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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 3538. Wien, Freitag, den 3. Juli 1874

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Musikalisches aus Italien. II.


0002Ed. H. „Ich brauche keine lustigen Bücher, bin selber
0003lustig!“ sagte ein liebenswürdiger Wildfang, als ihm ein
0004Freund humoristische Lectüre anbot. Könnten die Italiener
0005von heute das Gleiche von sich rühmen! Sie, die vordem
0006so viele lachende Melodien, so viel musikalischen Frohsinn
0007producirten, daß halb Europa damit versorgt ward, sind
0008jetzt durch Politik und Geschäfte verdrießlich geworden und
0009„brauchen lustige Bücher“, das heißt sie müssen für ihre
0010musikalische Erheiterung ununterbrochen Offenbach und Le-
0011cocq importiren. In jeder größeren Stadt wird von fran-
0012zösischen oder italienischen Operettensängern allabendlich die
0013Schöne Helena“, „Blaubart“, die „Prinzessin von Trape-
0014zunt“, vornehmlich aber „Madame Angot“ aufgeführt — Ge-
0015sellschaften dritten Ranges, haben sie doch ein regelmäßig
0016starkes Publikum von Italienern, welche der Buffomusik
0017nicht entbehren können und doch musikalisch nicht mehr selber
0018lustig sind. In diesen Operetten muß wirklich ein unver-
0019wüstlicher Fonds von Komik und Melodienreiz stecken, wenn
0020sie bei so mittelmäßiger, mitunter elender Darstellung noch
0021Liebhaber finden. „Angot“ namentlich wurde — in Rom 
0022französisch, in Neapel italienisch — fast die ganze Saison
0023hindurch gegeben. Wer die vortreffliche Wiener Aufführung
0024im Carl-Theater kennt, begreift kaum, wie das Publicum
0025der genannten Hauptstädte auch nur eine richtige Vorstel-
0026lung davon gewinnen, geschweige denn dafür schwärmen kann.
0027Die italienische Aufführung, von lauter untergeordneten Ge-
0028sangskräften getragen, war immerhin musikalisch anständiger
0029als die französische; man fühlte doch heraus, daß die Italiener das
0030richtiger hörende, singende und empfindende Volk seien. Von
0031dem schauspielerischen Talent der Italiener war hier freilich
0032wenig zu merken, es fehlte durchaus an Nüancirung und 
0033witzigem Nachdruck, den Frauen überdies an jeglicher An-
0034muth und Noblesse. Die Darstellerin der Demoiselle Lange
0035— eine jener tiefen, rauhen Sprechstimmen, die man bei
0036Italienerinnen häufig antrifft — spielte diese Salonkönigin
0037im Styl eines wüthenden Fischweibes; dennoch war sie die
0038Gefeierte des Abends. Zahlreiche Nummern wurden wieder-
0039holt, das ganze zweite Finale mußte unter fanatischem Jubel
0040sogar dreimal nach einander abgesungen werden. Und die
0041französische Truppe des Teatro Valle in Rom — quelle
0042horreur! Weniger Stimme haben, falscher singen, häßlicher
0043sein als diese Französinnen, die wir in Offenbach’s „Péri-
0044chole“ gesehen, ist schwer möglich. Ein Schimmer von
0045Esprit und Grazie bleibt ihnen trotzdem treu, ein Phos-
0046phoresciren des Geistes, das über dem festen Grund ihrer
0047sicheren Technik seine Wirkung macht. Die Franzosen
0048sind die geschulteren, feineren, aber auch der Ziererei ge-
0049neigteren Schauspieler; hingegen imponirt das Spiel des
0050Italieners durch eine wohlthuende Natürlichkeit, ein ehr-
0051liches Sichgehenlassen, dem jede Affectation oder grimassi-
0052rende Koketterie fernliegt. Im Teatro delle Loggie in Florenz 
0053sahen wir ein Lustspiel von Goldoni mit solcher Frische und
0054Naturwahrheit spielen, daß man darüber die unerlaubte
0055Dürftigkeit der Handlung vergaß. Goldoni, für den ich ob
0056seines Librettos zur „Buona figliuola“ von Piccini auch
0057eine specielle musikalische Pietät empfinde, bringt in jener
0058Comödie („Sior Todardo Brontolon“) lauter unbedeutende
0059Alltagsmenschen; durch die Aufführung gewannen sie aber
0060das Interesse sprechend ähnlicher Porträts, so treu
0061aus dem Leben heraus gespielt war jede Rolle. Mein Re-
0062spect vor dem angeborenen Schauspielertalent der Italiener
0063wuchs jedesmal im umgekehrten Verhältniß zu dem Rang und
0064den Ansprüchen der Bühne. Am dürftigsten fand ich es in der
0065Großen Oper, am üppigsten in den kleinen Pulcinell-Theatern
0066von Neapel. Pulcinello, wol der letzte Sprößling, der sich
0067aus der großen Familie stereotyper komischer Masken noch
0068erhalten hat, erscheint in jedem Stücke und immer in weiß
0069leinenem, bauschigem Gewand, spitzer Filzmütze und einer
0070schwarzen Halblarve. Obgleich letztere ihn fast aller mimi-
0071schen Hilfsmittel beraubt, wirkt er doch überall unfehlbar
0072komisch. Seine vornehmste Stätte, das San Carlino-Theater
0073in Neapel, ist eine niedrige, übelbeleuchtete und übelriechende
0074Spelunke, zu welcher man auf einer engen Treppe hinab-
0075steigt. Das Orchester besteht aus sechs gegen alle Dissonanzen
0076vollständig abgehärteten Musikern; Vorhang, Decorationen,
0077Wände und Sitze sind so schäbig und defect als möglich.
0078Aber die Schauspieler verrathen bei größter Anspruchslosig-
0079keit ein Talent für Plastik und Naturwahrheit des Komischen,
0080das die Bewunderung selbst der Fremden erringt, welche
0081den neapolitanischen Volksdialekt mehr errathen als verstehen.


0082Gleichfalls unterirdisch und nicht viel eleganter ist das
0083kleine „Teatro Filarmonico“ in Neapel, in welchem
0084wir eine Opera buffa von Guglielmi: „La Donna di
0085più carattere“, hörten. Also doch Eine Erinnerung an
0086die glänzende Vergangenheit Neapels! Guglielmi, zu Ende
0087des vorigen Jahrhunderts in Neapel gleichzeitig mit
0088Paisiello und Cimarosa wirkend, stand an Ta-
0089lent für die komische Oper hinter diesen beiden be-
0090rühmteren Meistern nicht weit zurück. Die genannte
0091Oper, mit ihrem heiteren Temperament, ihrer einfachen
0092soliden Technik, ihren schöngebauten Terzetten, Quintetten,
0093Sextetten, konnte leicht für eine Arbeit Cimarosa’s gelten.
0094Den Stoff bildet eine kindische Verkleidungs-Intrigue, un-
0095gefähr im Styl von „Così fan tutte“. Das Haus hat
0096nur Eine Galerie, keine Logen; das Orchester ist schwach
0097besetzt (zwei Contrabässe), die Secco-Recitative werden auf
0098dem Clavier begleitet. Die Sänger verfügten nur mehr
0099über anständige Stimmreste, die sie aber mit reiner
0100Intonation nach gut italienischer Methode gefällig verwen-
0101deten. So gewann denn die ganze Vorstellung in ihrer be-
0102scheidenen, ehrlichen Weise etwas gemüthlich Anheimelndes
0103und war in ihrer Art befriedigender, als die „Norma“ in
0104San Carlo. Allerdings gehört zu dieser Wirkung die ganze [2]
0105Einfachheit des Hauses und ein anspruchsloses, naives Pu-
0106blicum. Interessant war uns die Einlage von zwei Mo-
0107zart
’schen Arien in die Tenorpartie; sie stachen von dem
0108Styl des Ganzen nicht allzusehr ab, nur wie das Non plus
0109ultra eines edlen Weines von einer minderen Sorte der-
0110selben Gattung. Der Boden, dem beide entstammten, ist
0111unverkennbar derselbe: die neapolitanische Musik des vorigen
0112Jahrhunderts. Daß die zwei Stücke von Mozart waren,
0113bemerkte offenbar Niemand im Publicum; als aber zum
0114Schluß die graziöse Paoletti die „Schöne blaue Donau“
0115sang (auf italienischen Text, den Anfang mit einigen dis-
0116creten Tanzbewegungen markirend), da flüsterten sich Alle
0117zu: Strauss! Giovanni Strauss di Vienna! Das war uns
0118keine geringe Freude, die „Schöne blaue Donau“ in Neapel 
0119vor einem jubelnden Publicum singen zu hören, und wir
0120sendeten im Geiste dem Componisten Gruß und Glückwunsch
0121zu so beneidenswerther Popularität.


0122Die Opera buffa, diese reizendste Eigenthümlichkeit der
0123italienischen Musik überhaupt, war von jeher das ganz spe-
0124cielle Meister- und Lieblingsfach der Neapolitaner. Im Leben
0125wie in der Kunst ist angeborene Heiterkeit ein besonderes
0126Geschenk des Himmels. Wie belebender Sonnenschein über-
0127strömt sie nach allen Seiten, und so wird der rechte Froh-
0128sinn des Einen zur Wohlthat für Viele. In dem üppigen
0129Talent neapolitanischer Meister gedieh diese fröhliche Anlage
0130des Volkes zu künstlerischer Blüthe und trug eine Unmasse
0131von Früchten. Pergolese hatte zuerst in dem kleinen
0132Intermezzo: „La serva padrona“ (Neapel 1730) den Ton
0133angeschlagen, der noch in Rossini und Donizetti nachklingt;
0134selbst die Figuren des alten Hagestolz und der schlauen,
0135hübschen Serpentina sind prototypisch geblieben für Dulca-
0136mara und Adine, Bartolo und Rosine, Don Pasquale und
0137Norina. Was Pergolese hier in der engsten Form des Inter-
0138mezzos für zwei Personen geleistet, erweiterte Piccini und
0139schuf in seiner „Buona figliuola“ oder „Cecchina“ (1761)
0140das epochemachende Vorbild für die Opera buffa der Ita
0141liener. Piccini, dieser zu Gunsten Gluck’s gewöhnlich sehr
0142unterschätzte glänzende Erfinder, wirkte noch rüstig in Neapel,
0143als bereits zwei jüngere Meister (gleichfalls Neapolitaner)
0144ebendaselbst ihr reiches Talent für die Opera buffa entfal-
0145teten; Paisiello und Cimarosa. Und neben ihnen,
0146vor und nach ihnen welch erstaunlicher Reichthum an
0147neapolitanischen Componisten, die mit ihren Opern durch
0148mehr als ein Jahrhundert Europa erfreuten und beherrsch-
0149ten! Das Conservatorium von Neapel genoß das An-
0150sehen eines musikalischen Vaticans. Jetzt ist ihm frei-
0151lich von dem alten Ruhm nichts geblieben, als die Por-
0152träts und die Partituren seiner berühmtesten Lehrer und
0153Zöglinge. Das gegenwärtige „Liceo di musica“ in der
0154Straße S. Pietro in Majello, unweit des National-Mu-
0155seums, beherbergt erst seit etwa siebzig Jahren das Conser-
0156vatorium. Alessandro Scarlatti, der Ahnherr der nea-
0157politanischen Schule und eigentliche Begründer unserer mo-
0158dernen Oper, sowie seine großen Schüler und Nachfolger
0159Leo und Durante lehrten noch in den Klöstern Sant’
0160Onofrio, Loretto etc., wie ja auch Venedigs altberühmte
0161Conservatorien mit Klöstern verbunden waren. Erst Zin-
0162garelli
(Bellini’s Lehrer) und Mercadante bewohn-
0163ten als Directoren des Conservatoriums das jetzige Haus.
0164Der gegenwärtige Director Lauro Rossi, Componist
0165einiger in Italien beliebter Opern, und der Bibliothekar
0166Florimo, bekannt durch seine intime Freundschaft mit
0167Bellini, empfingen mich mit freundlicher Zuvorkommenheit.
0168Florimo’s Wohnung, ein wahrer Raritätenladen von
0169Nippsachen, Andenken, Porträts und Statuetten, umschließt
0170auch das kleine Zimmer, das Bellini als Zögling bewohnt
0171hatte und das er sich später bei jedem Besuch in Neapel 
0172als Gastzimmer ausbat. In dem nicht großen Bibliothek-
0173saale befinden sich die werthvollen Manuscripte berühm-
0174ter italienischer Componisten, vornehmlich die Opern-Parti-
0175turen von Leo, Piccini, Paisiello, Cimarosa, Guglielmi,
0176Zingarelli, Mercadante etc. Außer einer Anzahl von Bildnissen 
0177fesseln noch zwei alte Claviere unsere Aufmerksamkeit. Das
0178erste, ein sehr langes Doppelklavier, auf dem zwei Spieler einan-
0179der gegenübersitzend spielen können (mit zwei Manualen auf dem
0180Einen Clavier), ist eine Arbeit des berühmten Andreas
0181Stein
in Augsburg mit der Jahreszahl 1723 und wurde
0182von der Königin Maria Carolina (1783) dem Conserva-
0183torium von Neapel geschenkt. Das zweite Clavier gehörte
0184Cimarosa, dem es die Kaiserin von Rußland verehrt
0185hatte; englisches Fabricat, kurze viereckige Tafelform, mit
0186drei kleinen Messinghebeln links neben den Saiten statt der
0187Pedale. Obwol das Conservatorium von Neapel noch eine
0188ziemliche Anzahl von Zöglingen vollständig beherbergt —
0189in einem langen Corridore stehen ihre Betten, jedes mit
0190einem kleinen Kästchen für die Habseligkeiten des Zöglings
0191— so hat doch sein großer Einfluß aufgehört, sowie Neapel 
0192selbst längst aufgehört hat, die musikalische Hauptstadt von
0193Italien zu sein. Ihre letzte Glanzepoche waren die Jahre
01941815 bis 1822, als Rossini im Solde des Impresario
0195Barbaja jährlich zwei Opern für das San Carlo-Theater
0196schrieb. Seither ist Neapel von Mailand längst überflügelt,
0197wie denn überhaupt die Lombardei an moderner Cultur dem
0198übrigen Italien schon vor Decennien um Decennien
0199voraus war.


0200Im Leben aller Völker gibt es auf- und absteigende
0201Epochen, in jeder Kunst Perioden der Fruchtbarkeit und des
0202Mißwachses. Daß Italien, verarmt in seiner ganzen
0203musikalischen Production, gegenwärtig nur ein einziges be-
0204deutendes Talent besitzt (Verdi), kann ihm nicht zum Vor-
0205wurfe gereichen. Aber anklagenswerth, ja unverzeihlich er-
0206scheint der Mangel an Pietät gegen die eigene große Ver-
0207gangenheit. Wie? Ist es möglich, daß Neapel, die Heimat
0208so vieler großer und berühmter Componisten, nicht Einem
0209von ihnen ein Denkmal gesetzt hat? Daß nicht Ein
0210Platz, nicht Eine Straße in Neapel den Namen eines
0211dieser Meister trägt? Daß ihre Werke dort todt und ver-
0212gessen sind, ja selbst ihre wissenschaftliche Erforschung und [3]
0213Darstellung sich im Lande nicht regt, sondern Deutschen und
0214Franzosen überlassen bleibt? In Frankreich vergißt man
0215über der lebendigen Production nicht die Leistungen der Ver-
0216gangenheit; die ersten Bühnen von Paris spielen regelmäßig
0217die älteren classischen Stücke, die schönsten Straßen tragen
0218die Namen französischer Tondichter. Und Deutschland —
0219welche rühmliche Thätigkeit entfaltet es seit dreißig Jahren,
0220um durch Vorträge und Aufführungen, durch kritische Aus-
0221gaben, biographische und ästhetische Werke die von unseren
0222Vorfahren überkommenen Schätze zu sichten und fruchtbrin-
0223gend zu machen! Das Land jedoch, welches in manchem
0224Sinn das Vaterland unserer Musik, im strengsten die Ge-
0225burtsstätte des Kunstgesanges und der Oper heißen darf,
0226Italien, „das Conservatorium des lieben Gottes“, weiß
0227nichts von diesem historischen Geist. Wo findet man dort
0228eine systematische Sammlung alter Musik-Instrumente, wie
0229sie bei uns sogar Provinzialstädte wie Salzburg und Linz 
0230besitzen? Ich traute meinen Augen nicht, als ich das
0231schöne National-Museum in Florenz „Il Bargelle“ durch-
0232wanderte, welches ein Gesammtbild der italienischen Cultur- 
0233und Kunstgeschichte geben soll, und dort nicht ein einziges
0234Musik-Instrument, nicht Einen auf die Tonkunst bezüglichen
0235Gegenstand vorfand. Und in ganz Florenz nichts, keine
0236Tafel, keine öffentliche Aufschrift, welche an die große musik-
0237geschichtliche Bedeutung dieser Stadt erinnern würden, wo zu
0238Ende des sechzehnten Jahrhunderts in dem kunstsinnigen
0239Haus des Grafen Bardi die ersten Keime der dra-
0240matischen Musik entstanden, die Monodie, der recitati-
0241vische Styl, kurz nichts Geringeres als: die Oper. . .
0242Wo dergestalt die nationale Pietät und der musikalische
0243Ahnenstolz erloschen sind, da darf man ein allgemeines Inter-
0244esse für musikwissenschaftliche Forschungen vollends nicht er-
0245warten. Was ist denn von hervorragenden deutschen und
0246französischen Büchern über Musik ins Italienische übersetzt?
0247Wie viele Männer gibt es in Italien, welche mehr als ober-
0248flächlichsten Bescheid wissen in deutscher Musik und Musik-
0249literatur? Es contrastirt dieses Stehenbleiben oder vielmehr 
0250Zurückschreiten seltsam gegen die zunehmende geistige Rüh-
0251rigkeit der Italiener auf anderen Gebieten des Wissens.
0252Die Leistungen Deutschlands im Fache der Geschichtsfor-
0253schung, der Jurisprudenz, der philosophischen und der Natur-
0254wissenschaften werden in neuerer Zeit von Italien mit rühm-
0255lichem Eifer und Antheil verfolgt. Da ich in Gesellschaft
0256eines berühmten Arztes reiste, den in Rom, Neapel und
0257Venedig die Elite der jungen Aerzte aufsuchte, hatte ich Ge-
0258legenheit, den wissenschaftlichen Eifer und die fachmännische
0259Belesenheit der ehemals übel angeschriebenen italienischen
0260Mediciner kennen zu lernen. Da war nicht Einer, der nicht
0261gleich nach jenem Patienten gefragt hätte, dem kürzlich
0262Billroth in Wien einen künstlichen Kehlkopf eingesetzt. Sie
0263waren über diese chirurgische Novität, wie über die wich-
0264tigsten klinischen Ereignisse und epochemachenden Werke in
0265Wien und Berlin vollkommen informirt oder doch so weit
0266informirt, um darüber fragen zu können. Unter den ita-
0267lienischen Musikern findet sich nichts Analoges, so eifrig auch
0268einzelne Journalisten, wie der geschätzte Filippi in Mai-
0269land, für deutsche Musik zu wirken bemüht sind. Es schadet
0270vielleicht nicht, daß einmal auch auf diese Schattenseiten
0271hingewiesen wird; kein Zweifel, daß allmälig die segens-
0272reichen Folgen geordneter und liberaler politischer Verhält-
0273nisse auch die kunstwissenschaftlichen Bestrebungen in Italien 
0274werden aufblühen machen. Man darf nicht vergessen, daß
0275namentlich in Rom und Neapel jahrhundertelange geistliche
0276und weltliche Tyrannei allen wissenschaftlichen Aufschwung
0277systematisch für lange Zeit hinaus lähmten. Wie viel
0278die früheren Regierungen an dem materiellen, sittlichen
0279und geistigen Wohlstand des Volkes ruinirt haben, ist
0280unabsehbar, und noch heute kranken Kunst und Wissenschaft
0281in Italien an dem Unsegen dieser politischen Vergangenheit.
0282Welch ergreifende Wahrheit in dem Spruch, den Karl
0283Mathy ins Stammbuch des Frankfurter Parlaments ge-
0284schrieben: „Der Vorzug eines freien Volkes vor einem ge-
0285gängelten besteht darin, daß dieses die Fehler seiner Lenker,
0286jenes seine eigenen büßt.“