Wir gehen zu Ed. Hanslick über. Seine ganze
Schrift „Vom Musicalisch-Schönen“ ist ein Protest gegen
das Grundprincip Wagner’s, und da wir den wesentlichen
Inhalt derselben bereits dargelegt haben, so beschränken
wir uns hier nur auf aphoristische Mittheilung einiger den
Gegenstand speciel treffenden Aussprüche.
„Der Text ist bei der Vocal-Musik nur im logischen
(wir hätten beinahe gesagt: im juristischen) Sinne die Haupt-
sache, die Musik Accessorium; die ästhetische Forde-
rung an den Componisten geht viel höher, sie verlangt
selbstständige (wenngleich untrennbare) musicalische
Schönheit. — Seit Gluck in der nothwendigen Reaction
gegen die melodischen Uebergriffe der Italiäner nicht auf,
sondern hinter die richtige Mitte zurückschritt (genau wie
heutzutage R. Wagner thut), wird der in der Dedication
der Alceste ausgesprochene Satz, es sei der Text die rich-
tig und wohl angelegte Zeichnung, welche die Musik ledig-
lich zu coloriren habe, unablässig nachgebetet. Wenn die
Musik nicht in viel grossartigerem, als bloss colorirendem
Sinne das Gedicht behandelt, wenn sie nicht — selbst
Zeichnung und Farbe zugleich — etwas ganz Neues
hinzubringt, das in ureigener Schönheitskraft blättertrei-
bend die Worte zum blossen Epheu-Spalier umschafft,
dann hat sie höchstens die Staffel der Schüler-Uebung oder
Dilettanten-Freude erklommen, die reine Höhe der Kunst
nimmermehr.“ (S. 21.) —
„Das gleichmässige Genügen an die musicali-
schen und die dramatischen Anforderungen gilt mit
Recht für das Ideal der Oper. — Die Finale’s in Mozart’s
Opern stehen im richtigsten Einklang mit ihrem Texte, hört
man sie ohne diesen, so werden Mittelglieder etwa unklar
bleiben, die Hauptpartieen und deren Ganzes aber an sich
schöne Musik sein. — Das Augenmerk des echten Opern-
Componisten wird ein stetes Verbinden und Vermitteln
beider Forderungen sein, niemals ein principiel unverhält
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nissmässiges Vorherrschen der einen. Im Zweifel wird er
sich für die Bevorzugung der musicalischen entschei-
den; denn die Oper ist vorerst Musik, nicht
Drama. — — Je consequenter man in ihr das dramatische
Princip rein halten will, ihr die Lebenslust der musicali-
schen Schönheit entziehend, desto siecher schwindet sie
dahin, wie der Vogel unter der Luftpumpe. Man muss
nothwendig bis zum rein gesprochenen Drama zurück
kommen, womit man dann wenigstens den Beweis hat, dass
die Oper wirklich unmöglich ist, wenn man nicht dem
musicalischen Princip (mit vollem Bewusstsein seiner
realitätfeindlichen Natur) die Oberherrschaft in ihr
einräumt. In der Wirklichkeit ist dieses Letztere auch bei
Gluck und selbst bei Wagner der Fall, und der Letztere
hätte sich manch eitles Gerede ersparen können, wenn er
in den Schriften über den Gluck’schen Musikstreit sich in-
formirt hätte, wie viel von der Frage bereits längst bespro-
chen und erledigt worden war.“ —
„Der Haupt-Grundsatz Wagner’s, dass „ „der Irrthum
der Oper als Kunstgattung darin bestehe, dass ein Mittel
(die Musik) zum Zwecke, der Zweck (das Drama) aber zum
Mittel gemacht werde“ “ — steht gänzlich auf falschem Bo-
den. Denn eine Oper, in der die Musik immer und wirk-
lich nur als Mittel zum dramatischen Ausdrucke ge-
braucht wird, ist ein musicalisches Unding.“ —
„Wie kommt es, dass wir in vielen Opern-Stellen
manche kleine Aenderung vornehmen können, welche die
Richtigkeit des Gefühls-Ausdruckes nicht im Mindesten
schwächen und doch die Schönheit des Motivs sogleich
vernichten? — Wie kommt es, dass manches Gesangstück,
welches seinen Text tadellos ausdrückt, uns unleidlich
schlecht erscheint?“ (S. 27—31.)
Auch die Aeusserungen über die Grundverschiedenheit
zwischen dem Wesen der Musik und dem der Sprache
(S. 48—52) gehören hieher. „Sehr schlimm sind die
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Theorieen, welche der Musik die Entwicklungs- und Con-
structions-Gesetze der Sprache aufdringen wollen, wie es
in älterer Zeit Rousseau und Rameau gethan, in neue-
rer Zeit von den Jüngern R. Wagner’s versucht wird.
Es wird dabei das wahrhafte Herz der Musik, die in sich
selbst befriedigte Formschönheit, durchstossen und dem
Phantom der „ „Bedeutung“ “ nachgejagt. — In der Sprache
ist der Ton nur Mittel zum Zwecke, in der Musik ist er
Selbstzweck. Die selbstständige Schönheit der Tonfor-
men in der Musik, und die absolute Herrschaft des
Gedankens über den Ton als blosses Ausdrucksmittel in
der Sprache, stehen sich so ausschliessend gegenüber, dass
eine Vermischung der beiden Principe eine logische Un-
möglichkeit ist. — Alle musicalischen Gesetze drehen
sich um die selbstständige Bedeutung und Schönheit der
Töne, alle sprachlichen um die correcte Verwendung
des Lautes zum Zwecke des Ausdrucks. — Die schädlichsten
Anschauungen sind aus dem Bestreben hervorgegangen, die
Musik als eine Art Sprache aufzufassen. So musste es
hauptsächlich Componisten von schwacher Schöpferkraft ge-
eignet erscheinen, die ihnen unerreichbare selbststän-
dige musicalische Schönheit als ein falsches, sinnliches Prin-
cip anzusehen und die charakteristische Bedeutsamkeit der
Musik dafür auf den Schild zu heben. Ganz abgesehen von
Wagner’s Opern findet man in den kleinsten Instrumental-
sächelchen Dinge, die sich anstellen, als bedeuteten sie
etwas Besonderes“ u. s. w. —
Freilich fertigt Herr Fr. Brendel (N. Zeitschrift für
Musik, Nr. 10, vom 2. März die ganze Opposition gegen
das Princip von der Bestimmtheit des Ausdrucks mit fol-
genden Worten ab:
„Bis zum Extrem verfolgt, hebt eine Seite die andere
auf; die Wahrheit vernichtet die Schönheit, und umgekehrt.
[Und umgekehrt? Keineswegs.] Dies alles galt indess nur
für die bisherige Entwicklung der Tonkunst, für den Stand-
punkt, den dieselbe bis jetzt eingenommen hat. Mit dem
bisherigen musicalischen Princip stritt eine zu weit geführte
Bestimmtheit des Ausdrucks. Jetzt handelt es sich
um eine neue Schönheit, auf deren Grundlage
höchste Bestimmtheit möglich ist, und hierin
[worin denn?] liegt die Lösung des Conflictes. Dieses Stre-
ben verkennt Hanslick total, und so gelangt er zu dem ver-
kehrten, nebenbei auch sehr rücksichtslosen Urtheile über
Wagner.“ —
Ist das eine Widerlegung? Man definire uns doch
diese neue Schönheit; man zeige uns vor Allem ihre Kri
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terien als musicalische Schönheit. Denn wenn wir auch
momentan auf die so genannten Principe der Wagner-Secte
eingehen wollen, wonach „nur die specifisch musica-
lische Schönheit vernichtet werden soll“ — mithin,
beiläufig gesagt, alle Instrumental-Musik —, „eine neue
aber aus dem neuen Princip geboren“ (Brendel a. a. O.);
wenn wir also auf diese Voraussetzung eingehen wollen,
so soll doch die neue Schönheit ein Product aller
Künste sein, ein Werk der Vereinigung aller besonderen
Künste, ein Werk der Gesammtkunst. Nun fragen wir;
Welches soll denn der Antheil der Tonkunst an diesem
Gesammtwerke sein, da diese doch offenbar auch eine
Kunst ist? Worin soll der Theil der Schönheit, den
die Musik zu der „neuen Schönheit“ hergibt, liegen? Nach
welchen künstlerischen Grundsätzen soll er gewürdigt, nach
welchem ästhetischen Maassstabe soll er beurtheilt werden?
Sollen etwa auch die Poesie und die Malerei u. s. w.
in eurem Kunstwerke der Allkunst ein anderes Schönes
liefern als das, was bisher als das poetisch Schöne, als
das malerisch Schöne u. s. w. galt? Ist z. B. Göthe’s
Iphigenie der Iphigenie von Gluck unterzuordnen, weil jene
das specifisch poetische Schöne rein und allein, ohne das
musicalische, und diese eine Abschwächung des poetisch
Schönen durch das überwältigende musicalisch Schöne ent-
hält: Reicht dieses Eine Beispiel allein nicht schon hin, be-
greiflich zu machen, dass für die Kunst überhaupt das
Auseinanderhalten der Künste — nicht das Ineinan-
derschweissen, die Selbstständigkeit — nicht die
chemische Vermischung, das Lebens-Princip ist?
Ihr werdet doch wohl nicht schlechte Poesie und
schlechte Malerei in eurem Allkunstwerke haben wollen,
nicht wahr? Nach welchem Princip werdet ihr denn nun
die Schönheit in dem Antheil dieser Künste an eurem
Kunstwerke beurtheilen? — „Ei nun! das versteht sich doch
wohl von selbst: nach dem für das Schöne in diesen Kün-
sten allgemein gültigen.“ — Also ihr lasst das specifisch
poetische Schöne, das specifisch malerische Schöne in
eurem Kunstwerke zu? — „Wie sollten wir nicht? Wir
haben das poetisch Schöne sogar im höchsten Grade nöthig,
und wir räumen ihm mehr als die ästhetische Befriedigung
ein; wir vindiciren ihm auch die schaffende Kraft für die
Musik.“ — Wie? das heisst also: das poetische Schöne soll
das musicalische erzeugen? — „Allerdings.“ — Hm! Dem-
nach müsste ja das Höchstschöne in der Poesie auch das
Höchstschöne in der Musik erzeugen? — „Das ist die noth-
wendige Folge.“ — Dann müsst ihr, um Gluck total zu
schlagen, Göthe’s Iphigenie componiren, d. h. das Gedicht
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sich selbst musicalisch wiedererzeugen lassen, etwa à la
Louis Köhler. —
„Das geht zu weit, das ist ein Missverständniss. Um
die Zeugung des Dichters im Allkunstwerke zu verleben-
digen, gehört natürlich ein Zweites dazu, der Musiker.“ —
Als Hebamme? — „Nicht ganz; mehr als Princip und Sym-
bol des Weiblichen, des Empfangenden“. — Also die Mu-
sik empfängt von der Poesie? — „Ganz richtig.“ — Und das
Product ist? — „Die neue Schönheit.“
Gut. Kann eine Schönheit aus Unschönem entstehen?
— „Unmöglich.“ — Dann müssen also Dichtkunst und Ton-
kunst jede ein an und für sich Schönes enthalten, um zu-
sammen etwas Schönes zu bilden. — „So ist es.“ — Dann
muss aber dasjenige Schöne, welches die Musik dazu her-
gibt, das rein oder specifisch musicalische Schöne sein,
weil eben die Tonkunst kein anderes zu geben vermag.
Da ihr nun aber „das specifisch musicalische Schöne ver-
nichten wollt“, so ist klar, dass eure Kunst-Theorie durch
inneren Widerspruch unhaltbar ist, und jedenfalls euer
Kunstwerk der Zukunft mit der Tonkunst als Kunst nichts
zu schaffen hat.
Als Poeten, um in eurem Stile zu schreiben, bekennt
ihr euch als nicht zeugungsfähig ohne die Ehe zur linken
Hand mit der Tonkunst; als Tonkünstler verläugnet ihr
aber eure Mutter und euer Geschlecht überhaupt; wie
wollt ihr denn nun, als Hermaphroditen, irgendwie produc-
tiv sein? Das Endergebniss ist, dass ihr weder Poeten noch
Tonkünstler seid.
L. B.
Name (alt) | Freigedank; Widmann |
---|---|
Lebensdaten | 1813-1883 |
Beschreibung |
|
GND | 118594117 |
WIKIDATA | Q1511 |
PMB | 13024 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1712-1778 |
---|---|
Beschreibung |
|
GND | 118603426 |
WIKIDATA | Q6527 |
PMB | 12582 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1683-1764 |
---|---|
Beschreibung |
|
GND | 118598090 |
WIKIDATA | Q1145 |
PMB | 9416 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1749-1832 |
---|---|
Beschreibung |
|
GND | 118540238 |
WIKIDATA | Q5879 |
PMB | 11461 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Name (alt) | Hanns |
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Lebensdaten | 1825-1904 |
Beschreibung |
|
GND | 118545825 |
WIKIDATA | Q84246 |
PMB | 11578 |
OEBL | oebl_H/Hanslick_Eduard_1825_1904 |
OEML | musik_H/Hanslick_Eduard |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1756-1791 |
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Beschreibung |
|
GND | 118584596 |
WIKIDATA | Q254 |
PMB | 12303 |
OEML | musik_M/Mozart_Familie |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1714-1787 |
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Beschreibung |
|
GND | 118539841 |
WIKIDATA | Q130759 |
PMB | 11450 |
OEML | musik_G/Gluck_Christoph |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1820-1886 |
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Beschreibung |
|
GND | 116285036 |
WIKIDATA | Q320601 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1794-1867 |
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Beschreibung |
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GND | 118511343 |
WIKIDATA | Q1874232 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Lebensdaten | 1811-1868 |
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Beschreibung |
|
GND | 119020742 |
WIKIDATA | Q69501 |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
GND ID | 7796404-4 |
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Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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GND ID | 4099201-9 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
Weitere Details |
Autor(en) | |
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Alternativtitel | Tanhäuser |
GND ID | 300170408 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
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Autor(en) | |
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Überprüft | einmalig |
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Autor(en) | |
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GND ID | 4261846-0 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
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Autor(en) | |
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Alternativtitel | Iphigenia / Iphigenie in / auf Tauris; Taurische Iphigenia |
GND ID | 300060254 |
Digitalisat | vorhanden |
Überprüft | mehrfach |
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ACDH-CH OEAW
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Bäckerstraße 13
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