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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 2429. Wien, Donnerstag, den 1. Juni 1871

[1]

Rienzi.“

Große Oper in fünf Acten von Richard Wagner. (Erste Aufführung im Hofopern-theater am 30. Mai d. J.)


0004Ed. H. Die glänzende Carrière eines schöpferischen
0005Künstlers übt meistentheils auch rückwirkende Kraft. Hat ein
0006Componist mit mehreren Opern nachhaltige Wirkung erzielt,
0007so wird — namentlich wenn er sparsam und nicht stets mit
0008Neuem zur Hand ist — bald die Neugier rege nach Allem,
0009was er früher geschaffen. Jugendversuche, denen wenig künst-
0010lerischer Werth innewohnt, erhalten dann durch die rückfallen-
0011den Ruhmesstrahlen einen biographischen; man sucht sie emsig
0012aus einer Vergessenheit hervorzuziehen, welcher sie, ohne das
0013glücklichere Los ihrer jüngeren Geschwister, niemals entron-
0014nen wären. Das ist die Geschichte der verspäteten „Rienzi“-
0015Vorstellungen aus neuester Zeit, auch der Wiener Aufführung
0016dieser über 30 Jahre alten Oper. Richard Wagner vollen-
0017dete den „Rienzi“ während seines ersten Pariser Aufenthaltes
0018und hoffte auf dessen Aufführung in der Großen Oper daselbst.
0019Herr Léon Pillet lehnte die Partitur ab, Herr Anténor
0020Joly, Director des Renaissance-Theaters, zeigte sich zur An-
0021nahme bereit, fallirte aber, ehe man noch an die Proben den-
0022ken konnte. Da nahm die geniale Schröder-Devrient 
0023sich des bekümmerten Componisten und seines heimatlosen Wer-
0024kes an. Durch ihre Vermittlung erlebte „Rienzi“ im Jahre
00251841 seine erste Aufführung in Dresden, deren günstiger Er-
0026folg sofort die Ernennung Wagner’s zum Capellmeister am
0027dortigen Hoftheater nach sich zog. Die glänzende Aufnahme
0028des „Rienzi“ vor 30 Jahren läßt sich allenfalls begreifen.
0029Abgesehen von dem blendenden Schaugepränge, das immer und
0030überall zieht, dann von den außerordentlichen Leistungen
0031Tichatschek’s und der Schröder, gehörte ja die Novität einem
0032eben florirenden mächtigen Genre an: der großen historischen
0033Oper. Diese, von Spontini eingeführt, durch „Tell“ und die
0034Stumme“ epochemachend erweitert, hatte eben in Meyer-
0035beer’s „Hugenotten“ ihre glänzendste Höhe erreicht. Auch
0036Halévy’s „Jüdin“ hatte kurz vor „Rienzi“ ihren Triumphzug
0037begonnen. Dieser französischen „historischen Oper“, welche 
0038eine nothwendige Kunstrichtung der Zeit überwiegend
0039als Modesache, im Interesse decorativer Pracht und
0040sonstiger Emancipation der Materie ausbeutete, schloß
0041sich Wagner in seinem „Rienzi“ vollständig an. Male-
0042rische Costüme und prachtvolle Veduten aus dem mittelalterlichen
0043Rom, Tänze, Märsche, Festzüge, kirchlicher Pomp und Straßen-
0044kämpfe, schließlich gar Feuersbrünste und Einstürze drängen
0045einander, daß dem Hörer vor lauter historischem Prunk und
0046Lärm Sehen wie Hören vergeht. In der Musik machte sich
0047ein ungestümes Jugendfeuer neben raffinirter Effectkenntniß
0048bemerkbar. Uebrigens machte trotz dieses Dresdener Local-
0049erfolges „Rienzi“ damals keinen großen Weg und war bald
0050vergessen. Seither ist Wagner durch „Tannhäuser“, „Hollän-
0051der“, „Lohengrin“ und die „Meistersinger“ ein epochemachen-
0052der, gefeierter Mann geworden. Je erfolgreicher diese Opern
0053sich verbreiteten, je leidenschaftlicher Wagner’s Opern und
0054Bücher studirt und besprochen wurden, desto häufiger wurde
0055auch des halbverschollenen „Rienzi“ gedacht. Das historische
0056und biographische Interesse, welches Freunde wie Gegner Wag-
0057ner’s an diese Erstlings-Oper heranlockt, begreifen und theilen
0058wir vollkommen. Es ist ungemein belehrend, den Anfängen
0059eines Componisten zu lauschen, welcher durch seine späteren
0060Schöpfungen so bedeutend gewirkt hat; überraschend obendrein,
0061ihm, der zur Stunde vollständig auf hohem musikalischen Isolir-
0062schemel steht, anfangs in großer Gesellschaft auf der breitesten
0063Fahrstraße zu begegnen. Abgesehen von dem kläglichen Miß-
0064wachse auf dem Felde der großen Oper, war es offenbar dieses
0065biographische Interesse, was die Wiener Hofopern-Direction
0066nach dem „Rienzi“ greifen ließ. Es ist aber auch so ziemlich
0067das einzige, welches dieser „Rienzi“ uns einflößt. Die Musik
0068ist, gelinde gesagt, so mittelmäßig und banal, daß heutzutage
0069wol kaum eine Direction die Partitur annähme, würde sie
0070von einem unbekannten Componisten eingeschickt. Der Name
0071Wagner bildet den Schwimmgürtel, auf dem sich „Rienzi“
0072derzeit noch über dem Wasser flott erhält. Der Name Wag-
0073ner, wohlverstanden — denn von dem Manne selbst, dem leib-
0074haftigen Richard Wagner, ist im „Rienzi“ blutwenig zu entdecken.
0075Kaum zu erkennen ist hier der Componist des „Lohengrin“,
0076und wo ihn dennoch irgend eine Eigenthümlichkeit verräth,
0077ist’s keine von seinen guten. Die Partitur zu „Rienzi“ bildet 
0078im Großen und Ganzen das gerade Gegentheil von Wagner’s
0079späterer Musik, welche wesentlich aus den declamatorischen
0080Accenten der Rede gezogen ist, die Melodie dem Recitativ
0081nähert, dem Orchester eine ununterbrochen schildernde, poetisch
0082interpretirende Rolle zuweist, das einzelne Wort hervorhebt,
0083die feste musikalische Form auflöst. Im „Rienzi“ herrscht
0084die Melodie, und am liebsten die bedenklich populäre, das
0085Orchester liefert nur eine „Begleitung“ im gewöhnlichen
0086Sinne, wenn auch in lärmendster Weise; der Bau gliedert
0087sich symmetrisch, übersichtlich, die Modulation, noch unberührt
0088von enharmonischen Mysterien, erlaubt sich keine Wagstücke,
0089die herkömmlichen Formen (Ouvertüre, Arie, Duett, Terzett,
0090Finale etc.) sind im Wesentlichen beibehalten. „Ist denn das
0091Wagner?“ hörte man während der Vorstellung häufig
0092flüstern. Nein, es ist ein Gemisch von Spontini, Donizetti 
0093und Meyerbeer, mit einigem geringen Zusatze aus Weber und
0094Marschner. Vieles von Formen jener Operncomponisten ist
0095veraltet, und Wagner selbst hat am meisten dazu beigetragen,
0096daß wir sie jetzt als veraltet empfinden. An den alten For-
0097men liegt es aber nicht, daß „Rienzi“ eine schlechte Oper ist.
0098Haben doch „Tell“ und die „Stumme“, „Robert“ und die
0099Hugenotten“ bis heute ihre ungeschwächte Kraft bewahrt.
0100Allein in diesen Opern quillt als ein Frisches, Eigenes, Ur-
0101sprüngliches, was im „Rienzi“ als schwache, mühselige Nach-
0102ahmung sickert. Nicht die alte Opernform, sondern Wag-
0103ner’s Unzulänglichkeit, sie mit dem Strome ursprünglicher
0104musikalischer Ideen zu beleben, ist das Unglück dieses „Rienzi“.
0105In den Formen von Auber, Meyerbeer, Rossini, Verdi kann
0106nur wirken, wer melodienreich und originell, wer ein Prinz
0107von musikalischem Geblüt ist. Wie wenig gerade
0108Wagner sich dessen berühmen kann, erkennt man deutlich aus
0109dem „Rienzi“.


0110Es wäre Unrecht und Thorheit zugleich, wollte man
0111Wagner zum Vorwurfe machen, daß er an einen anderen,
0112überkommenen Styl sich anlehnte, bevor er seinen eigenen
0113fand. Gluck und Händel, Mozart und Meyerbeer haben das-
0114selbe gethan und in der traditionellen wälschen Opernweise
0115begonnen, ehe sie jene reifen, eigenthümlichen Werke schufen,
0116welchen ihre volle Individualität ausgeprägt ist. Die Gegen-
0117wart hält sich freilich an diese letzteren Schöpfungen und [2]
0118ist die italienischen Jugendsünden den Bibliotheken —
0119nichts Anderes verdient auch Wagner. Aber ein anderer Unter-
0120schied ist auffallender und wichtiger. Man blättere in den
0121Jugendopern der genannten Meister, man sehe sich (um von
0122den Classikern ganz abzusehen) den „Crociato“ von Meyer-
0123beer an, der sechs Jahre vor dessen erster französischer Oper,
0124dem epochemachenden „Robert le Diable“, geschrieben ist.
0125Welch üppiges musikalisches Leben, welcher Reichthum an ori-
0126ginellen, reizenden Melodien webt da in theilweise veralteten
0127Formen und Formeln! Der „Crociato“ offenbart eine melo-
0128diöse Erfindung und dramatische Triebkraft, die blos ener-
0129gischer Fortbildung und Läuterung bedurften, um unter gün-
0130stigen Anregungen (Paris!) den „Robert“ hervorzubringen.
0131Anders in Wagner’s „Rienzi“. Der achtundzwanzigjährige
0132Componist verräth in dieser Oper eine solche Armuth musi-
0133kalischer Erfindung, einen solchen Mangel individueller Phy-
0134siognomie, eine solche Sammelwuth aller erdenklichen „be-
0135währten“ Effecte, daß man wirklich Anstand nehmen muß, zu
0136sagen, das sei die Arbeit eines ursprünglichen musikalischen
0137Talentes. In dieser Partitur Wagner’s herrscht die helle
0138Mittelmäßigkeit, welche nur durch eine erstaunlich kühne, fast
0139unverschämte Anhäufung materieller Effecte momentan blenden
0140kann. Wer sich darüber der kürzesten Täuschung hingab,
0141war der Componist selbst. Ein so scharfer und feiner
0142Kopf wie Wagner mußte trotz des „Rienzi“-Erfolges in
0143Dresden bald einsehen, daß ihm auf diesem Felde
0144keine weiteren Lorbeern sprießen. Im Schaugepränge
0145und Orchesterlärm noch weiter zu gehen, war unmöglich, in
0146den alten Formen durch Reichthum und Schönheit musika-
0147lischer Ideen zu entzücken, erlaubten seine mäßigen Mittel
0148nicht — was blieb übrig, als einen neuen Weg zu suchen?
0149Wie er diesen gefunden und mit Erfolg behauptet hat, ist be-
0150kannt. Wagner’s eigenartiges, mehr poetisch-theatralisches als
0151musikalisches Talent bedurfte der Zuführung ganz neuer oder neu
0152combinirter Elemente in die Oper. Wagner schuf sich einen
0153neuen Styl und neue Formen und hat daran wohlgethan.
0154Nicht als ob er durch sein declamatorisches „Musikdrama“
0155die bisherige „Oper“ beseitigt hätte, diese wird, unseres Er-
0156achtens, allezeit daneben fortbestehen, solange es reichbegabte
0157musikalische Erfinder gibt. Aber gerade Wagner hätte in 
0158dieser Richtung nur Mittelmäßiges geleistet, während doch
0159seine Gesammtbegabung viel zu bedeutend war, um in der
0160Mittelmäßigkeit beharren zu können. So hat er denn mit
0161Recht vorgezogen, der Erste zu werden auf einem noch unbe-
0162tretenen, angezweifelten Gebiete, als bestenfalls der Sechste
0163oder Siebente zu bleiben in dem von Meyerbeer und Genossen
0164beherrschten Lande. Für das Verständniß von Wagner’s spä-
0165terer auffallender Stylwendung ist dieser „Rienzi“ unschätzbar.
0166Wagner’s maßlos schmähende Verurtheilung der „Oper“, das
0167heißt jener vorzugsweise musikalischen Operngattung, der auch
0168sein „Rienzi“ angehört, ist ohne Zweifel ehrlich gemeint, und
0169diese theoretische Opposition war sicherlich ein Hebel für seine
0170revolutionäre Gegenschöpfung des „Musikdramas“; als zweiter
0171maskirter Hebel arbeitete jedoch daneben die aus „Rienzi“
0172gewonnene Ueberzeugung von der eigenen musikalischen Steri-
0173lität. Wagner selbst verleugnet bekanntlich jetzt seinen „Rienzi“
0174als einen Irrthum; er wird nichts dagegen haben, wenn wir
0175dasselbe thun. Nur verwirft er diese Oper, weil sie einer an-
0176geblich überwundenen Kunstgattung angehört; wir, weil sie ein
0177schlechtes Individuum dieser Gattung, weil sie schlechte Musik ist.


0178Das Textbuch zu „Rienzi“ hat Wagner nach dem be-
0179kannten Bulwer’schen Roman selbst bearbeitet. Er hatte, wie
0180er selbst ausspricht, bei der Abfassung des Gedichtes eben nur
0181einen „Operntext“ im Sinne. Derselbe steht noch in der fünf-
0182actigen Form, welche der Componist später weislich verlassen
0183hat, da die fünffache Steigerung von ebenso viel großen Act-
0184schlüssen das Maß der Kraft sowol des Tondichters als der
0185Hörer gemeiniglich überschreitet. Das Libretto zu „Rienzi“
0186verdient das Lob geschickter Mache, insofern es den Stoff
0187zweckmäßig gliedert und eine Reihe effectvoller Situationen
0188herbeiführt. Die vorwiegende Absicht auf diese Massen-Effecte
0189ließ eben jede feinere Motivirung schwinden; nicht nur die
0190psychologische der handelnden Personen, sondern auch die
0191logisch-pragmatische der Handlung. Wer Bulwer’s Roman 
0192nicht im Gedächtniß hat, wird über manche Hauptwendung
0193vollständig im Unklaren bleiben. Wie kommt es, daß Rienzi,
0194nachdem er in der ersten Scene als einfacher Notar aufge-
0195treten und den Cavalieren einige unangenehme Wahrheiten
0196gesagt hat, gleich in der folgenden, glänzend gerüstet, als an-
0197erkannter römischer Tribun erscheint? Was hat ihm den Bann-
0198strahl der Kirche zugezogen, welcher im vierten Act so plötzlich
0199hereinbricht? Von Rienzi, für dessen plötzlichen Aufschwung
0200und Niedergang in der Oper die erklärenden politischen Mo-
0201tive fehlen, bleibt nicht viel mehr als sein rhetorisches Pathos.
0202Weder seine Schwester Irene, die bis gegen den Ausgang
0203des Stückes passiv dasteht, noch Adriano, der fortwährend
0204unschlüssig hin und her läuft, gewinnen uns ein tieferes In-
0205teresse ab.


0206Was die Musik betrifft, so ist ihr Total-Eindruck athem-
0207erdrückende Massenhaftigkeit. Da ihr sowol die überzeugende
0208Kraft wahrer Empfindung als die künstlerische Meisterschaft
0209fehlt, läßt sie das Gemüth verschmachten und den Geist darben.
0210Wir bleiben kalt und werden schließlich ärgerlich. Alltäglichen,
0211zum Theil ganz trivialen Ideen wird hier durch die derbsten
0212sinnlichen Mittel der Schein des Großartigen angetäuscht.
0213Damit erzielt Wagner im besten Falle denjenigen Effect, den
0214er selbst witzig als „Wirkung ohne Ursache“ definirt. Wo
0215Rienzi“ Effect macht (und dies thut er häufig in den drei
0216ersten Acten), da wirkt er thatsächlich ohne ausreichende
0217geistige Ursache, durch Häufung äußerlich blendender Mittel.
0218Solch unausgesetztes Brüllen von Posaunen und Tuba, solch
0219unermüdliches Trommeln und Beckenschlagen, solch unbarm-
0220herzige Anstrengung der Lungen von Chor- und Solosängern
0221gibt es in keiner zweiten Oper. Der Hörer wird förmlich
0222niedergeworfen und der „Triumph“ des Componisten zur
0223totalen Niederlage des Zuschauers. Da ist gleich die Ouver-
0224türe die rechte Signatur des Ganzen: ein Potpourri mit der
0225Prätension eines einheitlichen Charakterbildes, riesig in den
0226Dimensionen, zwerghaft in seinem musikalischen Ideengehalt,
0227betäubend in seinem Bataillenlärm. Bessere Hoffnungen erregt
0228die Introduction (Entführung der Irene mit dem Dazwischen-
0229treten Adriano’s und dem Streite zwischen Orsini und Colonna)
0230unseres Erachtens die beste Nummer der ganzen Oper. Sie
0231ist mehr in dem pikanten Style der Opéra comique gehalten,
0232etwa in dem Colorit der einleitenden Ritterscenen von „Ro-
0233bert“ und den „Hugenotten“. Was nun folgt, kann man
0234(mit Ausnahme einiger weniger flüchtig vorübergleitender
0235Stellen) füglich in zwei Kategorien zusammenfassen: lärmende
0236Trivialität und sentimentale Trivialität. Zur ersten Classe
0237gehören sämmtliche „Glanznummern“ der Oper: das Finale [3]
0238des ersten Actes (eine merkwürdige Vorahnung des da-
0239mals noch unbekannten Verdi) der große Einzugs-
0240marsch, die geschmacklose Balletmusik, endlich der Wacht-
0241paradenjubel des Schlußchores im zweiten Acte. Man
0242glaubt nicht, daß der Lärm dieses zweiten Finales noch
0243gesteigert werden könne; er wird aber noch weit übertroffen
0244durch den Marsch und Schlachtgesang im dritten Acte. Da
0245arbeitet neben dem vollen tobenden Chor und Orchester noch
0246eine schauerliche Militärmusik auf der Bühne, große und kleine
0247Glocken läuten hinter der Scene, und die wackeren Römer
0248schlagen dazu tactweise mit den Schwertern auf die Schilde!
0249Als Seitenstück zu diesem Profanlärm bringt der vierte Act
0250ein geistliches Spectakel: den Bannfluch mit obligatem Mi-
0251serere der Mönche. Wenn der Erzbischof von München sich
0252die ohrenmörderische Posaunenbegleitung verschaffen könnte,
0253deren sich in dieser Scene der hochwürdige Cardinal Rai-
0254mondo bedient, dann dürfte sein neuester Maledictions-Versuch
0255vielleicht die gewünschte Wirkung machen. Noch schlimmer als
0256die Musikstücke von der Lärm- und Glanz-Trivialität sind
0257die von der sentimentalen. Sie sehen einander erschreckend
0258ähnlich, mit ihrer flachen, süßlichen Melodie und steifen, dürf-
0259tigen Harmonisirung. Zwischen Spontini und Lortzing, zwi-
0260schen Donizetti und Reissiger schwankt der sentimentale
0261Bänkelsang, welcher uns in dem B-dur-Terzett des
0262ersten Actes und dem sich anschließenden Liebesduett credenzt
0263wird. Wie kleinlich, kraftlos und abgetragen klingt das
0264Alles! Und der Held Rienzi, wie langweilig empfindsam
0265wird er in allen seinen Andantes, zu Anfang des dritten Fi-
0266nales, beim Gebet im fünften Acte u. s. w. Die Melodien-
0267bildung dieses Gebetes mit dem Aufsteigen in die Sext mit-
0268telst eines gefühlvollen Mordents ist fast typisch für die lang-
0269samen Cantilenen im „Rienzi“ und spukt noch in den empfind-
0270samen Andantesätzen Tannhäuser’s, Lohengrin’s und Erik’s
0271(im „Holländer“) nach. Diesen geschmacklosen Zierrath des
0272Mordents, dessen häufige Verwendung an alte Clarinettisten
0273erinnert, liebt Wagner so zärtlich, daß die Partitur des
0274Rienzi“ völlig davon wimmelt.


0275Eines der sichersten Kennzeichen für die künstlerische Bil-
0276dung und Vornehmheit eines Componisten sind seine Melo-
0277dienschlüsse — die Banalität der Wagner’schen im „Rienzi“ 
0278ist nur ein Beweis mehr dafür, wie man ein geistreicher,
0279poetischer Mensch und dabei doch ein geschmackloser Musiker
0280sein kann.


0281Weiter einzugehen auf die Einzelheiten des „Rienzi“, ver-
0282bietet uns für heute die Rücksicht auf den Raum des Blattes
0283und die Geduld des Lesers. Die Aufnahme der Novität war
0284eine im Ganzen sehr günstige — leider. Einer der spitzigsten
0285Aussprüche Richard Wagner’s über Meyerbeer paßt wun-
0286derbar auf seinen eigenen „Rienzi“. „In der Meyerbeer’schen
0287Musik,“ so schreibt der Mann mit dem Balken über jenen
0288mit dem Splitter, „gibt sich eine so erschreckende Hohlheit,
0289Seichtigkeit und künstlerische Nichtigkeit kund, daß wir seine
0290specifisch musikalische Befähigung vollkommen auf Null zu
0291setzen versucht sind. (!) Daß er dennoch zu so großen Er-
0292folgen vor dem Opern-Publicum Europas gelangt ist, erklärt
0293sich durch einen Hinblick auf dieses Publicum sehr leicht.“
0294Oper und Drama“, 2. Auflage, Seite 91. Ein großer Theil
0295des Beifalls, der größte vielleicht, darf hier allerdings
0296auf Rechnung der vortrefflichen Aufführung gesetzt werden.
0297Director Herbeck hat das wesentlichste Verdienst um
0298die prachtvolle Vorstellung dieser so überaus schwierig zu
0299scenirenden, umfangreichen und anstrengenden Oper. Mit un-
0300ermüdlichem, wahrhaft aufreibendem Eifer hat Herbeck in ver-
0301hältnißmäßig kurzer Zeit den „Rienzi“ einstudirt, den musika-
0302lischen und scenischen Theil der Vorstellung bis ins kleinste
0303Detail festgestellt und schließlich noch am Abend selbst den
0304Tactirstab mit ungebrochener Energie geführt. Den Rienzi 
0305sang Herr Labatt, der durch Kraft und Ausdauer der
0306Stimme für die Rolle wie geschaffen ist, leider aber das
0307declamatorische Element und die feineren Nuancen des Vor-
0308trages zu häufig den Effecten der Stimmkraft opfert. Vor-
0309trefflich war Fräulein Ehnn als Adriano, sehr lobenswerth
0310(bis auf das übermäßige Schleppen im fünften Act) Fräulein
0311Rabatinsky als Irene. Alles Lob verdienen ferner die
0312Darsteller der kleineren Partien, die Herren Hablawetz,
0313Krauß, Pirk, Neumann, Draxler. Großen Beifall
0314fanden die von Herrn Telle arrangirten Tänze im zweiten
0315Act und die außerordentlich schönen Decorationen von
0316Burghart.