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Ueber Musik.


Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revi-
sion der Aesthetik der Tonkunst. Von Dr. Eduard
Hanslick. Leipzig, Rudolf Weigel, 1854.


Eine anregende Schrift, die sehr viel Wahres ent-
hält, wenn sie auch im Eifer zu viel beweist.


Der Verfasser sieht in der Musik immer mehr eine
der eigentlichen Musik fremde Richtung vorherrschend
werden und klagt die Aesthetik an, sie mache eine Neben-
sache zur Hauptsache und setze den Zweck der Musik in
etwas, was eigentlich eine Erniedrigung derselben sey,
nämlich in den Gebrauch derselben als Mittel zu einem
andern Zwecke. Dieser ihr fremde Zweck ist die
Gefühlerregung. Der Verfasser verzeichnet eine lange
Reihe von ästhetischen Werken, worin die Musik ledig-
lich als Sprache des Gefühls oder der Leidenschaften
charakterisirt wird. Darüber spottet er nun. „Lust und
Trauer können durch Musik in hohem Grade erweckt
werden; das ist richtig. Nicht in noch höherem viel-
leicht durch den Gewinnst des großen Treffers oder die
Todeskrankheit eines Freundes? So lange man Anstand
nimmt, deshalb ein Lotterieloos den Symphonien, oder
ein ärztliches Bülletin den Ouvertüren beizuzählen, so
lange darf man auch factisch erzeugte Affecte nicht als
eine ästhetische Specialität der Tonkunst oder eines be-
stimmten Tonstücks behandeln.“ S. 9. Wenn aber auch
die Musik Gefühle ausdrücken sollte, so glaubt der Ver-
fasser, sie sey gar nicht im Stande, ein bestimmtes
Gefühl auszudrücken. „Was macht denn ein Gefühl zu
diesem bestimmten Gefühl? Zur Sehnsucht, Hoffnung,
Liebe? Etwa die bloße Stärke oder Schwäche, das
Wogen der innern Bewegung? Gewiß nicht. Diese
kann bei verschiedenen Gefühlen gleich seyn und auch
wieder bei demselben Gefühl, in mehreren Individuen,
zu andern Zeiten verschieden.“ Man sagt frischweg, in
einer Arie flüstre die Zärtlichkeit, in einem Marsch
stürme die Kampflust, aber das ist unwahr. „Um auf
festen Boden zu gelangen, müssen wir vorerst solche
altverbundene Metaphern schonungslos trennen: Das
Flüstern? Ja; — aber keineswegs der ‚Sehnsucht‘; das
Stürmen? Allerdings, doch nicht der ‚Kampflust‘. In
der That besitzt die Musik das Eine ohne das Andre;
sie kann flüstern, stürmen, rauschen, — das Lieben und
Zürnen aber trägt nur unser eigenes Herz in sie hinein.
Die Darstellung eines Gefühles oder Affectes liegt gar
nicht in dem eigenen Vermögen der Tonkunst.“ S. 13.


Um zu beweisen, wie leicht sich der Mensch betrüge,
wenn er Gefühle in ein Musikstück hineintrage, die nicht
nothwendig darin liegen, führt der Verfasser das Thema
aus dem zweiten Finale der Hugenotten an, dessen Text
„schändlich ist es, unerhört, ha, wie können sie es wa-
gen!“ eben so gut lauten könnte: „O Geliebte, ich habe
dich wieder, welche Wonne, welch Entzücken!“ Und
noch andre ähnliche Beispiele, z. B. eine Stelle in
Beethovens Fidelio, die „o namlose Freude“ charakteri-
sirt ist, aber eben so gut heißen kann „er soll mir nicht
entkommen!“


„Die schädlichsten und verwirrendsten Anschauungen
sind aus dem Bestreben hervorgegangen, die Musik als
eine Art Sprache aufzufassen; sie weisen uns täglich
praktische Folgen auf. So mußte es hauptsächlich Com-
ponisten von schwacher Schöpferkraft geeignet erscheinen,
die ihnen unerreichbare selbstständige musikalische Schön-
heit als ein falsches, sinnliches Princip anzusehen, und
die charakteristische Bedeutsamkeit der Musik dafür aufs
Schild zu heben. Ganz abgesehen von Richard Wag-
ners Opern findet man in den kleinsten Instrumental-
fächelchen oft Unterbrechungen des melodischen Flusses
durch abgerissene Cadenzen, recitativische Sätze u. dgl.,
welche den Hörer befremdend sich anstellen, als bedeu

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teten sie etwas Besonderes, während sie in der That
nichts bedeuten, als Unschönheit. Von modernen Com-
positionen, welche fortwährend den großen Rhythmus
durchbrechen, um mysteriöse Zwischensätze oder gehäufte
Contraste vorzudrängen, pflegt man zu rühmen: es strebe
darin die Musik ihre engen Grenzen durchzubrechen und
zur Sprache sich zu erheben. Uns ist ein solches Lob
immer sehr zweideutig erschienen. Die Grenzen der
Musik sind durchaus nicht eng, aber sehr genau festge-
steckt. Die Musik kann sich niemals ‚zur Sprache er-
heben‘, — herablassen müßte man eigentlich von musi-
kalischem Standpunkt sagen.“ S. 49. „Eben so schlimm
als diese praktischen Folgen, ja noch schlimmer, weil
nicht alsogleich durch das Experiment geschlagen, sind
die Theorien, welche der Musik die Entwicklungs- und
Constructionsgesetze der Sprache aufdringen wollen, wie
es in älterer Zeit Rousseau und Rameau gethan, in
neuerer Zeit von den Jüngern R. Wagners versucht
wird. Es wird dabei das wahrhafte Herz der Musik,
die in sie selbst befriedigte Formschönheit, durchstoßen
und dem Phantom der ‚Bedeutung‘ nachgejagt. Eine
Aesthetik der Tonkunst müßte es daher zu ihren wich-
tigsten Aufgaben zählen, die Grundverschiedenheit zwi-
schen dem Wesen der Musik und dem der Sprache
unerbittlich darzulegen, und in allen Folgerungen das
Princip festzuhalten, daß wo es sich um Specifisch-
Musikalisches handelt, die Analogien mit der Sprache
jede Anwendung verlieren.“ S. 51. „Mit der Schil-
derung der subjectiven Bewegungen, welche den Kritiker
bei Anhörung einer Symphonie überkommen, wird er
deren Werth und Bedeutung nicht begründen, eben so
wenig kann er von den Affecten ausgehend den Kunst-
jünger etwas lehren. Letzteres ist wichtig. Denn stünde
der Zusammenhang bestimmter Gefühle mit gewissen
musikalischen Ausdrucksweisen so zuverlässig da, als man
geneigt ist zu glauben, und als er dastehen müßte, um
die ihm vindicirte Bedeutung zu behaupten, so wäre es
ein Leichtes, den angehenden Componisten bald zur Höhe
ergreifendster Kunstwirkung zu leiten. Man wollte dies
auch wirklich. Mattheson lehrt im dritten Kapitel seines
vollkommenen Capellmeisters‘ wie Stolz, Demuth und
alle Leidenschaften zu componiren seyen, indem er z. B.
sagt, die ‚Erfindungen‘ zur Eifersucht müssen ‚alle was
Verdrießliches, Grimmiges und Klägliches haben‘. Ein
anderer Meister des vorigen Jahrhunderts, Heinchen,
gibt in seinem ‚Generalbaß‘ acht Bogen Notenbeispiele,
wie die Musik ‚rasende, zankende, prächtige, ängstliche
oder verliebte Empfindungen‘ ausdrücken solle. Es fehlt
nur noch, daß derlei Vorschriften mit der Kochbuch-
Formel ‚Man nehme‘ anhüben, oder mit der medici -
nischen Signatur m. d. s. endigten. Es holt sich aus
solchen Bestrebungen die lehrreichste Ueberzeugung, wie
specielle Kunstregeln immer zugleich zu eng und zu weit
sind. Diese an sich bodenlosen Regeln für die musika-
lische Erweckung bestimmter Gefühle gehören jedoch um
so weniger in die Aesthetik, als die erstrebte Wirkung
keine rein ästhetische, sondern ein unausscheidbarer An-
theil daran körperlich ist. Das ästhetische Recept müßte
lehren, wie der Tonkünstler das Schöne in der Musik
erzeuge, nicht aber beliebige Affecte im Auditorium.“


Doch es ist Zeit, dem, was der Verfasser tadelt,
das entgegenzuhalten, was er lobt. „Das Urelement
der Musik ist Wohllaut, ihr Wesen Rhythmus. Rhyth-
mus im Großen, als die Uebereinstimmung eines sym-
metrischen Baues, und Rhythmus im Kleinen, als die
wechselnd-gesetzmäßige Bewegung einzelner Glieder im
Zeitmaß. Das Material, aus dem der Tondichter
schafft, und dessen Reichthum nicht verschwenderisch ge-
nug gedacht werden kann, sind die gesammten Töne,
mit der in ihnen ruhenden Möglichkeit zu verschiedener
Melodie, Harmonie und Rhythmisirung. Unausgeschöpft
und unerschöpflich waltet vor Allem die Melodie, als
Grundgestalt musikalischer Schönheit; mit tausendfachem
Verwandeln, Umkehren, Verstärken bietet ihr die Har-
monie immer neue Grundlagen; beide vereint bewegt
der Rhythmus, die Pulsader musikalischen Lebens, und
färbt der Reiz mannigfaltiger Klangfarben. Frägt es
sich nun, was mit diesem Tonmaterial ausgedrückt wer-
den soll, so lautet die Antwort: Musikalische Ideen.
Eine vollständig zur Erscheinung gebrachte musikalische
Idee aber ist bereits selbstständiges Schöne, ist Selbst-
zweck und keineswegs erst wieder Mittel oder Material
zur Darstellung von Gefühlen und Gedanken, wenn sie
gleich in hohem Grad jene symbolische, die großen
Weltgesetze wiederspiegelnde Bedeutsamkeit besitzen kann,
welche wir in jedem Kunstschönen vorfinden. Tönend
bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Ge-
genstand der Musik. In welcher Weise uns die Musik
schöne Formen ohne den Inhalt eines bestimmten Affec-
tes bringen kann, zeigt uns recht treffend ein Zweig
der Ornamentik in der bildenden Kunst: die Arabeske.
Wir erblicken geschwungene Linien, hier sanft sich nei-
gend, dort kühn emporstrebend, sich findend und los-
lassend, in kleinen und großen Bogen correspondirend,
scheinbar incommensurabel, doch immer wohlgegliedert,
überall ein Gegen- oder Seitenstück begrüßend, eine
Sammlung kleiner Einzelnheiten, und doch ein Ganzes.
Denken wir uns nun eine Arabeske nicht todt und
ruhend, sondern in fortwährender Selbstbildung vor
unsern Augen entstehend. Wie die starken und die feinen

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Linien einander verfolgen, aus kleiner Biegung zu präch-
tiger Höhe sich heben, dann wieder senken, sich erwei-
tern, zusammenziehen und in sinnigem Wechsel von Ruhe
und Anspannung das Auge stets neu überraschen! Da
wird das Bild schon höher und würdiger. Denken wir
uns vollends diese lebendige Arabeske als thätige Aus-
strömung eines künstlerischen Geistes, der die ganze Fülle
seiner Phantasie unablässig in die Adern dieser Bewe-
gung ergießt, wird dieser Eindruck dem musikalischen
nicht sehr nahekommend seyn? Jeder von uns hat als
Kind sich wohl an dem wechselnden Farben- und For-
menspiel eines Kaleidoscops ergötzt. Ein solches Kalei-
doscop auf incommensurabel höherer Erscheinungsstufe
ist Musik. Sie bringt in stets sich entwickelnder Ab-
wechslung schöne Formen und Farben, sanft übergehend,
scharf contrastirend, immer symmetrisch und in sich er-
füllt. Der Hauptunterschied ist, daß solch unserm Ohr
vorgeführtes Tonkaleidoscop sich als unmittelbare Ema-
nation eines künstlerisch schaffenden Geistes gibt, jenes
sichtbare aber als ein sinnreich-mechanisches Spielzeug.
Will man nicht blos im Gedanken, sondern in Wirk-
lichkeit die Erhebung der Farbe zur Musik vollziehen,
und die Mittel der einen Kunst in die Wirkungen der
andern einbetteln, so geräth man auf die abgeschmackte
Spielerei des ‚Farbenclaviers‘, oder der ‚Augenorgel‘,
deren Erfindung jedoch beweist, wie die formelle Seite
beider Erscheinungen auf gleicher Basis ruhe. Sollte
irgend ein gefühlvoller Musikfreund unsre Kunst durch
Analogien, wie die obige herabgewürdigt finden, so
entgegnen wir, es handle sich blos darum, ob die Ana-
logien richtig seyen oder nicht. Herabgewürdigt wird
nichts dadurch, daß man es besser kennen lernt.“ Wir
mußten diese ganze das System des Verfassers am
besten bezeichnende Stelle ausheben, um unsere Ent-
gegnung zu motiviren.


Der Verfasser hat gefühlt, daß die Vergleichungen
mit der Arabeske und mit dem Kaleidoskop ärmlich sind.
Er würde besser gethan haben, auf ein vergessenes, aber
sehr geistreiches Buch, „die Aphorismen über die Kunst“
von Görres zurückzugehen, und sich die Musik als eine
in Fluß gekommene Architektur wie die Baukunst als
eine „versteinerte Musik“ zu denken. Die Vergleichung
eines großen musikalischen Werkes mit einem gothischen
Dome ist jedenfalls würdiger, wie die mit einer Ara-
beske oder einem Kaleidoscop. Die Hauptsache hat Herr
Hanslick nicht befriedigend erledigt. Jedes große Kunst-
werk der Menschen muß einen geistigen Inhalt haben.
Nach diesem aber fragen wir vergeblich in der musika-
lischen Theorie des Verfassers. Seine Arabeske, sein
Kaleidoscop lassen eine fühlbare Leere zurück. Das bloße
harmonische Spiel mit Tönen, wie mit Zeichnungen
und Farben erfüllt die Seele nicht, befriedigt den Geist
nicht. Am gothischen Dom bewundern wir nicht blos
die Kunst, sondern auch das Heilige, dem sie zum Aus-
druck dient. Was für ein unsinniger Bau müßte das
seyn, an dem wir blos die Kunst bewunderten? Das-
selbe gilt aber auch von der Musik. Was für eine
unsinnige Musik müßte das seyn, die nichts wäre als
Musik schlechthin und wobei man nicht wüßte, aus
welcher Stimmung der Seele sie hervorgegangen und zu
welchem Zwecke sie componirt wäre?


Es gibt keine Musik schlechthin und hat nie eine
gegeben. Wie bei den Alten alle Musik in dorische,
phrygische, lydische und äolische, d. i. in heilige, mar-
tialische, sentimentale und lustige getheilt war, so auch
wieder unsre neuere Musik in Kirchenmusik, opera seria
und buffa, Tanz, Marsch, Symphonie, Lied etc. mit
denselben Grundrichtungen, wie in der antiken Musik.
Mag es eine Musik der Engel oder Geister geben, unsre
Musik ist eine Musik der Menschen und schließt sich an
alles Menschliche an, hauptsächlich aber an das öffent-
liche Leben, sofern es von feierlichen oder leidenschaft-
lichen Stimmungen getragen wird. Die Musik ist aus
dem praktischen Leben entsprungen und hat nie aufge-
hört, demselben zu dienen. Das erste Lied entstand aus
der Modulirung eines lockenden Rufens, oder eines
frohen Jauchzens, oder des Taktes im Marsch und Tanz.
Und auch das größte musikalische Kunstwerk der Neuzeit
hat bei aller künstlerischen Vollendung doch immer noch
eine praktische Beziehung. Es ist Kirchenmusik, oder
Oper mit dramatischem Charakter. Es hat einen Text
in Worten oder wenigstens ein Programm. Es drückt
etwas aus, es ist nicht blos Tönespiel. Es verhält
sich zu einem Werk der bildenden Kunst nicht wie ein
Kaleidoscop, sondern wie ein Historien- oder Land-
schaftsbild.


Dem, was der Verfasser verlangt, soll gebührend
Rechnung getragen werden. „Wie aus dem gleichen
Marmor der eine Bildhauer bezaubernde Formen, der
andre eckiges Ungeschick heraushaut, so gestaltet sich die
Tonleiter unter verschiedenen Händen zur Beethoven’schen
Symphonie, oder zur Verdi’schen. Was unterscheidet
die Beiden? Etwa, daß die eine höhere Gefühle, oder
dieselben Gefühle richtiger darstellt? Nein, sondern daß
sie schönere Tonformen bildet. Nur dies macht eine
Musik gut oder schlecht, daß ein Componist ein geist-
sprühendes Thema einsetzt, der andre ein bornirtes, daß
der Erstere nach allen Beziehungen immer neu und be-
deutend entwickelt, der Letztere seines wo möglich immer
schlechter macht, die Harmonie des einen wechselvoll und

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originell sich entfaltet, während die zweite vor Armuth
nicht vom Flecke kommt, der Rhythmus hier ein lebens-
warm hüpfender Puls ist, dort ein Zapfenstreich.“ Das
ist sehr wahr. Man vergleiche z. B. Don Juan und
Zampa; jener bewahrt noch in der Hölle die musikalische
Schönheit und Würde, dieser sinkt zum höllischen Ge-
polter herab. Wenn es sich um Ausdruck allein han-
delte, so würde die Musik am Ende müssen Frösche quacken
und Esel wiehern oder (wie übrigens schon geschehen
ist) Kanonen abfeuern lassen. Dafür ist sie Musik, daß
sie sich über die Naturtöne erhebt.


Allein damit ist die Musik nicht absolut losgerissen
von jedem Inhalt oder Anhaltspunkt im Text, so wenig
wie von der ewigen Quelle der Gefühle. Sie wird,
trotz dem Verfasser, doch in alle Ewigkeit künftig wie
vorher, für eine Sprache der Gefühle genommen werden.
Welche engen Schranken würde sich die edle Kunst setzen,
wenn die Musik nicht mehr an einen bestimmten Text
gebunden seyn sollte, der Charakter und Maaß der aus-
zudrückenden Gefühle bezeichnet. Gerade an der Man-
nigfaltigkeit der Oratorien-, Opern-, Arien-, Lieder-
texte etc. entfaltet sich der reichste Zauber der Tonkunst,
was sonst gar nicht möglich wäre.


Herr Hanslick ist S. 69 so weit gegangen, die durch
Musik bewirkte Gefühlserregung eine blos körperliche
zu nennen. Das ist eine Beleidigung gegen das mensch-
liche Gefühl, wie gegen die Musik. Man kann, um
das Gefühl von allem Körperlichen entkleidet zu wissen,
kaum ein anderes Element ersinnen als das der Töne.
Es gibt nichts Magischeres, d. h. nichts im Sinnlichen
das Geistige so unmittelbar Verklärende als der musi-
kalische Ton. Wo das Wort noch zu gemein ist, da
kann den edelsten Ausdruck das Gefühl nur im Ton
finden. Darauf beruht die ganze Kirchenmusik. Nicht
minder der höchste Zauber des Liebesliedes.


Süße Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, verschönen.


Die Musik ist eine höhere Potenz der Sprache; sie ver-
hält sich zur gemeinen Sprache fast wie das magnetische
Schlafwachen zum gemeinen Wachen. Es ist die Sprache
höherer Wesen. Die Musik adelt. Die Musik erhebt
gewissermaßen aus der gemeinen Welt in die Geisterwelt.


Auch von der Macht der Musik denkt Herr H. zu
gering. Er spottet darüber S. 61. Indeß lag auch
in der groben Magie des Mittelalters, die den Tönen
einer aus einem gewissen Holz geschnitzten Flöte Eigen-
schaften zuschrieb, die sonst nur der Pflanze zukommen,
der das Holz angehört, oder den Tönen eines aus
Knochen verfertigten Instruments die Sprache und den
Geist dessen, dem einst die Knochen angehört hatten,
— wenigstens eine hohe Verehrung vor der Musik und
ihrer Wunder wirkenden Macht. Dem Aberglauben
lag immerhin ein tiefer Sinn für das Wesen der Musik
zu Grunde.


Ein bekanntes Beispiel von der Wirkung der Töne
ist vielleicht am besten geeignet, die Ansichten des Ver-
fassers zu rectificiren. Der Schweizer Kuhreigen weckt
bei den in fremdem Dienst stehenden Schweizern un-
widerstehliches Heimweh. Warum? ist das auch, nach
des Verfassers Ansicht, ein blos körperliches Gefühl,
was eben so gut durch den Anblick und Geruch von
Schweizerkäse geweckt werden könnte? Ist hier nicht
vielmehr die Schönheit der Melodie das Seelenergrei-
fende? Zugegeben daß auf uns andere alle dieselbe
Melodie eine so tiefe Wirkung nicht hervorbringt, so
ist es doch auch nicht blos die dadurch hervorgerufene
Erinnerung an die Heimath, die den Schweizer Sol-
daten bewegt, denn eine solche Erinnerung würde ihm
durch ein Stück Käse eben so gewiß erweckt.


Das, was wir als vollkommen gerechtfertigt in der
vorliegenden Schrift erkennen, wollen wir durch eine
Vergleichung mit der Malerei erhärten. Was Herr
Hanslick in der Musik rügt, ist noch weit mehr zu
rügen in der Malerei. Denn hier läuft alles je mehr
und mehr nur auf Ausdruck und Bedeutung hinaus
und der große oder pikante Gegenstand soll die schwache
Kunst des Malers entschuldigen. Es gibt nun gewiß
einen Reiz der Gestalten und Farben, wie einen Reiz
der Töne, dessen Schönheit der Künstler unter allen
Umständen zur Geltung bringen muß. Titian, der
wundervoll malte, ohne seinen Gestalten irgend viel
Ausdruck oder Bedeutung zu geben, steht unendlich
höher als hundert Historienmaler, die mit dem Dichter
wetteifernd in ihre Bilder alle mögliche Bedeutung
legten, aber eben schlechter malten. Dasselbe Kriterium
gilt nun auch für die musikalischen Componisten, ohne
daß es nöthig wäre, deshalb die Wechselwirkung zwi-
schen Musik und Gefühl und die Anlehnung der Musik
an den Text so weit abzulehnen, als der Verfasser der
vorliegenden Schrift gethan hat.