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Wiener Briefe.


Den 30. October 1854.


Unter dem Titel: „Vom Musicalisch-Schönen.
Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der
Tonkunst von Dr. Eduard Hanslick
“ (Leipzig, bei
R. Weigel), hat der geistvolle musicalische Schriftsteller Dr.
Eduard Hanslick kürzlich ein Büchlein veröffentlicht, wel-
ches nicht verfehlen wird, die allgemeine Aufmerksamkeit
zu erregen, und dessen Lecture nicht lebhaft genug em-
pfohlen werden kann. Ich zweifle sehr, ob über Musik je-
mals so nach allen Seiten hin gleich vortrefflich geschrieben
worden ist, und ob es unter den Schriften, deren Thema 5

die Musik bildet, viele geben wird, welche gleich dieser
auch den Nichtmusiker fesseln und jedem nur überhaupt
tiefer Gebildeten Genuss und Belehrung bereiten muss.
Dass man dies von musicalischen Schriften so selten sagen
kann, rührt nicht allein daher, weil geistreiche Menschen
und die zugleich einen Blick in die Tiefen einer Kunst ha-
ben, überhaupt nicht gar zu häufig sind, sondern auch da-
her, weil man bei musicalischen Schriftstellern so selten ne-
ben tiefer Einsicht in die Kunst und lebendiger Erkenntniss
deren Werke jenen Fonds echter, allgemeiner Bildung fin-
det, wie ihn unser Autor an den Tag legt. Vorläufig vom
Inhalt der obigen Broschüre ganz abgesehen, so ist die
blosse formelle Darstellung derselben an sich so meister-
haft, ein mit der Schärfe eines Schwertes einschneidender
Geist wirkt darin mit einer lebhaften, warmen Phantasie so
schön zusammen, dass man schon daran allein seine Freude
haben muss. Man sieht es dem Büchlein mit Vergnügen an,
dass es aus einem starken geistigen Drange hervorgegangen
ist; eine energische Natur spricht hier ihre innersten Ueber-
zeugungen aus, hier wahre künstlerische Lebens-Resultate.
Wenn wir den Autor und sein Werk als geistreich bezeich-
neten, so entspringt hier das Geistreiche nicht bloss aus
einzelnen Apperçus und so genannten Coups d’esprit, sondern
aus einer tiefen Erkenntniss künstlerischen Wesens und
Unwesens, die mit Feuereifer für das als wahr Erkannte
kämpft und das Falsche, innerlich Haltlose meist spielend
und mit Humor vernichtet. Namentlich weiss unser Autor
oft auf das glücklichste in ein Bild einzufangen, was durch
Begriffe niemals so prägnant und eindringlich veranschau-
licht werden kann.


Ihren vollen Werth erhalten aber diese formellen Vor-
züge freilich erst durch den materiellen Gehalt, welchem sie
dienen. Der wesentliche Haupt-Inhalt unseres Büchleins ist,
in wenige Sätze zusammengedrängt, dieser: Die Gefühle
sind weder Inhalt noch Zweck der Musik, vielmehr hat sie
keinen anderen wesentlichen Inhalt, als sich selbst, und
an diesem Inhalte besitzt sie zugleich ihren Selbstzweck;
nicht das Gefühl in seiner abstracten Einseitigkeit und dun-
kelen Verworrenheit ist der eigentliche treibende Nerv im
Componisten, sondern die Phantasie in ihrer alle vereinzel-
ten Seelen- und Geisteskräfte concentrirenden Thätigkeit;
eben so soll es sich beim Empfangenden verhalten. Das
ästhetische Verhalten ist in der Musik von dem rein patho-
logischen wohl zu unterscheiden. Man sieht, dass diese Sätze
eine Kriegserklärung gegen althergebrachte, vielfach in
Schwung befindliche Anschauungen enthalten, die Vielen
von vorn herein wie eine ketzerische Proclamation erschei-

nen wird. Man sehe sich aber das Büchlein nur selbst an,
und wer über dem Fühlen das Denken nicht ganz abge-
schworen, wird sich gegen dessen leuchtende Wahrheiten
nicht verschliessen können. Wohl mag es sein, dass der
Verfasser hin und wieder eine Linie zu tief schneidet; aber
bei einem ersten Kampfe gegen ein eingerostetes Uebel ist
nichts natürlicher als das. Auch ist es wahr, dass das Büch-
lein, wie der Autor im Vorworte selbst gesteht, noch man-
che Lücken hat, dass es noch nicht alle Zweifel und Be-
denklichkeiten hebt, seinen Gegenstand noch nicht nach al-
len Beziehungen hin durcharbeitet, dass es mehr erst Unter-
bau und Haupt-Mauerwerk einer künftigen Festung ist.
Wer aber der Erste Hand anlegt an eine so grosse Arbeit,
noch überdies mit so viel Muth und Geschicklichkeit, dem
gebührt auch Ehre und Dank vor allen Nachfolgenden. Der
Nachfolger, welchen wir Herrn Dr. Hanslick aber in dem
begonnenen Werke am liebsten setzen möchten, wäre doch
am Ende wieder er selbst. In eine weitere Inhalts-Specifi-
cirung seines trefflichen Buches können wir uns nicht ein-
lassen, da wir mit demselben fast so identisch sind, dass
wir, um unsere Meinung darüber zu sagen, es geradezu ab-
schreiben müssten. Man informire sich daher selbst, und man
wird es nicht bereuen. Hätten wir hin und wieder Manches
im Einzelnen noch anders gewünscht, so ist dies ein Mini-
mum gegen die Vortrefflichkeit des Ganzen, und wird sol-
che Erweiterung und Berichtigung der Autor seinem Werke
hoffentlich noch späterhin selbst angedeihen lassen. Denje-
nigen aber, welche etwa nach den obigen Andeutungen in
dem Hanslick’schen Buche eine Degradation der Tonkunst
wittern sollten, können wir nur entgegnen, dass man von
der Musik als Kunst keine grössere und würdigere An-
schauung haben kann, als sie unser Autor, richtig verstan-
den, überall documentirt. Und so möge denn seine Arbeit
überall hin weiteste Verbreitung finden! Die guten Wir-
kungen werden nicht ausbleiben.
—r—