Selbst dort, wo wir den wirklich vorhandenen Eindruck betrachten, entdecken wir in
ihm oft statt des Nothwendigen Conventionelles. Nicht blos in Form und Sitte, auch
am Denken und Fühlen bildet sich im Lauf der Zeiten vieles Uebereinstimmende, Ueberkommene,
das uns im Wesen der Dinge selbst zu stecken scheint, welche dennoch kaum mehr davon
wissen, als die Buchstabenzeichen von der Bedeutung, die sie eben nur für uns haben.
Dies ist besonders bei Musikgattungen der Fall, welche bestimmten äußeren Zwecken
dienen, als Kirchen-, Kriegs-, Theatercompositionen. In den letzteren findet man eine
wahre Terminologie für die verschiedensten Gefühle, eine Terminologie, die den Componisten
und Hörern eines Zeitalters so geläufig wird, daß sie im einzelnen Falle nicht den
mindesten Zweifel darüber haben. Spätere Zeiten bekommen ihn aber. Ja, wir begreifen
oft kaum, wie unsre Großeltern diese Tonreihe für einen adäquaten Ausdruck gerade
dieses Affectes ansehen konnten. |
Selbst dort, wo wir den wirklich vorhandenen Eindruck betrachten, entdecken wir in
ihm oft statt des Nothwendigen Conventionelles. Nicht blos in Form und Sitte, auch
im Denken und Fühlen bildet sich im Lauf der Zeiten vieles Uebereinstimmende, Ueberkommene,
das uns im Wesen der Dinge selbst zu stecken scheint, welche dennoch kaum mehr davon
wissen, als die Buchstabenzeichen von der Bedeutung, die sie eben nur für uns haben.
Dies ist besonders bei Musikgattungen der Fall, welche bestimmten äußeren Zwecken
dienen, als Kirchen-, Kriegs-, Theatercompositionen. In den letzteren findet man eine
wahre Terminologie für die verschiedensten Gefühle, eine Terminologie, die den Componisten
und Hörern eines Zeitalters so geläufig wird, daß sie im einzelnen Falle nicht den
mindesten Zweifel darüber haben. Spätere Zeiten bekommen ihn aber. Ja, wir begreifen
oft kaum, wie unsre Großeltern diese Tonreihe für einen adäquaten Ausdruck gerade
dieses Affectes ansehen konnten. |
Kann überhaupt das Gefühl keine Basis für ästhetische Gesetze sein, so ist obendrein
gegen die Sicherheit des musikalischen Fühlens Wesentliches zu bemerken. Wir meinen
hier nicht bloß die conventionelle Befangenheit, die es ermöglicht, daß unser Fühlen
und Vorstellen oft durch Texte, Ueberschriften und andere bloß accidentielle Ideenassociationen,
besonders in Kirchen-, Kriegs- und Theatercompositionen eine Richtung erhält, welche
wir fälschlich dem Charakter der Musik an sich zuzuschreiben geneigt sind. Vielmehr
ist überhaupt der Zusammenhang eines Tonstückes mit der dadurch hervorgerufenen Gefühlsbewegung
kein unbedingt causaler, sondern es wechselt diese Stimmung mit dem wechselnden Standpunkt
unserer musikalischen Erfahrungen und Eindrücke. Wir begreifen heute oft kaum, wie
unsere Großeltern diese Tonreihe für einen adäquaten Ausdruck gerade dieses Affekts
ansehen konnten. Dafür ist z. B. die außerordentliche Verschiedenheit ein Beweis,
mit der viele Mozartsche, Beethovensche und Webersche Compositionen zur Zeit ihrer
Neuheit im Gegensatz zu heute auf die Herzen der Hörer wirkten. Wie viele Werke von
Mozart erklärte man zu ihrer Zeit für das leidenschaftlichste, feurigste und kühnste,
was überhaupt an musikalischen Stimmungsbildern möglich schien. Der Behaglichkeit
und dem reinen Wohlsein, welches aus Haydns Symphonien ausströme, stellte man die
Ausbrüche heftiger Leidenschaft, ernstester Kämpfe, bitterer, schneidender Schmerzen
in Mozarts Musik gegenüber. Zwanzig bis dreißig Jahre später entschied man genau so
zwischen Beethoven und Mozart. Die Stelle Mozarts als Repräsentanten der heftigen,
hinreißenden Leidenschaft nahm Beethoven ein, und Mozart war zu der olympischen Classicität
Haydns avancirt. Aehnliche Wandlungen seiner Anschauung erfährt jeder aufmerksame
Musiker im Laufe eines längeren Lebens an sich selbst. Durch diese Verschiedenheit
der Gefühlswirkung ist jedoch die musikalische Schätzung vieler einst so aufregend
wirkender Werke, der ästhetische Genuß, den ihre Originalität und Schönheit uns heute
noch bereitet, an und für sich nicht alterirt. Der Zusammenhang musikalischer Werke
mit gewissen Stimmungen besteht also nicht immer, überall, nothwendig, als ein absolut
Zwingendes, er ist vielmehr unvergleichlich wandelbarer als in jeder andern Kunst. |
Kann überhaupt das Gefühl keine Basis für ästhetische Gesetze sein, so ist obendrein
gegen die Sicherheit des musikalischen Fühlens Wesentliches zu bemerken. Wir meinen
hier nicht bloß die conventionelle Befangenheit, die es ermöglicht, daß unser Fühlen
und Vorstellen oft durch Texte, Ueberschriften und andere bloß accidentielle Ideenassociationen,
besonders in Kirchen-, Kriegs- und Theatercompositionen eine Richtung erhält, welche
wir fälschlich dem Charakter der Musik an sich zuzuschreiben geneigt sind. Vielmehr
ist überhaupt der Zusammenhang eines Tonstückes mit der dadurch hervorgerufenen Gefühlsbewegung
kein unbedingt causaler, sondern es wechselt diese Stimmung mit dem wechselnden Standpunkt
unserer musikalischen Erfahrungen und Eindrücke. Wir begreifen heute oft kaum, wie
unsere Großeltern diese Tonreihe für einen adäquaten Ausdruck gerade dieses Affects
ansehen konnten. Dafür ist z. B. die außerordentliche Verschiedenheit ein Beweis,
mit der viele Mozartʼsche, Beethovenʼsche und Weberʼsche Compositionen zur Zeit ihrer
Neuheit im Gegensatz zu heute auf die Herzen der Hörer wirkten. Wie viele Werke von
Mozart erklärte man zu ihrer Zeit für das leidenschaftlichste, feurigste und kühnste,
was überhaupt an musikalischen Stimmungsbildern möglich schien. Der Behaglichkeit
und dem reinen Wohlsein, welches aus Haydnʼs Symphonien ausströme, stellte man die
Ausbrüche heftiger Leidenschaft, ernstester Kämpfe, bitterer, schneidender Schmerzen
in Mozartʼs Musik gegenüber. Zwanzig bis dreißig Jahre später entschied man genau
so zwischen Beethoven und Mozart. Die Stelle Mozartʼs als Repräsentanten der heftigen,
hinreißenden Leidenschaft nahm Beethoven ein, und Mozart war zu der olympischen Classicität
Haydnʼs avancirt. Aehn liche Wandlungen seiner Anschauung erfährt jeder aufmerksame
Musiker im Laufe eines längeren Lebens an sich selbst. Durch diese Verschiedenheit
der Gefühlswirkung ist jedoch die musikalische Schätzung vieler einst so aufregend
wirkender Werke, der ästhetische Genuß, den ihre Originalität und Schönheit uns heute
noch bereitet, an und für sich nicht alterirt. Der Zusammenhang musikalischer Werke
mit gewissen Stimmungen besteht also nicht immer, überall, nothwendig, als ein absolut
Zwingendes, er ist vielmehr unvergleichlich wandelbarer als in jeder andern Kunst. |
Kann überhaupt das Gefühl keine Basis für ästhetische Gesetze sein, so ist obendrein
gegen die Sicherheit des musikalischen Fühlens Wesentliches zu bemerken. Wir meinen
hier nicht bloß die konventionelle Befangenheit, die es ermöglicht, das unser Fühlen
und Vorstellen oft durch Texte, Überschriften und andere bloß gelegentliche Gedankenverbindungen,
besonders in Kirchen- Kriegs-, und Theaterkompositionen eine Richtung erhält, welche
wir fälschlich dem Charakter der Musik an sich zuzuschreiben geneigt sind. Vielmehr
ist überhaupt der Zusammenhang eines Tonstückes mit der dadurch hervorgerufenen Gefühlsbewegung
kein unbedingt kausaler, sondern es wechselt diese Stimmung mit dem wechselnden Standpunkt
unserer musikalischen Erfahrungen und Eindrücke. Wir begreifen heute oft kaum, wie
unsere Großeltern diese Tonreihe für einen entsprechenden Ausdruck gerade dieses Affekts
ansehen konnten. Dafür ist z. B. die außerordentliche Verschiedenheit ein Beweis,
mit der viele Mozartsche, Beethovensche und Webersche Kompositionen zur Zeit ihrer
Neuheit im Gegensatz zu heute auf die Herzen der Hörer wirkten. Wie viele Werke von
Mozart erklärte man zu ihrer Zeit für das leidenschaftlichste, feurigste und kühnste,
was überhaupt an musikalischen Stimmungsbildern möglich schien. Der Behaglichkeit
und dem reinen Wohlsein, welches aus Haydns Symphonieen ausströme, stellte man die
Ausbrüche heftiger Leidenschaft, ernstester Kämpfe, bitterer, schneidender Schmerzen
in Mozarts Musik gegenüber. Zwanzig bis dreißig Jahre später entschied man genau so
zwischen Beethoven und Mozart. Die Stelle Mozarts als Repräsentanten der heftigen,
hinreißenden Leidenschaft nahm Beethoven ein, und Mozart war zu der olympischen Klassicität
Haydns avanciert. Ähnliche Wandlungen seiner Anschauung erfährt jeder aufmerksame
Musiker im Laufe eines längeren Lebens an sich selbst. Durch diese Verschiedenheit
der Gefühlswirkung ist jedoch die musikalische Schätzung vieler einst so aufregend
wirkender Werke, der ästhetische Genuß, den ihre Originalität und Schönheit uns heute
noch bereitet, an und für sich nicht alteriert. Der Zusammenhang musikalischer Werke
mit gewissen Stimmungen besteht also nicht immer, überall, notwendig, als ein absolut
Zwingendes, er ist vielmehr unvergleichlich wandelbarer als in jeder andern Kunst. |
Kann überhaupt das Gefühl keine Basis für ästhetische Gesetze sein, so ist obendrein
gegen die Sicherheit des musikalischen Fühlens Wesentliches zu bemerken. Wir meinen
hier nicht bloß die konventionelle Befangenheit, die es ermöglicht, daß unser Fühlen
und Vorstellen oft durch Texte, Überschriften und andere bloß gelegentliche Gedankenverbindungen,
besonders in Kirchen-, Kriegs- und Theaterkompositionen eine Richtung erhält, welche
wir fälschlich dem Charakter der Musik an sich zuzuschreiben geneigt sind. Vielmehr
ist überhaupt der Zusammenhang eines Tonstückes mit der dadurch hervorgerufenen Gefühlsbewegung
kein unbedingt kausaler, sondern es wechselt diese Stimmung mit dem wechselnden Standpunkt
unserer musikalischen Erfahrungen und Eindrücke. Wir begreifen heute oft kaum, wie
unsere Großeltern diese Tonreihe für einen entsprechenden Ausdruck gerade dieses Affekts
ansehen konnten. Dafür ist z. B. die außerordentliche Verschiedenheit ein Beweis,
mit der viele Mozartsche, Beethovensche und Webersche Kompositionen zur Zeit ihrer
Neuheit im Gegensatz zu heute auf die Herzen der Hörer wirkten. Wie viele Werke von
Mozart erklärte man zu ihrer Zeit für das leidenschaftlichste, feurigste und kühnste,
was überhaupt an musikalischen Stimmungsbildern möglich schien. Der Behaglichkeit
und dem reinen Wohlsein, welches aus Haydns Symphonieen ausströme, stellte man die
Ausbrüche heftiger Leidenschaft, ernstester Kämpfe, bitterer, schneidender Schmerzen
in Mozarts Musik gegenüber. Zwanzig bis dreißig Jahre später entschied man genau so
zwischen Beethoven und Mozart. Die Stelle Mozarts als Repräsentanten der heftigen,
hinreißenden Leidenschaft nahm Beethoven ein, und Mozart war zu der olympischen Klassicität
Haydns avanciert. Ähnliche Wandlungen seiner Anschauung erfährt jeder aufmerksame
Musiker im Laufe eines längeren Lebens an sich selbst. Durch diese Verschiedenheit
der Gefühlswirkung ist jedoch die musikalische Schätzung vieler einst so aufregend
wirkender Werke, der ästhetische Genuß, den ihre Originalität und Schönheit uns heute
noch bereitet, an und für sich nicht alteriert. Der Zusammenhang musikalischer Werke
mit gewissen Stimmungen besteht also nicht immer, überall, notwendig, als ein absolut
Zwingendes, er ist vielmehr unvergleichlich wandelbarer als in jeder andern Kunst. |