Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der principiellen unermeßlichen Bedeutung des Entscheides. Wer, wie
Schreiber dieser Zeilen, sich die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen
jenes Musikstreites selbst zurückzugehen, wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen
Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer
Polemik herrscht, zugleich aber eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen
Theiles, ein solcher Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik
ein Resultat aus diesen langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten
Köpfe: Suard und Abbé Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn,
gingen zwar wiederholt über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer principiellen Beleuchtung
des dramatischen Princips in der Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen,
allein sie behandelten dieses Verhältniß wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen,
nicht aber als das innerste Lebensprincip derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß
von der Entscheidung dieses Verhältnisses die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig
ist, wie ganz nahe insbesondere Gluckʼs Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem
aus der Irrthum des dramatischen Princips vollkommen erschaut und besiegt werden mag.
So sagt de la Harpe im Journal de Politique et de Litérature vom 5. October 1777:
„On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter un air de cette nature dans une
situation passionnée, que cʼest un moyen dʼarrêter la scène et de nuir à lʼeffet.
Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord, dès quʼon admet le chant,
il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas plus naturel de chanter
mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des conventions, sur des
données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique. Je nʼignore pas,
quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais comme Alceste
est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour dans un air
bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéréssant à son infortune.“ Sollte
man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem Boden
stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und Achilles
in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht mit der
Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten.“ Damit hatte
er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit, verlassen und verrathen,
das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der principiellen unermeßlichen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen Theiles, ein solcher
Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik ein Resultat aus diesen
langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé
Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt
über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer principiellen Beleuchtung des dramatischen
Princips in der Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen, allein sie behandelten
dieses Verhältniß wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste
Lebensprincip derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses
Verhältnisses die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere
Gluckʼs Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem aus der Irrthum des dramatischen
Princips vollkommen erschaut und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal
de Politique et de Litérature vom 5. October 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel,
de chanter un air de cette nature dans une situation passionnée, que cʼest un moyen
dʼarrêter la scène et de nuir à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires.
Dʼabord, dès quʼon admet le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il
nʼest pas plus naturel de chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées
sur des conventions, sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre
la musique. Je nʼignore pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant
un air; mais comme Alceste est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur
et son amour dans un air bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéréssant
à son infortune.“ Sollte man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig
er da auf festem Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen
Agamemnon und Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich
durchaus nicht mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit
redeten.“ Damit hatte er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit,
verlassen und verrathen, das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der principiellen unermeßlichen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen Theiles, ein solcher
Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik ein Resultat aus diesen
langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé
Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt
über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer principiellen Beleuchtung des dramatischen Princips
in der Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen, allein sie behandelten dieses
Verhältniß wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste
Lebensprincip derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses
Verhältnisses die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere
Gluckʼs Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem aus der Irrthum des dramatischen
Princips vollkommen erschaut und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal
de Politique et de Litérature vom 5. October 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel,
de chanter un air de cette nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen
dʼarrêter la scène et de nuir à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires.
Dʼabord, dès quʼon admet le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il
nʼest pas plus naturel de chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées
sur des conventions, sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre
la musique. Je nʼignore pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant
un air; mais comme Alceste est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur
et son amour dans un air bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant
à son infortune.“ Sollte man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig
er da auf festem Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen
Agamemnon und Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich
durchaus nicht mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit
redeten.“ Damit hatte er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit,
verlassen und verrathen, das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der principiellen unermeßlichen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Scala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen Theiles, ein solcher
Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik ein Resultat aus diesen
langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé
Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt
über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer principiellen Beleuchtung des dramatischen
Princips in der Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten
dieses Verhältniß wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste
Lebensprincip derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses
Verhältnisses die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere
Gluckʼs Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem aus der Irrthum des dramatischen
Princips vollkommen erschaut und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal
de Politique et de Litérature vom 5. October 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel,
de chanter un air de cette nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen
dʼarrêter la scène et de nuir à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires.
Dʼabord dès quʼon admet le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il
nʼest pas plus naturel de chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées
sur des conventions, sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre
la musique. Je nʼignore pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant
un air; mais comme Alceste est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur
et son amour dans un air bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant
à son infortune.“ Sollte man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig
er da auf festem Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen
Agamemnon und Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich
durchaus nicht mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit
redeten.“ Damit hatte er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit,
verlassen und verrathen, das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der unermeßlichen principiellen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Scala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen Theiles, ein solcher
Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik ein Resultat aus diesen
langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé
Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt
über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer Beleuchtung des dramatischen Princips in der
Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten dieses Verhältniß
wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste Lebensprincip
derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses Verhältnisses
die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere Gluckʼs
Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem aus der Irrthum des dramatischen Princips
vollkommen erschaut und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal de Politique
et de Littérature vom 5. October 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter
un air de cette nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen dʼarrêter
la scène et de nuir à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord
dès quʼon admet le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas
plus naturel de chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des
conventions, sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique.
Je nʼignore pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais
comme Alceste est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour
dans un air bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant à son infortune.“
Sollte man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem
Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und
Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht
mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten.“ Damit
hatte er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit, verlassen und
verrathen, das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Conflict der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Factoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der unermeßlichen principiellen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Scala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des principiellen Theiles, ein solcher
Mangel an tieferem Wissen, daß für die musikalische Aesthetik ein Resultat aus diesen
langjährigen Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé
Arnaud auf Gluckʼs Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt
über die Kritik Gluckʼs hinaus zu einer Beleuchtung des dramatischen Princips in der
Oper und seines Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten dieses Verhältniß
wie eine Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste Lebensprincip
derselben. Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses Verhältnisses
die ganze Existenz der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere Gluckʼs
Gegner einigemal dem Punkte sind, von dem aus der Irrthum des dramatischen Princips
vollkommen erschaut und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal de Politique
et de Littérature vom 5. October 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter
un air de cette nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen dʼarrêter
la scène et de nuir à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord
dès quʼon admet le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas
plus naturel de chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des
conventions, sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique.
Je nʼignore pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais
comme Alceste est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour
dans un air bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant à son infortune.“
Sollte man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem
Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und
Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht
mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten“ . Damit
hatte er jenen festen Boden, das Princip der musikalischen Schönheit, verlassen und
verrathen, das Princip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Konflikt der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Faktoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der unermeßlichen prinzipiellen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des prinzipiellen Teiles, ein solcher Mangel
an tieferem Wissen, daß für die musikalische Ästhetik ein Resultat aus diesen langjährigen
Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé Arnaud auf
Glucks Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt über die Kritik
Glucks hinaus zu einer Beleuchtung des dramatischen Prinzips in der Oper und seines
Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten dieses Verhältnis wie eine
Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste Lebensprinzip derselben.
Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses Verhältnisses die ganze Existenz
der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere Glucks Gegner einigemal
dem Punkte sind, von dem aus der Irrtum des dramatischen Prinzips vollkommen erschaut
und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal de Politique et de Littérature
vom 5. Oktober 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter un air de cette
nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen dʼarrêter la scène et de nuir
à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord dès quʼon admet
le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas plus naturel de
chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des conventions,
sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique. Je nʼignore
pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais comme Alceste
est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour dans un air
bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant à son infortune.“ Sollte
man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem Boden
stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und Achilles
in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht mit der
Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten“ . Damit hatte
er jenen festen Boden, das Prinzip der musikalischen Schönheit, verlassen und verraten,
das Prinzip des Gegners stillschweigend, ja unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Konflikt der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Faktoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der unermeßlichen prinzipiellen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des prinzipiellen Teiles, ein solcher Mangel
an tieferem Wissen, daß für die musikalische Ästhetik ein Resultat aus diesen langjährigen
Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé Arnaud auf
Glucks Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt über die Kritik
Glucks hinaus zu einer Beleuchtung des dramatischen Prinzips in der Oper und seines
Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten dieses Verhältnis wie eine
Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste Lebensprinzip derselben.
Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses Verhältnisses die ganze Existenz
der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere Glucks Gegner einigemal
dem Punkte sind, von dem aus der Irrtum des dramatischen Prinzips vollkommen erschaut
und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal de Politique et de Littérature
vom 5. Oktober 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter un air de cette
nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen dʼarrêter la scène et de nuir
à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord dès quʼon admet
le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas plus naturel de
chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des conventions,
sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique. Je nʼignore
pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais comme Alceste
est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour dans un air
bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant à son infortune.“ Sollte
man glauben, daß La Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem Boden
stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und Achilles
in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht mit der
Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten.“ Damit hatte
er jenen festen Boden, das Prinzip der musikalischen Schönheit, verlassen und verraten,
das Prinzip des Gegners stillschweigend, unbewußt anerkennend. |
Die größte kunstgeschichtliche Bedeutung des berühmten Streites zwischen den Gluckisten
und den Piccinisten liegt für uns darin, daß dabei der innere Konflikt der Oper durch
den Widerstreit ihrer beiden Faktoren, des musikalischen und des dramatischen, zum
erstenmal ausführlich zur Sprache kam. Freilich geschah dies ohne ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der unermeßlichen prinzipiellen Bedeutung des Entscheides. Wer sich
die lohnende Mühe nicht gereuen läßt, auf die Quellen jenes Musikstreites selbst zurückzugehen,
wird wahrnehmen, wie darin auf der reichen Skala zwischen Grobheit und Schmeichelei
die ganze witzige Fechtergewandtheit französischer Polemik herrscht, zugleich aber
eine solche Unmündigkeit in der Auffassung des prinzipiellen Teiles, ein solcher Mangel
an tieferem Wissen, daß für die musikalische Ästhetik ein Resultat aus diesen langjährigen
Debatten nicht zu Tage steht. – Die bevorzugtesten Köpfe: Suard und Abbé Arnaud auf
Glucks Seite, Marmontel und La Harpe wider ihn, gingen zwar wiederholt über die Kritik
Glucks hinaus zu einer Beleuchtung des dramatischen Prinzips in der Oper und seines
Verhältnisses zum musikalischen; allein sie behandelten dieses Verhältnis wie eine
Eigenschaft der Oper unter vielen, nicht aber als das innerste Lebensprinzip derselben.
Sie hatten keine Ahnung, daß von der Entscheidung dieses Verhältnisses die ganze Existenz
der Oper abhänge. Merkwürdig ist, wie ganz nahe insbesondere Glucks Gegner einigemal
dem Punkte sind, von dem aus der Irrtum des dramatischen Prinzips vollkommen erschaut
und besiegt werden mag. So sagt de la Harpe im Journal de Politique et de Littérature
vom 5. Oktober 1777: „On objecte, quiʼil nʼest pas naturel, de chanter un air de cette
nature dans une situation passionée, que cʼest un moyen dʼarrêter la scène et de nuir
à lʼeffet. Je trouve ces objections absolument illusoires. Dʼabord dès quʼon admet
le chant, il faut lʼadmettre le plus beau possible, et il nʼest pas plus naturel de
chanter mal, que de chanter bien. Tous les arts sont fondées sur des conventions,
sur des données. Quand je viens à lʼopéra, cʼest pour entendre la musique. Je nʼignore
pas, quʼ Alceste ne faisait ses Adieux à Admète en chantant un air; mais comme Alceste
est sur le théâtre pour chanter, si je retrouve sa douleur et son amour dans un air
bien melodieux, je jouirai de son chant en mʼintéressant à son infortune.“ Sollte
man glauben, daß de la Harpe selbst nicht erkannte, wie prächtig er da auf festem
Boden stand? Denn bald darauf läßt er sich beikommen, das Duo zwischen Agamemnon und
Achilles in der „Iphigenia“ aus dem Grunde zu bekämpfen, „weil es sich durchaus nicht
mit der Würde dieser beiden Helden vertrage, daß sie zu gleicher Zeit redeten“ . Damit
hatte er jenen festen Boden, das Prinzip der musikalischen Schönheit, verlassen und
verraten, das Prinzip des Gegners stillschweigend, unbewußt anerkennend. |