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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 4273. Wien, Mittwoch, den 19. Juli 1876

[1]

Zur Erinnerung an Joseph Dessauer und A. W. Ambros. I.


0002Ed. H. Die Tonkunst und ihre Lieblingskreise trauern
0003in Wien um zwei theure Todte: Joseph Dessauer und
0004August Wilhelm Ambros. Im Vergleich zu der allge-
0005meinen schmerzlichen Erregtheit, die bei der Nachricht von
0006Ambros’ Tode sich kundgab, blieb der Heimgang Dessauer’s
0007beinahe unbemerkt, nur von seinen nächsten Freunden leb-
0008hafter empfunden und besprochen. Alt, krank, erblindend,
0009hatte sich Dessauer schon seit mehreren Jahren gänzlich von
0010der Gesellschaft zurückgezogen, zu deren Zierden er einst ge-
0011zählt. Seine Person blieb nur noch wenigen alten Freunden
0012zugänglich, sein künstlerisches Schaffen betrachtete man schon
0013lange vorher als abgeschlossen. Es war nur mehr ein trau-
0014riges Scheinleben, das er führte und dessen leidensvolle Ver-
0015längerung selbst die Freunde nicht mehr wünschen konnten.
0016Unvergeßlich seinen Freunden, war Dessauer dennoch schon
0017halbvergessen von der Welt, als der Sensenmann sich seiner
0018erinnerte. Ambros hingegen, obgleich auch kein Jüngling
0019mehr an Jahren, war es doch bis zum letzten Tag an Geist,
0020Gemüth und Arbeitskraft; sein plötzlicher Tod traf uns wie
0021ein betäubender Schlag. Stets hatten ihm die Freunde ein
0022hohes Alter prophezeit, da er Krankheit niemals gekannt und
0023seine Eltern in Gesundheit uralt geworden waren. Und
0024gerade jetzt — er hatte nie witziger geschrieben, nie herzlicher
0025gelacht, nie emsiger gearbeitet! Wie viel sollte er nach
0026menschlicher Voraussicht noch leisten im Leben, wie viel
0027Freude noch genießen und bereiten — da legt er, der
0028ewig Unruhige, sich plötzlich hin zur ewigen Ruhe. Dem
0029jetzigen Musikpublicum Wiens war Ambros ein in voller
0030Frische wirkender Zeitgenosse, dessen Bild nicht so schnell ver-
0031blassen wird. Dessauer hingegen zählte für unsere jüngere
0032Generation schon zu den verschollenen Größen, von denen
0033man den Namen, aber kaum mehr die Werke kennt. Es ist
0034deßhalb patriotische und künstlerische Pflicht, an seine Erfolge,
0035seine Verdienste zu erinnern. Vieles von Dessauer’s Werken
0036ist in jenem Kampfe ums Dasein unterlegen, der vielleicht
0037auf künstlerischem Gebiete, wo der stärkere und modernere
0038Künstler (nicht immer der edlere) den schwächeren rasch be-
0039seitigt, am grausamsten waltet. Das Beste jedoch, was uns
0040Dessauer gegeben, sind nicht Tages-Compositionen, die mit 
0041der nächsten Mode werthlos werden, sondern Blüthen echter
0042Lyrik, deren Duft uns heute so stark und so süß anweht,
0043wie vor zwanzig Jahren.


0044In meine Knabenzeit reicht die Erinnerung an eine
0045eigenthümlich geschäftige Aufregung und Bewegung, welche
0046sich eines Tages der Prager Gesellschaft bemächtigt hatte.
0047Es galt der Ankunft eines berühmt gewordenen, weit gerei-
0048sten Landsmannes, welcher nun eine selbstcomponirte Oper
0049in seiner Vaterstadt zur Aufführung bringen sollte. Der viel
0050umschwärmte Componist war Dessauer, seine Erstlings-
0051oper hieß „Lidwinna“ und war von Karl Egon Ebert für
0052ihn gedichtet. Es sind mit die klangvollsten Namen des öster-
0053reichischen Parnasses, welche die Dichtungen der Dessauer’-
0054schen Opern zieren: Ebert, Bauernfeld, Alexander
0055Baumann. Mitunter waren die Namen besser als die
0056Leistung, z. B. gerade bei der „Lidwinna“, deren von abge-
0057schmacktem Zauberspuk strotzende Handlung man einem
0058Dichter wie K. E. Ebert kaum zumuthen sollte. „Lidwinna“,
0059mit der jugendlichen Jenny Lutzer in der Titel-
0060rolle, fand in Prag (1836) eine günstige Aufnahme,
0061erhielt sich aber nur kurze Zeit auf dem Repertoire. Wenn
0062die Prager Kritik an diesem Werke nur bedauerte, daß der
0063Componist „zu sehr elegische und tragische Weisen vorherr-
0064schen ließ“, so erschien dieser Fehler bald getilgt in Dessauer’s
0065zweiter Oper: „Ein Besuch in St. Cyr“. Das feine, im
0066französischen Conversationsstyl gehaltene Libretto Bauern-
0067feld’s
eignete sich vortrefflich für das Talent Dessauer’s,
0068das im Ausdruck des Graziösen und Eleganten, des leicht
0069Sentimentalen und Schalkhaften vorzugsweise glücklich war.
0070Der „Besuch in St. Cyr“ brachte es in Prag zu aufrich-
0071tiger Beliebtheit und hätte auch auf fremden Bühnen als
0072eine liebenswürdig heitere Production Verbreitung verdient.
0073In ihrer jugendlichen Frische erscheint sie mir heute noch
0074Dessauer’s späterer komischer Oper „Dominga“ vorzuziehen;
0075für den heutigen Bühnengeschmack allerdings zu einfach, auch
0076formell theilweise veraltet. Schon vor seinen ersten Opern-
0077versuchen hatte Dessauer große Erfolge als Liedercomponist
0078errungen; auf diesem seinem eigensten Felde vermehrte sich
0079noch sein Ruf, als Dessauer’sche Lieder und Romanzen förm-
0080lich Mode geworden waren in Paris. Zur Zeit, als mich
0081der Abschluß meiner Universitäts-Studien nach Wien 
0082führte, genoß Dessauer unbestrittene Geltung als eine
0083der ersten Notabilitäten der österreichischen Musikwelt. Die
0084Situation, in welcher ich ihn kennen lernte, war drollig
0085genug. Dessauer, in Hemdärmeln, eine Küchenschürze vor
0086gebunden, stand auf einem Stuhle und lackirte mit einem in
0087Firniß getauchten Pinsel einen hohen, geschnitzten Wandschrank.
0088„Alte Möbel,“ entschuldigte er sich lachend, „das ist meine
0089neueste Liebe! Ueberall schaue ich nach alterthümlichen
0090Schränken und Truhen aus und habe schon hübsche Stücke
0091zusammengebracht.“ Auf meine Bemerkung, daß seine Musik
0092mich denn doch mehr interessire, warf er Pinsel und Schürze
0093fort und legte seinen eben erschienenen Lieder-Cyklus „Sla-
0094vische Melodien“ (Texte von Siegfried Kapper) auf das
0095Clavierpult. Er sang sie mir mit einer abschreckenden „Com-
0096ponistenstimme“, und dennoch hätte ich seine musikalische Be-
0097kanntschaft kaum auf günstigere Art machen können. Wer
0098Dessauer nicht blos als gefälligen Melodiker, sondern als
0099intensiv poetisches Talent kennen lernen will, der singe sich
0100diese „Slavischen Melodien“. Seine beliebtesten, auch in
0101Concerten am häufigsten gesungenen Lieder waren damals die
0102Lockung“, „Nach Sevilla“, der reizende Bolero „Ouvrez,
0103ouvrez!“ und manches Andere, das unsere Sänger und Sän-
0104gerinnen der Vergessenheit entreißen sollten. Einige im Jahre 1863 
0105oder 1864 bei Spina erschienene Liederhefte (op. 62, 63, 65)
0106dürften das Letzte sein, was Dessauer veröffentlicht hat. Der
0107melodische Fluß, der anmuthige Bau, die leichte Sangbar-
0108keit, welche Dessauer’s Lieder von jeher ausgezeichnet, fehlen
0109auch diesen Gaben nicht. Darunter sind namentlich die
0110Lieder: „Klinge, klinge“, „Hol’ über!“ und „Im Arm der
0111Liebe“ von einschmeichelndem Wohllaut. Ein Mozart’scher
0112Blutstropfen quoll in jeder seiner Compositionen. Von In-
0113strumentalwerken
 Dessauer’s sind mir nur zwei be-
0114kannt: eine Sonate für Violoncell und Clavier (op. 58),
0115dreisätzig, ein liebenswürdiges, im besten Sinne brillantes
0116Stück, dann ein Heft Ländler unter dem Titel „Aus den
0117Alpen“. Diese anspruchslose, reizende Gabe brachte uns
0118Dessauer als eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in den
0119österreichischen Alpen. Dort fand er sich mit seinem jüngeren
0120Freunde Alexander Baumann fast alljährlich zusammen,
0121und Mathilde Wildauer, das Ideal einer Nandl, war
0122dann meist auch nicht fern. Als in den Fünfziger-Jahren die
0123Nachricht auftauchte, Alexander Baumann dichte einen Opern-
0124text für Dessauer, da hofften wir, es werde ein Genrebild
0125aus den österreichischen Alpen sein, was die beiden Freunde
0126gemeinsam ausführen wollen. Die Gebirgswelt der
0127Steiermark und Oberösterreichs war Baumann’s poe-
0128tische Domäne; hier herrschte sein engbegrenztes, aber
0129frisches und ursprüngliches Talent nach Herzenslust. Mit
0130jedem Zug dieses Naturlebens, das er mit ganzem Herzen [2]
0131mitgelebt, war er vertraut, hatte treu und feinfühlend nicht
0132blos die Eigenthümlichkeiten der Sprache und Sitte, sondern
0133die poetische Seele des Landes und Völkchens erfaßt. Nächst
0134Baumann galt wol Dessauer für den anhänglichsten Gast-
0135freund in den Alpen. „Verwöhntes Kind“ der feinsten
0136Kreise Deutschlands, Frankreichs und Italiens, hatte er doch
0137zugleich in den österreichischen Bergen beinahe das Bauernrecht
0138erlangt. War auch sein vielseitigeres und gebildeteres Talent
0139keineswegs wie Baumann’s an das Ländchen gebannt, so
0140hatte er doch mit besonderer Liebe dessen kunstlose Melodien
0141aufgefaßt und wiedergegeben. Eine feine Empfänglichkeit und
0142Reproductionskraft für nationale Charakteristik gehörte über-
0143haupt zu Dessauer’s hervorstechenden Eigenschaften; seine
0144französischen Romanzen, spanischen Boleros, die „Slavischen
0145Melodien“, endlich der oben erwähnte reizende Ländlerkranz
0146Aus den Alpen“ bezeugen es vollauf. Durch das Zusammen-
0147wirken zweier in die Gebirgswelt so warm eingelebter Künstler
0148wie Baumann und Dessauer konnte eine österreichische
0149komische Oper entstehen, ganz einzig in ihrer Art. Der Titel
0150Dominga“, der am 5. Mai 1860 zum erstenmal auf
0151dem Anschlagszettel des Kärntnerthor-Theaters prangte, be-
0152lehrte uns, daß die beiden Freunde es vorgezogen
0153hatten, sich weit weg von ihrem Lieblingsland auf
0154spanisches Gebiet zu begeben. Leider! Baumann war
0155im besten Sinne Localpoet und wurzelte in österreichi-
0156schem Grund und Boden. Seine spanische „Dominga“
0157war gänzlich mißrathen, ein Libretto ohne eine Spur von
0158Handlung, ein zähes Fortspinnen von lauter verbrauchten
0159Situationen. Um diesen geringen Inhalt doch einigermaßen
0160zusammenzudrängen, reducirte Dessauer die dreiactige Oper
0161des inzwischen verstorbenen Freundes Baumann auf zwei
0162Acte. Mit bangem Vorgefühl sah Dessauer die erste Auf-
0163führung herannahen. „Leben Sie wohl,“ schrieb er mir am
0164Morgen des 5. Mai 1860, „und weinen Sie mir eine
0165Thräne! Falle ich heute Abends, so geschieht es wenig-
0166stens an einem bedeutenden Tage — dem Todestage Napo-
0167leon’s I.“ Von einem „Fall“ war natürlich keine Rede;
0168Dessauer und die Darsteller der drei Hauptrollen (Fräu-
0169lein Wildauer, Fräulein Liebhardt, Herr Walter)
0170wurden wiederholt gerufen, und die Oper erlebte noch einige
0171gutbesuchte Wiederholungen. Weiter reichte ihre Lebenskraft
0172nicht; sie theilte mit ihrer Vorgängerin „Paquita“ das
0173Schicksal raschen Verschwindens. Letzteres Werk, eine ernste
0174Oper, auf welche Dessauer besonders viel Mühe und Liebe
0175verwendet haben soll, wurde 1850 im Hofoperntheater ge-
0176geben. Ich habe, damals von Wien abwesend, nichts davon 
0177kennen gelernt, aber wiederholt günstige Urtheile darüber ver-
0178nommen, welche namentlich den Vorzug der „Paquita“ vor
0179der „Dominga“ betonten. Letztere wirkte nur durch einzelne
0180reizende Stücke, das Ganze — obendrein gelähmt durch das
0181ganz interesselose Buch — entbehrte der nachhaltigen
0182Kraft. Das nahende Alter schien sich anzukündigen nicht
0183blos durch die spärlicher quellende Erfindung, sondern
0184ebensosehr in den zahlreichen bedauerlichen Concessio-
0185nen, welche hier Dessauer den Sängerinnen und dem
0186trivialeren Geschmack des Publicums machte. Diesen Charakter-
0187zug der Aengstlichkeit theilte Dessauer mit Meyerbeer. Die
0188Besorgniß, nicht immer und nicht Allen zu gefallen, dictirte
0189ihm in der „Dominga“ mitunter Coloraturen, Cadenzen und
0190Schlußfälle, die seinem feineren Geschmacke wahrscheinlich
0191selbst nicht zusagten. „Dominga“ blieb die letzte Oper
0192Dessauer’s, welcher, niedergeschlagen durch die halben Er-
0193folge seiner Opern, fortan auf die Bühne verzichtete. Seine
0194überaus sensitive Natur empfand überdies auf das peinlichste
0195all die kleinen Widerwärtigkeiten, Intriguen und Hemmnisse,
0196welche von einer ersten Opern-Aufführung unzertrennlich sind.
0197Er litt unbeschreiblich unter diesen Vorbereitungen seiner
0198Dominga“. Mit welcher Kraft und philosophischer Resigna-
0199tion Dessauer große Schicksalsschläge, unabwendbares Unheil
0200zu tragen wußte, hat er in seinen langen Leidensjahren ge-
0201zeigt; aber was seine Nervosität nicht ertragen konnte, waren
0202die kleinen Nadelstiche des Tages, die durchgehenden Noten
0203des Lebens.


0204Nach der „Dominga“ zog sich Dessauer von der Oeffent-
0205lichkeit immer mehr zurück; in Freundeskreisen trieb aber sein
0206Talent bei zahlreichen Anlässen noch ganz köstliche Blüthen.
0207Ich erinnere mich namentlich einer überwältigend komischen
0208Composition, welche Dessauer für Baumann’s „Gnomen-
0209höhle“ schrieb: eine Parodie der „Schöpfung“ von Haydn,
0210mit Recitativen, Arien etc. Eine andere Gelegenheits-
0211Cantate, die von Humor und Melodien sprühte, machte
0212Aufsehen bei einer Geburtstagsfeier der Frau Josephine
0213v. Wertheimstein. Häufig wählte er für derlei musika-
0214lische und declamatorische Scherze den böhmisch-deutschen
0215Dialekt, den er mit Virtuosität und drastischer Wirkung be-
0216handelte. Solche gesellige Anforderungen und intime Feste
0217unterbrachen wenigstens zeitweilig die trübe, von Jahr zu
0218Jahr melancholischere Stimmung, der sich Dessauer hingab.
0219In einem engeren, intimen Freundeskreise traf ich ihn zuletzt
0220vor sechs bis acht Jahren, wo er mitunter auf ein Stündchen
0221im Salon der unvergeßlichen und unersetzlichen Frau Julie
0222Ladenburg vorzusprechen pflegte. Da setzte er sich denn 
0223auch, in lebhaftem Gespräch mit Unger oder Hlasiwetz,
0224seinen Lieblingen, ans Clavier und spielte auswendig halbe
0225Opern von Mozart, Cherubini, Spohr, Rossini, Auber und
0226Anderen. Hier konnte man das außerordentliche Gedächtniß
0227und den ausdrucksvollen Vortrag des alten Herrn bewun-
0228dern. Immer seltener verließ er jedoch seit dieser Zeit seine
0229einsame Hagestolzenwohnung. Er war Hypochonder aus
0230Princip und aus Neigung; das hatte ihm, den häufig Ver-
0231stimmten, in dem Bauernfeld-Baumann’schen Kreise den
0232Beinamen „Raunzender“ zugezogen. Der eigenthümlich
0233weiche, klagende Accent seiner Rede ließ diese Ausbrüche von
0234Hypochondrie oft noch tragischer erscheinen, als sie gemeint
0235waren. „Was fehlt eigentlich unserem Dessauer?“ fragte
0236man eines Tages Liszt, der eben von dort kam. „Das
0237weiß er selbst nicht recht,“ erwiderte Liszt; „ich glaube,
0238wenn er den „Don Juan“ componirt hätte, er wäre
0239der gesündeste Mensch.“ In dieser scherzhaften Antwort liegt
0240etwas schlagend Wahres und Ernsthaftes nicht blos für
0241Dessauer allein. Den „Don Juan“ componirt zu haben,
0242wäre noch für manchen Andern eine sehr gesunde Medicin;
0243sie verlängert ganz unglaublich das Leben — nach dem Tode.
0244Was an Dessauer’s Seelenfrieden nagte, kam allerdings
0245nicht blos aus seinem körperlichen Befinden. Die bittere
0246Empfindung, als Künstler nicht nach Verdienst anerkannt zu
0247sein, und die noch viel schmerzlichere, sich selber sagen zu
0248müssen: du hast nicht Alles geleistet, was man von dir hoffte
0249und erwarten durfte — das brannte ihm heimlich auf dem
0250Herzen. Anfangs ein verhätscheltes Kind des Glücks, empfand
0251er später nur um so schmerzlicher den Rückschlag in dem Ver-
0252halten des Publicums. Vielleicht hätte er mehr und Größeres,
0253Bleibenderes geschaffen, wäre ihm das Leben nicht von Kind-
0254heit auf so leicht gemacht, die Noth, die zehnte Muse, ihm
0255nicht zeitlebens so ganz fremd gewesen. Seine Opern sind
0256vom Strom der Zeit rettungslos fortgeschwemmt, aber das
0257Beste, was Dessauer im Liede geleistet, wird noch lange fort-
0258leben oder sollte es wenigstens. Dessauer’s erstes Auf-
0259treten fällt in eine sehr ärmliche Periode der Lieder-Compo-
0260sition: die Zeit unmittelbar nach Schubert, der im Liede
0261das Höchste geschaffen, darin alle Vorgänger verdunkelt und
0262den Nachfolgern die Hände gebunden hatte. In dieser dürren
0263Periode zwischen Schubert’s Verstummen und dem Auf-
0264blühen eines neuen Liederfrühlings in Mendelssohn 
0265und Schumann haben Dessauer’s Lieder zu dem Besten
0266und Erquickendsten gehört, was musikalischen Gemüthern
0267Freude und dem österreichischen Namen allwärts Ehre ge-
0268macht hat.