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Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revi-
sion der Aesthetik der Tonkunst, von Dr. Eduard Hanslick.“ Der Verf.
sucht in dem vorliegenden Schriftchen zu beweisen, daß die Musik keinen an-
dern als rein tonlichen Inhalt habe. Nur Anschauungen gebe sie der Phanta-
tasie. Die Gefühle, welche wir allenfalls dabei empfinden könnten, seien kein
unmittelbares Product der Töne, sondern unsere subjectiven Stimmungen. Die-
ser Ansicht können wir nicht beipflichten. Doch bedürfte es zur Widerlegung
eines Buches; denn der Autor kämpft mit scharfen Waffen und Beweisen, die
oft aus unwiderleglichen Thatsachen geschöpft sind. Allein in der Wahl dieser
Thatsachen scheint er seinem Hauptsatz zu Liebe parteiisch gewesen und solchen
Phänomenen, welche sich demselben entgegen stellen, aus dem Wege gegangen
zu sein. Wenn er z. B. Stellen aus der Instrumentalmusik anführt, die ein
Gefühl nicht, oder in jedem Individuum ein anderes hervorrufen, so ist damit
die Inhaltlosigkeit dieser Citate, aber schwerlich die absolute Ausdrucksunfähig-
keit der Tonkunst überhaupt bewiesen. Wird irgend ein gebildeter Mensch,
der mit freier Gemüthsstimmung an die Musik herantritt, aus einem Strauß’-
schen Walzer Trauer, aus dem Trauermarsch der Eroica (auch wenn er das
Programm nicht kennt) Freude hören und nachempfinden? Oder werden beide
Tonstücke gar keine Wirkung auf sein Gemüth hervorbringen? Der Verf. führt
ferner als Beweise, daß die Musik an sich keine bestimmten Gefühle ausdrücken
könne, Stellen aus Opern an, denen man den ganz entgegengesetzten Text un-
terlegen könne, ohne daß die Musik dazu unpassend erschiene. Auch diese Er-
fahrung läßt sich nicht wegdemonstriren. Solcher Stellen gibt es viele. Da-
gegen möge der Verfasser einmal Mozart’s „dies Bildniß ist bezaubernd schön“
die Worte unterlegen „der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ und umgekehrt
dieser Arie die Worte „dies Bildniß ist bezaubernd schön“ — er wird sogleich
empfinden, daß Töne einem Texte entsprechen und widersprechen können.
Die Ursachen dieser bejahenden oder verneinenden Fähigkeit der Tonkunst lie-
gen in den Analogien der musikalischen Elemente mit den Gemüthsregungen.


Seit Jahrtausenden hat man über „das Schöne“ in den Künsten ge-
schrieben, und noch haben wir keine Erklärung dieses Phänomens, der man
Allgemeinheit zugestehen könnte. Auch bei dieser allerneuesten Deduction des
Musikalisch-Schönen“ werden sich Wenige beruhigt fühlen. Worin liegt
der Grund dieses vergeblichen Ringens? Er ist schon von Plato in seiner
Aesthetik und von Schiller in seinem Briefwechsel erkannt, neuerlich in den
Fliegenden Blättern für Musik dargelegt worden: in dem Kunstwerke nur das
Schöne suchen zu wollen. Das Schöne aber ist in allen Künsten, auch in der
Musik, nur das eine Moment, die gefallende Form der Erscheinung, das zweite
Moment ist die Wahrheit in der Darstellung eines Objectes. Die Nachah-
mungsobjecte für die Musik wohnen in der Menschenbrust und können von dem
Componisten so versinnlicht werden, daß sie die Hörer sympathetisch mitempfin-
den müssen. Wir fühlen wol, daß der Verf. diese Gedanken nur für eine Wie-
derholung der alten falschen Ansichten erklären wird, die er eben bekämpfen
will. Es steht indessen zu hoffen, daß dem gefährlichen Satze, der unserer
Kunst kaum mehr als die Bedeutung eines Ton-Kaleidoskops zugestehen will,
ausführlichere und gründlichere Widerlegungen entgegentreten werden, als hier
zu geben der Raum erlaubt. Hat indessen der Verfasser unserer Meinung
nach die Gefühlsseite der Tonkunst mehr als billig beeinträchtigt, so ist ihm
dagegen die Aufhellung eines andern Punktes, der bisher noch in tiefem Dun-
kel lag, auf’s Trefflichste gelungen: die Bestimmung des Verhältnisses der Mu-
sik zu der anschauenden Phantasie. Das Meiste, was der Verf. darüber sagt,
ist überzeugend und wird künftigen Aesthetikern sehr zu Gute kommen. Es
hat uns überhaupt wohlgethan, das ästhetische Gebiet, auf welchem sich heut-
zutage so viele kenntnißlose und unklare Köpfe mit ihrem „modernen Bewußt-
sein“ und ihrem Hegel’schen Gottdünkel in vagen Allgemeinphrasen herum-
tummeln, von einem Geiste betreten zu sehen, der mit gründlichen Kenntnissen
und umfassender Belesenheit ausgerüstet, das Concrete scharf ins Auge faßt und
selbständige Gedanken mit überall deutlichen und allgemein begreiflichen Wor-
ten auszudrücken und zu entwickeln versteht. Möge Keiner, der sich für un-
sere Kunst interessirt, das Schriftchen unbeachtet lassen. Es ist jedenfalls mehr
werth, als aller Zukunftsjammer, womit wir seit einigen Jahren bis zum
Ueberdruß heimgesucht werden.