Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 3788. Wien, Samstag, den 13. März 1875
[1]„Die Königin von Saba.“
(Oper in vier Aufzügen von Mosenthal, Musik von Goldmark. — Erste Auf-führung im Hofoperntheater am 10. März 1875.)
0004Ed. H. „Und da die Königin vom Reich Arabien das
0005Gerücht Salomo’s hörte, kam sie mit sehr großem Zuge
0006gen Jerusalem, mit Kameelen, die Würze und Gold die
0007Menge trugen und Edelgesteine, Salomo mit Räthseln zu
0008versuchen. Und da sie zu Salomo kam, redete sie mit ihm
0009Alles, was sie im Sinne sich hatte vorgenommen. Und der
0010König sagte Alles, was sie fragte.“ Und nachdem die
0011Königin vom Reich Arabien, wie Luther die Königin von
0012Saba nennt, oder Balkis, wie sie in arabischen Legenden
0013heißt, sich sattgesehen hatte an Salomo’s Reichthum und
0014seiner Weisheit, „wandte sie sich und zog in ihr Land mit
0015ihren Knechten“. Das ist Alles, was die Bibel uns von der
0016berühmten königlichen Touristin des Alterthums erzählt.
0017Man sieht, daß der Poet so gut wie Alles hinzuerfinden
0018muß, der sie zum Mittelpunkt eines Dramas erwählt. Den-
0019noch locken die Königin von Saba und der weise Salomo
0020immer noch unsere Poeten und Musiker; es spielen hier
0021romantische Lichter gar so verführerisch durch die biblische
0022Ehrfurchtsdämmerung. Gérard de Nerval behandelte den
0023Besuch der Königin der Sternanbeter in einer Novelle und
0024ließ den König Salomo darin um ihre Liebe werben. Der
0025tragische Conflict entsteht durch die Leidenschaft der Königin
0026für den Baumeister des Tempels, der schließlich von seinen
0027Arbeitern ermordet wird. Diese Erzählung benützte Gounod
0028für das Libretto seiner Oper „La reine de Saba“, welche
00291862, also dreizehn Jahre vor Goldmark, in Paris aufge-
0030führt wurde. An der ungünstigen Aufnahme und dem raschen
0031Verschwinden der Gounod’schen Oper trug das Libretto
0032starke Mitschuld. Zwar hatten die Textdichter allen erdenk-
0033lichen decorativen Pomp eingefügt, unter Anderm einen
0034Metallguß mit Explosion des Gluthofens, welcher die Bühne
0035in ein Feuermeer verwandelt, aber das Publicum blieb kühl
0036inmitten dieses „Feuerzaubers“.
0037Mosenthal, der Dichter der Goldmark’schen Oper,
0038verzichtete vollständig auf derlei explosive Reize und ge-
0039staltete die Handlung ungemein einfach. Im ersten Act
0040schildert er den festlichen Einzug der Königin von Saba.
0041Als sie vor Salomo ihr Antlitz entschleiert, stürzt ein
0042Jüngling, Assad, in verzückter Aufregung ihr entgegen. Er
0043hat in der Königin eine geheimnißvolle Schöne wiedererkannt,
0044die ihn kürzlich in einer Mondnacht, aus den Fluthen
0045steigend, mit ihrer Liebe beglückt. Die Königin verleugnet
0046ihn; „Wahnsinniger, ich kenn’ dich nicht!“ Salomo be-
0047schwichtigt den allgemeinen Aufruhr mit der Hinweisung auf
0048den nächsten Tag, welcher Assad mit Sulamith, der Tochter
0049des Hohenpriesters, vereinigen soll. Der zweite Act spielt
0050Nachts im Garten der Königin. Assad hat sich dahin ver-
0051irrt, wird von der Königin mit glühender Zärtlichkeit um-
0052fangen und erliegt abermals ihrem Zauber. Es folgt die
0053Vermälungsfeier im Tempel. Assad und Sulamith wechseln
0054eben die Ringe, als plötzlich die Königin erscheint, angeblich
0055ein Hochzeitsgeschenk zu überreichen, in Wahrheit um
0056die Vermälung zu hintertreiben. Das gelingt ihr nur zu
0057gut, denn Assad verläßt sofort seine Braut und stürzt der
0058Königin liebeglühend zu Füßen. Diese jedoch verleugnet ihn
0059kalt, genau wie im ersten Act. Auf die geistlichen Ermah-
0060nungen des Hohenpriesters antwortet Assad mit einer Gottes-
0061lästerung und wird als Tempelschänder von dem aufgeregten
0062Volke hinweggeschleppt. Mit Tänzen und Festlichkeiten beginnt
0063der dritte Act. Die Königin schenkt ihnen wenig Aufmerk-
0064samkeit, desto eifriger bemüht sie sich, von Salomo die Be-
0065gnadigung Assad’s zu erwirken. Umsonst, Salomo verweigert
0066ihr diese Gunst und läßt die Zürnende, Drohende unver-
0067söhnt von dannen ziehen. Da weiß sie sich in Assad’s
0068Kerker zu schleichen und bestürmt ihn unter heißen Liebes-
0069schwüren, mit ihr zu fliehen; er widersteht diesmal und
0070weist die Versucherin mit dem Ausruf: „Du bist mein Un-
0071heil, mein Verderben!“ für immer von sich. Die letzte
0072Scene spielt in der Wüste. Assad, zur Verbannung begna-
0073digt, will hier den ewigen Frieden finden. Da trifft ihn
0074Sulamith, die nach dem trostlosen Ausgange ihres Hochzeits-
0075festes gleichfalls der Welt entsagt und „das Asyl der Gott-
0076geweihten“ aufgesucht hat. Beide liegen sich versöhnt, sterbend
0077in den Armen.
0078Wir kennen Mosenthal als viel zu bewährten Theater-
0079dichter, um ihm eine Selbsttäuschung über die Schwächen
0080dieses Textbuches zuzutrauen. Er hat sie vorausgesehen und
0081dem Componisten die Dürftigkeit des Stoffes zu bedenken
0082gegeben. Goldmark wollte aber gerade nur eine „Königin
0083von Saba“ componiren, für welche ihm damals als ideale
0084Verkörperung seine schöne, geistvolle Schülerin Caroline
0085Bettelheim vorschwebte. Er legte wenig Gewicht auf „Hand-
0086lung“, desto mehr auf „Stimmung“, und in der That über-
0087wiegt letztere so stark, daß die zweite Hälfte der Oper sich
0088fast in lauter simple Stimmungen, vorwiegend klagenden
0089Tones, zerfasert. Anfangs läßt die Handlung wenigstens die
0090Aussicht auf eine Steigerung offen und wird äußerlich durch
0091Tänze und Festlichkeiten zweckmäßig belebt. In der Tempel-
0092scene geräth die Action zuerst in stärkere Bewegung und er-
0093reicht im Finale einen einmaligen dramatischen Höhepunkt.
0094Desto empfindlicher erlahmt die Handlung im dritten und
0095vierten Act, sie versiegt in den Seufzern dieser verstörten,
0096sich zu Tode klagenden Gemüther. Die Charaktere der Oper
0097interessiren uns nur mäßig. Am ehesten noch die Königin,
0098bei Mosenthal eine Art egyptischer Messalina, deren Messa-
0099linen-Natur aber im Contrast zu den jüdischen Tugend-
0100mustern stärker betont sein müßte. Assad ist ihr „Marcus“
0101ein unausgesetzt lamentirender, confuser Falter, der immer
0102von neuem in die Flamme taumelt, um dann jedesmal
0103mit elendiglich verbrannten Flügeln wieder zu seiner Braut
0104zurückzuflattern. Diese, Sulamith, hat außer ihrer poetischen
0105Herkunft aus dem „Hohenlied“, keine besonderen Kenn-
0106zeichen. Als Gegensatz zur Königin würde Sulamith durch
0107eine sehr jugendliche, anmuthige Darstellerin mehr Physiogno-
0108mie gewinnen; der Poet dachte sich wahrscheinlich ein halbes [2]
0109Kind, aber der Componist brauchte eine ganze Riesin. Wir
0110können es nicht glauben, daß die Direction nunmehr Fräu-
0111lein Tagliana diese Last aufbürden wolle, an welcher
0112eine Wilt vollauf zu tragen hat. Am stiefmütterlichsten ist
0113König Salomo charakterisirt — ein Mittelding zwischen dem
0114Weisheitspächter Sarastro und dem sentimentalen Onkel
0115Biedermann im „Tannhäuser“. Er trieft von Salbung und
0116läßt sich fortwährend ob seiner Weisheit preisen, an die wir
0117eben glauben müssen. Ich weiß nicht, wie er sich in Geld-
0118sachen benimmt und ob vielleicht die Auslegung Al-Hafis
0119von Nathan dem Weisen auf ihn paßt: „Seine Weisheit
0120ist eben, daß er Niemandem borgt.“ Gleich Salomo sind
0121auch der Hohepriester und Baal-Hanan in der Oper nichts
0122weiter als schön angezogene Baßstimmen. Wie diese Charak-
0123tere selbst, so machen auch ihre tragischen Schicksale keinen
0124tiefen Eindruck auf uns. Wir sind nicht recht überzeugt von
0125der Nothwendigkeit dieses allseitigen Verzweifelns und
0126Sterbenmüssen. Assad hat sich ein paarmal von einer un-
0127widerstehlichen Kokette bezaubern lassen, die er schließlich als
0128nichtsnutzig erkennt und fortschickt — das Unglück ist ja
0129nicht gar so groß und unheilbar! In früheren Zeiten, etwa
0130bis zur „Stummen von Portici“, verlangte man in der
0131Oper einen guten Ausgang um jeden Preis. Man scheint
0132sich jetzt beinahe in das andere Extrem dieses Irrthums zu
0133verrennen und besteht auf einem tragischen Schluß um jeden
0134Preis. Wo Beides ungefähr die gleiche Wahrscheinlichkeit
0135für sich hat, wollen wir da nicht lieber glücklich werden
0136ohne Verdienst, als gepeinigt sein ohne Verschulden? Auf
0137die Lichtseiten des Mosenthal’schen Librettos braucht man
0138nicht erst aufmerksam zu machen. Dasselbe enthält durchaus
0139nur musikalisch lösliche Stoffe, gestaltet sie in mehr als
0140Einer Situation vortrefflich für den Effect des Componisten
0141und spricht mit fließendem, gewähltem Ausdruck eine wohl-
0142klingende Sprache.
0143Goldmark’s Partitur ist eine achtunggebietende Ar-
0144beit, die in einzelnen Partien ein starkes und eigenthümliches
0145Talent verräth. Die Stärke zeigt sich in der Leidenschaft-
0146lichkeit des Gefühlsausdrucks und dem Glanz der Malerei,
0147die Eigenthümlichkeit in dem jüdisch-orientalischen Charakter
0148der Musik. Wärme und Leidenschaft durchdringt namentlich
0149die Liebesscene zwischen Assad und der Königin, dann, zu
0150zarteren Tönen abgedämpft, die erste Arie Sulamith’s mit
0151Chor, endlich, zu dramatischer Lohe angefacht, die Stretta
0152der großen Tempelscene. Goldmark’s Styl hält ungefähr die
0153Mitte zwischen Meyerbeer und dem früheren Wagner
0154(„Tannhäuser“). Bei aller mittelbaren Einwirkung Wagner’s
0155und trotz einzelner Reminiscenzen an ihn (gleich in der
0156Ouvertüre) gehört „Die Königin von Saba“ doch nicht zur
0157eigentlichen Wagner-Schule. Sie ist selbstständig erfunden
0158und lehnt in den Ensemble-Nummern an die Architektonik
0159der älteren Schule. Diese sich breit entfaltenden und mäch-
0160tig steigernden Vocalsätze erinnern in ihrem Bau ungefähr
0161an das prachtvolle Andante im zweiten Finale des „Tann-
0162häuser“. Das sind Formen, welche einer früheren Epoche an-
0163gehören und die von dem heutigen Wagner längst geächtet
0164sind. Von Meyerbeer und Wagner hat Goldmark die Leiden-
0165schaftlichkeit des Gesanges, die Masseneffecte, den Orchester-
0166prunk, leider auch das Uebermaß in diesen drei Dingen. Er
0167beharrt fast ununterbrochen auf der Höhe des Pathos und
0168der Exaltation, läßt manche Schönheiten nicht zur vollen
0169Wirkung kommen, weil er uns keine Ruhepunkte gönnt.
0170Selbst in untergeordneten Momenten ist der Ton Gold-
0171mark’s, wie der der hebräischen Poesie, ein durchaus feier-
0172licher, der, was er sagt, sofort als etwas Wichtiges ankün-
0173digt. „Die Himmel sollen der Rede horchen, und die Erde
0174soll den Worten lauschen!“ Das drückt sich nicht nur in dem
0175Pathos seines Gesanges, sondern auch in den zahlreichen Orchester-
0176Zwischenspielen aus, welche den Gesang so häufig unterbrechen
0177und gleichsam jede Phrase des Sängers nachdrücklich unterstrei-
0178chen. Das retardirt oft empfindlich den dramatischen Fortgang.
0179In Momenten des Affects treibt Goldmark die Leidenschaft-
0180lichkeit auf die äußerste Spitze; da ist die Anstrengung der
0181Singstimmen in höchster Lage, da ist der chromatische Sturm
0182im Orchester mit seinem Pauken- und Posaunendonner und
0183den wie rasend herabfahrenden Blitzen der Streich-Instru-
0184mente kaum mehr zu überbieten. Als hervorstechendste Eigen
0185thümlichkeit der Goldmark’schen Musik bezeichnete ich oben
0186ihren orientalisch-jüdischen Charakter. Er machte sich schon
0187in Goldmark’s früheren Werken (Ouvertüre zu „Sakuntala“,
0188Violin-Suite etc.) mehr oder minder geltend und gab ihnen
0189ein interessant-fremdartiges, aber künstliches Gepräge. In der
0190„Königin von Saba“, welche einen jüdischen Stoff auf
0191eigenstem Grund und Boden vorführt, nimmt der Compo-
0192nist natürlich das Recht zur breitesten Entfaltung dieser
0193Musikweise in Anspruch. Vielleicht ist es eine Einseitigkeit
0194meines Geschmacks, aber ich gestehe, diese Art Musik nur in
0195sehr mäßigen Dosen vertragen zu können; als Reizmittel,
0196aber nicht als Nahrung. Mit dem Eigensinn eines geistreichen
0197Mannes hat sich Goldmark eingenistet in diese Vorliebe für
0198orientalische Musik, mit ihrer klagenden, winselnden Melodik,
0199ihren übermäßigen Quarten und verminderten Sexten, ihrem
0200unerquicklichen Schwanken zwischen Dur und Moll, ihren
0201bleischwer fortbrummenden Bässen, über welchen sich tausend
0202dissonirende Töne und Tönchen kreuzen. Der reichliche Ge-
0203brauch, um nicht zu sagen Mißbrauch von Vorhalten, Syn-
0204kopen und Dissonanzen gehört freilich zu den Merkmalen
0205der modernen deutschen Schule überhaupt; aber ein so an-
0206haltendes Vergnügen an schneidenden Mißklängen wie Gold-
0207mark empfinden doch nur wenige seiner Collegen. Meine
0208Bemühung, mich mit Goldmark’scher Musik zu befreunden,
0209führte nicht immer zum Ziele, so sehr diese Bemü-
0210hung mir durch meine persönliche Achtung und Sym-
0211pathie für den Tondichter erleichtert wurde. Geist
0212und Selbstständigkeit habe ich in Goldmark’s Com-
0213positionen nie vermißt, wol aber Klarheit, natürliche
0214Empfindung und Schönheitssinn. Wo in der „Königin von
0215Saba“ orientalische Musikweise als Totalfarbe gefordert ist,
0216da wirkt Goldmark ebenso charakteristisch als effectvoll. Dies
0217ist der Fall erstens bei allen religiösen Scenen der Hand-
0218lung, sodann in den nationalen Tänzen. Die Balletmusik
0219im ersten Act und der Bienentanz im dritten sind Glanz-
0220punkte der Oper, originell erfunden und glänzend instru-
0221mentirt. Diese so schnell ermüdende und immer fremdartig
0222bleibende Manier nimmt aber in Goldmark’s Oper einen zu [3]
0223großen Raum ein, sie herrscht auch an manchen Stellen,
0224wo nichts Jüdisches, sondern nur allgemein Menschliches
0225auszusprechen ist. Wie wunderlich klingt das Lied ohne
0226Worte, mit welchem Astaroth den Assad zur Königin lockt!
0227Das sind Klänge, mit welchen man fromme Juden in die
0228Synagoge, aber keinen Liebhaber zum Rendezvous treibt;
0229der alte Sulzer im Sopranschlüssel!
0230Da sehnen wir uns denn manchmal nach einem herzhaf-
0231ten Schluck klarer europäisch-abendländischer Melodie. Durch
0232„Lalla Rookh“, „Feramors“ und „Aïda“ sind wir mit
0233orientalischer Opernmusik übersättigt; insbesondere der
0234Vortritt der überall verbreiteten und beliebten „Aïda“ ist
0235ein Nachtheil für die „Königin von Saba“. „Aïda“ scheint
0236mir die äußerste Grenze zu bezeichnen, bis zu welcher ein
0237Operncomponist mit orientalischen Musikweisen gehen kann,
0238ohne die Schönheit und Allgemeingiltigkeit seines Werkes
0239zu schädigen. Verdi verfährt aber, trotzdem seine Oper für
0240Kairo componirt war, viel maßvoller als Goldmark, und
0241selbst wo er mit voller Absicht orientalisirt, klingt seine
0242Musik ungleich natürlicher, heller und wohllautender. Sie ist
0243schöner. Das Hauptgewicht der Goldmark’schen Composition
0244liegt in der Harmonisirung und Instrumentation. Hierin ist
0245Goldmark meistens geistreich oder doch pikant, häufig auch
0246unnatürlich und überladen. Harmonie und Instrumentirung
0247überwuchern allzusehr die Melodie. Wir wünschten mehr
0248selbstständig schöne, europäisch harmonisirte und ruhig accom-
0249pagnirte Melodien. Sie fehlen nicht ganz; Assad’s „Ma-
0250gische Töne!“ im zweiten Acte und die kurze G-dur-
0251Cantilene der Königin („Was du flüchtig nur besessen“)
0252sind reizende Lichtblicke. Nun gibt es auf Erden keinen
0253Componisten, der nicht gerade gegen den Vorwurf unzu-
0254reichender Melodie aufs heftigste protestirt. Er weist sofort
0255auf zwei oder drei wirklich melodiöse Sätzchen hin, welche
0256für eine Oper quantitativ keine Melodie sind; dann auf
0257vielseitenlanges tactmäßiges Singen, welches qualitativ keine
0258ist. Mit Worten ist darüber schwer zu streiten; eher wird
0259man sich durch Vergleiche klar werden. „Aïda“ bietet zu
0260mehr als Einer Scene der Goldmark’schen Oper dramatisch
0261ganz analoge, fast identische Seitenstücke; ich erinnere nur
0262an das Duett zwischen dem gefangenen Rhadames und
0263Amneris, welche den Geliebten zu retten versucht.
0264Zwei Gefahren, vor denen Goldmark zu warnen wäre,
0265sind einmal die übermäßigen Längen, welche trotz aller nach
0266der Generalprobe gemachten colossalen Kürzungen dem
0267Werke noch immer schaden; sodann der geringe Wechsel
0268im Tempo und Rhythmus. Die langsamen Tempi herrschen
0269auffallend vor, desgleichen der Vierviertel-Tact mit gleich-
0270mäßigem Rhythmus von Viertel- und halben Noten. Das
0271Tempo der Musikstücke ist allerdings zum größten Theile
0272durch das Textbuch bedingt, nicht so der Rhythmus und die
0273Tactart. Ich erinnere an zwei sehr glückliche Momente,
0274deren Effect auf dem ausnahmsweise belebteren Rhythmus
0275beruht: das Hauptmotiv der Stretta im zweiten Finale
0276und der zweite Theil (E-dur) des Einzugsballets, wo der
0277Wechsel von je vier Achtelnoten und zwei Viertelnoten im
0278Baß, obendrein durch die kleine Trommel markirt, von er-
0279quickender Wirkung ist.
0280Die Opernpraxis erlernt kein Componist auf Einen
0281Schlag. Goldmark’s „Königin von Saba“ ist für ein Erst-
0282lingswerk so reif und effectvoll, daß man von den nächsten
0283Opern des unermüdlich vorwärtsstrebenden Componisten
0284gewiß Erfreuliches erwarten darf. Die Aufnahme der No-
0285vität in Wien wird der Componist selbst kaum lohnender
0286und ermuthigender sich erwartet haben. Das Publicum
0287überhäufte Goldmark mit Beifallsbezeigungen, deren gute
0288Hälfte er gern den trefflichen Darstellern der Hauptrollen
0289abtreten wird. Die Sängerinnen Materna und Wilt,
0290die Herren Beck, Walter und Rokitansky waren
0291diese Stützen der neuen Oper. Ihnen reiht sich Capellmeister
0292Gericke, welcher mit der überaus schwierigen Partitur
0293seine liebe Noth hatte, verdienstvoll an. Die Direction endlich
0294hat durch die sorgfältige Scenirung und glänzende Ausstat-
0295tung bewiesen, wie sehr ihr der Erfolg eines geschätzten,
0296einheimischen Tondichters am Herzen lag.