nicht fähig
0056sind, ein Orchester oder eine Oper zu dirigiren. Endlich
0057— um den Knoten zu zerhauen — ist es „nicht üblich“.


0058Untersuchen wir einmal das Gewicht dieser Gründe.
0059Also zuerst, die Rechte des Capellmeisters! Nach welchen
0060Gesetzen und Principien schließen die Rechte des Capellmei-
0061sters das Recht des Componisten auf die Leitung seines
0062eigenen Werkes aus? Betrachtet sich der Orchester-Dirigent
0063als unabhängig vom Componisten? Ist er nicht vielmehr
0064der Dolmetsch, der Mandatar einer Idee, welche nicht
0065die seinige
ist? Und hat er deßhalb nicht zunächst die
0066Pflicht, sich von dieser Idee völlig durchdringen zu lassen
0067und nur die treue Reproduction derselben zu sein? Man
0068glaubt gar nicht, wie sehr eine scheinbar geringe Abweichung
0069von dem Zeitmaß, den Accenten, der Schattirung, welche der
0070Componist gewollt, seine Gedanken verändern, ihnen Aus-
0071druck und Farbe rauben kann — bis zur Unkenntlichkeit!
0072Ich sah Richard Wagner in seiner Loge sich wie ein wüthen-
0073der Löwe wehren bei der Aufführung seines „Tannhäuser“
0074in Paris; er schien jeden Augenblick bereit, ins Orchester zu
0075springen und den Taktstock aus den Händen eines Capell-
0076meisters zu reißen, welcher das Werk ganz gegen die Inten-
0077tionen des Autors dirigirte. Ich frage die Capellmeister
0078selbst und mache sie zu Richtern in der Frage. Ist ein Ein-
0079ziger unter ihnen, der als Autor einer dramatischen Com
0080position gerne und freiwillig die Direction derselben
0081fremden Händen anvertrauen möchte? Nicht Einer. Und
0082das ist ganz natürlich. Es gibt in jedem Tonwerke, ins-
0083besondere einem dramatischen, eine Unzahl von Einzelheiten,
0084Schattirungen und Nüancen, von Zügen, die flüchtig und
0085wechselnd wie unsere Gesichtszüge, für das musikalische und
0086scenische Leben unentbehrlich sind und die, durch kein
0087geschriebenes Zeichen fixirbar, durchaus nur durch Ueber-
0088lieferung
an das Gedächtniß, die Einsicht und das Ge-
0089fühl des Capellmeisters gelangen können. Wenn nun dieser
0090kein Gedächtniß hat, oder keine Einsicht, oder kein
0091Gefühl? (Denn jeder dieser Uebelstände kann eintreten;
0092mitunter auch alle zusammen, wie man ja erlebt
0093hat.) Und da soll der Componist verurtheilt sein,
0094stillschweigend dabei zu stehen und zähneknirschend das
0095Unrecht hinzunehmen, welches Mißverstand oder Unfä-
0096higkeit seiner Schöpfung anthun, ein Unrecht, dessen nach-
0097theilige Folgen doch nur auf ihn selbst zurückfallen? Hält
0098man etwa eine Composition für einen auf alle Pferde pas-
0099senden Sattel, oder für eine Kautschukpuppe, welche gegen jeden
0100Druck, gegen jede Verzerrung gleichgiltig bleibt? Man muß
0101total unmusikalisch sein, um nicht zu begreifen, daß eine
0102musikalische Idee ebensoviel einbüße, wenn ihr Zeitmaß, als
0103wenn ihre Form entstellt wird. Es gibt kalte, apathische
0104Dirigenten, es gibt hitzige, unbesonnene; ich kannte auch
0105welche, die alle Tempi (Allegros wie Adagios) auf ein
0106gleichförmiges, geistloses Moderato zurückführten, das den
0107ruhigen Pulsschlag ihres eigenen Gleichmuthes wiedergab.
0108Ist es gerecht und würdig? Ist das nicht geistige Ver-
0109leumdung
, die schlimmste von allen, da ja das Publi-
0110cum nur dasjenige zu sehen vermag, was ihm gezeigt wird,
0111und der Gekränkte nicht auf Verleumdung klagen kann?
0112Wie? Ein Mensch hat seine Seele, sein Herz, seine Lebens-
0113kraft, seine ganze innere Andacht aufgewendet, um in flüch-
0114tigen Tönen ein treues, wahres Gemälde tausendfältigen
0115Gefühlslebens hinzustellen, damit der erste Beste daherkomme
0116und mit dem Tactirstab der Nachlässigkeit oder Unvernunft
0117Alles nivellire, was es nur Zartes, Persönliches, Intimes
0118in einem Werke gibt, welches das Abbild einer Individua-
0119lität ist, vielleicht das einer Welt! Das ist doch das Aergste
0120an Widersinn und Grausamkeit. Ich wiederhole es: man [2]
0121muß keine Ahnung haben von dem Wesen des musikalischen
0122Ausdruckes, um die innige Beziehung, ja Identität nicht zu
0123begreifen, welche zwischen dem erfindenden Kopf und der
0124dirigirenden Hand besteht. — Man entgegnet, daß ja der
0125Capellmeister den (vom Componisten geleiteten) Proben 
0126beiwohnt. Was will das sagen? Er könnte ihnen hundert
0127Jahre lang beiwohnen, ohne Nutzen, wenn es ihm an In-
0128telligenz, an Gedächtniß oder an Gefühl fehlt. Das Beste
0129und Sicherste für ihn bleibt immer eine Reihe von öffent-
0130lichen Aufführungen unter der Leitung des Componisten.
0131Fragt Richard Wagner, Félicien David, Offenbach,
0132fragt die Schriften von Berlioz, diesem großen Coloristen,
0133der mit seiner Hand die Töne des Orchesters erzittern zu
0134machen schien, und ihr werdet erfahren, welch großen Ein-
0135fluß die persönliche Direction des Autors auf die Klar-
0136heit der Aufführung und damit auf die Chancen des Er-
0137folges hat.


0138Gehen wir nun auf die Frage von dem Ansehen und
0139der Würde
des Capellmeisters über. Offen gestanden,
0140ich begreife nicht, was man mit der „Würde“ eines Capell-
0141meisters meint, welche verletzt sei, sobald er seinen Tactstab
0142dem Tondichter überläßt. Der Wunsch eines Autors, sein
0143eigenes Werk zu dirigiren, bedeutet ja nicht entfernt, daß
0144der Capellmeister kein erfahrener und tüchtiger Dirigent sei.
0145Die Sache ist einfach folgende: Um eine Tondichtung ge-
0146treu wiederzugeben, muß man vollständig eingedrungen sein
0147in alle Einzelheiten der Accente, Schattirungen, Tempi und
0148in den Zusammenhang, welcher zwischen den einzelnen Perio-
0149den eines Satzes und zwischen den verschiedenen Musikstücken
0150eines großen Werkes besteht. Kann nun, frage ich, irgend
0151ein Capellmeister, und sei es der allerbeste, behaupten, er
0152habe von einer Tondichtung eine so genaue Synthese und
0153Analyse im Kopfe, wie der Componist, der sie geschaffen
0154hat und in Zeichen setzte, deren Zusammenhang mit seinen
0155Intentionen er besser als jeder Andere kennen muß? Um
0156einen solchen Organismus ganz zu durchdringen, muß man
0157oft und mit gespannter Aufmerksamkeit die leisesten Schwingun-
0158gen jener lebendigen Maschine beobachtet haben, die wir ein
0159Tonwerk nennen, und von welcher die Regelmäßigkeit des
0160Metronoms keine Vorstellung zu geben vermag.


0161Man muß endlich nicht mit dem Namen „Würde“ jed-
0162wede Form beehren, welche die Empfindlichkeit der Eigen-
0163liebe annimmt. Nichts ist in höherem Grade „würdig“, als
0164wenn wir erkennen und gestehen, daß es unsere Pflicht sei,
0165auf das gewissenhafteste ein Mandat auszuführen, sobald wir
0166es angenommen haben. Und was ist die Thätigkeit eines
0167Capellmeisters Anderes, als ein Mandat, ein Auftrag?
0168Wenn der Componist noch lebt, so ist der Dirigent
0169der Abgeordnete seiner Intentionen; hat der Com-
0170ponist bereits die Augen geschlossen, so ist der Dirigent
0171der Abgeordnete der Tradition. In beiden Fällen hat er sich
0172unterzuordnen, nicht sich vorzudrängen. Seine rechte „Würde“
0173besteht darin, nichts zu verabsäumen, was ihn in den voll-
0174ständigsten Zusammenhang mit den Ideen des Tondichters
0175setzen kann. Ich will nachweisen, daß die „Autorität“ des
0176Capellmeisters, weit entfernt, durch jene Unterordnung verletzt
0177zu sein, vielmehr durch sie befestigt und sanctionirt werde.
0178Es wäre nämlich ein grober Irrthum, zu glauben, die
0179Autorität fließe aus dem Willen; sie entspringt aus der
0180Intelligenz. Nicht die Gewalt ist’s, was die Autorität
0181begründet, sondern das Licht. Die Autorität ist nicht Zwang,
0182sondern Ueberredung; sie geht Hand in Hand mit der Wahr-
0183heit und bedeutet das gerade Gegentheil des Lügenwortes:
0184„Gewalt geht vor Recht“. Was ich von der Gewalt gesagt,
0185braucht man nur auf die Routine anzuwenden; diese ist
0186nichts Anderes, als die Gewalt der Gewohnheit, welche sich
0187an die Stelle des Rechtes und der Wahrheit setzt. Wenn
0188aber die Autorität dem Lichte entspricht, so werden folge-
0189richtig das Vertrauen und die Unterwerfung unter dieselbe
0190mit der Summe des Lichtes wachsen, das jene repräsentirt.
0191Je mehr von den Strahlen des ursprünglichen Lichtes der
0192Dirigent in sich aufnimmt, desto mehr Achtung wird seine
0193Autorität bei den Orchestermitgliedern begegnen. Wo aber
0194wäre diese Autorität mehr concentrirt, als in dem Autor?
0195Wer vermöchte sie besser als er auf einen Zweiten zu über-
0196tragen? Jeder Andere ist aber gewissermaßen ein zweiter 
0197Dirigent, ein Abgeordneter, ein Stellvertreter. Unter der
0198persönlichen Leitung des Autors gelebt, gearbeitet und ver-
0199standen zu haben, seine Ideen nicht in der unvollständigen,
0200erkalteten Form der Erklärung, sondern als lebendigen, un
0201mittelbaren, augenblicklichen Eindruck zu empfangen — das
0202ist jederzeit die beste Gewähr für die Treue der Wiedergabe.


0203Die wesentliche Aufgabe besteht im Grunde darin, das
0204Kunstwerk dem „Buchstaben, welcher tödtet“, zu entziehen
0205und es anheimzustellen dem „Geist, der lebendig macht“.
0206Plato sagt mit der ihm eigenen göttlichen Sehergabe: Ein
0207Buch sei eine Rede, deren Vater nicht mehr da ist, sie zu
0208vertheidigen. Eine Partitur ist ein Buch; man muß Alles
0209anwenden, daß sie so viel als möglich lebendiges Wort
0210bleibe, d. h. die Seele, von welcher das Buch nur der Körper
0211ist; die Rede, von welcher die Noten nur die Stimme sind.
0212Es kann nicht zu oft wiederholt werden: Die Musik ist von
0213allen Künsten am meisten jenen Veränderungen unterworfen,
0214welche den Uebergang aus dem Geiste des Autors in jenen
0215des Publicums begleiten. Die übrigen Künste haben sämmt-
0216lich eine festere und vom Autor selbst fixirte Form; zwischen
0217dem Werke des Malers oder Bildhauers und dem Zuschauer
0218steht Niemand; zwischen dem Publicum und dem Werke des
0219Tondichters steht eine ganze Welt, und diese Welt kann ent-
0220weder transparent oder sie kann undurchsichtig sein, den
0221Lichtstrahl durchlassen oder abbrechen. Der Capellmeister ist
0222ein Mandatar, ein Beauftragter; je gewissenhafter er dieses
0223Mandat auffaßt, desto mehr wird er sich selbst von Verant-
0224wortlichkeit entlasten und seine Autorität auf einer soliden,
0225unerschütterlichen Basis befestigen.


0226Schließlich sagt man: Wozu sollen sich die Componisten
0227in die Orchesterleitung einmischen — es ist nicht üblich.
0228Da wären wir also! Immer dasselbe Lieblingargument
0229für die absurdesten Dinge. „Es ist nicht Sitte.“ Wolan
0230denn, so ändere man sie. Wäre es das erstemal? Wir ver-
0231bringen ja unser Leben damit und ganz gut. Wechselt nicht
0232die Mode? Und was ist die Mode, wenn nicht Gewohnheit?
0233Fürwahr, wir sollten uns endlich einmal von der Krankheit
0234dieser faden, maschinenmäßigen Antworten zu curiren trach-
0235ten — es ist ein wahrer Starrkrampf. Man erfindet Eisen-
0236bahnen, die es mir als Chirurgen ermöglichen, rasch bei
0237einem Verwundeten anzulangen und ihm durch eine Opera-
0238tion das Leben zu retten. Aber es ist üblich, mit der Post
0239zu reisen; ich nehme die Post. Vielleicht komme ich zu spät,
0240und der arme Blessirte ist seinen Wunden erlegen. Auf der [3]
0241Eisenbahn wäre ich noch rechtzeitig eingetroffen. Aber es ist
0242nicht üblich!


0243Die Kerker der Routine stehen allerorten und ihre
0244Mauern sind dick. Von Zeit zu Zeit entspringt ein Gefan-
0245gener und allarmirt die öffentliche Meinung; der neue
0246Sauerteig bringt die alte Masse in Gährung, und eines
0247schönen Morgens gewahrt man, daß, was gestern Alle revol-
0248tirte, heute Allen recht gut und vernünftig erscheint. Die
0249Gewohnheit ist eine Erscheinung von Zeit und Raum; Zeit
0250und Raum haben ihre Grenze, die Wahrheit nicht. Die
0251Langsamkeit unserer Communicationen führte zur Entdeckung
0252des Dampfes und der Elektricität. Nun wohl! Ich ver-
0253lange, daß man unsere langsame Communication mit dem
0254Publicum mittelst alter Postkutschen und Fiaker ersetze durch
0255die unmittelbare, leuchtende und magnetische Verbindung der
0256Urflamme, des persönlichen Blickes, der leidenschaftlichen Ge-
0257berde — mit Einem Worte, daß man dem Körper, genannt
0258„Orchester“, seine Seele, sein Herz und seinen Kopf zu Recht
0259zuerkenne: den Tondichter.


0260Man wird einwenden, daß der Componist unmöglich
0261überall zugegen sein kann, wo man sein Werk aufführt. Aber
0262es gibt überall eine Anzahl Capellmeister, welche sich zu
0263dieser gewissermaßen authentischen ersten Aufführung ein-
0264finden werden, um sich zu informiren; auf diese erste Muster-
0265Aufführung zum mindesten müßte alle Sorgfalt der Voll-
0266endung verwendet werden. Auch spricht man von der Un-
0267fähigkeit der Componisten, ihre Werke zu dirigiren. Nicht
0268Alle sind in diesem Falle. Ich habe Berlioz, Wagner, Fé-
0269licien David genannt, ich könnte noch den erlauchten Men-
0270delssohn anführen, den ich 1834 seine Werke in Leipzig 
0271dirigiren sah. Wenn irgend ein Componist wirklich kein Or-
0272chester zu leiten versteht, dann ist die Frage entschieden: er
0273muß sich auf einen Anderen verlassen, der dieses Amt ver-
0274sieht. Meine Thesis hält die Nothwendigkeit der Capellmeister
0275vollständig aufrecht. Ich schließe diese Betrachtungen, welche
0276hoffentlich genügend dargethan haben, daß die Gründe, mit
0277denen man das Recht der Componisten auf die persönliche
0278Leitung ihrer Werke anfechten will, nichts Anderes sind, als
0279Vorurtheile.