Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheiten und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa “ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte
Mache, die dramatische Lahmheit einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische
Ausdruck wird nicht im Mindesten beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der
Glaubensfanatismus geradezu die Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den
„Ghibellinen“ ganz entfällt. Der Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden:
er ist ein Citat. Als Musik paßt er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte
Allegro aus der Ouvertüre zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden
gehört? Mozartʼs Musik, an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut
auf den niedrigkomischen Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem
Ernst der Composition erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß.
Derlei Belege für das weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen
Affectes ließen sich zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit
Recht für eine der musikalisch am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige
deutsche Dorf- oder Marktkirchen, wo zur heil. Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder
die Schlußarie aus der „Somnambula“ (mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“
) oder Aehnliches auf der Orgel vorgetragen wird. Jeder Deutsche, der nach Italien
kommt, hört mit Staunen in den Kirchen die bekanntesten Opernmelodien von Rossini,
Bellini, Donizetti und Verdi. Diese und noch weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs
placiden Charakters klingen, sind weit entfernt, die Gemeinde in ihrer Andacht zu
stören, im Gegentheil pflegt Alles aufs Aeußerste erbaut zu sein. Wäre die Musik an
sich im Stande, religiöse Andacht als Inhalt darzustellen, so würde solch ein quid
pro quo eben so unmöglich sein, als daß der Prediger statt seiner Exhorte eine Tieck
ʼsche Novelle oder einen Parlamentsact von der Kanzel recitirte. |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache,
die dramatische Lahmheit einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck
wird nicht im Mindesten beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus
geradezu die Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz
entfällt. Der Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden: er ist ein Citat.
Als Musik paßt er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus
der Ouvertüre zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört?
Mozartʼs Musik, an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den
niedrigkomischen Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst
der Composition erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei
Belege für das weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes
ließen sich zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für
eine der musikalisch am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf-
oder Marktkirchen, wo zur heil. Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie
aus der „Somnambula“ (mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches
auf der Orgel vorgetragen wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen
in den Kirchen die bekanntesten Opernmelodien von Rossini, Bellini, Donizetti und
Verdi. Diese und noch weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters
klingen, sind weit entfernt, die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil
pflegt Alles aufs Aeußerste erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse
Andacht als Inhalt darzustellen, so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich
sein, als daß der Prediger statt seiner Exhorte eine Tieck ʼsche Novelle oder einen
Parlamentsact von der Kanzel recitirte. |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache,
die dramatische Lahmheit einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck
wird nicht im Mindesten beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus
geradezu die Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz
entfällt. Der Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden: er ist ein Citat.
Als Musik paßt er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus
der Ouvertüre zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört?
Mozartʼs Musik, an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den
niedrigkomischen Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst
der Composition erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei
Belege für das weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes
ließen sich zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für
eine der musikalisch am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf-
oder Marktkirchen, wo zur heil. Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie
aus der „Somnambule“ (mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches
auf der Orgel vorgetragen wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen
in den Kirchen die bekanntesten Opernmelodien von Rossini, Bellini, Donizetti und
Verdi. Diese und noch weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters
klingen, sind weit entfernt, die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil
pflegt Alles aufs Aeußerste erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse
Andacht als Inhalt darzustellen, so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich
sein, als daß der Prediger statt seiner Exhorte eine Tieck ʼsche Novelle oder einen
Parlamentsact von der Kanzel recitirte. Unsre größten Meister geistlicher Tonkunst
bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz. Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger
Ungenirtheit. Winterfeld hat nachgewiesen, daß viele der berühmtesten und ob ihres
frommen Ausdrucks bewundertesten Stücke im „Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen
Duetten herübergenommen sind, welche Händel (1711–1712) für die Churprinzessin Caroline
v. Hanover auf Madrigale von Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem 2. Duett:
Nò, di voi non vuoʼ fidarmi, Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere Luchinghiere
deità!“ verwendete Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor im ersten
Theil des Messias: „Denn uns ist ein Kind geboren.“ – Der dritte Satz desselben Duettes
„Sò per prova i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im 2. Theil des
Messias „Wie Schafe gehen.“ Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt) ist im
Wesentlichen ganz übereinstimmend mit dem Duett im 3. Theil des Messias: „O Tod, wo
ist dein Stachel“ ; – dort lautet der Text: „Si tu non lasci amore Mio cor, ti pentirai
Lo so ben io!” |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache
einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck wird nicht im Mindesten
beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus geradezu die
Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz entfällt. Der
Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden: er ist ein Citat. Als Musik paßt
er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus der Ouvertüre
zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört? Mozartʼs Musik,
an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den niedrigkomischen
Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst der Composition
erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei Belege für das
weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes ließen sich
zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für eine der musikalisch
am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf- oder Marktkirchen,
wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie aus der „Somnambule“
(mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches auf der Orgel vorgetragen
wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen in den Kirchen die
bekanntesten Opernmelodien von Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi. Diese und noch
weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters klingen, sind weit entfernt,
die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil pflegt Alles aufs Aeußerste
erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse Andacht als Inhalt darzustellen,
so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich sein, als daß der Prediger statt
seiner Exhorte eine Tieckʼsche Novelle oder einen Parlamentsact von der Kanzel recitirte.
Unsre größten Meister geistlicher Tonkunst bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz.
Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger Ungenirtheit. Winterfeld hat nachgewiesen,
daß viele der berühmtesten und ob ihres frommen Ausdrucks bewundertesten Stücke im
„Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen Duetten herübergenommen sind, welche
Händel (1711–1712) für die Churprinzessin Caroline von Hannover auf Madrigale von
Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem 2. Duett: Nò, di voi non vuoʼ fidarmi,
Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere Luchinghiere deità!“ verwendete
Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor im ersten Theil des Messias:
„Denn uns ist ein Kind geboren.“ – Der dritte Satz desselben Duetts „Sò per prova
i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im 2. Theil des Messias „Wie Schafe
gehen.“ Das Madrigal No. 16 (Duett für Sopran und Alt) ist im Wesentlichen ganz übereinstimmend
mit dem Duett im 3. Theil des Messias: „O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet
der Text: „Si tu non lasci amore Mio cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache
einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck wird nicht im Mindesten
beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus geradezu die
Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz entfällt. Der
Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden: er ist ein Citat. Als Musik paßt
er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus der Ouvertüre
zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört? Mozartʼs Musik,
an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den niedrigkomischen
Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst der Composition
erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei Belege für das
weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes ließen sich
zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für eine der musikalisch
am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf- oder Marktkirchen,
wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie aus der „Somnambule“
(mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches auf der Orgel vorgetragen
wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen in den Kirchen die
bekanntesten Opernmelodien von Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi. Diese und noch
weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters klingen, sind weit entfernt,
die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil pflegt Alles aufs Aeußerste
erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse Andacht als Inhalt darzustellen,
so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich sein, als daß der Prediger statt
seiner Exhorte eine Tieckʼsche Novelle oder einen Parlamentsact von der Kanzel recitirte.
Unsre größten Meister geistlicher Tonkunst bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz.
Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger Ungenirtheit. Winterfeld hat nachgewiesen,
daß viele der berühmtesten und ob ihres frommen Ausdrucks bewundertsten Stücke im
„Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen Duetten herübergenommen sind, welche
Händel (1711–1712) für die Churprinzessin Caroline von Hannover auf Madrigale von
Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem 2. Duett: „Nò, di voi non uoʼ fidarmi,
Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere Luchinghiere deità!“ verwendete
Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor im ersten Theil des Messias:
„Denn uns ist ein Kind geboren“ . – Der dritte Satz desselben Duetts „Sò per prova
i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im 2. Theil des Messias „Wie Schafe
gehen“ . Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt) ist im Wesentlichen ganz übereinstimmend
mit dem Duett im 3. Theil des Messias: „O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet
der Text: „Si tu non lasci amore Mio cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache
einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck wird nicht im Mindesten
beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus geradezu die
Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz entfällt. Der
Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden; er ist ein Citat. Als Musik paßt
er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus der Ouvertüre
zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört? Mozartʼs Musik,
an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den niedrigkomischen
Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst der Composition
erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei Belege für das
weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes ließen sich
zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für eine der musikalisch
am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf- oder Marktkirchen,
wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie aus der „Somnambule“
(mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches auf der Orgel vorgetragen
wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen in den Kirchen die
bekanntesten Opernmelodien von Rossini,Bellini,Donizetti und Verdi. Diese und noch
weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters klingen, sind weit entfernt,
die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil pflegt Alles aufs Aeußerste
erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse Andacht als Inhalt darzustellen,
so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich sein, als daß der Prediger statt
seiner Exhorte eine Tieckʼsche Novelle oder einen Parlamentsact von der Kanzel recitirte.
Unsre größten Meister geistlicher Tonkunst bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz.
Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger Ungenirtheit. Winterfeld hat nachgewiesen,
daß viele der berühmtesten und ob ihres frommen Ausdrucks bewundertsten Stücke im
„Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen Duetten herübergenommen sind, welche
Händel (1711–1712) für die Churprinzessin Caroline von Hannover auf Madrigale von
Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem 2. Duett: „Nò, di voi non uoʼ fidarmi,
Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere Luchinghiere deità!“ verwendete
Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor im ersten Theil des Messias:
„Denn uns ist ein Kind geboren“ . – Der dritte Satz desselben Duetts „Sò per prova
i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im 2. Theil des Messias „Wie Schafe
gehen“ . Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt) ist im Wesentlichen ganz übereinstimmend
mit dem Duett im 3. Theil des Messias: „O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet
der Text: „Si tu non lasci amore Mio cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |
Was hier an Einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an größerem und größtem Umfang.
Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte unterlegt. Wenn man Meyerbeerʼs „Hugenotten“
mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen, der Begebenheit und der
Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel die ungeschickte Mache
einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck wird nicht im Mindesten
beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus geradezu die
Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz entfällt. Der
Choral Lutherʼs darf hier nicht eingewendet werden; er ist ein Citat. Als Musik paßt
er zu jeder Confession. – Hat der Leser nie das fugirte Allegro aus der Ouverture
zur „Zauberflöte“ als Vocalquartett sich zankender Handelsjuden gehört? Mozartʼs Musik,
an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den niedrigkomischen
Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst der Composition
erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei Belege für das
weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affectes ließen sich
zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für eine der musikalisch
am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf- oder Marktkirchen,
wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie aus der „Somnambule“
(mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder Aehnliches auf der Orgel vorgetragen
wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen in den Kirchen die
bekanntesten Opernmelodien von Rossini,Bellini,Donizetti und Verdi. Diese und noch
weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs placiden Charakters klingen, sind weit entfernt,
die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegentheil pflegt Alles aufs Aeußerste
erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im Stande, religiöse Andacht als Inhalt darzustellen,
so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich sein, als daß der Prediger statt
seiner Exhorte eine Tieckʼsche Novelle oder einen Parlamentsact von der Kanzel recitirte.
Unsere größten Meister geistlicher Tonkunst bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz.
Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger Ungenirtheit. Winterfeld hat nachgewiesen,
daß viele der berühmtesten und ob ihres frommen Ausdrucks bewundertsten Stücke im
„Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen Duetten herübergenommen sind, welche
Händel (1711–1712) für die Churprinzessin Caroline von Hannover auf Madrigale von
Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem 2. Duett: „Nò, di voi non uoʼ fidarmi,
Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere Luchinghiere deità!“ verwendete
Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor im ersten Theil des Messias:
„Denn uns ist ein Kind geboren“ . – Der dritte Satz desselben Duetts „Sò per prova
i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im 2. Theil des Messias „Wie Schafe
gehen“ . Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt) ist im Wesentlichen ganz übereinstimmend
mit dem Duett im 3. Theil des Messias: „O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet
der Text: „Si tu non lasci amore Mio cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |
Was hier an einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an Werken von größerem und
größtem Umfang. Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte untergelegt. Wenn man
Meyerbeers „Hugenotten“ mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen,
der Begebenheit und der Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel
die ungeschickte Mache einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck
wird nicht im mindesten beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus
geradezu die Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz
entfällt. Der Choral Luthers darf hier nicht eingewendet werden; er ist ein Citat.
Als Musik paßt er zu jeder Konfession. – Hat der Leser nie das fugierte Allegro aus
der Ouverture zur „Zauberflöte“ als Vokalquartett sich zankender Handelsjuden gehört?
Mozarts Musik, an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den
niedrigkomischen Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst
der Komposition erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei
Belege für das weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affektes
ließen sich zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für
eine der musikalisch am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf-
oder Marktkirchen, wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie
aus der „Somnambule“ (mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder ähnliches
auf der Orgel vorgetragen wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen
in den Kirchen die bekanntesten Opernmelodieen von Rossini, Bellini, Donizetti und
Verdi. Diese und noch weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs sanften Charakters
klingen, sind weit entfernt, die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegenteil
pflegt alles aufs äußerste erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im stande, religiöse
Andacht als Inhalt darzustellen, so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich
sein, als daß der Prediger statt seiner Exhorte eine Tiecksche Novelle oder einen
Parlamentsakt von der Kanzel recitierte. Unsere größten Meister geistlicher Tonkunst
bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz. Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger
Ungeniertheit. Winterfeld hat nachgewiesen, daß viele der berühmtesten und ob ihres
frommen Ausdrucks bewundertsten Stücke im „Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen
Duetten herübergenommen sind, welche Händel (1711–1712) für die Kurprinzessin Caroline
von Hannover auf Madrigale von Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem zweiten
Duett: „Nò, di voi non uoʼ fidarmi, Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere
Lusinghiere deità!“ verwendete Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor
im ersten Teil des Messias: „Denn uns ist ein Kind geboren“ . – Der dritte Satz desselben
Duetts „Sò per prova i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im zweiten
Teil des Messias „Wie Schafe gehen“ . Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt)
ist im wesentlichen ganz übereinstimmend mit dem Duett im dritten Teil des Messias:
„O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet der Text: „Si tu non lasci amore Mio
cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |
Was hier an einzelnem gezeigt wurde, erweist sich ebenso an Werken von größerem und
größtem Umfang. Man hat ganzen Gesangstücken oft andere Texte untergelegt. Wenn man
in Wien Meyerbeers „Hugenotten“ mit Veränderung des Schauplatzes, der Zeit, der Personen,
der Begebenheit und der Worte als „Ghibellinen in Pisa“ aufführt, so stört ohne Zweifel
die ungeschickte Mache einer solchen Umarbeitung, allein der rein musikalische Ausdruck
wird nicht im mindesten beleidigt. Und doch soll das religiöse Gefühl, der Glaubensfanatismus
geradezu die Springfeder der „Hugenotten“ bilden, welche in den „Ghibellinen“ ganz
entfällt. Der Choral Luthers darf hier nicht eingewendet werden; er ist ein Citat.
Als Musik paßt er zu jeder Konfession. – Hat der Leser nie das fugierte Allegro aus
der Ouverture zur „Zauberflöte“ als Vokalquartett sich zankender Handelsjuden gehört?
Mozarts Musik, an der nicht eine Note geändert ist, paßt zum Entsetzen gut auf den
niedrigkomischen Text, und man kann sich in der Oper nicht herzlicher an dem Ernst
der Komposition erfreuen, als man hier über die Komik derselben lachen muß. Derlei
Belege für das weite Gewissen jedes musikalischen Motivs und jedes menschlichen Affektes
ließen sich zahllos vorbringen. Die Stimmung religiöser Andacht gilt mit Recht für
eine der musikalisch am wenigsten vergreifbaren. Nun giebt es unzählige deutsche Dorf-
oder Marktkirchen, wo zur heiligen Wandlung das „Alphorn“ von Proch oder die Schlußarie
aus der „Sonnambula“ (mit dem koketten Decimensprung „in meine Arme“ ) oder ähnliches
auf der Orgel vorgetragen wird. Jeder Deutsche, der nach Italien kommt, hört mit Staunen
in den Kirchen die bekanntesten Opernmelodieen von Rossini, Bellini, Donizetti und
Verdi. Diese und noch weltlichere Stücke, wenn sie nur halbwegs sanften Charakters
klingen, sind weit entfernt, die Gemeinde in ihrer Andacht zu stören, im Gegenteil
pflegt alles aufs äußerste erbaut zu sein. Wäre die Musik an sich im stande, religiöse
Andacht als Inhalt darzustellen, so würde solch ein quid pro quo ebenso unmöglich
sein, als daß der Prediger statt seiner Exhorte eine Tiecksche Novelle oder einen
Parlamentsakt von der Kanzel recitierte. Unsere größten Meister geistlicher Tonkunst
bieten Beispiele in Fülle für unsern Satz. Namentlich Händel verfuhr hierin mit großartiger
Ungeniertheit. Winterfeld hat nachgewiesen, daß viele der berühmtesten und ob ihres
frommen Ausdrucks bewundertsten Stücke im „Messias“ aus den weltlichen, meist erotischen
Duetten herübergenommen sind, welche Händel (1711–1712) für die Kurprinzessin Caroline
von Hannover auf Madrigale von Mauro Ortensio gesetzt hatte. Die Musik zu dem zweiten
Duett: „Nò, di voi non uoʼ fidarmi, Cieco amor, crudel beltà; Troppo siete menzognere
Lusinghiere deità!“ verwendete Händel unverändert in Tonart und Melodie für den Chor
im ersten Teil des Messias: „Denn uns ist ein Kind geboren“ . – Der dritte Satz desselben
Duetts „Sò per prova i vostri inganni“ hat dieselben Motive wie der Chor im zweiten
Teil des Messias „Wie Schafe gehen“ . Das Madrigal Nr. 16 (Duett für Sopran und Alt)
ist im wesentlichen ganz übereinstimmend mit dem Duett im dritten Teil des Messias:
„O Tod, wo ist dein Stachel“ ; – dort lautet der Text: „Si tu non lasci amore Mio
cor, ti pentirai, Lo so ben io!” |