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Wissenschaften und Künste.


Wien. Unter dem Titel, „Vom musikalisch Schönen, ein
Beitrag zur Revision der Aesthetik der Tonkunst, von
Dr. Eduard Hanslick in Wien“ ist bei R. Weigel in
Leipzig eine Broschüre erschienen, welche in unseren
gelehrten und kunstgebildeten Kreisen Aufsehen erregt.
Der Verfasser, der gegenwärtig im Bureau des Unter-
richtsministers Grafen Leo Thun arbeitet, bekämpft die
Principien der bisherigen Aesthetik der Tonkunst in so
eindringender und geistvoller Weise, daß er mit dieser
Schrift sich einen dauernden litterarischen Ruf gegründet
haben dürfte. Der „Wanderer“ macht bei Beurtheilung
des Buches die Bemerkung, daß von drei in jüngster
Zeit erschienenen in Wien entstandenen musikalisch-lit-
terarischen Werken, deren jedes in seiner Art tüchtig
und bedeutend ist, nämlich Sechters „Generalbaß- und
Harmonielehre,“ Schmidts „Leben Glucks“ und Hans-
lick’s oben erwähnte Abhandlung, keines in Wien einen
Verleger finden konnte. Wir müssen von dieser That-
sache Act nehmen, die in allen litterarischen Kreisen
Wiens große Sensation erregt. Es ist bekannt, daß
hier mit Ausnahme medicinischer Schriften, die ein ge-
sichertes Lesepublicum haben, fast nichts verlegt wird
als Lehrbücher und ähnliche für praktische Zwecke be-
stimmte Werke. Was insbesondere die Romanlitteratur,
ein für die Volkserziehung nicht unwichtiges Moment,
betrifft, so haben unsere Buchhändler keine Sympathieen
für eine ernstere litterarische Richtung; wohl aber kann
man ohne Uebertreibung behaupten, daß hier ein Roman,
je schlechter er ist, desto leichter einen Verleger findet.
Mit Ausnahme der Eduard Breier’schen Romane, die
bekanntlich zu dem schlechtesten gehören, was die deutsche
Litteratur producirt hat, wird in Wien auf diesem Ge-
biete nichts verlegt. Wie ganz anders der deutsche
Buchhandel, der nicht bloß ein lucratives sondern auch
ein ethisches Element in sich hat, und seit den letzten
Jahren bemüht, ist eine bessere Romanlectüre in den
Mittelstand zu bringen, den besseren Romanschriftstellern
ein Lesepublicum zu sichern! Es ist eine ganz richtige
Bemerkung des „Wanderers“, die Schuld liege nicht an
den Autoren daß ihre Bücher nicht in Wien gedruckt
werden, an Autoren die seit Jahren hier leben und sich
in allen Kreisen der Gesellschaft eine sehr geachtete
Stellung erworben haben. Diese Erscheinung hängt
mit anderen Umständen zusammen; ein strebender Schrift-
steller wie ein strebender Künstler, mit seltenen Ausnah-
men, kann ein anerkennendes aufmunterndes Urtheil,
geschweige denn reele Unterstützung, eher im Auslande
als im Inlande erwarten. Der Mangel eines intelli-
genten Patriotismus ist leider ein Kennzeichen öster-
reichischer Kritik und österreichischer Kunstvereine. Ist
es dann zu wundern, daß sich der bessere Schriftsteller
lieber nach dem Auslande wendet?