Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck (– nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes –) endlich
die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik,“ welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener
Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Faktoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man setzte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
(– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob –), im Gegensatz
zur Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehaltes aufgeführt, als
erlernbar und Produkt des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer
so dürftigen Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt
ein Richtiges zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen
sie in solcher Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines
Künstlers gleichfalls. Melodie und Harmonie eines Themaʼs entspringen zugleich in
Einer Rüstung aus dem Haupt des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch
des Gegensatzes trifft das Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide
können hier gleichzeitige Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig
unterordnen, – in dem einen wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit
erreicht werden. Istʼs etwa die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs
Coriolan- und Mendelssohnʼs Hebriden-Ouvertüre, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen
Tiefsinns verleiht? Wird man Rossiniʼs Thema „o Mathilde“ oder ein neapolitanisches
Volkslied mit mehr Geist erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte
Accordenfolgen an die Stellen des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie
mußte mit dieser Harmonie zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser
Klanggattung. Der geistige Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung
Eines Gliedes verletzt den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie
oder der Harmonie, oder des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist
in den Accorden, dort alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei.
Die Camelie kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne
– das läßt sich nicht übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck (– nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes –),
endlich die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze:
das wäre jene „philosophische Begründung der Musik,“ welche so viele Autoren ersehnen,
ohne uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische
und physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber
nimmermehr erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung,
jener Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Factoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man setzte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
(– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob –), im Gegensatz
zur Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehaltes aufgeführt, als
erlernbar und Product des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer
so dürftigen Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt
ein Richtiges zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen
sie in solcher Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines
Künstlers gleichfalls. Melodie und Harmonie eines Themaʼs entspringen zugleich in
Einer Rüstung aus dem Haupt des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch
des Gegensatzes trifft das Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide
können hier gleichzeitige Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig
unterordnen, – in dem einen wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit
erreicht werden. Istʼs etwa die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs
Coriolan- und Mendelssohnʼs Hebriden-Ouvertüre, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen
Tiefsinns verleiht? Wird man Rossiniʼs Thema „o Mathilde“ oder ein neapolitanisches
Volkslied mit mehr Geist erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte
Accordenfolgen an die Stellen des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie
mußte mit dieser Harmonie zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser
Klanggattung. Der geistige Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung
Eines Gliedes verletzt den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie
oder der Harmonie, oder des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist
in den Accorden, dort alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei.
Die Camelie kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne
– das läßt sich nicht übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck – nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes –, endlich
die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik,“ welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener
Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Factoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man bestimmte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob –; im Gegensatz
zur Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehalts aufgeführt, als
erlernbar und Product des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer
so dürftigen Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt
ein Richtiges zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen
sie in solcher Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines
Künstlers gleichfalls. Melodie und Harmonie eines Themas entspringen zugleich in Einer
Rüstung aus dem Haupt des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch des
Gegensatzes trifft das Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide können
hier gleichzeitige Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig unterordnen,
– in dem einen wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit erreicht werden.
Istʼs etwa die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs Coriolan-
und Mendelssohnʼs Hebriden-Ouvertüre, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen Tiefsinns
verleiht? Wird man Rossiniʼs Thema „o Mathilde“ oder ein neapolitanisches Volkslied
mit mehr Geist erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte Accordenfolgen
an die Stellen des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie mußte mit dieser
Harmonie zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser Klanggattung. Der
geistige Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung Eines Gliedes
verletzt den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie oder der Harmonie,
oder des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist in den Accorden,
dort alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei. Die Camelie
kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne – da läßt
sich nichts übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck – nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes –, endlich
die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik“, welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener
Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Factoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man bestimmte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob –; im Gegensatz
zur Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehalts aufgeführt, als
erlernbar und Product des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer
so dürftigen Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt
ein Richtiges zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen
sie in solcher Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines
Künstlers gleichfalls. Melodie und Harmonie eines Themas entspringen zugleich in einer
Rüstung aus dem Haupt des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch des
Gegensatzes trifft das Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide können
hier gleichzeitige Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig unterordnen,
– in dem einen wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit erreicht werden.
Istʼs etwa die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs Coriolan-
und Mendelssohnʼs Hebriden-Ouvertüre, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen Tiefsinns
verleiht? Wird man Rossiniʼs Thema „o Mathilde“ oder ein neapolitanisches Volkslied
mit mehr Geist erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte Accordenfolgen
an die Stellen des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie mußte mit dieser
Harmonie zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser Klanggattung. Der
geistige Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung eines Gliedes
verletzt den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie oder der Harmonie,
oder des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist in den Accorden,
dort alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei. Die Camelie
kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne – da läßt
sich nichts übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elements, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck – nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes – endlich
die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik,“ welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener
Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Factoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man bestimmte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob; im Gegensatz zur
Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehalts aufgeführt, als erlernbar
und Product des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer so dürftigen
Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt ein Richtiges
zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen sie in solcher
Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines Künstlers gleichfalls.
Melodie und Harmonie eines Themas entspringen zugleich in einer Rüstung aus dem Haupt
des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch des Gegen satzes trifft das
Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide können hier gleichzeitige
Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig unterordnen, – in dem einen
wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit erreicht werden. Istʼs etwa
die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs Coriolan- und Mendelssohnʼs
Hebriden-Ouvertüre, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen Tiefsinns verleiht? Wird
man Rossiniʼs Thema „o, Mathilde“ oder ein neapolitanisches Volkslied mit mehr Geist
erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte Accordenfolgen an die Stellen
des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie mußte mit dieser Harmonie
zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser Klanggattung. Der geistige
Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung eines Gliedes verletzt
den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie oder der Harmonie oder
des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist in den Accorden, dort
alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei. Die Camelie
kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne – da läßt
sich nichts übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck, – nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes, – endlich
die Zurückführung dieser speciellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik“, welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzutheilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Accords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Roth, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener
Mißmuth, sondern nur durch Subsumirung der specifisch musikalischen Eigenschaften
unter allgemeine ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Princip. Wären
dergestalt die einzelnen Factoren in ihrer Isolirung erklärt, so müßte weiter gezeigt
werden, wie sie einander in den verschiedensten Combinationen bestimmen und modificiren.
Der Harmonie und der contrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Composition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindication viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man bestimmte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob; im Gegensatz zur
Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehalts aufgeführt, als erlernbar
und Product des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer so dürftigen
Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt ein Richtiges
zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen sie in solcher
Isolirung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines Künstlers gleichfalls.
Melodie und Harmonie eines Themas entspringen zugleich in einer Rüstung aus dem Haupt
des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch des Gegen satzes trifft das
Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide können hier gleichzeitige
Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig unterordnen, – in dem einen
wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit erreicht werden. Istʼs etwa
die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovenʼs Coriolan- und Mendelssohnʼs
Hebriden-Ouverture, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen Tiefsinns verleiht? Wird
man Rossiniʼs Thema „O, Mathilde“ oder ein neapolitanisches Volkslied mit mehr Geist
erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder complicirte Accordenfolgen an die Stellen
des nothdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie mußte mit dieser Harmonie
zugleich erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser Klanggattung. Der geistige
Gehalt kommt nur dem Verein Aller zu, und die Verstümmlung eines Gliedes verletzt
den Ausdruck auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie oder der Harmonie oder
des Rhythmus kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist in den Accorden, dort
alle Trivialität in deren Mangel zu finden, ist baare Schulmeisterei. Die Camelie
kommt duftlos zu Tage, die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne – da läßt
sich nichts übertragen, und ist doch jede von ihnen schön! |
Die Erforschung der Natur jedes einzelnen musikalischen Elementes, seines Zusammenhanges
mit einem bestimmten Eindruck, – nur der Thatsache, nicht des letzten Grundes, – endlich
die Zurückführung dieser speziellen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze: das wäre
jene „philosophische Begründung der Musik“, welche so viele Autoren ersehnen, ohne
uns nebenbei mitzuteilen, was sie darunter eigentlich verstehen. Die psychische und
physische Einwirkung jedes Akkords, jedes Rhythmus, jedes Intervalls wird aber nimmermehr
erklärt, indem man sagt: dieser ist Rot, jener Grün, oder dieser Hoffnung, jener Mißmut,
sondern nur durch Subsumierung der spezifisch musikalischen Eigenschaften unter allgemeine
ästhetische Kategorien und dieser unter Ein oberstes Prinzip. Wären dergestalt die
einzelnen Faktoren in ihrer Isolierung erklärt, so müßte weiter gezeigt werden, wie
sie einander in den verschiedensten Kombinationen bestimmen und modifizieren. Der
Harmonie und der kontrapunktischen Begleitung haben die meisten Tongelehrten eine
vorzügliche Stellung zu dem geistigen Gehalt der Komposition eingeräumt. Nur ging
man in dieser Vindikation viel zu oberflächlich und atomistisch zu Werke. Man bestimmte
die Melodie als Eingebung des Genies, als Trägerin der Sinnlichkeit und des Gefühls
– bei dieser Gelegenheit erhielten die Italiener ein gnädiges Lob; im Gegensatz zur
Melodie wurde die Harmonie als Trägerin des gediegenen Gehalts aufgeführt, als erlernbar
und Produkt des Nachdenkens. Es ist seltsam, wie lange man sich mit einer so dürftigen
Anschauungsweise zufrieden stellen konnte. Beiden Behauptungen liegt ein Richtiges
zu Grunde, doch gelten sie weder in dieser Allgemeinheit, noch kommen sie in solcher
Isolierung vor. Der Geist ist Eins und die musikalische Erfindung eines Künstlers
gleichfalls. Melodie und Harmonie eines Themas entspringen zugleich in einer Rüstung
aus dem Haupt des Tondichters. Weder das Gesetz der Unterordnung noch des Gegensatzes
trifft das Wesen des Verhältnisses der Harmonie zur Melodie. Beide können hier gleichzeitige
Entfaltungskraft ausüben, dort sich einander freiwillig unterordnen, – in dem einen
wie dem andern Fall kann die höchste geistige Schönheit erreicht werden. Istʼs etwa
die (ganz fehlende) Harmonie in den Hauptmotiven zu Beethovens Coriolan- und Mendelssohns
Hebriden-Ouverture, was ihnen den Ausdruck gedankenreichen Tiefsinns verleiht? Wird
man Rossinis Thema „O, Mathilde“ oder ein neapolitanisches Volkslied mit mehr Geist
erfüllen, wenn man einen basso continuo, oder komplizierte Akkordenfolgen an die Stellen
des notdürftigen Harmoniegeländes setzt? Diese Melodie mußte mit dieser Harmonie zugleich
erdacht werden, mit diesem Rhythmus und dieser Klanggattung. Der geistige Gehalt kommt
nur dem Verein aller zu, und die Verstümmlung eines Gliedes verletzt den Ausdruck
auch der übrigen. Das Vorherrschen der Melodie oder der Harmonie oder des Rhythmus
kommt dem Ganzen zu Gute, und hier allen Geist in den Akkorden, dort alle Trivialität
in deren Mangel zu finden, ist bare Schulmeisterei. Die Kamelie kommt duftlos zu Tage,
die Lilie farblos, die Rose prangt für beide Sinne – da läßt sich nichts übertragen,
und ist doch jede von ihnen schön! |