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Unable to open [object Object]: Error loading image at https://iiif.acdh.oeaw.ac.at/iiif/images/hsl-vms/1855WolfgangMenzelsLiteraturblattAusschnitt-0001.jp2/full/full/0/default.jpg
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Wolfgang Menzels Literaturblatt. Mittwoch, No 33. 25. April 1855.

Ueber Musik.

Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der Tonkunst. Von Dr. Eduard Hanslick. Leipzig, Rudolf Weigel, 1854.

Eine anregende Schrift, die sehr viel Wahres enthält, wenn sie auch im Eifer zu viel beweist.

Der Verfasser sieht in der Musik immer mehr eine der eigentlichen Musik fremde Richtung vorherrschend werden und klagt die Aesthetik an, sie mache eine Nebensache zur Hauptsache und setze den Zweck der Musik in etwas, was eigentlich eine Erniedrigung derselben sey, nämlich in den Gebrauch derselben als Mittel zu einem andern Zwecke. Dieser ihr fremde Zweck ist die Gefühlerregung. Der Verfasser verzeichnet eine lange Reihe von ästhetischen Werken, worin die Musik lediglich als Sprache des Gefühls oder der Leidenschaften charakterisirt wird. Darüber spottet er nun. „Lust und Trauer können durch Musik in hohem Grade erweckt werden; das ist richtig. Nicht in noch höherem vielleicht durch den Gewinnst des großen Treffers oder die Todeskrankheit eines Freundes? So lange man Anstand nimmt, deshalb ein Lotterieloos den Symphonien, oder ein ärztliches Bülletin den Ouvertüren beizuzählen, so lange darf man auch factisch erzeugte Affecte nicht als eine ästhetische Specialität der Tonkunst oder eines bestimmten Tonstücks behandeln.“ S. 9. Wenn aber auch die Musik Gefühle ausdrücken sollte, so glaubt der Verfasser, sie sey gar nicht im Stande, ein bestimmtes Gefühl auszudrücken. „Was macht denn ein Gefühl zu diesem bestimmten Gefühl? Zur Sehnsucht, Hoffnung, Liebe? Etwa die bloße Stärke oder Schwäche, das Wogen der innern Bewegung? Gewiß nicht. Diese kann bei verschiedenen Gefühlen gleich seyn und auch wieder bei demselben Gefühl, in mehreren Individuen, zu andern Zeiten verschieden.“ Man sagt frischweg, in einer Arie flüstre die Zärtlichkeit, in einem Marsch stürme die Kampflust, aber das ist unwahr. „Um auf festen Boden zu gelangen, müssen wir vorerst solche altverbundene Metaphern schonungslos trennen: Das Flüstern? Ja; — aber keineswegs der ‚Sehnsucht‘; das Stürmen? Allerdings, doch nicht der ‚Kampflust‘. In der That besitzt die Musik das Eine ohne das Andre; sie kann flüstern, stürmen, rauschen, — das Lieben und Zürnen aber trägt nur unser eigenes Herz in sie hinein. Die Darstellung eines Gefühles oder Affectes liegt gar nicht in dem eigenen Vermögen der Tonkunst.“ S. 13.

Um zu beweisen, wie leicht sich der Mensch betrüge, wenn er Gefühle in ein Musikstück hineintrage, die nicht nothwendig darin liegen, führt der Verfasser das Thema aus dem zweiten Finale der Hugenotten an, dessen Text „schändlich ist es, unerhört, ha, wie können sie es wagen!“ eben so gut lauten könnte: „O Geliebte, ich habe dich wieder, welche Wonne, welch Entzücken!“ Und noch andre ähnliche Beispiele, z. B. eine Stelle in Beethovens Fidelio, die „o namlose Freude“ charakterisirt ist, aber eben so gut heißen kann „er soll mir nicht entkommen!“

„Die schädlichsten und verwirrendsten Anschauungen sind aus dem Bestreben hervorgegangen, die Musik als eine Art Sprache aufzufassen; sie weisen uns täglich praktische Folgen auf. So mußte es hauptsächlich Componisten von schwacher Schöpferkraft geeignet erscheinen, die ihnen unerreichbare selbstständige musikalische Schönheit als ein falsches, sinnliches Princip anzusehen, und die charakteristische Bedeutsamkeit der Musik dafür aufs Schild zu heben. Ganz abgesehen von Richard Wagners Opern findet man in den kleinsten Instrumentalsächelchen oft Unterbrechungen des melodischen Flusses durch abgerissene Cadenzen, recitativische Sätze u. dgl., welche den Hörer befremdend sich anstellen, als bedeuteten sie etwas Besonderes, während sie in der That nichts bedeuten, als Unschönheit. Von modernen Compositionen, welche fortwährend den großen Rhythmus durchbrechen, um mysteriöse Zwischensätze oder gehäufte Contraste vorzudrängen, pflegt man zu rühmen: es strebe darin die Musik ihre engen Grenzen durchzubrechen und zur Sprache sich zu erheben. Uns ist ein solches Lob immer sehr zweideutig erschienen. Die Grenzen der Musik sind durchaus nicht eng, aber sehr genau festgesteckt. Die Musik kann sich niemals ‚zur Sprache erheben‘, — herablassen müßte man eigentlich von musikalischem Standpunkt sagen.“ S. 49. „Eben so schlimm als diese praktischen Folgen, ja noch schlimmer, weil nicht alsogleich durch das Experiment geschlagen, sind die Theorien, welche der Musik die Entwicklungs- und Constructionsgesetze der Sprache aufdringen wollen, wie es in älterer Zeit Rousseau und Rameau gethan, in neuerer Zeit von den Jüngern R. Wagners versucht wird. Es wird dabei das wahrhafte Herz der Musik, die in sie selbst befriedigte Formschönheit, durchstoßen und dem Phantom der ‚Bedeutung‘ nachgejagt. Eine Aesthetik der Tonkunst müßte es daher zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen, die Grundverschiedenheit zwischen dem Wesen der Musik und dem der Sprache unerbittlich darzulegen, und in allen Folgerungen das Princip festzuhalten, daß wo es sich um Specifisch- Musikalisches handelt, die Analogien mit der Sprache jede Anwendung verlieren.“ S. 51. „Mit der Schilderung der subjectiven Bewegungen, welche den Kritiker bei Anhörung einer Symphonie überkommen, wird er deren Werth und Bedeutung nicht begründen, eben so wenig kann er von den Affecten ausgehend den Kunstjünger etwas lehren. Letzteres ist wichtig. Denn stünde der Zusammenhang bestimmter Gefühle mit gewissen musikalischen Ausdrucksweisen so zuverlässig da, als man geneigt ist zu glauben, und als er dastehen müßte, um die ihm vindicirte Bedeutung zu behaupten, so wäre es ein Leichtes, den angehenden Componisten bald zur Höhe ergreifendster Kunstwirkung zu leiten. Man wollte dies auch wirklich. Mattheson lehrt im dritten Kapitel seines vollkommenen Capellmeisters‘ wie Stolz, Demuth und alle Leidenschaften zu componiren seyen, indem er z. B. sagt, die ‚Erfindungen‘ zur Eifersucht müssen ‚alle was Verdrießliches, Grimmiges und Klägliches haben‘. Ein anderer Meister des vorigen Jahrhunderts, Heinchen, gibt in seinem ‚Generalbaß‘ acht Bogen Notenbeispiele, wie die Musik ‚rasende, zankende, prächtige, ängstliche oder verliebte Empfindungen‘ ausdrücken solle. Es fehlt nur noch, daß derlei Vorschriften mit der Kochbuch- Formel ‚Man nehme‘ anhüben, oder mit der medicinischen Signatur m. d. s. endigten. Es holt sich aus solchen Bestrebungen die lehrreichste Ueberzeugung, wie specielle Kunstregeln immer zugleich zu eng und zu weit sind. Diese an sich bodenlosen Regeln für die musikalische Erweckung bestimmter Gefühle gehören jedoch um so weniger in die Aesthetik, als die erstrebte Wirkung keine rein ästhetische, sondern ein unausscheidbarer Antheil daran körperlich ist. Das ästhetische Recept müßte lehren, wie der Tonkünstler das Schöne in der Musik erzeuge, nicht aber beliebige Affecte im Auditorium.“

Doch es ist Zeit, dem, was der Verfasser tadelt, das entgegenzuhalten, was er lobt. „Das Urelement der Musik ist Wohllaut, ihr Wesen Rhythmus. Rhythmus im Großen, als die Uebereinstimmung eines symmetrischen Baues, und Rhythmus im Kleinen, als die wechselnd-gesetzmäßige Bewegung einzelner Glieder im Zeitmaß. Das Material, aus dem der Tondichter schafft, und dessen Reichthum nicht verschwenderisch genug gedacht werden kann, sind die gesammten Töne, mit der in ihnen ruhenden Möglichkeit zu verschiedener Melodie, Harmonie und Rhythmisirung. Unausgeschöpft und unerschöpflich waltet vor Allem die Melodie, als Grundgestalt musikalischer Schönheit; mit tausendfachem Verwandeln, Umkehren, Verstärken bietet ihr die Harmonie immer neue Grundlagen; beide vereint bewegt der Rhythmus, die Pulsader musikalischen Lebens, und färbt der Reiz mannigfaltiger Klangfarben. Frägt es sich nun, was mit diesem Tonmaterial ausgedrückt werden soll, so lautet die Antwort: Musikalische Ideen. Eine vollständig zur Erscheinung gebrachte musikalische Idee aber ist bereits selbstständiges Schöne, ist Selbstzweck und keineswegs erst wieder Mittel oder Material zur Darstellung von Gefühlen und Gedanken, wenn sie gleich in hohem Grad jene symbolische, die großen Weltgesetze wiederspiegelnde Bedeutsamkeit besitzen kann, welche wir in jedem Kunstschönen vorfinden. Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik. In welcher Weise uns die Musik schöne Formen ohne den Inhalt eines bestimmten Affectes bringen kann, zeigt uns recht treffend ein Zweig der Ornamentik in der bildenden Kunst: die Arabeske. Wir erblicken geschwungene Linien, hier sanft sich neigend, dort kühn emporstrebend, sich findend und loslassend, in kleinen und großen Bogen correspondirend, scheinbar incommensurabel, doch immer wohlgegliedert, überall ein Gegen- oder Seitenstück begrüßend, eine Sammlung kleiner Einzelnheiten, und doch ein Ganzes. Denken wir uns nun eine Arabeske nicht todt und ruhend, sondern in fortwährender Selbstbildung vor unsern Augen entstehend. Wie die starken und die feinen Linien einander verfolgen, aus kleiner Biegung zu prächtiger Höhe sich heben, dann wieder senken, sich erweitern, zusammenziehen und in sinnigem Wechsel von Ruhe und Anspannung das Auge stets neu überraschen! Da wird das Bild schon höher und würdiger. Denken wir uns vollends diese lebendige Arabeske als thätige Ausströmung eines künstlerischen Geistes, der die ganze Fülle seiner Phantasie unablässig in die Adern dieser Bewegung ergießt, wird dieser Eindruck dem musikalischen nicht sehr nahekommend seyn? Jeder von uns hat als Kind sich wohl an dem wechselnden Farben- und Formenspiel eines Kaleidoscops ergötzt. Ein solches Kaleidoscop auf incommensurabel höherer Erscheinungsstufe ist Musik. Sie bringt in stets sich entwickelnder Abwechslung schöne Formen und Farben, sanft übergehend, scharf contrastirend, immer symmetrisch und in sich erfüllt. Der Hauptunterschied ist, daß solch unserm Ohr vorgeführtes Tonkaleidoscop sich als unmittelbare Emanation eines künstlerisch schaffenden Geistes gibt, jenes sichtbare aber als ein sinnreich-mechanisches Spielzeug. Will man nicht blos im Gedanken, sondern in Wirklichkeit die Erhebung der Farbe zur Musik vollziehen, und die Mittel der einen Kunst in die Wirkungen der andern einbetteln, so geräth man auf die abgeschmackte Spielerei des ‚Farbenclaviers‘, oder der ‚Augenorgel‘, deren Erfindung jedoch beweist, wie die formelle Seite beider Erscheinungen auf gleicher Basis ruhe. Sollte irgend ein gefühlvoller Musikfreund unsre Kunst durch Analogien, wie die obige herabgewürdigt finden, so entgegnen wir, es handle sich blos darum, ob die Analogien richtig seyen oder nicht. Herabgewürdigt wird nichts dadurch, daß man es besser kennen lernt.“ Wir mußten diese ganze das System des Verfassers am besten bezeichnende Stelle ausheben, um unsere Entgegnung zu motiviren.

Der Verfasser hat gefühlt, daß die Vergleichungen mit der Arabeske und mit dem Kaleidoskop ärmlich sind. Er würde besser gethan haben, auf ein vergessenes, aber sehr geistreiches Buch, „die Aphorismen über die Kunst“ von Görres zurückzugehen, und sich die Musik als eine in Fluß gekommene Architektur wie die Baukunst als eine „versteinerte Musik“ zu denken. Die Vergleichung eines großen musikalischen Werkes mit einem gothischen Dome ist jedenfalls würdiger, wie die mit einer Arabeske oder einem Kaleidoscop. Die Hauptsache hat Herr Hanslick nicht befriedigend erledigt. Jedes große Kunstwerk der Menschen muß einen geistigen Inhalt haben. Nach diesem aber fragen wir vergeblich in der musikalischen Theorie des Verfassers. Seine Arabeske, sein Kaleidoscop lassen eine fühlbare Leere zurück. Das bloße harmonische Spiel mit Tönen, wie mit Zeichnungen und Farben erfüllt die Seele nicht, befriedigt den Geist nicht. Am gothischen Dom bewundern wir nicht blos die Kunst, sondern auch das Heilige, dem sie zum Ausdruck dient. Was für ein unsinniger Bau müßte das seyn, an dem wir blos die Kunst bewunderten? Dasselbe gilt aber auch von der Musik. Was für eine unsinnige Musik müßte das seyn, die nichts wäre als Musik schlechthin und wobei man nicht wüßte, aus welcher Stimmung der Seele sie hervorgegangen und zu welchem Zwecke sie componirt wäre?

Es gibt keine Musik schlechthin und hat nie eine gegeben. Wie bei den Alten alle Musik in dorische, phrygische, lydische und äolische, d. i. in heilige, martialische, sentimentale und lustige getheilt war, so auch wieder unsre neuere Musik in Kirchenmusik, opera seria und buffa, Tanz, Marsch, Symphonie, Lied etc. mit denselben Grundrichtungen, wie in der antiken Musik. Mag es eine Musik der Engel oder Geister geben, unsre Musik ist eine Musik der Menschen und schließt sich an alles Menschliche an, hauptsächlich aber an das öffentliche Leben, sofern es von feierlichen oder leidenschaftlichen Stimmungen getragen wird. Die Musik ist aus dem praktischen Leben entsprungen und hat nie aufgehört, demselben zu dienen. Das erste Lied entstand aus der Modulirung eines lockenden Rufens, oder eines frohen Jauchzens, oder des Taktes im Marsch und Tanz. Und auch das größte musikalische Kunstwerk der Neuzeit hat bei aller künstlerischen Vollendung doch immer noch eine praktische Beziehung. Es ist Kirchenmusik, oder Oper mit dramatischem Charakter. Es hat einen Text in Worten oder wenigstens ein Programm. Es drückt etwas aus, es ist nicht blos Tönespiel. Es verhält sich zu einem Werk der bildenden Kunst nicht wie ein Kaleidoscop, sondern wie ein Historien- oder Landschaftsbild.

Dem, was der Verfasser verlangt, soll gebührend Rechnung getragen werden. „Wie aus dem gleichen Marmor der eine Bildhauer bezaubernde Formen, der andre eckiges Ungeschick heraushaut, so gestaltet sich die Tonleiter unter verschiedenen Händen zur Beethoven’schen Symphonie, oder zur Verdi’schen. Was unterscheidet die Beiden? Etwa, daß die eine höhere Gefühle, oder dieselben Gefühle richtiger darstellt? Nein, sondern daß sie schönere Tonformen bildet. Nur dies macht eine Musik gut oder schlecht, daß ein Componist ein geistsprühendes Thema einsetzt, der andre ein bornirtes, daß der Erstere nach allen Beziehungen immer neu und bedeutend entwickelt, der Letztere seines wo möglich immer schlechter macht, die Harmonie des einen wechselvoll und originell sich entfaltet, während die zweite vor Armuth nicht vom Flecke kommt, der Rhythmus hier ein lebenswarm hüpfender Puls ist, dort ein Zapfenstreich.“ Das ist sehr wahr. Man vergleiche z. B. Don Juan und Zampa; jener bewahrt noch in der Hölle die musikalische Schönheit und Würde, dieser sinkt zum höllischen Gepolter herab. Wenn es sich um Ausdruck allein handelte, so würde die Musik am Ende müssen Frösche quacken und Esel wiehern oder (wie übrigens schon geschehen ist) Kanonen abfeuern lassen. Dafür ist sie Musik, daß sie sich über die Naturtöne erhebt.

Allein damit ist die Musik nicht absolut losgerissen von jedem Inhalt oder Anhaltspunkt im Text, so wenig wie von der ewigen Quelle der Gefühle. Sie wird, trotz dem Verfasser, doch in alle Ewigkeit künftig wie vorher, für eine Sprache der Gefühle genommen werden. Welche engen Schranken würde sich die edle Kunst setzen, wenn die Musik nicht mehr an einen bestimmten Text gebunden seyn sollte, der Charakter und Maaß der auszudrückenden Gefühle bezeichnet. Gerade an der Mannigfaltigkeit der Oratorien-, Opern-, Arien-, Liedertexte etc. entfaltet sich der reichste Zauber der Tonkunst, was sonst gar nicht möglich wäre.

Herr Hanslick ist S. 69 so weit gegangen, die durch Musik bewirkte Gefühlserregung eine blos körperliche zu nennen. Das ist eine Beleidigung gegen das menschliche Gefühl, wie gegen die Musik. Man kann, um das Gefühl von allem Körperlichen entkleidet zu wissen, kaum ein anderes Element ersinnen als das der Töne. Es gibt nichts Magischeres, d. h. nichts im Sinnlichen das Geistige so unmittelbar Verklärende als der musikalische Ton. Wo das Wort noch zu gemein ist, da kann den edelsten Ausdruck das Gefühl nur im Ton finden. Darauf beruht die ganze Kirchenmusik. Nicht minder der höchste Zauber des Liebesliedes.

Süße Liebe denkt in Tönen, / Denn Gedanken stehn zu fern, / Nur in Tönen mag sie gern / Alles, was sie will, verschönen. /

Die Musik ist eine höhere Potenz der Sprache; sie verhält sich zur gemeinen Sprache fast wie das magnetische Schlafwachen zum gemeinen Wachen. Es ist die Sprache höherer Wesen. Die Musik adelt. Die Musik erhebt gewissermaßen aus der gemeinen Welt in die Geisterwelt.

Auch von der Macht der Musik denkt Herr H. zu gering. Er spottet darüber S. 61. Indeß lag auch in der groben Magie des Mittelalters, die den Tönen einer aus einem gewissen Holz geschnitzten Flöte Eigenschaften zuschrieb, die sonst nur der Pflanze zukommen, der das Holz angehört, oder den Tönen eines aus Knochen verfertigten Instruments die Sprache und den Geist dessen, dem einst die Knochen angehört hatten, — wenigstens eine hohe Verehrung vor der Musik und ihrer Wunder wirkenden Macht. Dem Aberglauben lag immerhin ein tiefer Sinn für das Wesen der Musik zu Grunde.

Ein bekanntes Beispiel von der Wirkung der Töne ist vielleicht am besten geeignet, die Ansichten des Verfassers zu rectificiren. Der Schweizer Kuhreigen weckt bei den in fremdem Dienst stehenden Schweizern unwiderstehliches Heimweh. Warum? ist das auch, nach des Verfassers Ansicht, ein blos körperliches Gefühl, was eben so gut durch den Anblick und Geruch von Schweizerkäse geweckt werden könnte? Ist hier nicht vielmehr die Schönheit der Melodie das Seelenergreifende? Zugegeben daß auf uns andere alle dieselbe Melodie eine so tiefe Wirkung nicht hervorbringt, so ist es doch auch nicht blos die dadurch hervorgerufene Erinnerung an die Heimath, die den Schweizer Soldaten bewegt, denn eine solche Erinnerung würde ihm durch ein Stück Käse eben so gewiß erweckt.

Das, was wir als vollkommen gerechtfertigt in der vorliegenden Schrift erkennen, wollen wir durch eine Vergleichung mit der Malerei erhärten. Was Herr Hanslick in der Musik rügt, ist noch weit mehr zu rügen in der Malerei. Denn hier läuft alles je mehr und mehr nur auf Ausdruck und Bedeutung hinaus und der große oder pikante Gegenstand soll die schwache Kunst des Malers entschuldigen. Es gibt nun gewiß einen Reiz der Gestalten und Farben, wie einen Reiz der Töne, dessen Schönheit der Künstler unter allen Umständen zur Geltung bringen muß. Titian, der wundervoll malte, ohne seinen Gestalten irgend viel Ausdruck oder Bedeutung zu geben, steht unendlich höher als hundert Historienmaler, die mit dem Dichter wetteifernd in ihre Bilder alle mögliche Bedeutung legten, aber eben schlechter malten. Dasselbe Kriterium gilt nun auch für die musikalischen Componisten, ohne daß es nöthig wäre, deshalb die Wechselwirkung zwischen Musik und Gefühl und die Anlehnung der Musik an den Text so weit abzulehnen, als der Verfasser der vorliegenden Schrift gethan hat.