„Vom musikalisch Schönen“ heißt ein Buch, welches kürzlich in Leipzig erschien und
einen unserer hiesigen musikalischen Kritiker, Herrn Dr. Ed. Hanslick zum Verfasser
hat. Letzterer erklärt gleich im Eingange, daß er nicht das Wagniß vorhabe, eine
Aesthetik der Tonkunst zu schreiben, sondern daß er nur Bausteine zu einem solchen
Werke der Zukunft zusammentragen wolle. Die Hauptbestrebung scheint dahin gerichtet,
die Musik auf ihren eigentlichen specifischen Gehalt zurückzuführen und dabei mit
gänz-
licher Beseitigung aller bisher üblichen unbestimmten Fassung der Ideen über Tonkunst
einen möglichst natürlichen Standpunkt der Beurtheilung einzunehmen. Manches früher
Gültige fällt durch eine solche Zurückführung der Anschauung auf nüchterne, auch dem
Verstande faßbare Begriffe über den Haufen und alle phantastischen Nebel müssen zer-
rinnen; aber es dürfte weder Herrn Hanslick noch einem andern noch geistreicheren
Kritiker gelingen, das Vage der musikalischen Aesthetik durch neue Satzungen zu prä-
cisiren und unter den eisernen Ring von bestimmten Gesetzen das zu zwingen, was so
unendlich dehnbar und direct an das Gemüth appellirend ist.
Wenn man sagt, daß man den meisten Arien auch unserer ersten musikalischen Größen
einen ganz andern Text mit diametral entgegen stehendem Sinne unterlegen könne,
ohne daß dadurch ein musikalischer oder auch nur deklamatorischer Unsinn entstünde,
so
ist das gewiß kein Baustein zu einer zukünftigen Aesthetik. Es mag das eine Wahrheit
sein; aber sie weist der Frau Musica einen ganz andern, mehr nach abwärts gelegenen
Rang an als der ist, den sie seit ihrer größeren Entwickelung eingenommen hat.
Uebrigens gebe ich Ihnen einen Auszug aus dem Buche, um Ihnen mit einigen
Zügen die Hanslick’sche Anschauung klar zu machen. Er sagt: „Jeder von uns hat
als Kind sich wohl an dem wechselnden Farbenspiele eines Kaleidoscops ergötzt.
Ein solches Kaleidoscop auf incommensurabel höherer Erscheinungsstufe ist Musik. Sie
bringt in stets sich entwickelnder Abwechselung schöne Formen und Farben, sanft über-
gehend, scharf contrastirend, immer symmetrisch und in sich erfüllt. Der Hauptunterschied
ist, daß solch unserm Ohr vorgeführtes Ton-Kaleidoscop sich als unmittelbare Emana-
tion eines künstlerisch schaffenden Geistes giebt, jenes sichtbare aber als ein sinnreich
mechanisches Spielzeug. Will man nicht blos im Gedanken, sondern in Wirklichkeit die
Erhebung der Farbe zur Musik vollziehen und die Mittel der einen Kunst in die Wir-
kungen der andern einbetteln, so geräth man auf die abgeschmackte Spielerei des „Farben-4
claviers“ oder der „Augenorgel,“ deren Erfindung jedoch beweist, wie die formelle
Seite
beider Erscheinungen auf gleicher Basis ruhe.“
Herr Hanslick ist der Musik-Rezensent der Wiener Zeitung, als solcher sehr gerne
gelesen und vielfach in Wien bekannt und als Autorität betrachtet. Sein Buch macht
schon aus diesem Grunde hier entschiedenes Glück. Man findet es in den Händen aller
Leute, die sich für Musik interessiren, und es hat nicht versäumt in den betreffenden
Kreisen große Sensation zu erregen, um so mehr, als es klar, wenn auch nicht ohne
einen gewissen Beigeschmack philosophischer Gelehrsamkeit, für jeden Gebildeten verständ-
lich und keineswegs für Fachmänner allein berechnet ist.
Bei der kürzlich abgehaltenen Stiftungsfeier des Männergesangvereins hörten wir
eine neue Vokalmesse von Esser. Sie ist sanglich, aber trotz scheinbarer Einfachheit sehr
schwierig. Bei dem Mangel an Vokalmessen für vier Männerstimmen müssen wir jeden
neuen Zuwachs mit Freude begrüßen, besonders im Hinblick darauf, welche große
Schwierigkeit es bietet, für den so begrenzten Spielraum der Männerstimme ohne Be-
gleitung eine so abstracte Composition wie eine Messe zu schaffen. Man denke nur an
die Schwierigkeit des Credo für volles Orchester und Singstimmen, und nun gar erst
für Männerchor allein!
Die vom Verein veranstaltete Liedertafel war in dieser traurigen Zeit des Kriegs
und der Krankheit frostig und unerquicklich. Man konnte sich für die Vorträge, unter
welchen einige sonderbar genug waren, nicht erwärmen.
In der Oper genießen wir jetzt Fräulein La Grua als Gast nachdem ihre En-
gagementszeit abgelaufen ist. Sie trat schon in Robert als Alice, in Don Juan als
Donna Anna und in Ferdinand Cortez auf. Ihre Beliebtheit scheint sich zu steigern,
nachdem sie im Begriffe steht von uns zu scheiden. Jedenfalls ist sie eine der bedeu-
tendsten Erscheinungen und gewiß die erste aller jetzt lebenden deutschen Primadonnen.
Die Damen, welche sich hierdurch zurückgesetzt fühlen, mögen sich beruhigen, da Fräulein
La Grua bald nach dem Süden in das Land des musikalischen Wahnsinns zieht. Schade
um das schöne Talent! Wenn ich eine große deutsche Sängerin wäre, brächten mich
alle Lorbeerkränze des welschen Opernpublikums, alle Goldberge der Impresari nicht
nach Italien!
Herr Cornet soll neulich mit Herrn Steger eine sehr energische Explication hinter
den Coulissen gehabt haben, deren Springfluth sich später in einer Abbitte, welche
die
Zuhörenden mit Ehrfurcht erfüllte, ebnete. Unser Repertoire macht sich zwar nicht
übel,
denn der italienische Singsang ist fast durchaus verschwunden, aber es scheint sehr klein
und sich bedeutend auf das lückenbüsende Ballet zu stützen.
Frau Hasselt-Barth kündigt plötzlich Concerte an und wird im Theater an der
Wien große Arien aus Oberon, Belisar und Norma im Costume singen, während in
den Zwischenacten die jugendlich reizende spanische Tänzerin Dolores Monterito
dem Publikum die Hölle heiß macht. Eine Sängerin mit großer Vergangenheit und
eine Tänzerin der Zukunft, die kalte Nordin und die glühende Südländerin in dem
brillanten Rahmen des neu restaurirten Wien-Theaters vereinigt — das muß wohl
ziehen, schon der Contraste wegen!
Überprüft | mehrfach |
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Weitere Details |
Lebensdaten | 1813-1881 |
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Beschreibung |
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GND | 116515368 |
WIKIDATA | Q562246 |
OEBL | oebl_H/Hasselt-Barth_Anna-Maria-Wilhelmine_1813_1881 |
OEML | musik_H/Hasselt-Barth_Wilhelmine |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Werk |
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Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Name (alt) | La Grua, Emmy |
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Lebensdaten | 1831-1922 |
Beschreibung |
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GND | 116646896 |
WIKIDATA | Q3052464 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Name (alt) | Hanns |
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Lebensdaten | 1825-1904 |
Beschreibung |
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GND | 118545825 |
WIKIDATA | Q84246 |
PMB | 11578 |
OEBL | oebl_H/Hanslick_Eduard_1825_1904 |
OEML | musik_H/Hanslick_Eduard |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1824-1911 |
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Beschreibung |
|
GND | 117228362 |
WIKIDATA | Q1292106 |
OEBL | oebl_S/Steger_Franz_1824_1914 |
OEML | musik_S/Steger_Franz |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1793-1860 |
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Beschreibung |
|
GND | 116680520 |
WIKIDATA | Q90175 |
OEBL | oebl_C/Cornet_Julius_1793_1860 |
OEML | musik_C/Cornet_Julius |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | unbekannt (19. Jhdt.) |
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Beschreibung |
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Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Name (alt) | Doña Anna |
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Werk |
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Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1818-1872 |
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Beschreibung |
|
GND | 116577444 |
WIKIDATA | Q1597167 |
OEBL | oebl_E/Esser_Heinrich-Joseph_1818_1872 |
OEML | musik_E/Esser_Heinrich |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Alternativname | Klein-Paris |
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Land | DE, Germany |
Typ | P, city, village,... |
Geonames | 2879139 |
GND | 4035206-7 |
WIKIDATA | Q2079 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Alternativname | Italien |
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Land | IT, Italy |
Typ | A, country, state, region,... |
Geonames | 3175395 |
GND | 4027833-5 |
WIKIDATA | Q38 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Land | DE, Germany |
---|---|
Typ | A, country, state, region,... |
Geonames | 2921044 |
GND | 4011882-4 |
WIKIDATA | Q183 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Alternativname | Spanien |
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Land | ES, Spain |
Typ | A, country, state, region,... |
Geonames | 2510769 |
GND | 4055964-6 |
WIKIDATA | Q29 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Alternativname | Vienna; Vindobona |
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Land | AT, Austria |
Typ | P, city, village,... |
Geonames | 2761369 |
GND | 4066009-6 |
WIKIDATA | Q1741 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Vom musikalisch Schönen; Ueber das musikalisch Schöne |
GND ID | 4261846-0 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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GND ID | 300171765 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Belisar |
GND ID | 300694342 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Don Juan |
GND ID | 30010782X |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
GND ID | 4747423-3 |
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Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Robert der Teufel |
GND ID | 300205562 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Ferdinand Cortez |
GND ID | 300892608 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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GND ID | 300017855 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
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