Wörter einzeln suchen

Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 3634. Wien, Donnerstag, den 8. October 1874

[1]

Komische Oper.

(„Don Cäsar von Bazan.“ — „Maurer und Schlosser.“)


0003Ed. H. Unerwartet schnell, mit dröhnendem Schlage
0004war das Thor der Komischen Oper am 31. Mai ins Schloß
0005gefallen und schien seither jedem Versuche eines erlösenden
0006„Sesam, thu’ dich auf!“ zu spotten. Fast ebenso rasch und
0007unerwartet ist jetzt, am 4. October, die Wiedereröffnung
0008dieses Theaters unter der neuen Direction Hasemann 
0009erfolgt. Wie an jenem ersten Eröffnungsabende, war das
0010Haus glänzend beleuchtet und glänzend besetzt von einem
0011Publicum, das aufmerksam der Antrittsrede Hasemann’s 
0012lauschte, wie vor acht Monaten dem Prologe Swoboda’s.
0013Das Orchester intonirte eine Fest-Ouvertüre — Alles wie
0014damals. Dennoch war die Stimmung nicht dieselbe heitere,
0015festfrohe; ein grauer Flor lagerte darüber, und die Erinne-
0016rungen an nur halbvergangenes Mißgeschick flogen wie
0017trübe Wölkchen durch das Haus. Der neue Director findet
0018in mancher Beziehung eine schwierigere Aufgabe, als sein
0019Vorgänger. Ein jäh abgerissener Faden knüpft sich mitunter
0020schwerer wieder an, als sich ein neuer spinnt. Zum Glücke
0021scheint hier der redliche gute Wille beider Theile, der Direc-
0022tion und des Publicums, das Wiederanknüpfen zu erleich-
0023tern: die bescheidene Ansprache Herrn Hasemann’s hatte
0024die Versammlung rasch gewonnen und die Stimmung wie-
0025der auf das alte Diapason gebracht. Die Vorstellung der
0026neuen Oper „Don Cäsar“ that das Uebrige. Wenn ihr
0027auch mancherlei mangelte, sie bleibt doch ein überraschendes
0028Resultat der Arbeit einer nur vierwöchentlichen Vorberei-
0029tungszeit.


0030Mit der Wahl einer neuen komischen Oper darf man
0031heutzutage nicht allzu kritisch vorgehen. Deutsche, Franzosen
0032und Italiener befinden sich darin seit einem Vierteljahr-
0033hundert in entschiedener Verarmung; immerhin blieb Frank-
0034reich noch am productivsten. Dem „César de Bazan“ wird
0035die Geschichte der Musik kein Blatt widmen, aber das neueste
0036Repertoire der Opéra Comique in Paris verdankt ihm eine
0037willkommene Auffrischung. Diese Oper gehört unter die in 
0038Frankreich häufigen Fälle, wo eine schwache Musik sich durch
0039ein gelungenes Textbuch in der Gunst des Publicums er-
0040hält, während bei uns im Gegentheil so häufig gute Parti-
0041turen an schlechten Librettos zu Grunde gehen. Die Oper
0042Don César“ ist ein romantisches Intriguenstück, das den
0043Namen einer komischen Oper nur uneigentlich, im formalen
0044Sinne der französischen Terminologie führt; sie hat keine
0045einzige Buffopartie, und ihre komischen Situationen sind im
0046strengsten Sinne Galgenhumor — die letzten Spässe Don
0047Cäsar’s vor dem Gehenktwerden. Don Cäsar de Bazan, der
0048gutmüthige, liederliche, junge Abenteurer, stammt bekanntlich
0049aus Victor Hugo’s Drama „Ruy Blas“, wo er nebst Don
0050Saluste das aristokratische Element gegenüber der neuen
0051demokratischen Macht (Ruy Blas) repräsentirt. Diese Figur
0052wurde später zu einem selbstständigen Effectstück verwerthet,
0053in welchem Frédéric Lemaître an der Porte St. Martin
0054eine lange Reihe von Triumphen feierte; endlich machten
0055die Herren Dennery und Chantepie das Opern-Libretto für
0056Massenet daraus, welches für unsere Komische Oper von
0057Herrn Franz Höllriegel übersetzt ist. Schon früher
0058lieferte dieser Don Cäsar den Stoff zu einer Oper
0059Maritana“ von Wallace. Wir erinnern aus mit
0060gähnendem Schauder an diese vor Jahren im
0061Theater an der Wien gegebene Oper, ein Gemisch von
0062Trivialität, Reminiscenzen und lächerlichem Ungeschick, wie
0063es nur eine englische Oper sein kann. Das neuere fran-
0064zösische Libretto ist sehr geschickt gemacht, spannend in der
0065Intrigue, effectvoll in seinen zwanglos sich entwickelnden
0066Situationen. Es bringt in dem Titelhelden eine originelle,
0067anziehende Gestalt, an welcher der widerwärtige Cynismus
0068von Victor Hugo’s Don Cäsar getilgt und seine sittliche
0069Verwahrlosung wenigstens zu gutmüthigem Leichtsinn abge-
0070dämpft ist. Auch die übrigen Personen, der König, Mari-
0071tana, Lazarillo, sind glücklich gezeichnet und gestalten sich in
0072Händen talentvoller Schauspieler (zum Beispiel an der Pa-
0073riser Opéra Comique) zu interessanten Charakterfiguren.


0074Die Handlung der neuen Oper ist in Kürze folgende:
0075König Karl II. von Spanien ist leidenschaftlich verliebt in
0076die schöne Straßensängerin Maritana, wagt sich aber nur
0077als stummer Zuhörer in ihre Nähe. Sein Minister Don 
0078José erbietet sich, Maritana an den Hof zu bringen, eine
0079Auszeichnung, welche das ehrgeizige Mädchen gerne an-
0080nimmt, da sie dieselbe der Königin zu verdanken meint und
0081nichts ahnt von der Leidenschaft Karl’s II. Den Absichten
0082Don José’s, welcher einen adeligen Gemal für Maritana 
0083braucht, kommt der langvermißte Abenteurer Don Cäsar
0084von Bazan wie gerufen. Er hat sich eben eines verfolgten
0085armen Jungen, Lazarillo, angenommen und den sich wider-
0086setzenden Hauptmann der Wache im Duell erstochen. Don
0087Cäsar wird verhaftet und soll, dem strengen Duellgesetz zu-
0088folge, gehenkt werden. Mit dem Ausrufe Maritana’s:
0089„Morgen, werd’ ich Herzogin,“ und Don Cäsar’s:
0090„Morgen werd’ ich gehenkt!“ schließt der erste Act.
0091Der zweite spielt in Cäsar’s Gefängniß. Don José ver-
0092spricht dem Verurtheilten die „Begnadigung zu Pulver
0093und Blei“, wenn dieser sofort zur Vermälung mit einer
0094unbekannten Dame bereit sei. Nach einigem Sträuben wil-
0095ligt Don Cäsar ein; nachdem er noch die Executions-Mann-
0096schaft mit Wein und Gesang regalirt hat, wird er der dicht
0097verschleierten Maritana angetraut und sofort auf den Wall
0098hinausgeführt, um erschossen zu werden. Man hört die Ge-
0099wehre krachen, aber der treue Lazarillo hatte heimlich die
0100Kugeln herausgezogen, und der todtgeglaubte Don Cäsar 
0101entwischt unter dem Schutze der Nacht. Maritana, nun-
0102mehr Gräfin von Bazan, bewohnt ein abgelegenes pracht-
0103volles Schloß, wo wir sie zu Anfang des dritten Actes
0104sehen, umworben von dem liebestollen König, der ihr nur
0105Widerwillen einflößt. Er gibt sich, um seiner Beute sicher
0106zu sein, für ihren Gatten aus — da erscheint ganz plötzlich
0107Don Cäsar selbst und entdeckt die ganze Intrigue. Mari-
0108tana, seit jenem Vermälungsabend durch eine geheimnisvolle
0109Sympathie zu Don Cäsar hingezogen, beschwört ihn, nach
0110Aranjuez zu eilen und die Hilfe der Königin anzuflehen.
0111Während der König neuerdings Maritana bestürmt, kehrt
0112Don Cäsar zurück, schließt die Thüren und genießt die süße
0113Rache, seinem Souverän zu erzählen, wie er im Garten von
0114Aranjuez Don José liebeflehend zu den Füßen der Königin
0115gefunden. Eine zeitlang weidet er sich an den Qualen des
0116Königs, dann eröffnet er ihm großmüthig, daß er als
0117treuer Spanier die Ehre seines Herrn auf dem Fleck ge[2]
0118rächt und Don José erstochen habe. Die nun hereinstür-
0119menden Verfolger Cäsar’s werden vom Könige begütigt, und
0120der Graf von Bazan zieht, zum Statthalter von Granada 
0121ernannt, mit seiner glücklichen Gemalin von dannen.


0122Diese Handlung, deren Gerippe sich in der Erzählung
0123etwas klappernd ausnimmt, ist von dem Textdichter mit
0124reichbewegtem dramatischen Leben erfüllt. Situationen, wie
0125der Schluß des ersten Actes, die Vermälungsfeier im zwei-
0126ten, das Wiedererscheinen Cäsar’s bei Maritana und sein
0127Streit mit dem König, gehören gewiß zu den dankbarsten.
0128Was hätte Auber in seinen guten Tagen daraus gemacht!
0129Jules Massenet, der Componist des „Don César“, ist lei-
0130der kein Auber, sondern höchstens dessen zweiter Aufguß; der
0131erste ist Ambroise Thomas. Schon Thomas klingt schwächer,
0132trockener, reflectirter als Auber, was keineswegs ausschließt,
0133daß er trotzdem ernste Töne anzuschlagen weiß, für welche
0134seinem Meister die Saiten fehlten, oder doch die Stimmung.
0135Auber’s Musik, so geistreich in heiterem Geplauder, so rei-
0136zend in froh bewegter Laune, bleibt uns überall dort viel schul-
0137dig, wo das Gemüth sein volles Recht verlangt. Diese Saite
0138klingt häufiger und stärker an bei Ambroise Thomas. In
0139Mignon“ finden sich Musikstücke von zarter, ernster Empfin-
0140dung, wie man sie bei Auber kaum antrifft; überdies hat
0141Thomas, als der jüngere Musiker, manchen Fortschritt der
0142Zeit für sich, er behandelt z. B. das Orchester viel glänzen-
0143der, reicher und psychologisch bedeutsamer als Auber. So
0144wenig übrigens Thomas sein Vorbild Auber verkennen läßt,
0145so wenig kann Massenet seinen Meister Thomas verleugnen.
0146Es ist dieselbe Sorte Wein in weiterer Verdünnung. Was
0147Originalität des Styls und Reichthum der melodiösen Erfin-
0148dung betrifft, gehört Massenet zu den von der Natur
0149stiefmütterlich bedachten Talenten. Er wirkt fast nur
0150durch Esprit und Geschicklichkeit, und wenn auch nicht be-
0151hauptet sein soll, daß Massenet lediglich auf dem Wege be-
0152wußter Reflexion schaffe, so trägt doch das Geschaffene
0153immer den Charakter des Reflectirten. Die Melodie strömt
0154nicht in breiter Fülle, der Rhythmus nicht in anhaltendem
0155starken Puls, Beides sickert behutsam, oft dürftig, meistens
0156künstelnd dahin, aus kleinen, feinen Zügen zusammensetzend, 
0157was stärkere Talente mit Einem derben Strich hinstellen.
0158Ein kräftiger, freier Humor ist Massenet durchaus versagt;
0159die heitere Selbstbiographie Don Cäsar’s im ersten Acte
0160(„Partout, où l’on chante“) und das „Duo bouffe“ im
0161zweiten („Marié, fusillé“) sind vielleicht die schwächsten
0162Nummern der Oper. Auch für den Ausdruck leidenschaft-
0163lichen Affects und tiefer Empfindung reicht Massenet’s zarte
0164Stimme nicht aus; Maritana’s Arie und die pathetischen
0165Stellen des Schlußterzetts beweisen es. Hingegen bringt er
0166auf einem mittleren Niveau der Empfindung, insbesondere
0167in kleinen Formen mitunter recht Zartes und Graziöses,
0168wie die „Ballade Arragonaise“ der Maritana zu Anfang
0169der Oper, die erste Romanze des Königs in F-moll, das
0170Madrigal Cäsar’s: „En tout, je vais placer, Madame“, das
0171Orchester-Vorspiel vor dem zweiten Act und Anderes. Dabei
0172besitzt der Componist die hoch zu schätzende Geschicklichkeit,
0173eine Scene oder Scenenreihe musikalisch gut aufzubauen und
0174abzurunden, wie er namentlich im zweiten Finale zeigt.
0175Nur möchten wir ihm das zu lange Ausspinnen und zu
0176häufige Wiederholen an sich unbedeutender Sätze vorwerfen,
0177zugleich dem Capellmeister der Komischen Oper noch weitere
0178Kürzungen der Partitur dringend anrathen.


0179Das Orchester behandelt Massenet meistentheils fein
0180und interessant; in den Ensembles führt allerdings das Blech
0181mitunter eine starke Sprache, aber den Einzelgesang drückt
0182es nirgends. Ueberhaupt entbehrt die Partitur keineswegs
0183jenes anziehenden, um nicht zu sagen versöhnenden Zuges
0184von Vornehmheit, welcher selbst schwächeren französischen
0185Talenten eigen zu sein pflegt und der glücklicherweise zu den
0186Traditionen der Opéra Comique gehört.


0187Zwei Tage nach dem sehr günstig aufgenommenen
0188Don César de Bazan“ brachte die Komische Oper Auber’s
0189Maurer und Schlosser“ („Le Maçon“) zur Auffüh-
0190rung. Diese liebenswürdige Oper ist in Wien seit dem
0191Jahre 1853 nicht gehört worden, wo sie im Hofopernthea-
0192ter (mit Frau Marlow, Fräulein Th. Schwarz, Herrn
0193Kraus und Herrn Hölzl in den Hauptrollen) einige gute
0194Vorstellungen erlebte. Auber’s „Maurer“ ist ein meisterhaft
0195gezeichnetes, mit behaglichstem Realismus ausgemaltes Genre
0196bild aus dem Pariser Kleinleben, in welchem sich die roman-
0197haften Gestalten des heldenmüthigen Grafen und der ge-
0198fangenen Griechin wirksam von der Handwerkergruppe ab-
0199heben. Auber hat diesen von Scribe glücklich erfundenen
0200Stoff mit ebensoviel Liebe als Gelingen behandelt; die Per-
0201sönlichkeit des Componisten steht hier zum erstenmale voll
0202und ganz vor uns. Die frischeste Melodie pulsirt durch diesen
0203Wechsel von ernsten und drolligen Scenen, ohne eine Spur
0204von Ermattung oder sich hinaufschraubender Anstrengung.
0205Allerdings fehlt noch die auserlesene Geschicklichkeit der spä-
0206teren Auber’schen Opern, deren pikanterer Reiz und reichere
0207musikalische Ausstattung uns seither verwöhnt. Aber natür-
0208liche Anmuth und Jugendfrische im „Maurer“ sind ent-
0209zückend, sie lassen uns an das für eine komische Oper so hohe
0210Alter von beinahe fünfzig Jahren gar nicht denken.
0211Daß jenem großen Theil des Publicums, welcher den
0212Maurer“ heute zum erstenmal hört, Text und Musik doch
0213gar zu einfach vorkommen mag, ist trotzdem begreiflich. In
0214der Komischen Oper schien eigentlich nur das Zankduett im
0215dritten Act recht durchzugreifen. Was die Aufführung für
0216diese Spieloper leisten kann und soll, wurde hier nicht in
0217vollem Umfang geleistet. Aufrichtiges Lob verdienen Fräu-
0218lein Ida Jäger (deren nette kleine Stimme und hübsches
0219Spieltalent vom Carl-Theater her bekannt sind) als Hen-
0220riette und Frau Franz in der Rolle der komischen Alten
0221Madame Bertrand. Ueber die anderen, uns noch völlig
0222fremden Darsteller möchten wir nicht vorschnell urtheilen.
0223Es genüge vorläufig, daß Herrn Hallego’s angenehme
0224Tenorstimme und hübscher, unaffectirter Vortrag einen guten
0225Eindruck machten; der schauspielerischen Aufgabe des Mau-
0226rers im dritten Acte ist er noch nicht gewachsen. Den
0227Schlosser gab recht wirksam Herr Erdt, ein routinierter
0228Komiker mit ruinirter Stimme. Sehr anständig war Herr
0229Rosenberg als Leon de Merinville; in Tenorpartien, die
0230keine Anstrengung erfordern, dürfte er mit Vortheil ver-
0231wendet werden. Fräulein Stein (Irma) besitzt eine frische,
0232wohlklingende Stimme, kann aber leider noch wenig singen
0233und gar nicht sprechen. Herr Humel, ein tüchtiger Capell-
0234meister aus Lachner’s Schule, Tiroler von Geburt, dirigirte [3]
0235die Oper mit Wärme und Umsicht. Die Aufführung von
0236Don César“ war jener des „Maurers“ im Ganzen über-
0237legen. Hier war der Darsteller des Don Cäsar, Her-
0238many
, nicht blos der Titelheld, sondern der wahre
0239Held des Abends; vortrefflich in Spiel und Gesang,
0240herzgewinnend durch seine liebenswürdige Persönlichkeit.
0241Herr Erl hatte als König Karl weniger Gelegenheit, sich aus-
0242zuzeichnen; die zarten Stellen seiner Partie sang er sehr
0243ausdrucksvoll, im Spielen und Sprechen wird er hoffentlich
0244Fortschritte machen. Die Haltung eines Königs ließ Herr
0245Erl durchwegs vermissen, im letzten Act sogar jegliche Hal-
0246tung. Herrn Müller’s kräftiger Baß machte sich in der
0247Partie des Don José vortheilhaft geltend — aber die ge-
0248sprochene Prosa! Jedes Wort wie ein harter Thaler hin-
0249gezählt! Von den beiden Frauenrollen war die weitaus be-
0250deutendere, Maritana, in Händen von Fräulein Therese
0251Tremel, deren nicht kräftige, aber weiche, ausgeglichene
0252Sopranstimme tüchtig geschult und durch einen correcten, ge-
0253schmackvollen, ja mitunter noblen Vortrag gehoben ist. Lei-
0254der fehlte es an warmer lebhafter Schattirung, an Leiden-
0255schaft und Temperament. Gesang und Spiel waren von
0256Anfang bis zu Ende anständig, blaß und blond, wie Fräu-
0257lein Tremel selbst. Lazarillo — in Paris eine vorzügliche
0258Leistung der gefeierten Darstellerin der Mignon, Galli-
0259Marié
— wurde hier von Fräulein Ohm ohne Erfolg
0260gesungen. Ihre Stimme trug zu deutlich die Spuren erst
0261kürzlich überstandener Krankheit, um ein strenges Urtheil
0262zuzulassen. Daß Fräulein Ohm den armen tapferen Straßen-
0263jungen wie eine nervöse Comtesse spielte, in einem schmucken
0264Costüme von Sammt und Seide, Spitzen an Brust und
0265Händen, Brillantringe an den Fingern, das deutet gleichfalls
0266auf einen Mangel, wenn auch nicht an Stimme. Herr
0267Sucher, welcher die Oper sehr gut einstudirt hatte, wurde
0268nach der Ouvertüre lebhaft applaudirt. Wir kennen Herrn
0269Sucher als sehr talentvollen und tüchtig gebildeten Musiker —
0270wäre es nicht möglich, ihn mit der Zeit auch als ruhigeren
0271Dirigenten kennen zu lernen? Er tactirt, als wollte er mit
0272jeder Hand zehntausend Feinde niederschlagen.